Ralf Duggen, Sprecher des Dachverbands Freier Würzburger Kulturträger
"Ein bisschen was ist besser als gar nichts." So beschreibt Ralf Duggen die Stimmung unter den Musikern, die dieser Tage eine der wenigen Auftrittsmöglichkeiten ergattern. Der Sprecher des Dachverbands Freier Würzburger Kulturträger und Mitbegründer des Umsonst & Draussen-Festivals sagt: "Ich gehe davon aus, dass das alles wirtschaftlich nicht besonders erfreulich ist. Aber immerhin. Man versucht, sich zu arrangieren, kreativ zu sein."
Sechs Monate Corona - und noch immer keine Perspektive. "Es herrscht trügerische Stille", sagt Duggen. Unter der Oberfläche: Frust, Wut, Verzweiflung. "Die Politik hat die Protestaktionen gegen das Hilfsmaßnahmen-Chaos erfolgreich im Sande verlaufen lassen. Jetzt sind alle leer, und keiner hat mehr die Kraft, zum 100. Mal die Sache zu erklären." Die Probleme seien bekannt, viel gebessert habe sich nicht. "Ich weiß von einigen, die Hartz IV beantragt haben", sagt der Festivalmacher. "Andere haben das Glück, einen Partner, eine Partnerin oder einen Unterrichtsjob zu haben. Und wieder andere pumpen ihre Eltern an."
Ihm selbst, als Angestelltem des Umsonst & Draussen mit halber Stelle, habe das Kurzarbeitergeld geholfen. "Aber davon hat ein Soloselbstständiger natürlich nichts." Der Vorschlag, ein analoges Modell für Freischaffende zu entwickeln, finde wenig Resonanz: "Alles, was nur entfernt nach Grundeinkommen riecht, löst in der Politik sofort Schnappatmung aus." Duggen kann sich aber "nicht vorstellen, dass das so viel teurer wäre als dieses Sammelsurium an Hilfsmaßnahmen".
Silvia Kirchhof, Sängerin, Theatermacherin, Klinikclownin aus Gerolzhofen
"Hartz IV war für mich nie ein Thema. Ich bin nicht arbeitslos", sagt Silvia Kirchhof, Sängerin, Schauspielerin, Regisseurin und Klinikclownin. Als Chefin des Kleinen Stadttheaters Gerolzhofen musste sie ein 170 000-Euro-Projekt mit großem Ensemble abblasen: "Deutschland Wunderland", eine Historienrevue von 1945 bis heute.
Unter den derzeitigen Auflagen werde die Revue auch im kommenden Jahr sicher nicht herauskommen können: "Ich brauche 80 Prozent Auslastung der 800 Plätze auf der Marktplatz-Tribüne", sagt Kirchhof. Sicher ist nur eines: Das Finale des Stücks von Roman Rausch muss umgeschrieben werden, eine weltweite Pandemie kommt darin bislang nicht vor.
Ein Jahr hat Silvia Kirchhof an dem Projekt gearbeitet, noch war damit kein Cent verdient. Nun arbeitet die Theatermacherin an alternativen Formaten. Wandeltheater etwa wie "Du musst dran glauben" vor drei Jahren. Aber auch das bringt vorerst keinerlei Einkünfte. Hinzu kommen der Wegfall der Auftrittsmöglichkeiten mit ihrem Mann Achim Hofmann als Duo Café Sehnsucht und die Kosten für das (Um-)Bauprojekt Theaterhaus, das nun auf Eis liegt.
"Für uns ist es besonders dicke gekommen", sagt Kirchhof. Im Lockdown habe sie mit Umorganisierungen, Verschiebungen, der Suche nach Auswegen und dem Auffangen des Ensembles mehr als genug zu tun gehabt. "Deshalb muss ich schon sehr an mich halten, wenn ich wieder mal gefragt werde, Na, Silvia, ist dir schon langweilig?"
Zu den wirtschaftlichen Rückschlägen kommen die seelischen: Nach der ersten Hektik sei sie wie viele andere Kreative in ein Loch gefallen: "Es gab zwar diesen Kreativdrang, aber ich fragte mich: Für wen? Für wann? Welche Themen werden überhaupt relevant sein?" Dann sei im Juni der Moment gekommen, wo sie sagte: "So! Jetzt wird weitergemacht!"
Geholfen habe Unerwartetes: Menschen spendeten, anonym oder namentlich, schickten Umschläge, überwiesen Geld. "Da habe ich gemerkt, dass meine Arbeit wichtig ist für die Menschen. Aber dass das so zurückkommt, hätte ich mir nicht träumen lassen", sagt Kirchhof. Sie habe das erst verarbeiten müssen: "Du warst immer autark, und nun bist du plötzlich abhängig. Es war ein ergreifender Moment, das zuzulassen."
Joe Krieg, Jazzgitarrist aus Würzburg
Ein Stream, zwei Konzerte und ein Video – mehr war seit März nicht drin für den Jazzgitarristen Joe Krieg. Auch bei ihm nur Absagen, etwa das lang ersehnte Konzert mit Joo Kraus im Bockshorn oder die Mitwirkung bei den Röttinger Festspielen. Gerettet habe ihn sein Lehrauftrag an der Universität Würzburg, sagt Krieg: "Der Unterricht ist komplett durchgelaufen. Das funktioniert überraschend gut, dank Zoom im Netz."
Die finanziellen Einbußen seien nicht das Schlimmste: "Der Lockdown ist auch ein persönlicher, ein künstlerischer." Jazz sei Musik, die gemeinsam entstehe, durch den Austausch mit mindestens einer weiteren Person. "Nach jedem Konzert weiß ich, woran ich arbeiten muss", sagt Krieg. "Das Musikleben mit seinem pulsierenden Alltag ist komplett in sich zusammengefallen. Aber dafür und davon lebe ich."
