Unter älteren Würzburgern ist es ein beliebtes Gesprächsthema: Das Schwärmen von der alten Stadt vor der Zerstörung beim Bombenangriff am 16. März 1945. Und so ist es kein Wunder, dass die Zeitzeugen auf der neuen DVD „Würzburg – die Jahre 1929 bis 1956“, die am Mittwoch im Central-Programmkino Premiere hatte, in den höchsten Tönen schwärmen, wenn sie sich erinnern.
Ein Gesamtkunstwerk sei die Stadt damals gewesen, romantisch und reizvoll, eine elegante Stadt mit südlichem Charakter und ansprechenden Geschäften und kinderfreundlich, weil damals erst sehr wenige Autos auf den Straßen unterwegs waren. Viele Filmsequenzen, die älteste stammt aus dem Jahr 1929, untermauern diesen Eindruck vom idyllischen Würzburg. Und es gibt einige sehr schöne Bilder vom Treiben auf den Waschschiffen am Main.
Filme aus Privatbesitz
Es sind Bilder, die größtenteils noch nie öffentlich zu sehen waren. Denn sie stammen aus privatem Besitz und lagerten oft jahrzehntelang in Schränken, Kellern oder Kisten. In Kooperation mit der Marburger Medienproduktion „art & weise“ hatte die Main-Post dazu aufgerufen, alte Filme für eine DVD über Würzburg zur Verfügung zu stellen.
Die Resonanz war überwältigend. Es kam so viel Material zusammen, dass noch zwei weitere DVDs über die Zeit nach 1956 folgen werden. Die zweite wird voraussichtlich im Februar erscheinen und wird vor allem den Zeitraum der 50er und 60er Jahre abdecken, die dritte ist zur Jahresmitte 2018 geplant. Zwei öffentliche Präsentationen der DVD im Central-Kino waren in kürzester Zeit ausverkauft und auch am Freitag, dem ersten Verkaufstag der Dokumentation, fand sie in den Main-Post-Geschäftsstellen bereits reißenden Absatz.
Seit 80 Jahren wird in Würzburg eine Sportart gepflegt, die heutzutage nur noch wenig im Rampenlicht steht: das Rhönradturnen, das heute noch in der TG Würzburg eine eigene, 1925 gegründete Abteilung hat. Der Film zeigt historische Aufnahmen von Rhönrad-Turnern in den Straßen Würzburgs, die manchen Zuschauer schmunzeln ließen. Damit endet dann auch der idyllische Teil der Dokumentation, denn es folgen die dunklen Jahre der Geschichte Würzburgs.
Die Nazis fassen in Würzburg Fuß
Wie auch andernorts schien nach der NS-Machtergreifung zunächst alles nicht so schlimm zu sein, wie es dann tatsächlich wurde. Ado Schlier und Ilse Schiborr erinnern sich an ihre Zeit in den Jugendorganisationen der Nazis. Sie denken zurück an schöne Gemeinschaftserlebnisse, aber auch daran, dass die Jungen regelmäßig „antreten und marschieren“ mussten. Viele waren auch in der katholischen Kirche tätig, was nicht selten Prügel von der Hitlerjugend nach sich zog. Und es dauerte nicht mehr lange, bis auch in Würzburg die ersten Juden deportiert wurden. „Das war großes Unrecht. Das hätte nicht sein dürfen“, sagt die 92-jährige Zeitzeugin Lydia Weiß traurig. An einen Besuch Hitlers erinnert sich Hilde Müller-Tamm (90), sie verfolgte ihn als Jugendliche: Der Führer sei von Würzburg enttäuscht gewesen, weil ihm hier zu wenig zugejubelt worden sei.
Letzte Bilder vom alten Würzburg
Vom sommerlichen Frühlingstag des 16. März 1945 zeugen die ersten Farbaufnahmen der DVD. Es sind die letzten Bilder vom unzerstörten Würzburg. Doch der blaue Frühlingshimmel wurde nur wenige Stunden später vom Bombenhagel und dem folgenden Feuersturm abgelöst. Es sind nur ein paar verschwommene Nachtaufnahmen, die den Beginn des Angriffs zeigen, doch am nächsten Morgen konnte man das ganze Grauen sehen, das in der Nacht angerichtet worden war. „Mich hat die Hölle empfangen“, sagt einer, der das damals miterleben musste.
US-Soldaten marschieren ein
Weniger drastisch sind die Eindrücke von den wenig später einmarschierenden US-Soldaten. Denn sie kamen nicht als Feinde, auch wenn sie noch Häuser durchkämmten, Waffen vernichteten und deutsche Kämpfer verhafteten. Bilder, die so noch nie öffentlich zu sehen waren. Ein US-Soldat bettelte um ein paar Eier, die er auch bekam, dafür schenkte er eine Tafel Schokolade. Doch die traute sich Ilse Schiborr nicht zu essen, aus Furcht, dass sie vergiftet sein könnte. „Die Amerikaner waren keine Menschenfresser“, so das Fazit von Ado Schlier, andere hielten ihre Anwesenheit für „ein irrsinniges Glück“.
In einer katholischen Stadt, die Würzburg war und ist, spielten natürlich auch kirchliche Ereignisse eine Rolle. 1948 war es die Weihe von Bischof Julius Döpfner im nicht allzu schwer beschädigten Neumünster, die durch Filmmaterial der Diözese ebenso ausführlich dokumentiert ist wie 1949 die Rückkehr der Kilians-Reliquien, die in Gerolzhofen in Sicherheit gebracht worden waren. Für die zahlreichen Würzburger, die bei der Prozession die Straßen säumten und von Ruinen aus zuschauten, war dies ein Stück Rückkehr zur Normalität.
Die Zeit des Wiederaufbaus
In der Folge stand dann der Wiederaufbau der Stadt im Vordergrund. Hieran können sich besonders die weiblichen Zeitzeugen erinnern, denn die Männer waren noch nicht aus dem Krieg zurückgekehrt. Mit einfachem Werkzeug wurde der Schutt in Handarbeit beseitigt. Und was für die einen harte Arbeit war, nämlich die Beseitigung der Ruinen, das waren für die Kinder Abenteuerspielplätze. Geblieben ist auch die Erinnerung daran, dass diese Phase von großer gegenseitiger Hilfsbereitschaft geprägt war.
Für die vielen anwesenden Zeitzeugen, die im Film zu Wort kamen und bei der Premiere anwesend waren, waren es bewegende eineinhalb Stunden, denn auch sie sahen den Film zum ersten Mal. Berührt war auch Bürgermeisterin Marion Schäfer-Blake. „Das ist ein ganz tolles Zeitdokument, das wir jetzt hier haben“, bilanzierte sie die zurückliegenden 90 Minuten.
Reaktionen der Zeitzeugen
Hilde Müller-Tamm war als beteiligte Zeitzeugin „überwältigt, dass jetzt für alle Zeit meine Kinder und Enkel das anschauen können“. Bei Elisabeth Müller sind während des Films „Emotionen hochgekommen“. „Ich habe mich wieder als kleines Mädchen gesehen, wie ich durch den Schutt gelaufen bin“, sagte sie und fuhr fort: „Die Zeit war furchtbar, aber wir haben viel gelernt. Und wir waren zufriedener als viele Menschen heute“. Horst Kolesch vom Juliusspital-Weingut zeigte sich „froh, dass wir bei der Herstellung des Films dabei sein konnten.“ (Das Juliusspital stellte seinen Gartenpavillon für die Zeitzeugen-Interviews zur Verfügung). „Das ist ein ganz wichtiges Werk, das ganz sicher viele Freunde und Liebhaber finden wird“, so Kolesch.
Ilse Schiborr sagte nach dem Film, bei ihr seien dadurch „Erinnerungen wach geworden, die nie ausgelöscht werden können“. Jedoch sehe sie heute die Ereignisse von damals emotional mit etwas Abstand. Georg Götz sprach von einer „hervorragenden Dokumentation und Zusammenstellung“. Bei jeder Szene, die er persönlich miterlebt habe, seien bei ihm viele Erinnerungen wieder lebendig geworden.
Wie der Film entstand
Bis der 90-minütige Film, der erkennbar einer ausgeklügelten Dramaturgie folgt, fertig war, hatte Bernd Nebeling, Geschäftsführer von „art & weise“, zunächst einmal rund 40 Stunden Filmmaterial zu sichten. Jeder einzelne Film wurde angeschaut und schriftlich protokolliert. Danach wurde das Material sortiert und die wichtigen Themen ausgewählt. Die ausgewählten Filme wurden dann digitalisiert, weil man sie so leichter bearbeiten konnte. So entstanden zahlreiche kurze Filmsequenzen. Parallel dazu führte er Vorgespräche mit den Zeitzeugen, die sich nach einem Aufruf in der Main-Post gemeldet hatten. Dann wurden die Interviews geführt und nach Themen getrennt geschnitten. Anschließend wurden die einzelnen Filmschnipsel und die Interview-Ausschnitte wieder neu zusammengesetzt, um daraus innerhalb eines Jahres eine runde Geschichte entstehen zu lassen.
Es ist ihm offenbar gelungen, wie der große Applaus nach der Vorführung zeigte.
Die DVD „Würzburg – die Jahre 1929 bis 1956“ ist in allen Geschäftsstellen der Main-Post erhältlich, unter anderem in Würzburg, Plattnerstraße 14 (Öffnungszeiten Montag bis Freitag 9 bis 17 Uhr, Samstag: 10 bis 14 Uhr). Preis: 19,95 Euro. Bestellung im Internet: shop.mainpost.de