So lange Thorsten Fischer als wichtigster Geld- und Ideengeber bei den Würzburger Kickers aktiv war, hatte er Interviewanfragen rund um das Thema Fußball stets abgelehnt. Nun hat seine Firma Flyeralarm die Anteile an der Profifußball-AG verkauft, und Fischer zieht Bilanz. Im siebten Stock des Firmengebäudes in der Würzburger Dürrbachau spricht er über eine bewegte Zeit bei den Würzburger Kickers - und darüber wie schwer es ist, den Profifußball in Würzburg zu etablieren.
Thorsten Fischer: Nach dem ersten Aufstieg in die 2. Bundesliga 2016 habe ich die Überschrift "Das Wunder von Bernd" gelesen – damals natürlich bezogen auf unseren Trainer Bernd Hollerbach. Ich würde rückblickend eher vom "Wunder von Würzburg" sprechen. Es hatte doch anfangs niemand daran geglaubt, was wir am Ende erreicht haben. Es war aufregend und außergewöhnlich. Eine außergewöhnliche Story, die wir geschrieben haben – und zwar alle zusammen, die daran teilgenommen haben. Es hat mit einer Flasche Rotwein begonnen, die ich zusammen mit dem damaligen Kickers-Vorstandsvorsitzenden Michael Schlagbauer getrunken habe. Da hat er mich überredet, einmal zum Dallenberg zu kommen und mir die Sache anzuschauen. Es war rückblickend die teuerste Flasche Rotwein meines Lebens. Bei der ersten Vorstandssitzung, bei der ich dabei war, ging es darum, den Getränkeeinkauf für das Training der ersten Mannschaft zu optimieren – nehmen wir Pfand- oder Einwegflaschen und solche Dinge. 2. Liga und DFB-Pokal waren damals unvorstellbar. Aber die Dinge bekommen halt manchmal eine Eigendynamik.
Fischer: Fußball ist ein sehr emotionales Thema. Da lässt du dich leichter anstecken, als wenn es um manche Firmenprojekte geht. Beim Fußball sind immer gleich mehrere Leute zusammen, wollen mithelfen, da bildet sich ein Team. So etwas motiviert ungemein. Und so war ich dann eben mutig, vielleicht auch ein bisschen verrückt. Zu Beginn meiner Zeit haben fast alle gesagt: "Würzburg kann keinen Profifußball". (Er lächelt) Ich glaube, die wenigsten haben bereut, was wir gemacht haben. Ich denke, unterm Strich haben ganz viele profitiert.
Fischer: Im Fußball wird viel Geld bewegt, vor allem in der Vermarktung von Spielern, mit Provisionen, TV-Rechten und so weiter. Ich glaube aber auch daran, dass du als Verein in diesem System mit Ausbildung von Nachwuchsspielern Geld verdienen kannst.
Fischer: Dabei ging es um die Vermarktung des Ganzen. Ich selber wollte kein Geld mit dem Fußball verdienen. Ich wollte, dass der Verein Geld verdient, dass er vielleicht auch einmal ein Festgeldkonto hat, sich ein eigenes Stadion leisten kann. Das wäre mein Traum gewesen. Die Idee war: Eine Marke aufzubauen, mit der du Geld verdienst.
Fischer: Da gab es ganz viele. Aber das Aufstiegsspiel zur 3. Liga gegen Saarbrücken 2015 war echt ein extremes Erlebnis, als da Robert Wulnikowski den Ball im Elfmeterschießen gehalten hat ... Mehr Gänsehaut geht nicht. Das war ein Ding. Dabei ist Wulle zwei Minuten vor dem Spiel in der Kabine noch umgefallen – war ohnmächtig. Dann musste Amir Shapourzadeh nach zehn Minuten verletzt vom Platz. Liridon Vocaj spielte mit einer Gehirnerschütterung – was keiner wusste. Auch er musste früh runter. Dann bekommen wir einen Elfmeter, liegen hinten, und das alles bei knapp 40 Grad Hitze. Dieser Sieg war echt besonders, vielleicht noch mehr als ein Jahr später der Aufstieg in Duisburg. Am Ende bleiben aber nicht nur die Siege, sondern auch die Niederlagen haften. Ohne die kann man die Erfolge ja gar nicht genießen. Mehr Auf und Ab, wie wir in den letzten zehn Jahren erlebt haben, geht ja kaum.
Fischer: Es gibt im Leben eben manchmal Punkte, an denen du spürst: Die Zeit ist reif. Es haben sich bei den Kickers neue Leute hervorgetan, die sich sehr engagieren wie Lars Krakat oder Dominik Möhler, der auch meine Anteile an der AG übernommen hat. Ich glaube, dass es richtig ist, dass die jetzt ihre ganze Kraft und Energie in die Sache geben, frischen Wind hineinbringen und auch ein paar Dinge anders machen. Es ist an der Zeit, dass andere sich an die Spitze stellen und Gas geben.
