zurück
Würzburg
Würzburger Theologe Wunibald Müller über die tiefe Krise der katholischen Kirche: "Es ist genug!"
Wunibald Müller blickt seit Jahren kritisch auf die katholische Kirche. Jetzt aber meldet sich der 73-jährige Theologe und Psychotherapeut so deutlich wie nie zu Wort.
Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller sagt über die katholische Kirche: 'Das Grundproblem ist die klerikale Struktur.'
Foto: Patty Varasano | Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller sagt über die katholische Kirche: "Das Grundproblem ist die klerikale Struktur."
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 08.01.2024 02:58 Uhr

Wunibald Müller ist ein beständiger und bekannter Mahner und Kritiker. Oft war er versöhnlich. Doch nun sei es genug, sagt der Würzburger Theologe und Psychotherapeut. Im Interview spricht der 73-jährige Autor und ehemalige Leiter des Recollectio-Hauses in der Abtei Münsterschwarzach (Lkr. Kitzingen) über Dinge, von denen er bereits vor Jahren sicher war, dass sie eintreten würden. Eine Bestandsaufnahme zum großen Flurschaden durch klerikale Strukturen, nötige Reformen und eine Kirche der Zukunft. 

Herr Müller, Sie blicken seit vielen Jahren kritisch auf die katholischen Kirche. "Es ist genug", sagten Sie kürzlich, deutlich radikaler als bislang. Warum?

Wunibald Müller: Weil die katholische Kirche sich in einer der tiefsten Krisen seit ihrem Bestehen befindet und vieles in der Kirche von Grund auf nicht stimmt. Deshalb sagte ich vor kurzem, dass es genug sei. Weil katholische Gläubige sich nicht länger von denen in Rom belehren lassen, die für die miserable Situation, in der sich die Kirche gegenwärtig befindet, entscheidend mitverantwortlich sind.

Die jüngste Erklärung aus Rom, die unter anderem die Segnung homosexueller Paare erlaubt, bezeichneten Sie andererseits als "kleines Wunder". 

Müller: Sicher, die Lehre der Kirche hat sich, bezogen auf die Bewertung gleichgeschlechtlicher intimer Handlungen, nicht geändert. Trotzdem ist es ein kleines Wunder, dass Rom die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare durch einen Priester erlaubt. Das war lange unvorstellbar – und ist für mich jetzt fast revolutionär. Ich beschäftigte mich bereits seit über 30 Jahren mit dem Thema Homosexualität und Kirche. Homosexualität galt als widernatürlich, homosexuelle Handlungen wurden als himmelschreiende Sünde betrachtet.

Was ist jetzt anders?

Müller: Durch diese, von Papst Franziskus abgesegnete vatikanische Erklärung verliert die Lehre der Kirche zur Homosexualität erheblich an Bedeutung, wird geradezu im Regen stehen gelassen. Steht doch jetzt nicht länger die Verurteilung der Homosexualität im Vordergrund. Mit der Segnung wird das, was im Leben und in den Beziehungen homosexueller Paare wahr, gut und menschlich gültig ist, gutgeheißen. Das schließt für mich ihre Liebe füreinander, auch wo sie sexuell zum Ausdruck gebracht wird, mit ein. Wenn das keine Kehrtwende ist!

Erwarten Sie noch mehr kleine Wunder?

Müller: Ja, schon. Die Zustimmung des Papstes zur Segnung homosexueller Paare ist ein Beispiel für seine kleinen Schritte in die richtige Richtung. Es geht vieles nur im Schneckentempo voran, aber es geht voran. Das lässt mich hoffen, dass sich noch mehr ändert.

"Es geht vieles nur im Schneckentempo voran, aber es geht voran."
Theologe Wunibald Müller über Veränderungen in der katholischen Kirche
Sie sagen jedoch, vieles stimme in der katholischen Kirche von Grund auf nicht.

Müller: So ist es. Das Grundproblem ist die klerikale Struktur. Auch oder gerade der Missbrauchsskandal hat deutlich gemacht, dass diese Struktur des Oben und Unten mit ausschlaggebend war für viele sexuelle Übergriffe. Die Unsensibilität gegenüber dem unsäglichen Leid von Kindern, die im kirchlichen Kontext sexueller und körperlicher Gewalt ausgesetzt waren, sind mit ein Ergebnis der klerikalen Struktur der Kirche. Sie führte auch in anderen Bereichen zu lieblosen Verhaltensweisen. Man denke an die unsägliche Diskussion über die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion, bei der das Kirchenrecht wichtiger war als die Barmherzigkeit.

Nicht durchs Kirchenrecht abgesichert ist das Verhalten mancher Bischöfe beim Thema Missbrauch, oder?

Müller: So war es zumindest zum Teil in der Vergangenheit. Tatsache ist, dass vielen Bischöfen das Ansehen der Kirche wichtiger war als die Sorge um die Opfer. Das hat die Missbrauchsstudie der Erzdiözese München-Freising klar benannt. Jetzt ist es daher höchste Zeit, dass die Bischöfe, die Vorfälle sexualisierter Gewalt vertuscht haben, persönlich zu ihrer Schuld stehen und für ihr Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden. Dann dürfen sie auch damit rechnen, dass bei einer Gesamtwürdigung ihres Wirkens nicht übersehen wird, wo sie sich verdient gemacht haben.

"Das klerikale System ist ins Wanken geraten. Es ist morsch und unumkehrbar zum Einsturz verurteilt."
Kirchen-Kritiker Wunibald Müller

Diskussionen über Klerikalismus gibt seit Jahren. Warum sollte sich jetzt etwas ändern?

