Dieses Buch wird für Diskussionen sorgen: Mit dem Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose fordert ein geweihter Priester radikale Veränderungen in der katholischen Kirche. Die herausgehobene Rolle der Kleriker, die Beschränkungen beim Predigen und bei der Eucharistie - der 52-Jährige stellt all dies in Frage. Nur wenn sie konsequent den Menschen diene und deren Sorgen ernst nehme, habe die Kirche eine Zukunft, heißt es in dem Buch mit dem provokanten Titel "Warum wir aufhören sollten, die Kirche zu retten". Ein Gespräch mit einem streitbaren Theologen.
Herr Hose, Sie schreiben in Ihrem neuen Buch „Diese Kirche ist kaputt. Sie ist tot. Ich stehe an Ihrem Grab.“ Schon mal überlegt, auszutreten?
Burkhard Hose: Nein, im Gegenteil.
Das müssen Sie erklären.
Hose: Ich habe mich in den vergangenen Jahren stark zivilgesellschaftlich engagiert, gegen Rechtspopulismus, für Geflüchtete. Die kirchlichen Strukturen haben dabei kaum eine Rolle gespielt. Interessanterweise aber haben mich genau diese Tätigkeiten wieder näher herangeführt an die Kirche. Ich arbeite in Würzburg im städtischen Ombudsrat mit, einem Gremium, das sich mit Diskriminierung befasst, und habe dabei festgestellt, ich bin selbst Teil eines Systems, in dem Menschen hochgradig Diskriminierungserfahrungen machen. Irgendwie hat es mich zerrissen.
Und diesen Frust haben Sie sich von der Seele geschrieben?
Hose: Ja, wenn ich schreibe, hat das auch etwas Therapeutisches. Äußerer Anlass für das Buch war dann aber der Herbst 2018, als das ganze Ausmaß des Missbrauchs in der katholischen Kirche öffentlich wurde. Da war alle Glaubwürdigkeit dahin. Das war eine Zäsur.
Die Reaktion der Bischöfe, das Versprechen, alles zu tun, damit sich der Missbrauch nicht wiederholt, hat Sie nicht überzeugt?
Hose: Ich hatte das Gefühl, viele Entscheidungen, etwa die Aufforderung an die Mitarbeiter, polizeiliche Führungszeugnisse vorzulegen, dienten vor allem dazu, die Institution Kirche zu schützen. Das Thema Macht, die klerikalen Strukturen, dieser katholische Geschmack des Missbrauchsskandals, der wurde nicht zum Thema.
Sie plädieren dafür, aufzuhören, die Kirche zu retten. Wie meinen Sie das? Wollen Sie die Kirche ihrer Selbstzerstörung überlassen?
Hose: Es braucht radikale Veränderungen und ich glaube, dieser Zusammenbruch, der ermöglicht etwas Neues. Das macht mir Hoffnung. Dafür zu streiten, darauf habe ich Lust. Erst heute – das wirkt fast konstruiert – habe ich mit einer Studentin gesprochen, die sich als Pastoralassistentin in München bewirbt. Sie hat gesagt, vor ein paar Jahren hätte sie sich nicht vorstellen können, in der Kirche zu arbeiten. Aber jetzt, wo die Katastrophe da ist, sehe sie neue Spielräume. Da wird Energie frei, bei vielen Menschen.
Konkret kritisieren Sie unter anderem die herausgehobene Rolle des Priesters in der Kirche. Sie sind selbst einer.
Hose: Ich erlebe das auch, dass die Menschen den Priester verehren, egal was er tut und sagt. Das ist etwas ganz Eigenartiges. Zu glauben, mit der Priesterweihe könne jemand automatisch predigen und andere ohne Weihe könnten das nicht, ist ein Trugschluss. Viele Predigten von Geweihten sind belanglos, die sind echt ärgerlich. Sie sind eine Beleidigung der Botschaft Jesu und der Aktualität, die in ihr steckt.
In Ihrer Gemeinde, der Katholischen Hochschulgemeinde, predigen auch Nicht-Priester?
Hose: Jesus hat sich auch nicht an die Trennung von profan und sakral gehalten. Ich möchte Menschen zuhören, die etwas zu sagen haben, die beispielsweise berichten, was sie bei der Seenotrettung oder der Hilfe für Geflüchtete erlebt haben und erleben.
Was muss sich also ändern?
Hose: Das Laienpredigt-Verbot ist völlig absurd. Dieses abzuschaffen, wäre ein erster Schritt. Aber auch der Zugang zu kirchlichen Ämtern muss verändert werden.