Andreas Obieglo vom Duo Carolin No aus Waldbüttelbrunn
Dass der Lockdown ihre Tournee mit 40 Konzerten vereitelt hat, die sie anderthalb Jahre lang geplant hatten pünktlich zum Erscheinen des Albums "NoNo" - das habe schon an ihm genagt, sagt Andreas Obieglo. Mit seiner Frau Carolin bildet er das erfolgreiche Duo Carolin No. "Seit Anfang Januar waren alle Raketen aktiviert, das konnten wir nicht mehr stoppen", sagt Obieglo zum neuen Album. Trotz fehlender Live-Promotion und Auftritte habe es sich zwar nicht schlecht verkauft. "Aber es war absolut verschossen."
Anfangs gab das Duo aus Waldbüttelbrunn Internet-Konzerte auf der heimischen Couch und hoffte, dass es nach den Osterferien weitergehen werde. "Ich weiß nicht, ob das Naivität, Leichtsinn oder Größenwahn war", sagt Obieglo. Dann hätten sie einsehen müssen, "dass jetzt einfach nicht die Zeit für Live-Konzerte ist". Zwei Auftritte neulich auf Sylt vor auflagengemäß halbleerem Haus haben sie darin bestärkt, sich neu auszurichten: "Den Normalzustand kann man nicht erzwingen. Wir werden deshalb so viel neues Material wie möglich erarbeiten und pünktlich zum Neustart ein neues Album präsentieren", sagt der Pianist und Komponist.
Dass dieser Neustart schon 2021 stattfinden wird, daran hat der Musiker seine Zweifel. Wie auch immer: "Wir haben die Wahl, mit 15 Kilo zuviel aus der Krise rauszukommen oder mit echter Substanz aus dem Studio." Als Carolin No seien sie glücklicherweise zu zweit und könnten sich gegenseitig motivieren." Die finanziellen Verluste seien enorm. "Aber dafür bekommen wir einen Ausgleich in der wichtigsten und härtesten Währung: Zeit. Wir sind sparsam und fleißig und uns gehen die Ideen nicht aus."
Mathias Repiscus vom Bockshorn in Würzburg
"Oh je", ist die erste Reaktion von Mathias Repiscus auf die Frage, wie er und seine Frau Monika Wagner-Respiscus mit ihrer Kabarettbühne Bockshorn in Würzburg bislang durch die Krise kommen. Gerade haben sie den Saal nochmal vermessen und maximal 70 Plätze errechnet. Zu wenig. "Wir sind das Privattheater mit dem größten Kostenaufwand, hier spielt die erste Liga", sagt Repiscus. Wegen der Platzbeschränkung werde es nicht möglich sein, allzuviel Gage zu zahlen: "Es wird schwierig werden, Leute herzubringen. Zwar kommen die Künstler derzeit beim Preis entgegen, aber die Zugfahrt von Berlin nach Würzburg, die sollte mindestens drin sein."
Das Bockshorn habe schon vor Corona unter der Eventkultur gelitten, jetzt kämen die Besucherbeschränkungen hinzu - und die eigenartige Duldsamkeit eines schweigenden, möglicherweise verunsicherten Publikums, das von der Politik die Kultur nicht einfordere. Repiscus wundert sich über die großen Unterschiede, mit denen die Behörden das öffentliche Leben regeln: "Da stehen Rätsel im Raum. Die Kneipen sind voll, aber beim Theater scheint man es schon sehr genau zu nehmen." Dennoch, Ende September soll es im Bockshorn wieder losgehen.
Birgit Väth von der Kulturwerkstatt Disharmonie in Schweinfurt
So wie das Bockshorn erwägt, in der Posthalle zu spielen, lotet die Schweinfurter Kulturwerkstatt Dishamonie derzeit die Möglichkeiten aus, für besonders zugkräftige Termine in die Stadthalle zu ziehen. Im eigenen Haus am Main sind nur 30 Plätze möglich, weswegen dort die Auftritte in der neuen Saison - Nachfrage vorausgesetzt - immer zweimal hintereinander stattfinden werden, sagt Mitarbeiterin Birgit Väth. Das dreiköpfige Team ist derzeit in Kurzarbeit, das eigentliche Problem aber sei die Ungewissheit, ob die Menschen wieder kommen werden. "Wir fangen wieder ganz bei Null an und versuchen, etwas aufzubauen", sagt Väth.
Anne Maar vom Theater Schloss Maßbach
Anne Maar, Chefin des Theaters Schloss Maßbach, klingt nach sechs Monaten Pandemie deutlich optimistischer als zu Beginn: "Dank Einsparungen und Kurzarbeit für die festangestellten Schauspielenden haben wir die Krise überstanden." Außerdem hätten die Menschen "sehr, sehr viel gespendet".
Die Zeit des Lockdowns habe das Ensemble zu innerer Fortbildung genutzt, zu Workshops und grundsätzlichen Gesprächen über das Theater, sagt Anne Maar. Bis 20. September wird noch auf der Freilichtbühne gespielt – "Honig im Kopf", von Mittwoch bis Sonntag, alle Vorstellungen sind ausverkauft. Allerdings: Nur maximal ein Drittel der 300 Plätze kann belegt werden, außerdem fällt heuer das Kinderstück weg. "In normalen Spielzeiten haben wir 16 000 bis 18 000 Besucher. Diesmal werden es wohl 6000 werden", sagt Maar. Im Herbst soll es in Maßbach dann in die angemietete Lauertalhalle mit 80 Plätzen gehen. Das Intime Theater im Schloss hat 87 Plätze - doch unter Coronabedingungen dürften allerdings nur gerade mal 20 belegt werden.