Fischer: Das kann man vielleicht so sehen, wäre mir aber zu einfach betrachtet. Wir haben sieben Jahre ununterbrochen im Profifußball gespielt – das gab es in der Region noch nie und wird schwer zu wiederholen sein. Das Stadion ist noch immer marode, keine Frage. Aber es konnte dort Zweitliga-Fußball gespielt werden. In Sachen Infrastruktur ist viel passiert: Es gibt eine Rasenheizung, ein VIP-Zelt für 500 Leute, eine renovierte Gaststätte, die Stahlrohrtribüne. Es wurden Millionen in das Stadion investiert, ohne die könntest du noch nicht einmal 3. Liga dort spielen. Dazu kommt die Fusion mit dem Post SV Sieboldshöhe, das Leistungszentrum, das vom DFB zertifiziert wurde. Wir haben Profifußball gespielt, haben eine Marke aufgebaut. Das spielt ja auch eine Rolle, wenn in der Regionalliga jetzt über 2000 Zuschauer im Schnitt kommen. Ich finde: Wir haben ein Fundament geschaffen, auf dem man nun weiter aufbauen kann. Nachhaltig ist für mich vor allem das, was im Bereich der Jugend passiert ist, was da investiert wurde. Die Ligazugehörigkeit der ersten Mannschaft ist nur ein Aspekt.
Fischer: Ganz einfach: Hauptgrund ist der Kontostand. Bei einem neuen Stadion sind 100 Millionen Euro weg - inklusive Parkplätzen und Infrastruktur. Es ist unrealistisch, so etwas zu planen, wenn du nicht weißt, ob du das bezahlen kannst.
Fischer: Wir haben es tatsächlich nicht geschafft, dass alle erst einmal das Positive sehen. Es wurde von vielen immer versucht, das Schlechte zu finden. Ich glaube, wir haben Dinge, die wichtig waren, kommuniziert. Aber es gibt einfach Sachen, die im kleinen Kreis bleiben sollten. Das ist auch eine Frage der Seriosität. Es ging darum, den Verein zu schützen. Das war ein Stück Professionalität, das auch Bernd Hollerbach bei uns hereingebracht hat. Es ist auch eine Frage von Vertrauen. Ich hätte mir nach den Erfolgen erhofft, dass manche sagen: "Die wissen schon, was sie tun." So war es aber selten.
Fischer: Mit dem Ergebnis unserer Zusammenarbeit ist niemand zufrieden, weder ich noch Felix oder irgendjemand anderes außenherum. Was aber nie deutlich wurde: Eigentlich ist Felix gekommen, um bei uns Spieler aus der eigenen Jugend in die erste Mannschaft zu implementieren, weil die günstiger sind und womöglich noch Ablösen bringen. Felix ist ein absoluter Profi und hat ein Auge für Spieler. Die besten Jugendlichen zu holen, hier top auszubilden – das war der Plan. Aber just als Felix kam, ging es mit Corona los. Die Jugend hat nicht mehr gespielt, und es gab für Felix da keine Spiele anzuschauen.
Fischer: Ein Jungendkonzept kann nicht von heute auf morgen umgesetzt werden und war ja auch nicht im Kontext eines überraschenden Aufstieges geplant. Dass wir in der Zusammenstellung des Profi-Kaders allerdings Fehler gemacht haben, ist ja klar, sonst wären wir nicht abgestiegen. Felix war lediglich Berater. Aber er ist halt immer hochmotiviert. Wahrscheinlich wollten wir zu schnell zu viel. Das ist uns am Ende auf die Füße gefallen.
Fischer: Im Nachhinein lacht man darüber. Aber Felix hat auch an anderen Orten Dinge geschafft, die man vorher nicht geglaubt hätte. Diese Aussage war sicher nicht der Grund dafür, dass wir keinen Erfolg hatten. Er wollte einfach zeigen: Sei frei von allen Grenzen, die du dir baust!
Fischer: Ich will ihn gerne wieder einmal treffen. Wir haben das auch vor. Leider hat es seit seiner Entlassung in Würzburg noch nicht geklappt. Er ist ein toller Mensch.
Fischer: Emotional war die Entscheidung ausgesprochen herausfordernd. Und sportlich rückblickend wohl auch falsch. Aber man muss die damalige Situation sehen. Wir hatten ja nicht nur die ersten beiden Ligaspiele verloren, das wird oft vergessen. Wenn man die Vorbereitung dazu rechnet, waren wir saisonübergreifend elf Partien ohne Sieg. Auch die letzten beiden Drittliga-Spiele vor dem Aufstieg wurden nicht gewonnen. Wenn man etwas ändern will, dann früh in der Saison. Wir wollten unbedingt in der 2. Liga bleiben. Aus sportlicher Sicht kann man die Trennung deshalb vielleicht auch heute verstehen. Menschlich war sie ein Fehler. Und in der Außenwirkung hat sie uns sehr geschadet. In den letzten zehn Jahren wurden bei den Kickers, glaube ich, viele gute Entscheidungen getroffen. Aber das war eine falsche Entscheidung. Über die wird noch immer geredet. Aber man sollte auch nicht vergessen, wie wir Michael Schiele drei Jahre vorher nach vier Niederlagen in Folge und unmittelbar nach einer 1:5-Niederlage gegen Wiesbaden zum Cheftrainer gemacht haben. Das hat damals auch keiner verstanden. Das war aber eine sehr richtige Entscheidung.
