"Danke, Mann!" Ein Junge, vielleicht 16 Jahre alt, streckt Chia Rabiei am Montagmittag die Faust entgegen. Beide schlagen sich ab, schauen sich in die Augen, nicken einander freundlich zu. Ein paar Minuten später ist es eine Frau, die weiß, dass Chia einer der Helden des 25. Juni ist, der sich am vergangenen Freitag am Barbarossaplatz mit einem Rucksack dem Messerangreifer entgegenstellt hat. Sie klopft ihm auf die Schulter, sagt anerkennend "Danke" und bleibt einen Augenblick nachdenklich vor dem Blumenmeer stehen, das mittlerweile den Bürgersteig vor dem Tatort in der Würzburger Innenstadt bedeckt.
Noch nicht einmal drei Tage ist die schreckliche Tragödie her und Chia Rabiei steht wieder am Barbarossaplatz. "Das macht mir nichts aus", sagt er. "Ich fühle mich gut." Gestern noch hat sich Ministerpräsident Markus Söder nach der Kranzniederlegung bei ihm für seinen Mut bedankt, heute sind es die Menschen dieser Stadt, die spontan auf ihn zugehen und ihm einfach auf die Schulter klopfen. Denn in vielen Videos, die kurz nach dem Messerangriff in sozialen Medien die Runde machen, ist immer wieder Chia Rabiei zu sehen, der mal mit Rucksack, mal mit bloßen Händen versucht, den Mann mit dem Messer aufzuhalten. "Ich habe gesehen, wie er auf jemanden eingestochen hat, da musste ich was tun."
Die Helden von Würzburg sind mittlerweile deutschlandweit bekannt
42 Jahre ist der Kurde aus dem Iran alt. Er ist aus seinem Heimatland nach Deutschland geflohen, weil er politisch verfolgt werde, erzählt er. Zunächst lebte er in Bamberg für drei Monate im Ankerzentrum, seit 18 Monaten sei er in Würzburg. Hier lernt er gerade bei Kolping die deutsche Sprache. "Ich darf hier leben, ich bekomme Geld und habe eine Wohnung. Ich bin froh, dass ich jetzt etwas zurückgeben kann", sagt er. Und, dass er jetzt mit der Rettungsmedaille dafür ausgezeichnet werden soll? "Ich habe das nicht für eine Auszeichnung gemacht", sagt er genügsam bevor er zum nächsten Interview eilt.
Die Helden von Würzburg, sie gehen durch die Medien. Mittlerweile sind auch Reporter des iranischen Oppositionsfernsehens vor Ort und drehen mit ihrem Landsmann eine Reportage am Barbarossaplatz. Sie möchten, dass Chia Rabieis Gesicht auch im Iran bekannt wird – in einem Land, wo es keine Meinungsfreiheit gibt, sagen die Reporter.
Erst hinterher haben viele erfahren, was eigentlich am späten Nachmittag des 25. Juni in Würzburg passiert ist. Auch Thomas Vogt aus Bad Mergentheim wusste zunächst gar nicht, was um ihn herum gerade passiert. "Einer hat gerufen, 'da werden Leute abgestochen' und ich bin sofort losgerannt, um den Täter zu stellen", erzählt der 43-Jährige, der ganz in der Nähe im Gasthaus Holzapfel saß. Angst habe er nicht gehabt. Alles sei ihm in diesem Moment egal gewesen. Auch Chia Rabiei hatte keine Furcht. "Wenn ich Angst gehabt hätte, hätte ich es nicht getan", sagt er mit fester Stimme.
Psychologie-Professor: Menschen, die bei akuter Lebensgefahr handeln, sind selten
"Tatsächlich ist das meist eine eher intuitive Sekundenentscheidung. Wer in sich hineinspürt, ob Angst da ist, handelt eher nicht", sagt Psychologie-Professor Stefan Schulz, der an der Universität Würzburg lehrt. In der aktuellen Situation in Würzburg sei hinzugekommen, dass akute Lebensgefahr bestand. "Menschen, die hier handeln, sind selten und berichten oft hinterher, gar nicht überlegt zu haben und sich keiner Angst bewusst gewesen zu sein", sagt er. Insofern gehe es in so einer Situation den Helfenden oft im ersten Moment gar nicht so sehr darum, Angst zu überwinden.
"In Anbetracht, dass akute Lebensgefahr bestand, ist es also sehr ungewöhnlich, dass so viele Menschen ohne zu zögern helfend eingegriffen haben", sagt Schulz. Denn Forschungen würden zeigen, dass 72 Prozent jemanden in Not helfen würden, aber es nur sechs Prozent sind, die für eine fremde Person auch ein Opfer bringen würden. Eine Schlüsselrolle scheint dabei zu spielen, ob man sich selbst als verantwortlich für das Wohl seiner Mitmenschen betrachtet und sich seinen Mitmenschen ausreichend verbunden fühlt, um helfen zu wollen. "Hat man dieses Selbstbild verinnerlicht, greift man intuitiv in so einer Situation darauf zu und entsprechende Handlungsmuster werden dominant – und man hilft", sagt Schulz und fügt hinzu: "Man kann dankbar sein, in einer Stadt zu leben, in der so viele Menschen diese Eigenschaften durch Ihr herausragendes Verhalten demonstriert haben."
Burkhard Hose hofft jetzt auf eine stabile Stadtgesellschaft
Auch der Hochschulpfarrer Burkhard Hose, der das Bündnis für Zivilcourage in Würzburg mitinitiiert hat, erkennt das außergewöhnliche Engagement der vielen mutigen Helfer an, die sich spektakulär dem Täter in den Weg stellten. "Dass sich Menschen eingeschaltet haben, die gar nicht in Deutschland geboren sind, das ist Stadtgesellschaft", sagt Hose. Und ganz offen fügt er hinzu, dass er von niemanden erwarte, dass er sich selbst in Gefahr bringt.
Hose weiß aber, dass sich schwarze Menschen, die in Würzburg leben, nach dem schrecklichen Messerangriff eines Somaliers unsicher durch die Stadt bewegen würden, weil sie rassistische Diskriminierungen erfahren. Denn auch der Täter hatte schwarze Hautfarbe. Und auch Hose selbst hat in den vergangenen Tagen viele E-Mails mit Hassbotschaften bekommen. Der Pfarrer hofft auf eine stabile Stadtgesellschaft, die sich dagegen wehrt und diesen Menschen Schutz gibt. Auch das ist Zivilcourage.
"Vor 18 Monaten ist er aus seinem Heimatland nach Deutschland geflohen, weil er politisch verfolgt werde, erzählt er. Zunächst lebte er in Bamberg für drei Monate im Ankerzentrum, seit 18 Monaten sei er in Würzburg."
3 + 18 = 21
alternative Lösung
3 + 15 = 18
Wieso haben den Somalier eigentlich nicht Organisationen wie Seebrücke, Bündnis für Zivilcourage, die Menschen um Burkard Hose, die Oberzeller Schwestern etc. etc. aufgefangen und geholfen?
Wie konnte er in eine Obdachlosenunterkunft kommen und verzweifeln, wo doch soviel Aktionen für Zivilcourage in Würzburg existieren?
Einfach meinen Kommentar unvoreingenommen lesen, versuchen ihn zu verstehen und nichts ungesagtes hinein interpretieren. Daß er den Tatsachen entspricht, ist ja unstrittig.