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Grafenrheinfeld
Wie das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld in Koffergröße zerstückelt wird
Das stillgelegte AKW Grafenrheinfeld wird seit Jahren zerlegt. Für Laien sieht es im Innern nach Chaos aus. Doch der Abbau hat ein strenges System. Was passiert da?
Von außen ist wenig zu sehen am AKW Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt). Im Innern läuft der Rückbau geordnet, vorsichtig und konsequent. 
Foto: Anand Anders | Von außen ist wenig zu sehen am AKW Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt). Im Innern läuft der Rückbau geordnet, vorsichtig und konsequent. 
Josef Schäfer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 16:37 Uhr

Hinein geht es in das Herzstück des stillgelegten Atomkraftwerks Grafenrheinfeld, dem Reaktorgebäude, in dessen Innern bis 2015 die atomare Kernspaltung stattgefunden hat. Der Weg führt durch eine Metallschleuse, an der Papierschnipsel kleben. Sie zeigen an, dass die leicht pfeifende Luft nach innen zieht und dafür sorgt, dass keine Partikel aus dem Sicherheitsbereich nach draußen geweht werden können.

Wo es im früheren Regelbetrieb des AKW im Landkreis Schweinfurt aufgeräumt und sortiert ausgeschaut hat, sieht der Anblick jetzt nach Chaos aus: aufgeschnittene Rohrleitungen, umherstehende Bauteile, Container in verschiedensten Größen.

Doch es ist alles andere als Chaos, sondern der wohlgeordnete Rückbau des Atommeilers, der nach streng geplanten Prozessen und Abläufen vorangeht. Jedes Teil ist erfasst und dokumentiert. Was damit passiert, muss Betreiber Preussen-Elektra den Aufsichtsbehörden jederzeit lückenlos nachweisen können. Werksleiter Bernd Kaiser sagt zum Stand: Man sei im Zeitplan, derzeit zerlege man den Reaktordruckbehälter und das Umfeld des Herzstücks.

Mit ferngesteuerten Maschinen werden derzeit Teile im früheren Nasslager zerlegt - unter anderem der Reaktordruckbehälter.
Foto: Anand Anders | Mit ferngesteuerten Maschinen werden derzeit Teile im früheren Nasslager zerlegt - unter anderem der Reaktordruckbehälter.

Kaiser deutet auf das Reaktorbecken, in dem sich früher die Brennelemente befanden. Dort werden gerade die Bodenplatten ausgebaut. Unter Wasser, damit möglichst keine Radioaktivität entweichen kann. Ferngesteuert von Maschinen und hochgehievt von einem Kran, dessen Aufbau alleine schon vier Monate gebraucht hat.

Ferngesteuert im Wasserbecken - und Bewegung im Zeitlupentempo

Fast im Zeitlupentempo wird eine Metallplatte aus dem Wasser gezogen. Damit keine Tropfen entstehen, die sich als Aerosole in der Luft verteilen könnten. Die Männer am Beckenrand tragen wasserabweisende Schutzkleidung. Und Schwimmwesten. Vorschrift!

Im ehemaligen Nasslager stehen auch  runde 'Konrad'-Container, die nach dem Befüllen später ins Endlager bei Salzgitter kommen sollen.
Foto: Anand Anders | Im ehemaligen Nasslager stehen auch  runde "Konrad"-Container, die nach dem Befüllen später ins Endlager bei Salzgitter kommen sollen.

"Wir müssen sehr vorsichtig sein", sagt Kaiser. Das ist an allen Ecken und Enden sichtbar. Will man bestimmte Areale betreten, müssen zusätzliche Überschuhe und Handschuhe angelegt und danach wieder fachmännisch abgelegt werden. "Am besten nichts anfassen."

Ohnehin werden alle Personen, die den Sicherheitsbereich verlassen, mehrfach in speziellen Messanlagen mit dem Charme einer Campingdusche auf radioaktive Anhaftungen überprüft und die mitgeführten Dosimeter ausgewertet. Eines der wichtigen Ziele beim Rückbau des AKW ist es, keine Kontamination in Bereiche zu verschleppen, die frei sind von radioaktiven Stoffen.

Alle Armaturen auf Null: bis 2033 wird das AKW Grafenrheinfeld Stück für Stück abgebaut.
Foto: Anand Anders | Alle Armaturen auf Null: bis 2033 wird das AKW Grafenrheinfeld Stück für Stück abgebaut.

Die Mitarbeitenden in grünen Overalls sind die Strahlenschützer: Alleine 30 von ihnen sind im Sicherheitsbereich des Reaktorgebäudes unterwegs. "Bitte bleiben Sie hier nicht so lange stehen", fordert einer in Grün den Chef, Pressesprecherin Evamaria König und das Besuchergrüppchen freundlich, aber bestimmt auf, als sie sich neben einer Rohrleitung unterhalten, die als Strahlenquelle klassifiziert ist.

Alles wird zerkleinert und zersägt

Bis etwa 2033 soll der Rückbau des Werks laufen. Warum das so lange dauert und man derzeit auch von außen nichts davon sieht, erläutert Kaiser exemplarisch an einem Bauteil, das verschiedene Stationen durchlaufen muss, bevor es das Gelände verlassen darf. Die ausgebauten Teile kommen zunächst in das Sägezentrum, wo sie zerkleinert werden, damit sie in die Messanlagen passen.

