Es ist 10.04 Uhr an diesem Freitagmorgen, als sich die Tür zu einem Nebenraum öffnet und Abdirahman J. den Saal betritt. Drei Polizisten führen den Messerangreifer von Würzburg zu seinem Platz auf der Anklagebank in den Mainfrankensälen. Die Veranstaltungshalle in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg) ist zu einem Gerichtssaal umfunktioniert worden. Blitzlichtgewitter. Der Gang des Beschuldigten wirkt schleppend. Ob das an den Fußfesseln liegt oder eine Folge des Schusses in den Oberschenkel des Somaliers ist, mit dem ein Polizist den Horror vom Barbarossaplatz am 25. Juni 2021 beendete, wird nicht klar.
Überhaupt ist vieles unklar, was den verheirateten Mann aus Somalia betrifft, der im vergangenen Sommer an einem Freitagnachmittag binnen vier Minuten eine ganze Stadt in eine Schockstarre versetzt hat. Selbst hinter seinem Alter steht seit dem Prozessauftakt wieder ein Fragezeichen: Ursprünglich hatte es geheißen, der Messerangreifer sei am Tattag 24 Jahre alt gewesen, dann kam heraus, dass er bereits 32 Jahre alt gewesen sein soll. Wie viele Migranten war er 2015 ohne Pass nach Deutschland gekommen. Als ihn der Vorsitzende Richter Thomas Schuster am Freitag fragt, wann er geboren sei, antwortet Abdirahman J.: "1989." Wann genau? "Ich meine, mich zu erinnern, dass meine Mutter gesagt hat, im Dezember." Demnach hätte er mit 31 Jahren drei Frauen mit einem Messer getötet und sechs Menschen schwer verletzt.
Es wird still im Saal, als sich Oberstaatsanwältin Judith Henkel erhebt und zur Antragsschrift greift, die – statt einer Anklage – die Basis dieses sogenannten Sicherungsverfahrens sein soll. Auf zehn Seiten haben die Ermittler die Ereignisse am Barbarossaplatz detailliert zusammengefasst. Wie der Täter mit einem 32 Zentimeter langen Küchenmesser immer wieder "mit voller Wucht" in Nacken, Kopf und Oberkörper seiner wahllos ausgewählten Opfer einsticht. Wie er sie jagt. Wie sie sich wehren. Zu oft vergeblich.
Kann der in seiner grauen Jogginghose etwas verloren und scheu wirkende Mann auf der Anklagebank tatsächlich der selbe sein, von dem alle im Saal diese schrecklichen Bilder im Kopf haben: Wie er wie im Blutrausch über den Barbarossaplatz hetzt und mit einem Messer auf friedliche Mitmenschen losgeht? Daran besteht kein Zweifel.
Der etwa halbstündige Vortrag der Oberstaatsanwältin wird nur vom Gemurmel der Simultandolmetscherin begleitet, die zur Rechten des Täters sitzt und für ihn die Verhandlung ins Somalische übersetzt. Ob er dem Gesagten folgen kann und ob er in diesem Moment Erinnerungen an seine Taten hat – dem Beobachter kommen Zweifel.
Hat er in den ersten Minuten der Verhandlung noch starr geradeaus, scheinbar ins Leere geblickt, sind seine Augen nun zum Boden gerichtet. Vielleicht auch, weil er gegen seine psychische Erkrankung Medikamente einnehmen muss, wirkt der Beschuldigte vor Gericht etwas abwesend, in sich zusammengesackt. Ab und an schielt er scheinbar ungläubig, verstohlen in Richtung der Dolmetscherin. So als könne er die Ungeheuerlichkeiten, die Grausamkeiten selbst kaum glauben, die er da gerade hört.
Selbst will er sich zu der Attacke an diesem ersten Prozesstag nicht äußern. Über seinen Pflichtverteidiger Hanjo Schrepfer lässt er aber erklären, dass er die Taten "ausdrücklich" einräume, zu denen ihn "Stimmen im Kopf veranlasst" hätten. Sein Mandant habe sich für die Tat entschuldigt und empfinde Mitgefühl. "Er bedauert das Leid, das er vor allem den Opfern und den Angehörigen zugefügt hat."
Warum der "Held mit dem Rucksack" den Gerichtssaal wieder verließ
14 Betroffene treten in dem Prozess als Nebenkläger auf. Noch vor Verhandlungsbeginn erkundigt sich Richter Schuster am Freitagmorgen fürsorglich nach dem Zustand der Opfer, die am Prozess teilnehmen – entweder als Nebenkläger oder fast unerkannt unter den Zuschauern.
