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LESERANWALT
Eine schwierige Abwägung
Täterfoto?       -  Diese Frage müssen sich Redaktionen von Zeit zu Zeit stellen. Dann gilt es abzuwägen ...
| Diese Frage müssen sich Redaktionen von Zeit zu Zeit stellen. Dann gilt es abzuwägen ...
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 27.04.2023 05:28 Uhr
Oft frage sie sich, ob es rechtens ist, dass Angeklagte und Verdächtige mit Foto in Medien erscheinen, schreibt mir eine Frau. Ein Verurteilter, den danach jeder kenne, könne doch unmöglich ein neues Leben beginnen. Allerdings, so fügt sie hinzu, wisse sie nicht, wie sie sich fühlen würde, wäre ihr Kind das Opfer einer sexuellen Straftat.
Nun will die Frau meine Meinung wissen.
 

Der Widerstreit

Schon die Frage offenbart den Widerstreit, um den es geht. Es geht um eine schwierige Abwägung zwischen der wichtigen Resozialisierung von Tätern, deren notwendiger Verurteilung und den Gefühlen der Opfer. Und es geht um das öffentliche Interesse an einer Identifizierung.
Rechtens, so halte ich fest, sind die Kriminalberichte mit Namen und Bild von Tätern meist. Notwendig sind Namen und Bilder aber nicht immer. Zuweilen bedarf es des „Medienprangers“ nicht.
Der Deutsche Presserat geht darauf in seiner Richtlinie 8 ein (komplette Richtlinie hier anklicken). Darin heißt es unter anderem zum öffentlichen Interesse an Namen und Bildern von Tätern:

Für ein überwiegendes öffentliches Interesse spricht in der Regel, wenn
-    eine außergewöhnlich schwere oder in ihrer Art und Dimension besondere Straftat vorliegt,
-     ein Zusammenhang bzw. Widerspruch besteht zwischen Amt, Mandat, gesellschaftlicher Rolle oder Funktion einer Person und der ihr zur Last gelegten Tat,
-    bei einer prominenten Person ein Zusammenhang besteht zwischen ihrer Stellung und der ihr zur Last gelegten Tat bzw. die ihr zur Last gelegte Tat im Widerspruch steht zu dem Bild, das die Öffentlichkeit von ihr hat,
-    eine schwere Tat in aller Öffentlichkeit geschehen ist,
-    ein Fahndungsersuchen der Ermittlungsbehörden vorliegt.


Straftaten sind Zeitgeschehen

Grundsätzlich bleibt klar: Straftaten gehören zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Presse ist. Ich füge hinzu: Das kann ohne Bild und Namen auch funktionieren. Wissen sollte man aber, was der Bundesgerichtshof geurteilt hat: Wer den Rechtsfrieden bricht, muss das durch ihn selbst erregte öffentliche Interesse dulden. Insbesondere gilt das, so hat es das Bundesverfassungsgericht erklärt, für Aufsehen erregende Verbrechen, denn bei ihnen besteht ein anzuerkennendes öffentliches Interesse an näherer Information über Tat und Täter.

 

Die wiederkehrende Frage

Das heißt Redaktionen müssen sich stets fragen: Hat ein Mord, ein Raubüberfall, ein Missbrauch oder eine Vergewaltigung Aufsehen erregt? Ist daraus ein Informationsinteresse abzuleiten – auch auf  die Namen der Täter und deren Bild? Das ist es meist bei Kapitalverbrechen abzuleiten, etwa bei Raubüberfällen oder bei Mord.

 

Spielraum für ethisch begründete Rücksichtnahme

Die Freiheit der Presse lässt Redaktionen aber den Spielraum zu ethisch begründeter Rücksichtnahme – auch auf Täter und auf deren Persönlichkeitsrechte. Unverzichtbar ist diese Rücksichtnahme bei Verdächtigen – das auch aus rechtlichen Gründen. Deren Identifizierung muss meist unterbleiben. Ausgenommen sind da nur, wie so oft, jene Persönlichkeiten, die schon zuvor im Lichte der Öffentlichkeit standen: Deshalb konnte über Anschuldigungen gegen den bekannten Wetter-Moderator Jörg Kachelmann identifizierend berichtet werden (nicht vorverurteilend).
 

Resozialisierung und Störung

Wissen sollte man freilich noch: Schon einige Zeit nach der Verurteilung erlischt das Recht, mit Namen und Bild der Täter über ihre Tat zu berichten. Spätestens jetzt beginnt die Rechtsprechung der Resozialisierung Vorrang einzuräumen.
Gestört bleibt Resozialisierung aber durch das Internet, das nichts vergisst, selbst wenn ein Recht auf Vergessen gegen Suchmaschinen-Betreiber eingeklagt werden kann. So bleiben auch die meisten Namen und Bilder in den Kriminalberichten, die in den zugänglichen digitalen Archiven von Medien abrufbar vorliegen, von diesem Recht unberührt. Diese Freiheit wird den Medien als Chronisten des Zeitgeschehens eingeräumt.
Wenn Redaktionen daraus doch wieder etwas löschen, dann geschieht das nach gut begründeten Anfragen meist freiwillig.

FRÜHERE LESERANWALT-KOLUMNEN ZUR IDENTIFIZIERUNG VON TÄTERN
"Kenntlich und unkenntlich, unwissend und wissend" (2017)
"Das anerkennenswerte Interesse der Öffentlichkeit an vergangenen Ereignissen" (2011)
"Sagen Sie es Journalisten, wenn Sie in deren Berichterstattung nicht erkennbar sein wollen" (2013)
"Ist es nötig, Namen von Tätern zu veröffentlichen, die zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt werden?" (2014)
"Unliebsame Vergangenheit bleibt im Internet immer abrufbar" (2008)

Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch: www.vdmo.de
 
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