Fischer: Beim Fußball sind Emotionen und die Atmosphäre innerhalb eines Teams noch viel wichtiger als in einer Firma. Ob es der Physiotherapeut oder der Co-Trainer ist – eine Person, eine Emotion kann die ganze Saison kaputt machen. Selbst die Stimmung in der Geschäftsstelle färbt auf die Mannschaft ab. Deshalb ist es wichtig, dass ein ganzer Verein auf einer Linie geht. Alle müssen gerne zusammenarbeiten – sonst hast du keine Chance. Das fasziniert mich am Fußball. Bei unseren Zweitliga-Aufstiegen hatten wir nie die stärkste Mannschaft – aber die Atmosphäre hat gepasst. Umgekehrt war bei den Abstiegen immer das Gegenteil der Fall. Wenn es nach den Einzelspielern geht, hätten wir in der vergangenen Saison nie absteigen dürfen. Mannschaft, Trainer – jeder gegen jeden. Da war die Atmosphäre einfach nicht gut.
Fischer: Nein. So wie wir in der Vergangenheit auch schon Düsseldorf oder St. Pauli gesponsert haben, sind wir jetzt dort aktiv. Eine große Strategie steckt da nicht dahinter.
Fischer: Dass seinerzeit die Schiedsrichterentscheidungen nicht alle glücklich waren, darüber braucht man, glaube ich, nicht diskutieren. Ich habe das damals für die Kickers gemacht. Wir hatten ein klärendes Gespräch. Am Ende muss man sagen: Beim DFB arbeiten ja auch Menschen. Auch dort passieren Fehler. Gerade derzeit nach dem Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft wird viel über einige dieser Fehler gesprochen. Aber letztlich ist das ein toller Verband. Und unterm Strich muss man ja sagen: Es macht für uns als Firma absolut Sinn, mit dem größten Einzelsportverband der Welt zusammenzuarbeiten. Wir verschenken kein Geld. Wir bekommen eine tolle Werbeleistung dafür.
Fischer: Es ist doch wichtig, auch in schlechten Zeiten die Fahne hochzuhalten. Es ist auch ein Spiegelbild des ganzen Landes, dass man während der Weltmeisterschaft in Katar nicht so zusammengestanden ist wie früher einmal. Diese Stimmung hat sich auch auf die Mannschaft übertragen. Auch da sind wir wieder beim Thema Atmosphäre.
Fischer: Derzeit habe ich nicht diesen Plan. Aber man soll nie nie sagen. Ich entscheide oft aus dem Bauch heraus. Die Dinge in Würzburg haben sich letztlich ja auch im Laufe der Jahre so ergeben.
Fischer: (lacht) Europapokal und ein neues Stadion. Im Ernst: natürlich den größtmöglichen Erfolg.
Fischer: Viel Geld und viel Zeit. Geld beschleunigt den Prozess ungemein. Wenn ein Verrückter über 100 Millionen reinsteckt, dann spielst du in vier Jahren 1. Liga. Nur sehe ich niemanden, der das aktuell investieren kann oder will.
Alle Jahre bis Magath wurde bei den Kickers seriös, demütig und bescheiden gehandelt. Die Flyeralarm Kredite kamen erst in der Zeit von Magath, der den Kader mit "Auslaufmodellen" aufblähte.
Wenn Fischer nicht mehr bei den Kickers investiert (was okay ist), dann könnte er als lokaler Sponsor doch bei den Baskets einsteigen. Die benötigten so dringend einen Nachfolger für s.Oliver. Diese Frage habe ich, im ansonsten guten Interview vermisst.
Jedes Jahr was los am Dalle, große Gegner und Spiele, was willste mehr? Zweitliga-Fußball in Wü, wer hätte das vorher auch nur zu denken gewagt. Gaanz schade für mich war der erste Abstieg aus der zweiten Liga , das wäre nach der damaligen Vorrunde vermeidbar gewesen und hat leider auch den Trainer beschädigt.
Nochmals: SCHÖN WARS!!!
Fehler zu Lasten der Kickers, ach so Magath sollte doch nur den Kickers Nachwuchs fördern,
der aber scheint etwas falsch verstanden zun haben indem er die geschaffenen Strukturen
brutal zerlegte! Danke für die Märchenerzählung Herr Fischer!
Bemerkenswert und richtig: Das Eingeständnis, daß die Entlassung von Michael Schiele ein Fehler war!