Braucht es mehr Frauen in diesen Ämtern?
Hose: Unbedingt. Ich glaube aber nicht, dass allein die Weihe von Frauen die Kirche verbessert. Aber sie wäre ein Türöffner hin zu mehr Demokratie. Eine Idee, die Machtmissbrauch verhindern könnte, wäre die Vergabe von Ämtern auf Zeit. Manchmal sind es kleine Dinge, die Zeichen setzen: Wenn etwa bei den Augustinern in Würzburg der Priester, der den Gottesdienst zelebriert, nicht einen Platz gegenüber der Gemeinde beansprucht, sondern in der ersten Reihe unter den Besuchern sitzt. Es ist lächerlich, aber manchmal sorgt schon diese Geste für Diskussion.
Sie ermuntern die Kirche zu „Kontrollverlust“. Das klingt nach Anarchismus im Katholizismus.
Hose: Damit hat es angefangen, das Christentum. Die ältesten Bibel-Texte in der Jesus-Tradition, die Gleichnisse, propagieren doch gerade Kontrollverlust, zum Beispiel das Gleichnis vom Unkraut im Weizen. Dort heißt es: Beobachtet, lasst alles wachsen, ihr seid nicht diejenigen, die urteilen. Ich setze auf eine Kirche, die nicht so viel vorschreibt, die Fragen zulässt und nicht vorgibt, die einzig gültige Wahrheit zu wissen.
Sie beklagen, christliches Leben werde häufig organisiert, um kirchliche Strukturen zu rechtfertigen. Wie meinen Sie das?
Hose: Am heftigsten fällt mir das beim Thema Eucharistie auf. Da frage ich mich: Ist die Eucharistie für die Priester da? Oder sind die Priester für die Eucharistie da?
Sie feiern die Kommunion, das Abendmahl auch mit Nicht-Katholiken, mit geschiedenen, mit wiederverheirateten, mit nichtgläubigen Menschen. Das ist ein demonstrativer Regelverstoß.
Hose: Mir geht es um die Botschaft Jesu. Ich verstehe die Eucharistie als Einladung an die Menschen, sich mit dieser Botschaft zu beschäftigen. Christus lädt ein zur Eucharistie, kein Bischof oder Priester. Ich frage niemanden, der am Abendmahl teilnehmen möchte: Bist Du auch katholisch? Oder bist Du geschieden? Selbst Papst Franziskus hat gesagt: Die Eucharistie ist nicht die Belohnung für Wohlverhalten.
Ein Mitmachen in der Kirche auf Zeit, für ein einzelnes Projekt, ist das für sie denkbar?
Hose: Ja, warum denn nicht.
Weil es allem Bisherigen widerspricht. Kirche lebt nicht zuletzt auch von den Steuern ihrer Mitglieder.
Hose: Die finanzielle Ausstattung der Kirche, die Verflechtung von Staat und Kirche, das Berufsbeamtentum, das sind Themen, die in diesem Buch nicht vorkommen. Darüber muss man auch diskutieren. Aber hier setze ich einen Schritt vorher an, beim Kirchenverständnis. Kirche ist nicht der Zielpunkt unseres Tuns, sondern ein Vehikel, um das Reich Gottes, eine von christlichen Werten geprägte Welt, zu erreichen.
Eucharistie für alle, Frauenpriestertum, mehr Rechte für Laien, Abschaffung des Pflichtzölibats: Viele Ihrer Forderungen sind nicht wirklich neu. Warum ändert sich dennoch nichts?
Hose: Wenn die Bischöfe sagen, es dürfe keine Schnellschüsse geben, muss ich lachen. Schnellschüsse kann ich nicht erkennen, bei vielen Themen tut sich seit Jahrzehnten nichts. Ich glaube, es dauert noch, bis sich richtig was bewegt. Da braucht es vor allem noch mehr Solidarität unter denjenigen, die in der Kirche arbeiten. Ich frage mich: Warum haben so viele Priester Angst, sich offen zu äußern?
Haben Sie eine Antwort?
Hose: Ich weiß es nicht. Und ich verstehe es nicht. Es gibt schon einige Kollegen, mit denen ich mich auch austausche. Aber da müssen wir Hauptamtlichen noch eine echte Diskussionskultur entwickeln, und zwar eine offene. Deshalb stelle ich als Priester mit diesem Buch auch öffentlich meinen eigenen Stand infrage. Ich sehe mich als ein Mosaikstein der Veränderung.