Etwa in der Größe eines Reisekoffers. Im Bauch des Reaktorgebäudes stapeln sich Kisten mit den fein säuberlich in Halbkreise zersägten Rohren des Primärkreislaufs. "Sie dürfen nicht schwerer als 500 Kilogramm sein", erläutert der Werksleiter. Für mehr sind die Traggerüste nicht ausgelegt.

Mit solchen Anzügen schützen sich die Mitarbeiter, die in der Trockendekontamination Bauteile mit Metallkugeln beschießen, um radioaktive Partikel zu entfernen.
Foto: Anand Anders | Mit solchen Anzügen schützen sich die Mitarbeiter, die in der Trockendekontamination Bauteile mit Metallkugeln beschießen, um radioaktive Partikel zu entfernen.
Werksleiter Bernd Kaiser erläutert die Beschriftung der Transportkisten, in die alle Teile des stillgelegten Atomkraftwerks nach ihrer Zerteilung verpackt werden. Die Rote Plane bedeutet, dass der Inhalt noch weiter zerstückelt oder dekontaminiert werden muss. Blaue Planen signalisieren, dass die Kiste zur Messung ansteht, um dann freigegeben zu werden.
Foto: Anand Anders | Werksleiter Bernd Kaiser erläutert die Beschriftung der Transportkisten, in die alle Teile des stillgelegten Atomkraftwerks nach ihrer Zerteilung verpackt werden.

Nach dem Zerkleinern folgt die Dekontamination: Entweder im Nassverfahren mit 800 Bar Druck, um die Oberflächen zu säubern und die Lackierung zu entfernen. Geht dies nicht, müssen Mitarbeiter in der Trockendekontamination ran: Dabei werden die Stücke mit Metallkügelchen abgestrahlt. In schwerer Schutzausrüstung mit Sauerstoffzufuhr. Alleine der Helm  wiegt über zwei Kilo. Ein Knochenjob. Maximal eine Stunde lang, dann müssen die Männer Pause machen.

98 Prozent des Materials wird wiederverwertet

Danach ist die Messung dran: Zunächst händisch auf der Oberfläche, dann wird diese gesamte Masse in der Freimessanlage nochmals auf Radioaktivität gecheckt. Alles was weniger als zehn Mikrosievert pro Jahr an Strahlung abgibt, darf in den Verwertungskreislauf zurück.

"98 Prozent unseres Materials wird freigegeben", sagt Kaiser. Alles andere wird gepresst und in Container verpackt, die zunächst im benachbarten Zwischenlager stehen werden. Erst wenn das Endlager in Schacht Konrad voraussichtlich 2027 öffnet, kann an einen Abtransport gedacht werden.

Sehen fast aus wie neu: Rohrteile nach der Dekontamination und dem Abtragen von Schutz- und Farbschichten.
Foto: Anand Anders | Sehen fast aus wie neu: Rohrteile nach der Dekontamination und dem Abtragen von Schutz- und Farbschichten.

Nach schier endlosen Auf- und Abstiegen im verwirrenden Treppendschungel der Reaktorkugel geht es wieder durch die Schleuse hinaus in Richtung Ausgang. Bernd Kaiser ist mit dem Fortschritt der Arbeiten zufrieden und scheint selbst ein bisschen überrascht ob der Fülle an Aufgaben und Arbeitsschritten, die sich dort ballen. "Wir betreiben einen hohen Aufwand", sagt Kaiser über das 1,3-Milliarden-Euro-Projekt. In jedem Fall hält er ihn für gerechtfertigt: "Auch wenn man von außen nichts sieht."

Jedes ausgebaute Bauteil aus dem AKW-Sicherheitsbereich wird auf Radioaktivität gemessen, bevor es das Werk verlassen darf.
Foto: Anand Anders | Jedes ausgebaute Bauteil aus dem AKW-Sicherheitsbereich wird auf Radioaktivität gemessen, bevor es das Werk verlassen darf.
Mit einem Kran heben Mitarbeiter ein Stück des Deckels eines Druckspeichers an. Zuvor war er wie eine Pizza in vier Stücke geschnitten worden. Kurz darauf wird ein  Strahlenschützer (im grünen Overall) den ersten Wischtest im Innern machen, damit die Radioaktivität kontrolliert werden kann.
Foto: Anand Anders | Mit einem Kran heben Mitarbeiter ein Stück des Deckels eines Druckspeichers an. Zuvor war er wie eine Pizza in vier Stücke geschnitten worden.

Wie der Autor die Stimmung in der AKW-Belegschaft erlebt hat

Josef Schäfer 
Foto: Angie Wolf | Josef Schäfer 
Raus aus der Atomenergie. Dann doch Laufzeitverlängerung. Und wieder Ausstieg nach der Fukushima-Katastrophe. Als Reporter habe ich die Aufs und Abs der deutschen Atompolitik über viele Jahre live und hautnah am Standort Grafenrheinfeld miterlebt, über den ich kontinuierlich berichte. Nach der Entscheidung über das endgültige Aus im Jahr 2015, das die Kritikerinnen und Kritiker auch noch mit einem großen Abschalt-Fest auf dem Schweinfurter Marktplatz feierten, entsprach die Stimmung im AKW einer Mischung aus Unverständnis, Wut und Niedergeschlagenheit. Das hat sich spürbar gewandelt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und insbesondere die Werksführung haben den Umschwung geschafft: Sie sind motiviert und engagiert. Und wenn sie schon ihr Werk und damit ihre Arbeitsplätze abwracken müssen, dann mit dem Anspruch, dies mit größtmöglicher Professionalität und Sorgfalt zu erledigen.
mjs
 
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