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Grafenrheinfeld
AKW Grafenrheinfeld im Rückbau: Warum landet Abfall auch beim Hausmüll?
Abertausende Tonnen Müll und Schutt fallen beim Abbau des AKW Grafenrheinfeld an. Das meiste ist unproblematisch. Über eine Kategorie aber wird jetzt kontrovers diskutiert.
Stück für Stück wird das AKW Grafenrheinfeld zerlegt. Dabei fallen mehrere hunderttausend Tonnen Schutt und Abfall an.
Foto: Anand Anders | Stück für Stück wird das AKW Grafenrheinfeld zerlegt. Dabei fallen mehrere hunderttausend Tonnen Schutt und Abfall an.
Josef Schäfer
 |  aktualisiert: 09.02.2024 05:05 Uhr

Auch wenn von außen kaum etwas davon zu sehen ist: Der Rückbau des stillgelegten Atomkraftwerks Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt) schreitet voran, nachdem im Dezember 2020 die letzten verbrauchten Brennelemente aus dem Werk in das benachbarte Zwischenlager transportiert worden sind. Brennstofffreiheit heißt der exakte Begriff. Bis das Werk im Jahr 2035 verschwunden ist, werden etwa 330 000 Tonnen Schutt und Abfall anfallen, eingeteilt in unterschiedliche Kategorien. Was passiert damit?

Abertausende Tonnen Beton und Stahl

Das allermeiste stammt aus den Gebäudehüllen und den Kühltürmen: Beton und Baustahl. Das Material wird wie bei jedem anderen Rückbau möglichst wiederverwertet. Klar ist auch der Weg, den die gefährlichsten Rückstände nehmen sollen: die hoch radioaktiv strahlenden Brennelemente. Sie sind in Castoren verpackt, stehen im Zwischenlager (BZR) nebenan und warten auf den Tag, an dem sie in das atomare Endlager gebracht werden können, das es noch gar nicht gibt. Auf den Plänen dafür steht derzeit die Jahreszahl 2050.

Beim AKW-Abbau fallen außerdem sogenannte schwach- und mittelradioaktive Rückstände an wie etwa Werkzeuge, Geräte, Filter oder Schutzkleidung. Auch sie werden verpackt und in das zweite, neu gebaute Zwischenlager (AZR) gebracht. Später sollen sie im dafür vorgesehenen Endlager Schacht Konrad im niedersächsischem Salzgitter landen, das 2027 geöffnet werden soll. 

Was bedeutet "Freimessung"?

In der größten Kritik beim Rückbauverfahren stehen "frei gemessene" Abfälle: Material, das mit radioaktiven Stoffen in Kontakt stand. Die Teile werden Stück für Stück von Radioaktivität gesäubert, bis der vorgegebene Grenzwert von zehn Mikrosievert erreicht oder unterschritten ist: die "Freimessung". Scheidet Recycling aus, werden diese Abfälle in der Deponie Rothmühle des Landkreises Schweinfurt eingelagert. Meist geht es um Isoliermatten, asbesthaltiges Material und Bauschutt. Brennbare Abfälle wie etwa Folien, Handschuhe und Papier werden zusammen mit Hausmüll im Heizkraftwerk Schweinfurt verbrannt. Insgesamt geht es um 2400 Tonnen. Die ersten Chargen sind schon deponiert.

Die Wellen schlugen bei Anti-Atom-Initiativen in und um Schweinfurt hoch, als im vergangenen Sommer bekannt wurde, dass der Landkreis frei gemessenen Müll aus dem AKW einlagert und bereits die ersten 3,5 Tonnen dort gelandet waren. Bei der Einhaltung des Grenzwertes unterliegen sie nicht mehr dem Atomrecht, sondern werden wie vergleichbarer Bauschutt oder Hausmüll nach dem Abfallrecht behandelt.

AKW-Betreiber Preussen-Elektra hält den Strahlenwert von zehn Mikrosievert für unbedenklich, das Umweltministerium bezeichnet in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Landtagsabgeordneten Paul Knoblach und Rosi Steinberger die Größenordnung als "vernachlässigbar". Preussen-Elektra argumentiert, dass die Strahlendosis, würde man sich ein Jahr lang neben dieses Material stellen, nur halb so hoch wäre als wenn man ein Jahr lang jede Nacht neben seinem Partner schläft. Denn auch der Mensch strahle, weil er ständig über Nahrung und Atemluft Minipartikel mit radioaktiven Anhaftungen aufnimmt.

Kritik der Atomkraftgegner 

Das Schweinfurter Aktionsbündnis gegen Atomkraft widerspricht dieser Argumentation und lehnt das Zehn-Mikrosievert-Konzept ab. Es gebe keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass Strahlung in solch geringen Dosen nicht gesundheitsschädlich sei, heißt es in einer Mitteilung von Sprecherin Babs Günther. Mit dem Verfahren werde zusätzlich zur natürlichen Radioaktivität auch künstliche freigesetzt, die das Gesundheitsrisiko erhöhe. Das Gebot zur Strahlenminimierung, festgeschrieben in der Strahlenschutzverordnung, werde nicht eingehalten, so das Aktionsbündnis. Weitere Gruppen wie der Bund Naturschutz argumentieren ähnlich. 

Noch 14 Jahre soll es dauern, bis das AKW Grafenrheinfeld abgebaut ist.
Foto: Anand Anders | Noch 14 Jahre soll es dauern, bis das AKW Grafenrheinfeld abgebaut ist.

