Zwei Mal hat der bekannte katholische Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller offene Briefe an Papst Franziskus geschrieben. Das war 2013 und 2015. Darin bat er jeweils um die Lockerung des Zölibats. Einmal hat das Kirchenoberhaupt ihm geantwortet und ihm mitgeteilt, dass er dies ablehnt.
Doch nun ist in der Wochenzeitung „Die Zeit“ ein langes Interview mit dem Papst erschienen. Und Wunibald Müller, der in seiner Zeit als Leiter des Recollectio-Hauses der Abtei Münsterschwarzach 25 Jahre lang auch viele an ihrer Berufung zweifelnde Priester begleitet hat, indirekt die Antwort auf seine Bitte erhalten. Müller, der in Buchen im Odenwald geboren wurde und in Würzburg lebt, hat den Eindruck, dass es angesichts des Priestermangels und der geplanten Umwandlung von Pfarreiengemeinschaften in riesige pastorale Räume in die richtige Richtung geht.
Frage: Herr Müller, sind Ihre beiden Briefe an Papst Franziskus erst jetzt wirklich angekommen?
Wunibald Müller: Ja und nein. Ja, weil ich den Eindruck habe, dass der 'Felsblock Zölibat' zu bröckeln beginnt. Und nein, weil Papst Franziskus in dem Interview mit der „Zeit“ auch klar gesagt hat, dass der freiwillige Zölibat keine Lösung sei. Das heißt, dass Priester weiterhin zölibatär, also ehelos leben müssen.
Sie sprechen von einem Bröckeln. Sind es nicht eher kleine Brösel, die sich von dem 'Felsblock Zölibat' lösen?
Müller: Wenn ein Fels erst einmal zu bröckeln oder auch zu bröseln beginnt, dann ist dieser Erosionsprozess nicht zu stoppen. Übertragen auf die katholische Kirche bedeutet dies, wenn ich Papst Franziskus richtig verstehe, dass es bald nicht mehr nur Ausnahmen gibt. Dazu zählen zum Beispiel verheiratete evangelische Priester, die zur katholischen Kirche übergetreten sind. Es ist dann wie bei den katholischen Priestern der Ostkirche, die verheiratet oder zölibatär leben – und wie es zum Beispiel das Modell 'Korinthpriester' beschreibt.
Was versteht man unter sogenannten Korinthpriestern?
Müller: Dieses Modell lehnt sich an die biblische Gemeinde von Korinth an. Dort wurden bewährte Männer zu Priestern berufen und geweiht. Sie durften aber nur in dieser Gemeinde tätig sein und der Eucharistiefeier vorstehen. Es gibt auch noch die Pauluspriester. Damit sind die gängigen Priester gemeint, die das Priesterseminar besucht haben, geweiht wurden und sich verpflichtet haben ehelos zu leben. Das Modell der Korinthpriester griff etwa der brasilianische emeritierte Bischof Erwin Kräutler auf. Er wollte mit diesem Modell in den riesigen Gemeinden in seiner Diözese Xingu die Eucharistie gewährleisten.
Papst Franziskus spricht in dem „Zeit“-Interview aber nicht von Korinthpriestern, sondern von Priestermangel für ländliche Gebiete mit wenigen Katholiken oder von braven Frauen, die am Sonntag Wortgottesdienste ohne Eucharistie feiern. Und er spricht von einem Mangel an Berufungen.
Müller: Aber er spricht auch von den Viri probati beziehungsweise, dass man darüber nachdenken müsste, ob diese bewährten katholischen Männer bestimmte Aufgaben übernehmen könnten, etwa in weit entlegenen Gemeinden. Wenn ich Papst Franziskus richtig verstehe, dann meint er, dass sie zum Priester geweiht werden könnten, ob sie nun verheiratet sind oder nicht.
Also aus der Not heraus beziehungsweise wegen des Priestermangels bewegt sich was?
Müller: Dieses Modell wäre ein entscheidender Schritt, ich würde fast sagen, ein revolutionärer Prozess, der uns auf alle Fälle weiterführt.
Sie schöpfen also Hoffnung?
Müller: Ich habe ja schon öfter gesagt, zuletzt bei meiner Verabschiedung als Leiter des Recollectio-Hauses vor fast einem Jahr, dass ich es noch erleben werde, dass sich das mit dem Zölibat verändern wird. Und mit den Viri probati, den bewährten Männern, geht es in die richtige Richtung.
Ein Schritt wäre auch gewesen, wenn der Zölibat nicht mehr verpflichtend, sondern freiwillig wäre. Wenn es also verheiratete Pauluspriester und ehelose Korinthpriester geben könnte, je nachdem, für welche Lebensform sie sich entscheiden.
Müller: Das ist die ambivalente Botschaft des Papstes: Eine Lockerung des Zölibats wird es wohl unter seinem Pontifikat nicht geben. Dabei wäre es an der Zeit, dass auch Pauluspriester frei wählen dürften.
Und von bewährten Frauen, die zu Priesterinnen geweiht werden können, ist auch keine Rede.
Müller: Da hat sich der Papst leider ziemlich fest positioniert und hält an einer Verlautbarung von Papst Johannes Paul II. fest. Der hat die Tür für die Frauenordination zugemacht. Aber, man könnte diese Türe auch wieder aufmachen. Ein kleiner Spalt wird die Türe ja über die Überlegung zum Diakonat der Frau geöffnet.
Das laut Interview aber als historisches Projekt angelegt ist. Erst mal erforschen, wie es in der Vergangenheit war.
Müller: Ich denke, wenn der Papst das schon mal als Projekt ankündigt, dann könnte es sein, dass er auch in diese Richtung gehen möchte – obwohl er das explizit nicht gesagt hat.
Also ist es insgesamt ein kleiner Schritt für die Katholiken?
Müller: Auch kleine Schritte können eine Dynamik in Gang bringen, die zu einer Lockerung des Zölibats und langfristig auch zum Frauenpriestertum führen können. Ich bin schon auf die Reaktionen gespannt, bin aber überzeugt, dass die Mehrheit der deutschen Bischöfe die Worte des Papstes positiv aufnimmt. Manche werden aber sicher auch enttäuscht sein, dass er nicht noch weiter gegangen ist. Letztlich vertraue ich wie Papst Franziskus auf den Heiligen Geist. Er hat ja in dem Interview gesagt, in der Kirche gehe es stets darum, den richtigen Augenblick zu erkennen, wann der Heilige Geist nach etwas verlangt. Deshalb werde über die Viri probati weiter nachgedacht.
Also heißt es weiter abwarten?
Müller: Ich bin ja momentan in Israel, in Tabgha am See Genezareth. Dort soll Jesus dem Petrus das Petrusamt übertragen beziehungsweise zum ersten Papst gemacht haben.
Ich werde heute noch in die Primatskapelle gehen und dort für Papst Franziskus beten, dass er das wirklich mit den Viri probati umsetzt – und ich werde auch dafür beten, dass der richtige Augenblick erkannt wird, wenn der Heilige Geist die Lockerung des Zölibats verlangt. Für mich ist dieser Augenblick längst da.