Vielleicht haben die Kollegen Angst vor Repressalien, bis hin zur Exkommunizierung.
Hose: Wir müssen mutiger werden. Und Kritik von Vorgesetzten aushalten. Klar, es gibt dann immer mal ein Gespräch mit dem Bischof. Aber das ist in den letzten Jahren auch weniger geworden.
Könnte es sein, dass die katholische Kirche sich den kritischen Priester Hose als Exoten leistet, ihn aber regelmäßig gegen die Wand laufen lässt?
Hose: Das wäre wirklich ernüchternd. Aber so nehme ich die Situation nicht wahr. Ich habe viele Mitstreiter – in und außerhalb der Kirche. Einsam fühle ich mich nicht.
Ist eine Spaltung denkbar: Hier eine traditionelle katholische Kirche, mit immer weniger, dafür sehr frommen Gläubigen. Und dort eine der Welt zugewandte demokratische Kirche à la Hose?
Hose: Meine Vorstellung ist das nicht. Ich will eine gemeinsame reformierte Kirche. Und ich will, dass die Botschaft Jesu, die für mich so aktuell ist, nicht mit der Kirche kaputt geht.
Buchtipp: Burkhard Hose: "Warum wir aufhören sollten, die Kirche zu retten. Für eine neue Version von Christsein", 160 Seiten, gebunden, 18 Euro. Das Buch erscheint am Freitag, 11. Oktober im Vier-Türme-Verlag Münsterschwarzach.
Der Autor liest aus seinem Buch am Samstag, 19. Oktober, um 14 Uhr auf der Frankfurter Buchmesse am Stand des katholischen Medienverbands (Halle 3.1), am Dienstag, 5. November, um 19 Uhr im Rudolf-Alexander-Schröder-Haus in Würzburg und am Freitag, 29. November, um 18.30 Uhr bei der "offiziellen Buchvorstellung" im Burkardushaus in Würzburg.
ich fürchte, das System, das wir heute kennen, hat sich gegenüber dem aus dem 15./ 16. Jahrhundert kaum verändert. Damals hat man Mittel-/ Südamerika "missioniert" und unglaubliche Unmenschlichkeiten wenn nicht selbst begangen so doch zumindest befördert, und heute werden (junge/ hilflose) Menschen, die sich der Kirche anvertrauen, missbraucht und das Ganze marginalisiert. Also mMn "der Schoß ist fruchtbar noch... usw."
Von dem, was Jesus Christus gepredigt hat, dürfte beides himmel(!)weit entfernt sein. Dazu fallen mir schon ein paar Bibelstellen ein - w.z.B. die Weherufe (s. Mt 23) oder vielleicht die vom Balken im Auge (Mt 7,3-5). (Insbesondere die katholische) Kirche kommt mir vor wie ein System von (alten) Männern zur kompromisslosen Machtausübung/ Unterdrückung aller anderen - und vordringlich der Frauen. Weder kann ich mir vorstellen, dass Jesus Christus DAS gewollt hat, noch finde ich, dass man DAS retten sollte...
Es befreit aus alten Zwängen und öffnet neue Wege.
Es stellt die strukturell gefestigte Macht in Frage, fordert sie heraus.
Denn das Evangelium beschränkt sich nicht auf Heilsversprechen für das Jenseits, es fordert Gerechtigkeit, Respekt, Solidarität, Nächstenliebe und sogar Feindesliebe im Hier und Jetzt.
Radikal und unbequem.
Als Handlungskonzept führt es unvermeidlich zu sozialem und politischem Engagement.
Das kann leise geschehen, wenn entschiedenes Handeln keinen Kommentar braucht.
Manchmal geht es aber nicht ohne öffentlichen Aufschlag.
Dann braucht es die Bereitschaft zum Diskurs und den Mut, dabei laut und deutlich zu sein.
Als Hochschulpfarrer ist Burkhard Hose bekannt für seine Herzenswärme und seine respektvolle Solidarität. Mit scharfsinnigen Analysen, fundierten Positionen und sorgfältig gesetzten Stellungnahmen geht sein Einfluss weit über die Grenzen Würzburgs hinaus.
Ein Glücksfall, nicht nur für unsere Stadt!
mittelalterliche Dogmatismus nicht mehr aufs Auge gedrückt werden. Und die Jugend nimmt diesen heuchlerisch-verklemmten Unsinn kaum noch zur Kenntnis.
Ralf Zimmermann, Main-Post Digitales Management
Martin Dobat