Müller: Weil das klerikale System und ihre Vertreter offensichtlich einen großen Flurschaden angerichtet haben. Bis dahin, dass die christliche Botschaft, die befreiende und lebensfördernde Dynamik, die davon ausgehen sollte, nahezu erstickt worden ist, die Kirche keine Ausstrahlung mehr hat und keine prägende Kraft mehr ausübt. Das ist klar erkannt. Viele Gläubige, katholische wie protestantische, sind enttäuscht. Das hat unlängst die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung verdeutlicht.

Sie gehen also davon aus, dass mehr weltliche Demokratie und geistliche katholische Herrschaft kommt?

Müller: Ja, das klerikale System ist ins Wanken geraten. Es ist morsch und unumkehrbar zum Einsturz verurteilt. Das aber ist ein Segen und eine Chance für die Kirche. Endlich kann die gegenwärtig noch vorherrschende Macht-Pyramide in der Kirche, bei der es ein Oben und Unten gibt, durch ein Netzwerk ersetzt werden. Ein Netzwerk, in dem alle Frauen und Männer, sogenannte Laien und Kleriker gleichberechtigt sind. Ich sehe das Christentum und mit ihr die katholische Kirche in eine neue Phase ihrer Entwicklung eintreten. Noch befinden sich Teile von ihr - wie die ewig Gestrigen - im Mittagsschlaf, doch es gibt kein Zurück mehr.

"Da war ich zu optimistisch."
Wunibald Müller über die Lockerung des Pflichtzölibats
Woraus schöpfen Sie Ihren Optimismus und Ihre Hoffnung?

Müller: Ich habe mich viele Jahrzehnte für diese Kirche eingesetzt und versucht, mit dazu beizutragen, dass sie eine menschenfreundliche Kirche ist. Was die Beurteilung der Homosexualität und homosexueller Liebe betrifft, hat sich etwas verändert. Papst Franziskus ist offensichtlich doch noch, obwohl man es ihm fast nicht mehr zugetraut hätte, für Überraschungen gut.

Erwarten Sie eine Überraschung beim Thema Pflichtzölibat? Vor einigen Jahren waren sie im Interview sicher, dass er bald gelockert wird.

Müller: An das Gespräch damals kann ich mich sehr gut erinnern. Da war ich zu optimistisch. Ende 2019 hatte man im Zusammenhang mit der Amazonas-Synode erwartet, dass der Zölibat ins Wanken gerät. Inzwischen bin ich davon überzeugt, dass die Reformvorhaben, die ab 2020 hierzulande beim Synodalen Weg beraten wurden, weiterhin eine Rolle spielen. Sie werden aber erst dann verwirklicht werden, wenn die Kirche weniger um sich selbst kreist, sie für alle Menschen da ist, sie in ihrer Not ernst nimmt, hinhört, was sie brauchen und wonach sie sich sehnen.

Nicht allzu viel hat sich auch bei der Rolle der Frauen getan. Wird es in der katholischen Kirche Priesterinnen und Bischöfinnen geben?

Müller: Die Weihe von Frauen zu Priesterinnen und irgendwann auch zu Bischöfinnen wird und muss kommen. Der eigentliche Skandal ist hier doch die dieser Verweigerung zugrundeliegende Abwertung der Frau durch die Kirche. Das aber ist nicht länger hinnehmbar und macht es Frauen und Männern zunehmend unmöglich, sich weiterhin zu dieser frauenfeindlichen Kirche zu bekennen.

Auf die vielen Frauen und Männer, die sich ehrenamtlich engagieren, ist die Kirche aber mehr denn je angewiesen.

Müller: Ohne sie geht schon lange nichts mehr. Kirche wird inzwischen immer mehr vor Ort erlebt. Dabei kristallisiert sich die Kirche der Zukunft heraus. Von dieser Kirche vor Ort geht eine Dynamik aus, die auf Dauer stärker ist als die Dynamik, die von Teilen Roms ausgeht, die mir eher wie die letzten Zuckungen eines sterbenden klerikalen Systems  vorkommt.

Sie trauen also den kleinen Schritten, die von Rom ausgehen, doch nicht so sehr?

Müller: Ich übersehe sie nicht und sie stimmen mich zuversichtlich. Sie entbinden die Gläubigen aber nicht davon, sich nicht länger von Rom gängeln zu lassen, sondern endlich aufzustehen, selbst Verantwortung zu übernehmen und ihren Teil zu dem notwendige Wachstums - und Wandlungsprozess der Kirche beizutragen.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Münsterschwarzach
Christine Jeske
Bischöfinnen
Päpste
Wunibald Müller
Zölibat
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Johannes Fasel
    Der Kommentarstrang mit Ihrem Kommentar bzw. Ihrer Antwort wurde gesperrt, da der Ausgangskommentar gegen unsere Kommentarregeln verstoßen hat. Wir bitten um Ihr Verständnis.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Lutz Saubert
    Der Kommentarstrang mit Ihrem Kommentar bzw. Ihrer Antwort wurde gesperrt, da der Ausgangskommentar gegen unsere Kommentarregeln verstoßen hat. Wir bitten um Ihr Verständnis.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Martin Dobat
    Die katholische Kirche wird diese Krise nur meistern können, wenn sie sich an den Herrn aller Herren, den "Meister" Jesus Christus wendet. Nur ein zurück zur biblischen Wahrheit, eine völlige Umkehr, kann einen Neuanfang möglich machen. Ein falscher Weg der versucht die Richtung etwas zu korrigieren, dem Zeitgeist anzupassen, ist zum Scheitern verurteilt.
    Lieber Gruß, Martin Dobat
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Johannes Fasel
    Ohne "Anpassung an den Zeitgeist" würden die Scheiterhaufen immer noch lodern.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten