Sie hat Würzburgs Geschichte in allen Höhen und Tiefen erlebt, über ihre Erfahrungen vielfach berichtet, war die erste "Miss Würzburg" und ist zuletzt Hauptfigur eines Romans geworden: Jetzt ist Ilse Schiborr im Alter von 94 Jahren gestorben.
Geboren wurde sie am 3. September 1927. An ihrem zwölften Geburtstag 1939 erklärten England und Frankreich Deutschland nach dem Überfall auf Polen den Krieg. Das Mädchen saß an jenem Tag im Wohnzimmer in der Simon-Breu-Straße 18 mit den Eltern vor dem Radio, als die Durchsage kam. Der Vater, der im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, machte ein bedenkliches Gesicht. Er wusste, was Krieg bedeutet, Ilse sollte es auf schmerzliche Weise herausfinden.
llse Schiborr, die bis kurz vor ihrem Tod in der Lindleinsmühle wohnte und deren Mann 2020 gestorben ist, war eine der wichtigsten Zeitzeuginnen der jüngeren Würzburger Geschichte, denn sie war oft nahe am Geschehen. In den Monaten vor dem 16. März 1945, den sie im Luftschutzkeller am Letzten Hieb erlebte, arbeitete sie als Funkerin im Beton-Hochbunker von NDSDAP-Gauleiter Otto Hellmuth, der direkt neben dem Luftschutzkeller lag und der erst 1988 abgerissen wurde. Sie sah, dass Hellmuth und seine Bonzen-Kollegen Essen im Überfluss hatten, während die Würzburger hungerten.
So steht es in ihrem umfangreichen Lebensbericht, den sie vor einigen Jahren dem Stadtarchiv übergeben hat. Er enthält eine der beeindruckendsten Schilderungen von Würzburgs dunkelsten Stunden an jenem 16. März 1945.
Nach der Zerstörung der Stadt wurden Ilse Schiborr und ihre Mutter nach Geroldshausen und Uengershausen evakuiert. Im Mai 1945 nach Würzburg zurückgekehrt, lebten beide zunächst in einem Zimmer in ihrer inzwischen mit einer Flüchtlingsfamilie belegten Wohnung und dann, nach der Beschlagnahme des Hauses durch die amerikanischen Besatzer, in verschiedenen anderen Zimmern auf beengtem Raum. Ilse beteiligte sich an der Trümmerräumung in der Neuen Universität am Sanderring, da in der Stadt nur bleiben durfte, wer eine Arbeit nachweisen konnte.
Im Oktober 1948 wurde Ilse Schiborr die erste "Miss Würzburg"
Die Amerikaner, die ihr das Heim genommen hatten, spielten danach eine positive Rolle in ihrem Leben. Auf dem in Leighton Barracks umbenannten Flugplatz am Galgenberg war sie Dolmetscherin eines US-Offiziers, der die Werkstätten leitete, in denen Deutsche beschäftigt waren. Die Frau des Captains schenkte ihr gelegentlich Zigaretten, denn sie wusste, dass sie auf dem Schwarzmarkt in dringend benötigte Lebensmittel umgetauscht werden konnten.
Im Oktober 1948 fand die erste "Miss Würzburg"-Wahl der Nachkriegszeit in den Huttensälen statt. Ilse Schiborr wollte sich eigentlich nur einen schönen Abend bei einem der ersten gesellschaftlichen Ereignisse im noch weitgehend zerstörten Würzburg machen, wurde aber von den Veranstaltern auf die Bühne geholt und vom Publikum zur Siegerin gekürt. Die Schärpe, die ihr nach dem Sieg umgelegt wurde, hat sie ebenfalls dem Stadtarchiv übergeben.
Der Abend hatte langfristige Auswirkungen: Ilse Schiborr arbeitete zeitweise als Mannequin – im In- und Ausland und auch in der Heimatstadt, so etwa im eleganten "Café Falkenhof". Sie hatte – neben dem Schreiben – eine ihre Berufungen gefunden: Noch vor einigen Jahren stellte sie im Seniorenheim Miravilla Mode für die ältere Dame vor.
1955 zeigte sie dem Hollywoodstar Peter van Eyck ihre Heimatstadt Würzburg
Der Zufall spielte auch eine große Rolle, als die 27-Jährige im Sommer 1955 auf der Festung als Statistin an den Dreharbeiten zum Rilke-Film "Der Cornet" mitwirkte. Eines Tages fragte einer der Hauptdarsteller, der Hollywoodstar Peter van Eyck, ob sie ihm an einem drehfreien Tag ihre wiedererstehende Heimatstadt zeigen könne. Sie konnte, und auch dies ist in ihren Erinnerungen nachzulesen.
Ilse Schiborr, Mutter zweier Töchter, hat Auszüge aus ihrem umfangreichen Lebensbericht in den vergriffenen Büchern "Meine Jugend in Würzburg" und "Zukunft, die aus Trümmern wuchs" veröffentlicht. Bei vielen Veranstaltungen – beispielsweise für "Trümmerfrauen" im Rathaus – und auf einer DVD der Main-Post mit historischen Würzburg-Filmen ließ sie andere präzise und ohne Selbstmitleid an ihren Erfahrungen teilhaben.
Ilse Schiborrs Leben ist Thema eines neuen Romans von Eva-Maria Bast
Kurz bevor sie starb ist der Roman "Miss Würzburg" von Eva-Maria Bast erschienen. Schon im Krankenhaus liegend, erhielt Ilse Schiborr das Buch und freute sich über diese besondere Würdigung. Der im Gmeiner-Verlag veröffentlichte Roman basiert auf ihren Erinnerungen, doch hat Eva-Maria Bast die Erlebnisse der Hauptfigur, die bei ihr Luise Meindorf heißt, gelegentlich um erfundene Episoden ergänzt.
Das Buch setzt mit dem 16. März 1945 ein und kontrastiert dann die von Hunger und Wohnungsnot gekennzeichnete Existenz der Hauptfigur im Würzburg der Nachkriegszeit mit ihrer gleichzeitigen Karriere als Mannequin, wodurch sie für viele Menschen zur Verkörperung des Wunsches auf ein besseres Leben wurde.
In diesem Roman und in ihren eigenen Aufzeichnungen lebt Ilse Schiborr weiter.