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Würzburg/Schweinfurt
Erstmals öffentlich: Welche Branchen und Industriebetriebe den Main in Unterfranken am meisten anzapfen dürfen
Ein exklusiver Überblick über die größten Wasserentnahmen Unterfrankens und deren Einfluss auf den Main: Chemieindustrie, Energieversorger und viele mehr brauchen Wasser.
In Unterfranken gibt es rund 2000 Wasserrechte – unter ihnen 70 große. Insgesamt machen die Großentnehmer etwa 95 Prozent der gesamten genehmigten Entnahmemenge in der Region aus.
Foto: Illustration: Ivana Biscan | In Unterfranken gibt es rund 2000 Wasserrechte – unter ihnen 70 große. Insgesamt machen die Großentnehmer etwa 95 Prozent der gesamten genehmigten Entnahmemenge in der Region aus.
Angelika Kleinhenz
 und  Jonas Keck
 |  aktualisiert: 29.05.2024 08:40 Uhr

Weithin sichtbar ist der Wasserdampf, der an Fabriken und Kraftwerken aus den Schloten kommt. In Unterfranken ist es häufig Wasser aus dem Main, das hier in den Himmel steigt. Die Dampfwolken zeugen von Wassermassen, die dem Fluss entzogen werden. Für diese gebührenfreie Entnahme braucht es die Erlaubnis der Behörden.

Doch wer in Bayern ein Recht auf Wasserentnahmen aus Flüssen, Bächen und Seen hat, ist bislang ein Geheimnis. Erstmals zeigen jetzt gemeinsame Recherchen des Bayerischen Rundfunks und der Main-Post, welche Wirtschaftszweige in Unterfranken die größten Entnahmerechte haben und welche Firmen dahinterstehen.

Die beiden Redaktionen trugen Daten aus Auskünften des Umweltministeriums, der unterfränkischen Wasserwirtschaftsämter, den Landratsämtern und den kreisfreien Städten zusammen. Diese Daten wurden mit dem bislang nicht veröffentlichten Bericht über "Wasserentnahmen in Unterfranken" verglichen, den das bayerische Umweltministerium im Februar für die Abgeordneten des Landtags verfasste.

Parallel versandte das Recherche-Team einen Fragebogen an alle großen Wasserentnehmer in Unterfranken – und stießen auf fehlerhafte Einträge oder Widersprüche. Viele Angaben konnten die zuständigen Behörden auf Nachfrage korrigieren. Vollständigkeit kann aber aufgrund der unübersichtlichen Datenlage nicht garantiert werden.

Der Überblick:

Wie viele große Wasserentnehmer gibt es in Unterfranken?

Insgesamt gibt es in Unterfranken knapp 2000 Wasserrechte. Darunter sind 70 große Rechte von 60 Entnehmern, die jährlich jeweils mehr als 100.000 Kubikmeter Wasser aus der Natur pumpen dürfen. Knapp 40 Rechte beziehen sich auf das Grundwasser, etwa 30 auf den Main oder kleinere Flüsse und Seen in Unterfranken.

Wer mehr als 100.000 Kubikmeter Wasser abpumpen darf, gilt als Großentnehmer. Ab dieser Wassermenge besteht in Bayern eine gesetzliche Pflicht, den Behörden einmal im Jahr mitzuteilen, wie viel Wasser tatsächlich abgepumpt wurde. Vergleichbare Auflagen gelten auch für kleinere Entnahmen.

Die Großentnehmer sind vor allem Industriebetriebe, aber auch Kommunen und landwirtschaftliche Bewässerungsverbände. Das geht aus den Daten hervor, die die Redaktionen durch Anfragen beim bayerischen Umweltministerium, den unterfränkischen Wasserwirtschaftsämtern, den Landratsämtern und den kreisfreien Städten zusammengetragen haben.

Wie viel Wasser aus Flüssen und Seen dürfen die Großentnehmer abpumpen?

"Unterfrankenweit machen die Großentnehmer etwa 95 Prozent der gesamten genehmigten Entnahmemenge aus", sagt Birgit Imhof, Leiterin des Wasserwirtschaftsamtes Bad Kissingen. Mehr als 80 Prozent der Großentnahmen erfolgen aus Oberflächengewässern. Das Wasser wird meist zu einem erheblichen Teil wieder zurückgeleitet.

Birgit Imhof, die Leiterin des Wasserwirtschaftsamtes Bad Kissingen, sagt: 'Unterfrankenweit machen die Großentnehmer etwa 95 Prozent der gesamten genehmigten Entnahmemenge aus.'
Foto: Thomas Obermeier | Birgit Imhof, die Leiterin des Wasserwirtschaftsamtes Bad Kissingen, sagt: "Unterfrankenweit machen die Großentnehmer etwa 95 Prozent der gesamten genehmigten Entnahmemenge aus."

