Ein Leser ermahnt die Redaktion, sie solle nicht nur den Täterschutz, sondern auch den Opferschutz ernst nehmen. Grundsätzlich hat er Recht. Aber im speziellen Fall nicht. Bezieht er sich doch auf den Artikel "Nach Demo in Schweinfurt: Urteile im Schnellverfahren wegen Gewalt gegen Polizei".
Die Urteile gegen die wegen Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung während der nicht angemeldeten "Protest-Spaziergänge" in Schweinfurt angeklagten Personen, so wertet der Leser, seien in Ordnung und schon längst überfällig gewesen. Nicht gut findet er aber, dass die verurteilten Täter nicht namentlich genannt wurden.
Taten und Urteile rechtfertigen keine Identifizierung
Dass sich das im vorliegenden Fall für Journalistinnen und Journalisten verboten hat, sowohl aus rechtlichen wie aus ethischen Gründen, habe ich ihm erklärt. Urteile von sechs und acht Monaten Haft auf Bewährung - dazu 1500 und 3500 Euro Geldauflage - rechtfertigen noch keine Identifizierung von Verurteilten. Namensnennung ist nur nach außergewöhnlichen Straftaten und Kapitalverbrechen, bei denen Haftstrafen nicht auf Bewährung ausgesetzt werden, denkbar. Im Bereich der Kleinkriminalität sieht man in der Rechtsprechung diese Möglichkeit nicht. Siehe auch Pressekodex, Richtlinien 8, 11 und 13. Zudem gelten auch für Angeklagte und Verurteilte die Persönlichkeitsrechte.
Weil es sich bei den Verurteilten auch nicht um prominente Personen gehandelt hat, die im Lichte der Öffentlichkeit stehen und denen eine Vorbildfunktion zukommen würde, wäre ein zusätzlicher "Medien-Pranger", der mit Veröffentlichung der Namen entsteht, weder angesichts der Taten noch des Urteils zu rechtfertigen. Im Internet ist Identifizierung allerdings nie ganz auszuschließen, weil sich nur wenige solchen Regeln verpflichtet fühlen. Doch auch sie könnte der Arm des Gesetzes erreichen.
Wichtig noch: Stimmungen im Lande gegen Impfverweigerer oder eine große öffentliche Empörung über Täterinnen und Täter sollten schon gar kein Maßstab dafür sein, sie identifizierbar zu veröffentlichen.
Interesse an der Person des Richters
Gewundert hat sich der Leser freilich darüber, dass aber der Richter im Bericht namentlich genannt worden ist. Er fürchtet, dass die Redaktion damit dazu beitrage, dass der Vorsitzende nun angefeindet werde - nur aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit.
Ja, Anfeindungen wären übel. Höher als diese mögliche Gefahr bewertet die Redaktion jedoch das öffentliche Interesse an der Person des Richters, der das Urteil in einem öffentlichen Verfahren gesprochen und begründet hat. Er ist mit wesentlichen Aussagen zitiert, die nicht ohne namentliche Nennung des Absenders erscheinen sollten. Für den genannten Richter gilt das besonders, denn nur bei ihm gibt es in Schweinfurt beschleunigte Verfahren, zu denen er sich schon zuvor öffentlich geäußert hat.
Richterinnen und Richter sind zudem Personen, die im öffentlichen Leben Verantwortung tragen, als solche aber keine Opfer. Deshalb sind sie nicht in gleicher Weise schützenswert wie Leidtragende nach Verbrechen oder Unglücksfällen. Richter begleiten ein öffentliches Amt. Sie durch Anonymisieren zu schützen wäre im Einzelfall abzuwägen, lägen tatsächlich Bedrohungen gegen sie vor.
Grundpfeiler des Rechtsstaates
Richterinnen und Richter, die unmittelbar vom Volk ausgehende Staatsgewalt ausüben, werden in Veröffentlichungen ähnlich behandelt wie Politikerinnen und Politiker, die zuweilen sogar öffentlichem Hass ausgesetzt sind. Sie nach ihrem öffentlichen Handeln zu verschweigen, wäre mit der notwendigen Information einer demokratischen Öffentlichkeit unvereinbar.
Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren ist einer der Grundpfeiler des Rechtsstaates. Die Berichterstattung soll der Transparenz, der Prävention und der öffentlichen Kontrolle der dritten Gewalt dienen. Diese Öffentlichkeit ist auch als Menschenrecht in Artikel 6, Absatz 1, der Europäischen Menschenrechtskonvention ausdrücklich garantiert, allerdings mit Einschränkungen.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
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