Ob kleine oder große Sünden, gerne auch im Straßenverkehr – die Polizei veröffentlicht sie in ihren Presseberichten im Internet neben allerlei Straftaten. Alles ist dort regional geordnet präsentiert. Ein Service, den Medien schätzen, auch diese Zeitung. Doch ist bei der Nutzung der Polizeimitteilungen für Redaktionen Vorsicht geboten.
Medien dürfen nicht jedes Detail verbreiten, auch dann nicht, wenn es schon bei der Polizei online für alle erreichbar und nachzulesen ist. Teilen die Beamten dort beispielsweise mit, gegen einen Sünder ein Strafverfahren eingeleitet zu haben, so bedeutet das nur: Sie haben ein amtliches Prüfungsverfahren in Gang gesetzt, wozu sie gesetzlich verpflichtet sind. Aber landläufig betrachtet, "ist da noch nix passiert".
Zeitung zählt zu den Massenmedien
Dennoch kommt es vor, dass zum vorgeworfenen Vergehen auch das Alter der angezeigten Person, der überschaubare Ort des Geschehens oder andere Umstände im öffentlich zugänglichen Polizeibericht nachzulesen sind. Das könnte einen Betroffenen für Insider und Kenner eventuell schon erkennbar werden lassen und damit den Persönlichkeitsschutz verletzen.
Deutlich höher ist diese Wahrscheinlichkeit freilich, wird die Meldung etwa zu einer Strafanzeige mit sämtlichen Umständen danach von einer Redaktion online oder in der Zeitung weiterverbreitet. Die Zeitung zählt, anders als das amtliche Polizeiportal, nämlich zu den Massenmedien. Und die Gefahr der Erkennbarkeit ist auch ohne Namensnennung gegeben.
Medien haben gesellschaftliche und demokratische Dialogfunktion
Die Einordnung zu den Massenmedien ist auch damit begründet, dass Medien die Öffentlichkeit erwartungsgemäß und regelmäßig informieren. Egal ob mittels TV, Rundfunk oder Internet: Sie bedienen dabei ein ungleich breiteres Publikum als ein amtliches Portal wie das der Polizei. So wird das höchstrichterlich beurteilt. Das Grundrecht spricht journalistischen Medien eben eine gesellschaftliche und demokratische Debatten- und Dialogfunktion zu, über die sich Menschen bei ihnen zusammenfinden können.
Eine Arbeitserleichterung, die zu vermeiden ist
Eine Konsequenz, die sich daraus ergibt: Journalisten müssen es mitunter bleiben lassen, in ihren Produkten alles das, was die Polizei schon öffentlich preisgegeben hat, einfach nur zu wiederholen. Das ist tunlichst zu vermeiden. Erwischte Verkehrssünder dürfen nicht im Massenmedium identifizierbar werden. Das wäre auch nicht dadurch zu rechtfertigen, dass die Polizei zu den vertrauenswürdigen amtlichen Quellen gezählt wird. Kontrolle bleibt angesagt, denn die Gefahr der Erkennbarkeit besteht.
Verantwortung kann nicht auf Quellen abgeschoben werden
Für ihre Veröffentlichungen und deren Wirkungen haften in allen Medien die Journalisten. Sie tragen eine Verantwortung, die sie nicht auf Quellen abschieben können. Verantwortung darf man allerdings auch von der Polizei in ihren Presseberichten erwarten. Erst Straftaten von erheblichem öffentlichem Interesse erlauben es, rechtskräftig Verurteilte erkennbar darzustellen. Verkehrssündern aber sollte dies überall erspart bleiben. Für Presseinformationen, die zum Schutz von Personen nicht an die Öffentlichkeit dürfen, gibt es andere Kommunikationswege.
Auch Polizeimeldung mit wenig Tragweite erfordern journalistische Sorgfalt
Immer bedarf der Umgang mit Polizeimeldungen, selbst wenn sie von geringer Tragweite sind, der journalistischen Sorgfalt (siehe Pressekodex Ziffer 2). Die Polizei hat für ihre Pressemitteilungen eigene Kriterien. So kann sich der Bericht der Polizei über denselben Tatbestand von dem in der Zeitung unterscheiden.
Wie auch immer: Am Ende ist es für "kleine Sünder" unzumutbar, in einer Zeitung identifizierbar zu sein. Nach einer in der Zeitung veröffentlichten Polizeimeldung hat aber jüngst genau dies ein Leser zu Recht befürchtet. Für mich war das Anlass, hier darüber zu schreiben, ohne den Fall zu wiederholen. Auch die Redaktion hat Besserung versprochen.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Weitere Leseranwalt-Kolumnen zu Polizei und Identifizierbarkeit
Aug. 2013: "Muss denn ein Wildpinkler beim Festbetrieb wirklich in der Zeitung stehen?
Jun. 2016: "Auch vor einer Namensnennung gilt: Im Zweifel für den Angeklagten"
Okt. 2017: "Eine schwierige Abwägung"
Nov. 2019: "Vorsicht bei Nachrichten aus fremden Quellen"
Aug. 2020: "Ein Stinkefinger, der keine Tatsache ist"
Okt. 2020: "Wenn das Persönlichkeitsrecht zurückstehen muss"
Nov. 2022: "Verdachtsmomente der Polizei, die besser nicht weiter verbreitet werden"
Dez. 2022: "Warum und wie die Presse nach einem Polizei-Einsatz Anspruch auf Auskunft hat"
Das sehr viel größere und bis heute offenkundig nicht thematisierte Problem in diesem Zusammenhang ist, dass, sobald Menschen in den Focus der Strafverfolgung geraten sind und vor Gericht "angeklagt" werde, bei den Journalisten mitunter ALLE Grenzen fallen und man in der Zeitung lesen kann, ob man "nervös" mit dem Fuß wippt und ganze "Persönlichkeitsprofile" nach Meinen des jeweiligen Schreibers erstellt.
Zu einer solchen Anklage und Berichten genügen oft banale Vorwürfe wie bspw. "Beleidigung" o.ä., vgl. z.B. den Prozess gegen den depressiven Bundeswehrsoldaten diese Woche.
Was die "privilegierte Quelle" Staatsanwaltschaft mitteilt, wird bereits während Vorermittlungen distanzlos und unüberprüft 1:1 übernommen. Ein "Freibrief" für Journalisten?
Persönlichkeitsrechte und FOLGEN für Betroffene, ihre Familien, ihr Umfeld interessieren nicht nur nicht - man hat oft den Eindruck, es geht um die maximale Wirkung und Schädigung!