Auch auf Chia Rabiei geht Schuster noch vor Verhandlungsbeginn zu. Der Kurde, der sich seinen Rucksack schleudernd dem Messerangreifer auf dem Barbarossaplatz entgegengestellt hatte, war am Morgen "nervös und angespannt", sagt sein Anwalt Roj Khalaf. Am Freitag ist Rabiei einer der Ersten in den Mainfrankensälen, doch er wird nicht lange bleiben: Weil er nicht nur Nebenkläger, sondern auch als Zeuge vorgesehen ist, weist ihn Schuster darauf hin, dass seine Anwesenheit zu diesem frühen Zeitpunkt ein Nachteil sein könnte.
"Die Eindrücke, die er bis zu seiner Aussage gewinnt, könnten diese verfälschen", erklärt Khalaf. Nach dem Hinweis des Richters verlies Rabiei den Saal deshalb wieder. Am fünften Verhandlungstag wird er als Zeuge zurückkehren.
Es soll eben kein "kurzer Prozess" werden
Insgesamt 27 Prozesstage, verteilt auf fünf Monate, hat sich die Justiz gegeben, um zu einem Urteil zu kommen, das im Kern schon vorgezeichnet scheint: Der Mann auf der Anklagebank ist der Messerangreifer. Gleichzeitig halten zwei Gutachter den Täter wegen seiner paranoiden Schizophrenie für schuldunfähig. Ein Umstand, an dem das Gericht nicht vorbeikommt. Am Ende wird der Somalier wohl – womöglich bis zu seinem Lebensende – in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie untergebracht werden.
Warum dennoch so lange verhandelt wird? Ein Prozessteilnehmer zitiert den Schriftsteller Robert Musil: "Es ist schwer, der Gerechtigkeit in Kürze Gerechtigkeit widerfahren zu lassen." Michael Schaller, Sprecher des Landgerichts, erklärt es Medienvertretern gegenüber so: "Man kann die Terminplanung des Gerichts auch so verstehen, dass gerade in diesem Fall eben kein kurzer Prozess gemacht werden soll." Das Landgericht wolle der Sicht der Opfer ausdrücklich genug Raum geben.
Manche von ihnen sind bereit, im Zeugenstand dem Messerangreifer wieder gegenüberzutreten, um auszusagen. Eine schwer getroffene Passantin sagt dem Gericht am Abend vor Prozessbeginn jedoch ab. Sie hat nicht die Kraft, um am ersten Tag vor Gericht zu erscheinen. Ersatzweise wird ihre Aussage, die sie in einer polizeilichen Vernehmung gemacht hatte, am Freitag verlesen.
Als sich das Gericht am Mittag nach gut zwei Stunden vertagt, wirkt nicht nur Verteidiger Hanjo Schrepfer erleichtert, den Prozess ohne Zwischenfälle in Gang gebracht zu haben. Anwalt Bernhard Löwenberg, dessen Kanzlei fünf der Nebenkläger vertritt, zieht auf Nachfrage eine erste Bilanz: "Dass der Auftakt so betont ruhig verlief, ist sicher gut für das Verfahren." Seinen Mandantinnen und Mandanten gehe es nicht um Rache oder Hass, sagt Löwenberg: "Die Frage ist: Wie hat dieser Mensch sich so entwickelt – und was können der Staat und die Zivilgesellschaft tun, um so etwas für die Zukunft zu vermeiden."
Für solch eine Tat kann man sich nicht entschuldigen ! Auch nicht um eine Entschuldigung bitten!
Ich wünsche allen Prozessbeteiligten, welche NICHT auf der Anklage/Beschuldigten -Seite sitzen, dass sie diese vielen Tage einigermaßen "gut" und von Menschen die sie umsorgen und behüten, gut überstehen!
Es ist sehr erfreulich, dass man in Würzburg so flexibel ist, das Gericht zu verlegen wegen Kläger, Opfer, Corona, aber auch Zuschauer. Denken wir mal an das Debakel des NSU Prozesses und Ausschluss von Medien
Ihre Frage nach der langen Prozessdauer hat der Gerichtssprecher in unserem Text beantwortet:
"Michael Schaller, Sprecher des Landgerichts, erklärt es Medienvertretern gegenüber so: "Man kann die Terminplanung des Gerichts auch so verstehen, dass gerade in diesem Fall eben kein kurzer Prozess gemacht werden soll." Das Landgericht wolle der Sicht der Opfer ausdrücklich genug Raum geben."
Den Weg des Täters haben wir hier ausführlich recherchiert: https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/der-weg-des-taeters-chronologie-des-messerangriffs-von-wuerzburg-art-10676650
Viele Grüße,
Benjamin Stahl, Regionalredaktion
Wie ist der wohl hergekommen? Wir haben alle aufgenommen und müssen nun mit dem Leben was man uns ins Land gesetzt hat. Andere Länder sind klug, die suchen sich ihre Einwanderer sorgfältig aus!
Wir übernehmen doch so gern alles aus dem Land über dem grossen Teich. Zugegeben, vieles nur halb oder halbherzig. Aber die green card, eines der wirklich guten Dinge, die übernehmen wir nicht.