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Leseranwalt
Leseranwalt: Empathie vermisst nach belastenden Schlagzeilen über Stadtrat
Die Redaktion berichtet rechtmäßig zur Entlastung eines verdächtigten Würzburger Stadtrates. Der Leseranwalt vermisst mitfühlende Worte, die Journalismus braucht.
Justitia, römische Göttin der Gerechtigkeit, fotografiert in Charlottenburg. Gerechtigkeit ist auch ein journalistisches Anliegen. Und oft bedarf es dabei der Empathie, weil es um Menschen geht.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa | Justitia, römische Göttin der Gerechtigkeit, fotografiert in Charlottenburg. Gerechtigkeit ist auch ein journalistisches Anliegen. Und oft bedarf es dabei der Empathie, weil es um Menschen geht.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 03.03.2024 02:36 Uhr

Sollten Journalisten Empathie zeigen? Zu einer Antwort veranlasst mich der Bericht: „Staatsanwalt stellt Untersuchung gegen Würzburger Stadtrat und Gastronom La Rosa ein".

Damit hatte ich mich schon im Mai befasst. Genau dieser Mann wurde nun vom Vorwurf möglicher Steuerhinterziehung entlastet. Übrig geblieben ist davon ein Bußgeld für nicht ordnungsgemäße Vorgänge an seiner Kasse.

Entlastung nimmt die Redaktion in dieser Sache zurecht auch für sich in Anspruch, und zwar durch den Deutschen Presserat. Der hat Beschwerden gegen ihre identifizierenden Berichte als unbegründet abgewiesen: Er sieht in ihrer Verdachtsberichterstattung keinen Verstoß gegen den Pressekodex, auf den er sich bei seinen Entscheidungen stützt. Es liegt also auch keine Verletzung der Unschuldsvermutung vor.

Aber die Notwendigkeit solcher Berichte für die Main-Post hat auch Chefredakteur Ivo Knahn schon herausgestellt. Doch ist das was hier Recht ist, auch richtig gewesen?

Der Presserat unterstreicht jedenfalls mit seiner Entscheidung gegen die Beschwerde den Kontroll-Auftrag der Presse, die zuweilen auch als Wachhund der Demokratie bezeichnet wird.

Die Redaktion hat sorgfältig recherchiert, bestätigt der Presserat

Dahinter steht eine Reihe wichtiger Erfolge für den Rechtsstaat. Ausgelöst wurden sie stets von geschützten Informanten, die sich nicht vor Repressalien gegen ihre Person fürchten mussten. Ihre Identität wurde von Redaktionen, die sich dafür ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen können, nicht preisgegeben.

Aber deren Hinweise führten stets zu investigativen Recherchen und Berichten. So brachten bisher Medien fast alle bedeutsamen Unregelmäßigkeiten und Straftaten aus Wirtschaft und Politik ans Licht. Das war wohl auch hier Zielrichtung.

Beharrlich und sorgfältig recherchiert wurde auch im vorliegenden Fall. Das bestätigt der Presserat. Doch für die Staatsanwaltschaft hat sich der dabei ausgelöste Anfangsverdacht gegen den Stadtrat nicht bestätigt.

Würzburger Stadtrat beklagt die Belastung seiner Familie

Von dem Verfahren übrig geblieben sind nun die veröffentlichten Schlagzeilen, die Artikel und die Portrait-Bilder, aufrufbar im Internet. Die Entlastung muss dort der Beitrag "Staatsanwaltschaft stellt Untersuchung <...> ein" anzeigen, der das Verfahren nochmals zusammenfasst. 

Der Stadtrat wirft der Redaktion nun eine Diffamierungskampagne vor. Er beklagt aber auch, ihm und seiner Familie habe die Situation stark zugesetzt.

Die Redaktion berichtet das nachrichtlich nüchtern, ohne Empathie. Sie widerspricht alleine den gegen sie gerichteten Vorwurf der Diffamierung, geht aber nicht auf die Belastung der Familie ein. So darf man fragen, wurde journalistisch gleichsam mit Kanonen auf Spatzen geschossen? Die Einstellung des Verfahrens rechtfertigt diese Frage.