Landrat Florian Töpper (SPD) wies vor dem Umweltausschuss des Schweinfurter Kreistags darauf hin, dass der Landkreis zur Annahme des Mülls verpflichtet sei, wenn es keine Alternativen gibt. Man habe andere Deponien in Bayern dafür gesucht, aber nicht gefunden. Betroffene Kommunen wollten nur AKW-Müll aus ihrem Zuständigkeitsbereich aufnehmen - wie der Landkreis Schweinfurt auch. Für die Eignung der Deponie Rothmühle hat das Umweltministerium ein Gutachten in Auftrag gegeben.

Auf der Deponie würden die Lieferungen nicht gezielt auf Radioaktivität überprüft, teilt das Landratsamt auf Nachfrage mit. Es verweist darauf, dass die Chargen durch mehrstufige Verfahren vom Betreiber und der Aufsichtsbehörde geprüft und freigegeben würden. Deswegen gehe man davon aus, dass das Material keine Gefahr darstelle. Eine Pflicht zur Überwachung auf Radioaktivität bestehe nicht. Eine Begehung des Ablagerungsbereichs mit Messgeräten vor wenigen Tagen habe keine Besonderheiten ergeben.

Müll bald auch im Heizkraftwerk

Völlig neu ist der Umstand, dass AKW-Abfälle künftig auch im Schweinfurter Müllheizkraftwerk (GKS) verbrannt werden sollen. Zwar sind auch schon früher Abfälle aus Grafenrheinfeld in Flammen aufgegangen - allerdings im oberpfälzischen Schwandorf. 21,8 Tonnen waren es laut Umweltministerium. Man habe in der Schwandorfer Anlage lange Erfahrungen im Umgang mit solchen Abfällen, sagt Landrat Töpper. Dort werde auch Müll aus dem stillgelegten AKW Isar in Ohu bei Landshut verbrannt.

Doch dieser Entsorgungsweg ist für Grafenrheinfeld inzwischen abgeschnitten. In Schwandorf war im Herbst eine politische Diskussion um den unterfränkischen AKW-Müll entbrannt - "mit Aktivität aus dem Landkreis Schweinfurt", wie Töpper im Kreistagsausschuss sagte. Die politischen Gremien des dortigen Zweckverbands haben entschieden, keinen Abfall mehr aus Grafenrheinfeld anzunehmen. Nur noch aus Ohu, weil es im Schwandorfer Verbandsgebiet liegt.

Hoher Dokumentationsaufwand nötig

550 Tonnen erwartet das Schweinfurter Heizkraftwerk aus dem AKW. Mengenmäßig fast zu vernachlässigen, in der Anlage werden insgesamt pro Jahr 180 000 Tonnen Müll entsorgt. Für die AKW-Menge falle aber ein großer bürokratischer Aufwand bei der Dokumentation an, so GKS-Chef Ragnar Warnecke vor den Kreistagsmitgliedern. So zum Beispiel müsse die Abfallfraktion separat dem Landesamt für Umwelt nachgewiesen werden, führt das Unternehmen auf Nachfrage aus. Ein Gerät zum Messen von Radioaktivität sei im GKS vorhanden, teilt ein Sprecher mit. Allerdings wolle man den AKW-Müll nicht gezielt untersuchen, sondern mache - wie jetzt schon bei anderem Material - nur Stichproben.

Diskussionen auch anderswo

Etwas anders ging man in Weißenhorn bei Neu-Ulm vor. Die dortige Müllverbrennungsanlage verfeuert Abfall aus dem AKW Gundremmingen. Nach Diskussionen im Jahr 2019 ließ der Landkreis Neu-Ulm Schlacke untersuchen. Dem veröffentlichten Bericht zufolge fand das Landesamt für Umwelt zwar Nuklide - sie stammen jedoch aus medizinischen Anwendungen und sind Überbleibsel der Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986. Im Bereich Radioaktivität gebe es im Werk keine Auffälligkeiten.

Unzufrieden ist man in Neu-Ulm dennoch: Statt die Kommunen mit den Rückständen aus dem AKW-Abbau alleine zu lassen, so der dortige Landrat, brauche es eine landesweite Lösung wie in Baden-Württemberg. Auch die Schweinfurter Atomkraftgegnerin Babs Günther wünscht sich eine intensivere öffentliche Diskussion - und hat einen Vorschlag: Die Abfälle sollten nicht deponiert oder verbrannt werden, sondern im AKW in einer Halle abgeschirmt gelagert werden. 

 
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Kommentare
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  • M. A.
    Die Kühltürme könnte man auch als Tauchbecken wenn man sie abtichten würde und zu kletter Übungen und Höhenrettungsübungen verwenden.
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  • B. M.
    Aus welchem Grund wird eigentlich das Reaktordruckgebäude nicht als Lagerraum für die am stärksten belasteten Abfälle verwendet?
    Ist es in der Betonkuppel nicht besser aufgehoben als in den besseren Feldscheunen?
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    • Antworten
  • M. B.
    Wer bezahlt eigentlich den Rückbau ?

    Die Praxis nur Stichproben auf Radioaktivität zu untersuchen halte Ich für bedenklich. In 10-20 Jahren berichtet die Mainpost dann, dass belastetes Material in der Rothmühle möglicherweise deponiert wurde.

    Was der Dreck mit einer Exposition von 10 Mikrosievert für Langzeitauswirkungen auf einer Deponie hat garantiert heute auch niemand.
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  • C. H.
    Wer das bezahlt?
    Das beantwortet doch der Blick auf die Stromrechnung.
    Leider bezahlen es nicht ausschließlich diejenigen, die die übereilte Abschaltung gefordert und durchgesetzt haben.
    Die demonstieren lieber gegen Ersatzlösungen...
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