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SCHWARZACH
Wunibald Müller verlässt Recollectio-Haus
Recollectio Haus in Münsterschwarzach, Wunibald Müller
Foto: Theresa Müller
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:03 Uhr

Der Zimmerbrunnen plätschert nicht mehr. In der Regalwand stehen nur noch wenige Bücher. Die Atmosphäre des Raums hat sich spürbar verändert. Wunibald Müller zieht aus. „Ich habe jeden Tag etwas mitgenommen“, sagt er. Während er nach außen hin schrittweise Abschied nimmt, macht er am Samstag einen „Cut“, einen scharfen Schnitt. Der 65-Jährige wird an diesem Tag offiziell verabschiedet. Ab Sonntag ist er dann „nur“ noch Psychotherapeut und Theologe – und nicht mehr der Leiter einer Einrichtung, die bundesweit einzigartig ist.

Seit 25 Jahren gibt es das Recollectio-Haus der Abtei Münsterschwarzach (Lkr. Kitzingen). Und genauso lange hat Wunibald Müller zusammen mit seinen Mitarbeitern Menschen in Krisensituationen geholfen.

Eine Idee aus den USA

„Es war ja meine Idee. Ich habe sie als Student in Amerika kennengelernt und dann mit nach Deutschland genommen“, erzählt er. In den USA gab es ein „House of Affirmation“, ein Haus der Bestärkung. „Daran erinnerte ich mich, als ich bei meiner ersten Arbeitsstelle in der Diözese Freiburg Priester und kirchliche Mitarbeiter unterstützt habe, die Probleme hatten.“ Das war vor 30 Jahren.

Bereits damals schwebte Wunibald Müller vor, eine feste Anlaufstelle zu schaffen – ein Haus, in dem Kleriker, Ordensmitglieder, kirchliche Mitarbeiter, Männer und Frauen sich für einige Zeit aus ihrem Alltagsleben zurückziehen können, um mit professioneller Hilfe ihre Lebenskrise zu bewältigen. Münsterschwarzach war der Ort, an dem der Psychotherapeut und Theologe seine Idee verwirklichte. Zur Abtei hat Müller eine innige Verbindung. Er verbrachte dort seine Schulzeit.

„Ich habe Pater Anselm Grün und Abt Fidelis meine Idee erläutert.“ Es gab einige Anfangsschwierigkeiten, erinnert sich Müller. Die Abtei habe zugesagt unter der Bedingung, dass sich auch die Diözesen beteiligen. Dort waren zunächst Vorbehalte da – „gegenüber der Psychiatrie und vor allem gegenüber der Psychoanalyse. Es gab die Angst, dass das dem Glauben abträglich wäre, wenn die Leute sich damit beschäftigen.“

Aber dann – im April 1991 – waren die Hürden überwunden. Wunibald Müller hatte die Zweifler überzeugt. Heute tragen neun Diözesen seine Idee finanziell mit.

Der Gebäudetrakt, wo früher die Kollegstufe untergebracht war, wurde zum Recollectio-Haus. Das Wort kommt aus dem Lateinischen: „recolligere“ bedeutet „sich erholen“, „sicher wieder einsammeln“ – letztlich nichts anderes als sich stärken, bestärken – affirmieren. Hinzu kommt in Münsterschwarzach der starke „spirituelle Kontext“. Das unterscheidet das Recollectio-Haus von den meisten psychosomatischen Einrichtungen, so Wunibald Müller.

Gefühlt wie ein Nestbeschmutzer

Anfangs waren mehr Frauen da. Sie seien ohnehin eher bereit, zu ihren Schwächen zu stehen, sagt der Psychotherapeut. „Dann haben auch Männer, Ordensleute wie Priester, sich eingestehen können, dass sie Hilfe brauchen.“ Insgesamt kamen bis heute rund 1600 Männer und Frauen ins Recollectio-Haus. Das spricht für den Erfolg. „Viele sagen, das war die beste Zeit ihres Lebens.“

Für manche wird der Besuch im Recollectio-Haus für einen Wendepunkt stehen. Wunibald Müller hat Priestern und Ordensfrauen geholfen, die Frage „Für immer?“ für sich beantworten zu können. Nicht alle haben sie nach der Zeit in Münsterschwarzach mit „ja“ beantwortet. Andere hätten gelernt, ihre Homosexualität anzunehmen und sich dennoch als „Gottes geliebte Söhne“ zu sehen, obwohl sie in der Kirche nicht willkommen sind. Überhaupt gehörten die Themen Sexualität, Zölibat, Beziehungsfähigkeit, ebenso Erschöpfung – und Enttäuschung darüber, dass man sich zum Beispiel als Priester sehr engagiert, aber die Kirche immer leerer wird –, in den vergangenen 25 Jahren zu den „Dauerbrennern“.

Das hat nicht allen in den Bistumsleitungen gefallen. So erinnert sich Wunibald Müller an die Bemerkung eines Generalvikars. Er habe seine Arbeit gelobt, aber gefragt, ob er denn immer in der Öffentlichkeit über Homosexualität in der Kirche, Zölibat – und auch über sexuellen Missbrauch reden müsse. „Er gab mir das Gefühl, ich sei ein Nestbeschmutzer. Heute ist das nicht mehr der Fall.“ Die Zeit hat gezeigt, wie dringlich es ist, sich mit diesen Problempunkten auseinanderzusetzen – in internen Gesprächen, Schulungen in Priesterseminaren, in Vorträgen für alle.

Wunibald Müllers langjähriger Kollege Ruthard Ott wird sein Nachfolger. „Ich werde ihm nichts reinreden, er hat das Recht, sein eigenes Profil in gutem Sinne zum Ausdruck zu bringen.“ Müller will nun Bücher schreiben, auch Beratungsgespräche führen – und sich weiterhin zu Wort melden. „Die neue Freiheit und Unabhängigkeit, die mir jetzt gegeben wird, die werde ich nutzen – mit aller Loyalität der Kirche gegenüber.“ Diejenigen, die jetzt denken würden, dass er nun weg vom Fenster ist, „die freuen sich zu früh“, sagt Wunibald Müller lachend. Er hat noch viel vor.

 
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