Der neun Monate alte Leonard spielt unterm Schreibtisch, oben drüber tippt Eva-Maria Bast auf der Tastatur. Die 42-jährige Schriftstellerin und Lebenspartnerin von Würzburgs OB Christian Schuchardt ist Mutter von fünf Kindern und sowohl als Verlegerin wie auch als Autorin gut im Geschäft.
Ihr neuester Roman "Die Douglas-Schwestern", den sie gemeinsam mit Co-Autor Jørn Precht unter dem Pseudonym "Charlotte Jacobi" geschrieben hat, stieg kurz nach der Veröffentlichung Ende November auf Platz 24 in die Spiegel-Bestsellerliste ein. – Ein Gespräch übers Romanschreiben, die Lust an der Recherche und gut geplante Arbeitstage.
Eva-Maria Bast: Dozentin für Recherchetechnik und Storytelling an der Hochschule für Medien in Stuttgart könnte man noch erwähnen.
Bast: Leider auch nur 24. Es kommt also sehr auf Disziplin an. Am Tag habe ich vormittags sechs Stunden zur Verfügung, bis meine beiden Jungs aus der Schule und dem Kindergarten kommen. Das heißt für mich, dass ich sehr strukturiert arbeiten muss. Ich habe gelernt, jede Minute zu nutzen. Wenn ich unterwegs bin, habe ich immer meinen Laptop dabei und fange sofort an zu arbeiten, wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Ich arbeite auch mal abends und nachts, wenn die Kinder schlafen.
Bast: Im Prinzip ja, es gibt aber schon Dinge, die mich extrem stören, zum Beispiel, wenn jemand Musik hört. Ansonsten funktioniert das. Wenn ich schreibe, habe ich immer mein eigenes Zimmer dabei, also einen gedanklichen Raum, in den ich mich zurückziehen und in meine Welt abtauchen kann. Diesen Raum kann ich mir immer und überall schaffen. Vor Corona bin ich viel mit dem Zug gefahren. Ich habe die Landschaft vorbeiziehen sehen und konnte da wunderbar arbeiten, denn man wird ja auch durch die Dinge inspiriert, die man sieht. Ich bin immer im Aufnahmemodus, und ich beobachte viel. Zum Beispiel im Lokal. Ich studiere die Bewegungsabläufe und überlege mir: Warum macht der die? Sind die künstlich oder kommen sie aus ihm heraus? Was ist die Geschichte der Leute, die da gerade sitzen? Sind sie verheiratet? Oder ein heimliches Liebespaar?
Bast: Mit den historischen Romanen fing es schon vor dem Journalismus an. Mich hat das Leben meiner Großeltern interessiert. Mein Großvater war Pfarrer der Bekennenden Kirche und ist damals von den Nazis von der Kanzel weg verhaftet worden. Er und die anderen inhaftierten Pfarrer haben dann aus ihren Zellen heraus in den Gefängnishof hinein "Ein feste Burg ist unser Gott" gesungen. Diese Szene habe ich mir oft vorgestellt. Auch meine Großmutter hat mir viel erzählt. Daraus ist das Manuskript für meinen ersten Roman geworden. Es hat aber noch Jahre gedauert, bis ich tatsächlich den Einstieg ins Schriftstellerdasein fand. Ich habe dann erst zwei Krimis geschrieben, bis ich meiner Lektorin von meinem historischen Roman erzählt habe. Den Stoff habe ich komplett überarbeitet, daraus ist dann die Mondjahre-Reihe entstanden, die inzwischen fünf Teile hat. Aber eigentlich lässt sich das Journalistische und Schriftstellerische bei mir gar nicht so genau trennen. Ich könnte das eine nicht ohne das andere machen, weil ganz viele Ideen für die Romane aus meiner Arbeit als Journalistin entstehen.
Bast: Mein sechsjähriger Sohn hat mich gefragt, ob Sankt Martin in Corona-Zeiten eigentlich noch seinen Mantel teilen darf. Er könnte ja den Bettler anstecken. Ich fand das eine Hammerfrage, in der so viel drin steckt. Viele soziale Verhaltensweisen, die unsere Kinder in diesem Alter lernen, fallen ja jetzt weg. Und viele Eltern stellen sich jetzt wohl die Frage: Wie bringe ich mein Kind richtig durch die Krise? Was antworte ich ihm auf solche Fragen? Und wie bleibe ich selber stark dabei? Das Buch soll ein innerer Leitfaden für Eltern in der Corona-Krise sein und auch praktische Tipps geben. Der Teil-Lockdown seit November war für mich ein zusätzlicher Ansporn, das Buch schnell herauszubringen, zunächst als E-Book.
Bast: Einerseits gibt es zurzeit auf dem Buchmarkt ein großes Interesse an dieser Zeitspanne, das ist ein richtiger Trend. Und dann ist es auch so, dass ich mich mit dieser Epoche sehr intensiv beschäftigt habe und inzwischen auf ein großes Wissen zurückgreifen kann. Was nicht bedeutet, dass es für jedes Buch nicht noch genug zu recherchieren gibt. Für den Roman über Straßburg "Die Patisserie am Münsterplatz", der nächstes Jahr erscheint, habe ich vorher trotzdem noch 20 Bücher gelesen.