Laut den Daten, die dem Rechercheteam vorliegen, dürfen Großentnehmer aus dem Main in Unterfranken pro Jahr etwa 263 Millionen Kubikmeter abpumpen. Aus allen kleineren Flüssen und Seen in Unterfranken sind es jährlich etwa 19 Millionen Kubikmeter Wasser. 

Die wenigsten Großentnehmer reizen ihre maximal genehmigten Mengen aus. Dies geht aus den Angaben der Firmen selbst hervor, von denen viele offen auf Fragen des Rechercheteams zu ihrer Wassernutzung antworteten.

Welche Firmen dürfen am meisten Mainwasser abpumpen?

Die drei Firmen mit den größten Einzelgenehmigungen für Entnahmen aus dem Main sind nach den Recherchen von BR und Main-Post folgende:

  • Die Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH (WVV) darf für das Heizkraftwerk in Würzburg über 126 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Main entnehmen. Tatsächlich entnommen und wieder eingeleitet wurden laut WVV im Jahr 2023 etwa 50 Millionen Kubikmeter. Mit dem Wasser werden dem Unternehmen zufolge Turbinen gekühlt, zu 99,9 Prozent fließe es wieder in den Main zurück. Durch verbesserte Technik werde das Wasser auch nicht mehr so stark erwärmt in die Natur zurückgleitet wie noch vor einigen Jahren.
  • Preussen-Elektra darf für das Kernkraftwerk in Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt) 65 Millionen Kubikmeter pro Jahr verwenden. Seit Juni 2015 ist das Kraftwerk vom Netz, seit April 2018 wird es zurückgebaut. Dem Unternehmen zufolge wird das Wasser weiter zu Kühlzwecken entnommen und dann vollständig in den Main zurückgeleitet. Die Entnahmemenge sei gesunken: Im Jahr 2021 waren es noch etwa 20 Millionen Kubikmeter.
  • Mainsite, der Standortbetreiber des Industriecenters Obernburg (Lkr. Miltenberg), hat eine Genehmigung für 44 Millionen Kubikmeter. Auf dem Gelände in Obernburg befinden sich mehr als 30 Firmen, unter ihnen große Chemiefaser-Hersteller, die alle auf dieses Wasserrecht zugreifen. Den Angaben von Mainsite zufolge wurden im Jahr 2021 etwa 25 Millionen Kubikmeter entnommen. Das Unternehmen hat in Unterfranken darüber hinaus das größte Entnahmerecht für Grundwasser und das größte für die Elsava.

Welche Branchen dürfen am meisten Mainwasser abpumpen?

Knapp drei Viertel der erlaubten Entnahme-Menge von Mainwasser, etwa 191 Millionen Kubikmeter, geht auf das Konto der zwei Energieversorger: Preussen-Elektra mit dem Atomkraftwerk in Grafenrheinfeld und die Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH (WVV) mit dem Heizkraftwerk.

Chemie- und Kunststoffunternehmen dürfen jährlich knapp 45 Millionen Kubikmeter Mainwasser abpumpen. Das mit Abstand größte Recht besitzt die Mainsite, die die Wasserrechte des Industriecenters Obernburg verwaltet.

Auf drei Unternehmen aus der Sparte Maschinenbau, Automobil- und Elektroindustrie entfallen weitere 15 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Das größte Recht mit über zehn Millionen Kubikmeter pro Jahr hält ZF Friedrichshafen, gefolgt von SKF mit knapp vier Millionen Kubikmeter und Schaeffler mit 200.000 Kubikmeter – alle in Schweinfurt.

Die Lebensmittelindustrie, vertreten durch die Firma Südzucker in Ochsenfurt, darf jährlich sieben Millionen Kubikmeter aus dem Fluss pumpen.

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Welche anderen Gewässer werden von den Großentnehmern angezapft?

Neben dem Main zapfen die Großentnehmer in Unterfranken vor allem die Flüsse Elsava, Lohr und Aschaff an.

Maximal 10 Millionen Kubikmeter darf die Firma Mainsite für die Chemiehersteller in Obernburg aus der Elsava entnehmen. Das Wasser versickert anschließend ins Grundwasser, wo es nach der Reinigung durch die Bodenschichten aus mehr als 30 Brunnen wieder an die Oberfläche gepumpt wird.

Für die Lohr im Landkreis Main-Spessart hält die Firma Bosch Rexroth ein Entnahmerecht von gut 4 Millionen Kubikmetern pro Jahr. Auf dem Gebiet der Stadt Aschaffenburg kann der Papierhersteller DS Smith Paper jährlich rund 3,5 Mio. Kubikmeter aus der Aschaff holen.

