Die Amseln zwitschern. Die Wolken ziehen. Die Abendsonne leuchtet. Und die Bühne ist bereit fürs Spektakel. Endlich! Nach knapp vier Monaten Abstinenz wegen der Corona-Pandemie hat das Theater Schloss Maßbach die Freilichtsaison mit „Honig im Kopf“ eröffnet, einer Komödie von Florian Battermann, die viele als anrührende Filmerzählung kennen, mit Dieter Hallervorden als an Alzheimer erkranktem Opa Amandus, der mehr und mehr den Bezug zur Wirklichkeit verliert.
80 Zuschauer finden zur Premiere Einlass. Sie wirken noch ein bisschen maskenhaft verloren in der Parklandschaft. Die Krisenreglements müssen halt erst eingeübt werden. Dass dies am ersten öffentlichen Spielabend ganz unspektakulär gelingt, hat auch mit der beruhigenden Moderation von Susanne Pfeiffer zu tun, die die Gäste mit einer Anleihe aus dem Stück auf ihre Plätze einweist, auf die gelbe „Honig-Seite“ im Südflügel und auf die blaue „Venedig-Seite“ im Nordflügel. Und dann geht’s los, vor gut verteiltem Publikum. Applaus und Gelächter wirken dadurch raumfüllender als erwartet.
Was das Social Distancing mit sich brachte
Warum dieser ungewöhnliche Vorspann zur Kritik? Weil man bis auf weiteres einen Theaterbesuch etwas anders betrachten sollte als bisher. Unter den Bedingungen des „Social Distancing“ wird es auf absehbare Zeit keine der atmosphärischen Entladungen geben, die man von der Maßbacher Bühne gewohnt ist, wenn das Publikum vor Entzücken aus dem Häuschen gerät. Deshalb empfiehlt sich, das Procedere vorher, in der Pause und danach als Teil der Inszenierung zu betrachten, das Theater sachte ins Leben und ins öffentliche Bewusstsein zurückzuführen.
So kann auch die Stückinterpretation der Regisseurin Sandra Lava verstanden werden. Man spürt in jeder Sequenz der eigentlich vor Energie und Gefühlen sprühenden Geschichte die Selbstdisziplin, mit der die Akteure die verordneten Abstandsregeln einhalten.
Der Funke springt über - dank Schmidle
Trotzdem springt der Funke zum Publikum über. Vor allem und immer wieder durch die Bühnenpräsenz, mit der der Maßbach-Veteran Fritz Peter Schmidle Amandus' langsamen Verfallsprozess darstellt. Gerade Schmidles enorm wandelbares Mienenspiel und sein akrobatischer Umgang mit der Sprache schließen einige dramaturgische Lücken.
Eine auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftige funktionale Kulisse von Robert Pflanz (Kostüme: Daniela Zepper), aus Schränken und Kisten verschiedener Größe, zwingt die Zuschauer, sich auf das Verhalten der Figuren zu konzentrieren. Eine kleine Drehbühne ermöglicht zudem paralleles Spiel und fließende Szenenübergänge.
Was es mit dem Düngemittel fürs Gehirn auf sich hatte
Am intensivsten kann man sich auf das Zusammenspiel von Großvater und Enkeltochter einlassen. Die beiden praktizieren von Beginn an das, was sich als moralische Botschaft durch das Stück zieht: Freude, Liebe und das Gefühl gebraucht zu werden als „Düngemittel fürs Gehirn“. Das, was Tildas Eltern – Anna Katharina Fleck und Marc Marchand – erst mühsam erlernen, lebt ihnen das Mädchen bereits vor.
Wenn Tilda (gespielt von Dorothee Höhn) in den Erwachsenen wieder einmal keine Ansprechpartner findet, wendet sie sich umgehend ans Publikum, um von ihrem Kummer zu erzählen. Die Eltern selbst sind anfänglich mehr mit sich selbst beschäftigt als mit dem kranken Vater oder dem eigenwilligen Kind. Ihre Entwicklung von ständig überforderten Erwachsenen zu mitfühlenden Menschen bleibt in der Inszenierung eher ein Nebenthema.
Ähnlich geht es den schrägen Sidekicks von Benjamin Jorns als Arzt, Schalterbeamter, Schaffner, türkischer Putzmann, als Nonne und als blass vor sich hinklampfender Gigolo. Sie muntern die Szenen zwar auf, aber was vom Abend in Erinnerung bleiben wird, ist das unvergleichlich intensive Spiel von Fritz Peter Schmidle und die unerschütterliche Zuneigung eines Kindes zu seinem dementen Großvater.
Vorstellungen auf der Freilichtbühne bis 19. September. Karten nur auf Vorbestellung. Infotelefon: (0 97 35) 235. www.theater-massbach.de