Bast: Bei den historischen Romanen auf jeden Fall. Ich möchte Geschichten liefern, die absolut funktionieren, die also stimmen. Dass also beispielsweise eine Frau in dem Roman sich so verhält, wie sie sich tatsächlich damals verhalten hätte. Oder dass historische Figuren auftauchen, die dort hätten auftreten können. Bei jeder Recherche fallen außerdem ganz viele kleine Dinge ab, die ich mir innerlich notiere. Das bedeutet, dass ich ständig Informationen sammle, die mir neue Ideen bringen. Ich muss mich also nicht hinsetzen und auf eine Idee für ein neues Buch warten. Die Ideen kommen ständig.
Bast: Ganz wunderbar. Die Figuren der Romane werden zu gemeinsamen Bekannten, ja Familienmitgliedern. Das hilft besonders, wenn wir um die Figuren ringen, also auch mal unterschiedlicher Meinung sind. Von der praktischen Seite her arbeiten wir so, dass wir erst mal ein Gerüst anhand historischer Fakten bauen. Danach entsteht das Handlungsgerüst: Auf etwa 100 Seiten unterteilen wir die Kapitel und schreiben auf, wann von den äußeren Handlungen her was passieren müsste. Dann kommt der kreative Prozess – und der ist oft überraschend! Es kommt häufig vor, dass sich die Geschichte auf dem Papier ganz anders entwickelt als man sie sich vorher ausgedacht hat. Es kann schon passieren, dass ein Protagonist dann plötzlich stirbt und ich als Autorin davon selbst überrascht bin und für die weitere Handlung noch mal umdenken muss.
Bast: Jeder schreibt Szenen und Kapitel und schickt sie dem anderen. Dann stimmen wir uns ab. Es kann vorkommen, dass wir gegenseitig unsere Texte noch mal komplett umschreiben. Aber wir haben einen sehr ähnlichen Stil, so dass wir manchmal gar nicht mehr wissen, wer welchen Satz geschrieben hat.
Bast: Frauenfiguren stoßen derzeit auf ein enormes Interesse. Ich finde es unheimlich interessant, was unsere Vorgängerinnen geleistet haben, unter Bedingungen, die wir uns teilweise gar nicht vorstellen können. Und es gibt eben so unglaublich viele faszinierende Frauengestalten, die zum Teil in Vergessenheit geraten sind, weil die Geschichtsschreibung immer noch sehr männlich ist. Ich will also auch zeigen, was Frauen in der Vergangenheit geschafft haben, also zu einer Zeit, in der sie viel weniger Rechte hatten.
Bast: Wer sich für die Geschichte von Frauen interessiert und dafür, welche Rechte sie sich erkämpfen mussten, der wird schnell in die Feminismus-Ecke gestellt. Da bin ich überhaupt nicht. Ich finde auch, dass wir mit der Gleichberechtigung sehr weit vorangekommen sind. Das haben wir den Vorfahrinnen zu verdanken, die kämpfen und sich befreien mussten. Mich interessiert: Wie haben diese Frauen sich gefühlt, als sie das erste Mal wählen durften? Und vor allem: In welcher Lebensrealität befanden sie sich damals? Mir fällt da zum Beispiel das Schicksal von Kaiserin Sisis jüngster Schwester Sophie ein, die im Laufe ihres Lebens drei Partner hatte. 'Na und? sie hat sich eben verliebt!', würde man heute sagen. Damals wurde sie für psychisch krank erklärt, man begoss sie mit Eiswasser, um sie zu therapieren. Das muss man sich mal vorstellen! Mit meinen Romanfiguren will ich zeigen, wie Frauen damals durchs Leben gekommen sind. Übrigens nicht nur mit den Romanen, sondern auch mit der Zeitschrift "Women’s History", deren Chefredakteurin ich bin.
Bast: Unterhaltungsliteratur heißt nicht, dass das schlechte Bücher sind oder keine ernst zu nehmenden. Sowohl mit der Geheimnisse-Reihe als auch mit meinen historischen Romanen möchte ich den Leuten Geschichte vermitteln, ohne dass es anstrengend ist. Ich weiß, welches historische Wissen in meinen Büchern steckt. Die Leute bekommen sozusagen Geschichtsunterricht und haben Spaß daran.
Bast: Der Grund waren die „Würzburger Geheimnisse“, deren erster Band 2014 erschien. Ich wollte vor Ort recherchieren.
Bast: Sehr offen! Die Menschen empfand ich als unheimlich nett. Aber natürlich musste ich einiges dazulernen. Bei einem meiner ersten Gesprächstermine war ständig vom „Mee“ die Rede. Ich dachte mir: Das muss wirklich was ganz Wichtiges sein, wenn die Leute hier dauern davon sprechen. Ich habe mich aber nicht getraut, danach zu fragen. Es hat dann eine ganze Weile gedauert, bis ich wusste, dass es um den Main geht. Inzwischen weiß ich nicht nur, was der „Mee“ ist, ich bin auch mental in der Stadt angekommen.
Bast: Ich habe ihn im Zuge meiner Arbeit in Würzburg kennen und lieben gelernt. Und ja, ich fühle mich in Würzburg sehr wohl und habe mich in der Stadtgesellschaft schnell aufgenommen gefühlt. Gleichzeitig merke ich aber auch, dass ich in Überlingen noch sehr verhaftet bin, dass ich da ein sehr starkes Heimatgefühl verspüre. Ich kenne dort ja praktisch jeden Stein.
Bast: Ein klares Jein. Ich sehe das so, dass ich zwei Heimaten habe und die eine nicht für die andere aufgeben muss.
Bast: Gut! Die Geschwister lieben den Leo, und er liebt sie. Und er vermisst sie, wenn die großen Geschwister nicht da sind. Das ist für alle natürlich ein Abenteuer – aber ein schönes!