Diese Stimme! Fast ist man versucht zu denken, es sei vollkommen egal, was Silvia Kirchhof mit dieser Stimme singt. Ist es natürlich nicht. Im übrigen gibt es schon genügend Leute, die mit tollen Stimmen nicht besonders tolle Musik singen.
Silvia Kirchhof singt mit wunderbarer Stimme wunderbare Musik. Chanson ist der Oberbegriff, und er fasst – inhaltlich wie musikalisch – so viele Facetten und Farben zusammen wie sie auch Silvia Kirchhof ihrem supertiefen Alt verleihen kann. Alles zwischen Kunstlied und Schlager, zwischen Romantik und Jazz, zwischen Moritat und Gassenhauer, zwischen verliebtem Gurren, beißender Anklage oder feiner Ironie.
Material gibt es genug, die Kirchhof und ihr Ehemann und Partner am Flügel, Achim Hofmann, unternehmen als Duo Café Sehnsucht seit anderthalb Jahrzehnten ausgedehnte Reisen in die Welten von Zarah Leander, Marlene Dietrich, Friedrich Hollaender, Otto Reutter, Claire Waldoff, Georg Kreisler, Hildegard Knef oder Helen Vita.
Und nun wagen sie etwas Neues: Achim Hofmann hat 17 eigene Chansons geschrieben, das Programm heißt selbstbewusst „Kirchhof singt Hofmann“. Nach einer Vorpremiere in Zell präsentieren sie es am kommenden Samstag im Kardinal-Döpfner-Saal des frisch sanierten Burkardushauses am Würzburger Dom.
Konzerte zu Ehren eine Flügels
Sie eröffnen damit die Konzertreihe „Flügelschläge“, mit der die Domschule im Tagungshaus der Diözese die Ankunft ihres neuen Steinway-Flügels feiert. Dietmar Kretz, Studienleiter der Domschule, hat gemeinsam mit Domkapitular Helmut Gabel, Leiter der Hauptabteilung Außerschulische Bildung der Diözese, und Diözesanmusikdirektor Gregor Frede für das kommende Jahr ein Programm entworfen, das gemäß der Philosophie der Domschule Auseinandersetzung anstrebt. „Wir suchen den Dialog auch und gerade mit Andersdenkenden“, sagt Kretz. „Den Wunsch, Wirklichkeit zu deuten, haben andere auch. Und mit denen möchten wir in Austausch kommen.“
Das kann ein musikalisch-literarischer Abend über „Liebe, Lust und Leidenschaft“ sein, ein Mitmachkonzert für Kinder und Familien oder ein Konzert mit Studierenden der Musikhochschule, die den Auftrag haben, sich mit einem selbst gewählten Thema auseinanderzusetzen. Letzteres ist für die jungen Künstler eher ungewohnt. Kretz: „Das fällt ihnen gar nicht so leicht, weil es eine ganz andere Herangehensweise erfordert als das Studium sonst.“
Dialogpartner sieht Dietmar Kretz überall da, wo ein „ernst zu nehmendes Ringen um Menschen und Gesellschaft“ stattfinde. „Warum sollen wir nicht mit einem Agnostiker arbeiten?“ Auf der anderen Seite begegnet der Studienleiter allerdings auch Vorbehalten. Kirche ist nicht für alle Menschen Synonym für freies Denken: „Da gibt es schon Berührungsängste. Man erwartet keinen offenen Diskurspartner.“
Insofern war schon der Auftritt des Duos Café Sehnsucht beim vergangenen Diözesanempfang ein Schritt außerhalb des Gewohnten oder zumindest außerhalb gewisser Erwartungen. Nun also ein ganzes Programm mit Kabarett-Chansons über Leben und Lieben der Gegenwart. Zwei Jahre hat Achim Hofmann daran gearbeitet: „Als Musiker im Bereich Kleinkunst stellt sich schon die Frage: Wie ist das mit dem Komponieren?“
Erst der Text, dann die Musik
Der klassische Musiker findet Erfüllung in der Interpretation der Werke anderer, den Chansonkünstler hingegen reizt es immer wieder, etwas Eigenes beizutragen, ein Thema, ein Gefühl, ein Problem in ein Lied von drei Minuten zu packen. Erst entsteht der Text, dann die Musik. Grundsätzlich gilt: Eine komplexe Melodie braucht einfache Harmonien und umgekehrt. Achim Hofmann schreibt ein durchgängig jazziges Idiom, seine Chansons stehen musikalisch in der Tradition von Kurt Weill oder Georg Kreisler.
Seine Texte sind witzig, bissig, pointiert. Und gereimt. „Der Reim unterstützt die Form“, sagt Hofmann. „Und er bringt eine gewisse Leichtigkeit“, ergänzt Silvia Kirchhof. Die Rollenverteilung ist klassisch: Vorne die sehr präsente Bühnendiva Kirchhof, am Flügel der präzise Denker Hofmann.
Nicht immer sind sie sich in den Interpretationen auf Anhieb einig. Dann sagt er, „das stelle ich mir so vor“, und sie erwidert, „das kann ich so nicht machen“. Sie einigen sich dann aber doch immer: „Schließlich muss sich Silvia auf der Bühne damit wohlfühlen“, sagt Achim Hofmann.
Beim neuen Programm ist das offensichtlich der Fall, zumindest in den beiden Kostproben, die sie zum Interview mitgebracht haben. Die „Ode an die Kalorie“ erteilt dem Schlankheitswahn eine sinnliche Absage: „Was wären denn wir tollen Frauen / ohne Kalorien gäb's uns nicht zu schauen. / Ohne Kalorien wären wir nur Luft / wären nicht zu sehen, nur zu riechen, wären nur Duft.“
„Insel der Glatzen“ bildet dazu den politischen Gegenpol, eine sarkastische Ansage an den Mob von rechts, Silvia Kirchhof rollt dazu in bester Ufa-Wochenschau-Manier das R: „Ich träum von einer Insel der Glatzen / irgendwo im weiten Ozean. / Von mir aus mit dem Namen Neu-Sachsen / oder schöner noch Neudeutsches Reichsatoll.“
Kirchhof singt Hofmann, das Duo Café Sehnsucht eröffnet die Konzertreihe „Flügelschläge“ im Burkardushaus Würzburg. Sa., 26. November, 19.30 Uhr, Kardinal-Döpfner-Saal. Karten: www.adticket.de und bekannte Vorverkaufsstellen.