Welche Folgen haben die Entnahmen für den Main?

Sind Industrie-Entnahmen, die das Wasser wieder in die Flüsse zurückleiten, ökologisch unbedenklich? "Nein", sagt der Augsburger Hydrologe Prof. Harald Kunstmann. "Auch diese Entnahmen können große Auswirkungen haben." Bestimmte Fischarten wie die Forelle seien sehr temperatursensibel.

Laut Prof. Harald Kunstmann von der Uni Augsburg sind die hohen Gewässertemperaturen im Sommer ein Grund für den massiven Rückgang bei Fischbeständen in Bayern.
Foto: Anatoli Oskin, Universität Augsburg | Laut Prof. Harald Kunstmann von der Uni Augsburg sind die hohen Gewässertemperaturen im Sommer ein Grund für den massiven Rückgang bei Fischbeständen in Bayern.

Je kälter es ist, desto mehr Sauerstoff kann im Wasser gebunden werden und desto leichter bekommen Fische Luft. Die hohen Temperaturen der Gewässer im Sommer sind Kunstmann zufolge ein Grund für den starken Rückgang mancher Fischbestände in Bayern. 

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Die Autoren und die Recherche

Angelika Kleinhenz
Foto: Christoph Weiss | Angelika Kleinhenz
Immer öfter überschreitet der Main die kritische Temperatur. Im Hitzejahr 2018 rief die Regierung von Unterfranken sogar Alarm, also Warnstufe rot, aus. Im schlimmsten Fall könnte Unterfrankens größter Fluss kippen. Tonnen toter Fische müssten herausgeholt werden – eine ökologische Katastrophe, die mit dem Klimawandel immer wahrscheinlicher wird. Die Recherche zeigt: Wir sollten die Folgen der Mainwasser-Entnahmen nicht unterschätzen.
Jonas Keck
Foto: Christoph Weiss | Jonas Keck
Überraschend viele Unternehmen haben sich auf Anfrage der beiden Redaktionen offen dazu geäußert, wofür das Wasser in ihrem Betrieb verwendet wird und inwiefern anhaltende Trockenphasen durch den Klimawandel zum wirtschaftlichen Risiko werden. Den Großentnehmern scheint überwiegend bewusst zu sein, dass auch sie mittelfristig Wasser sparen müssen.
akl/keck
 
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Kommentare
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  • Andrea Roso
    Erst einmal großes Lob, dass die Mainpost an dem Thema dran bleibt. Das war tatsächlich für mich ein Grund ein Abo abzuschließen.

    "Wer mehr als 100.000 Kubikmeter Wasser abpumpen darf, gilt als Großentnehmer. Ab dieser Wassermenge besteht in Bayern eine gesetzliche Pflicht, den Behörden einmal im Jahr mitzuteilen, wie viel Wasser tatsächlich abgepumpt wurde. Vergleichbare Auflagen gelten auch für kleinere Entnahmen."
    Ich verstehe den letzten Satz hier nicht. Also müssen Firmen mit kleineren Mengen doch auch ihre tatsächlichen Entnahmen melden? Oder die Auflage gilt für die großen Genehmigungen selbst, wenn weniger entnommen wird?
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  • Angelika Kleinhenz
    Sehr geehrter Herr Roso,
    ab 100.000 Kubikmeter pro Jahr gilt die sogenannte "Eigenüberwachungsverordnung" in Bayern. Diese beinhaltet die Auflage, spätestens bis zum 1. März des Folgejahres die tatsächlich entnommene Wassermenge dem zuständigen Wasserwirtschaftsamt mitzuteilen - egal, ob dies in ihrem Wasserrecht schriftlich fixiert ist oder nicht. Bei kleineren Entnahmen dagegen muss explizit im Wasserrechtsbescheid vermerkt sein, dass die Entnehmer ihre tatsächlichen Entnahmemengen melden müssen. Dies ist bei neu erteilten Wasserrechten in Unterfranken fast immer der Fall, bei vielen alten Wasserrechten aber noch nicht. Ich hoffe, ich konnte ihre Frage beantworten. Mit freundlichen Grüßen Angelika Kleinhenz, Redakteurin
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  • Richard Werner
    Im Gegensatz zu Atom- oder Gaskraftwerken brauchen Windenergie- und PV-Anlage kein Kühlwasser. Frankreich musste in den letzten Jahren seine Atomkraftwerke in heißen Sommermonaten drosseln, weil die zur Kühlung genutzten Flüsse kritische Temperaturen erreichten und zu wenig Wasser führten.
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