Verständnisvolle Worte gab es in der Berichterstattung nicht 

Klar ist indes: Mehrere identifizierende Schlagzeilen trafen auch die Familie. Ein schmerzlicher Preis, den die Presse bei der Erfüllung der Kontrollaufgabe verlangt. Die Redaktion erwartet freilich die Anerkennung der Rechtmäßigkeit ihrer wiederholten Darstellungen. Weil dem rechtlich gesehen so ist, muss sie dafür niemand um Entschuldigung bitten, wie es einige Leserinnen und Leser gefordert haben.

Dennoch: Nach dem Ergebnis der von ihr ausgelösten Untersuchung, die anklagende Meinungen von zitierten Experten nicht bestätigt, durfte man sich wenigstens verständnisvolle Worte zu den belastenden Nebenwirkungen der Berichterstattung erhoffen. Doch Erklärungen in eigener Sache dominieren.

Leseranwalt empfiehlt der Redaktion Selbstreflexion

Selbstreflexion sei deshalb empfohlen, hier vor allem den Journalistinnen und Journalisten, weil es da zuweilen not tut. Schonendes Berichten wäre ihnen bei ihrem Auftrag nämlich durchaus möglich gewesen: Es hätte bis hin zu erklärender, abwartender Form, erst ohne Namen und Bild, einen Spielraum gegeben. Es wurde jedoch sofort Ross und Reiter genannt.

Da wäre den Journalisten doch jetzt genug menschliche Stärke zuzutrauen gewesen, etwas Empathie zu zeigen, kein Kodex verbietet sie. Denn es geht zuallererst um Menschen, denen sich gemäß ihrer Leitlinien ja auch diese Redaktion verpflichtet sehen muss.

Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Weitere Leseranwalt-Kolumnen zum Thema:

2008: "Wer über Menschen schreibt, muss strenge Regeln beachten"

2017: "Kenntlich und unkenntlich, unwissend und wissend"

2020: "Ein Stinkefinger, der keine Tatsache ist"

2019: "Vorsicht bei Meldungen aus fremden Quellen"

2020: "Wenn das Persönlichkeitsrecht zurückstehen muss"

2021: "Warum Täter meist namenlos bleiben, Richter aber nicht"

2022: "Warum eine Meldung zum Verfahren gegen Woelki kritikwürdig ist"

 
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  • Gerhard Zwierlein
    Wer das Ganze nicht versteht! Die Staatsanwaltschaft kam gar nicht ins Spiel, weil das Verfahren in der Strafsachen- und Bußgeldstelle des Finanzamts Würzburg erledigt wurde. Bewiesen war zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch nichts. Daher - und nun ins tägliche Geschäft der Steuer in solchen Fällen: alle Fehler schnell nachmelden und nacherklären, berichtigte Steuererklärungen und schon hat man eine strafbefreiende Selbstanzeige. Dann kommt nix zur Staatsanwaltschaft. Richtig wäre auf die erste Anzeige hin, eine Prüfungsanordnung durch das Finanzamt, die bei solchen Sachverhalten natürlich flott einschreiten sollte ... denn dann wäre eine Selbstanzeige nicht mehr möglich. Hmm....jetzt ein Schelm, der fragt, warum es nach der ersten Berichterstattung noch nix für eine Prüfungsstelle im Finanzamt zu prüfen gab? Denn dann wäre da nix mehr zu berichtigen - jedenfalls nicht straffrei. Und das öffentliche Interesse kann man hier nicht leugnen.
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  • Karl-Heinz Schulz
    Es klingt doch erst einmal, für den Umsatz, gut wenn solche Artikel (mit Namen) genannt bzw. veröffentlicht werden. Erst wird angeklagt, bei Freispruch aber nicht bedauert bzw. entschuldigt ! Wir haben doch in unserer Erziehung Dinge gelernt wo man sich auch entschuldigen muß ! Ich verstehe Presse- bzw. Medienarbeiten schon sehr gut, doch das man wenn man mit den Aussagen falsch gelegen hat, unter Umständen auch Lebensläufe zerstört, sich doch für seinen Irrtum entschuldigen sollte ! Menschlichkeit gehört zu unserem Leben dazu bzw. geht es gar nicht mehr Ohne !
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