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Würzburg
Neuer Chef an der Uniklinik Würzburg: Wie hält der Ärztliche Direktor das Großklinikum in turbulenter Zeit auf Kurs?
Spitzenforschung, maximale Krankenversorgung – dafür steht das Uniklinikum Würzburg. Der neue Ärztliche Direktor Tim von Oertzen erklärt, wie er beides zusammenbringen will.
Als Ärztlicher Direktor hat Dr. Tim von Oertzen am Würzburger Uniklinikum zum 1. Oktober die Nachfolge von Prof. Jens Maschmann angetreten.
Foto: Daniel Peter | Als Ärztlicher Direktor hat Dr. Tim von Oertzen am Würzburger Uniklinikum zum 1. Oktober die Nachfolge von Prof. Jens Maschmann angetreten.
Andreas Jungbauer
 und  Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:53 Uhr

7500 Beschäftigte, jährlich 72.000 stationäre und über 250.000 ambulante Patientinnen und Patienten, mehr als 1400 Betten: Das Universitätsklinikum Würzburg (UKW) ist in vielerlei Hinsicht maximal. Und in den kommenden Jahren steht die Norderweiterung an – ein Milliardenprojekt und eine gewaltige Aufgabe für den neuen Ärztlichen Direktor Tim von Oertzen. Der 55-Jährige steht seit Oktober an der Spitze des UKW. Was ist von ihm zu erwarten? Im Interview sagt der Neurologe und Manager, wie er das Großklinikum durch eine schwierige Zeit für Krankenhäuser führen will.

Frage: Herr von Oertzen, die wichtigste Frage zuerst: Warum Würzburg?

Dr. Tim von Oertzen: Für mich war die Stelle hochattraktiv – weil Würzburg eine etablierte und altehrwürdige Universitätsklinik hat und weil sich hier im Augenblick unheimlich viel tut. Allein an den Baumaßnahmen sieht man, wie die Uniklinik wächst und sich weiterentwickelt. Gerade das Riesenprojekt Erweiterungsgelände Nord ist eine Herausforderung, die ich gerne annehme.

Und wohin soll die Entwicklung an der Uniklinik Würzburg gehen?

Von Oertzen: Unsere wichtigste Aufgabe ist es, die Qualität der medizinischen Versorgung und Forschung weiterzuentwickeln. Als Unternehmen müssen wir künftig für unsere Mitarbeitenden attraktiv sein. Das Ziel ist also, im Gefüge der bayerischen und deutschen Uniklinika unsere Stellung zu behaupten.

Das könnte für alle Unikliniken gelten. Was sehen Sie speziell für Würzburg an Perspektive?

Von Oertzen: Wir haben fachliche Leuchttürme und die gilt es, in einer medizinischen Strategie zu sammeln und nach vorne zu bringen. Zum Beispiel haben wir den Bereich der Onkologie, der durch das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) einen Schub bekommen wird, aber auch starke andere Bereiche wie die Kopfklinik, die Herz-Kreislaufmedizin, die Immunologie oder die Biomaterialforschung.

Wollen Sie Gewichte verschieben zwischen Versorgung und Forschung?

Von Oertzen: Unsere Kernaufgabe ist die Krankenversorgung in Verbindung mit guter Forschung. Wir werden nicht eines in den Vordergrund stellen und das andere dafür vernachlässigen. Sicher wird es in der Patientenversorgung Veränderungen geben – aber ich bin der Meinung, dass Unikliniken nicht die allgemeine Basisversorgung darstellen können. Wir müssen uns auf Schwerpunkte konzentrieren und sind ein Maximalversorger. Gerade hier im ländlichen Raum bedeutet das, dass wir eng mit den umliegenden Kliniken kooperieren müssen.

Solange es die noch gibt. Auch in der Region kämpfen die ersten Kliniken gegen die Insolvenz. Macht Ihnen das aktuelle Krankenhaussterben Sorgen?

Von Oertzen: Sorgen macht mir, dass das im Moment ungeordnet passiert. Aktuell läuft es nach dem Motto: Der Stärkere überlebt. Es gibt kein Konzept für eine strukturierte Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum, keinen Plan, welche Häuser gebraucht werden und welche nicht. Hinter der Gesundheitsreform stehen noch viele Fragezeichen, deshalb fehlt Planungssicherheit. Wo Krankenhäuser eingehen, können die Unikliniken nicht alles übernehmen. Auch unsere Ressourcen sind endlich.

Soll nicht gerade die Reform die Kliniklandschaft neu ordnen?

Von Oertzen: Es wäre wichtig, einen strukturierten Plan für eine reduzierte Kliniklandschaft zu haben. Und man muss den Menschen vermitteln, dass die Versorgung dann nicht unbedingt schlechter ist. Im Gegenteil, sie kann sogar besser werden. Denn je öfter Eingriffe in einem Haus gemacht werden, desto höher ist die Qualität der Behandlung.

Eine auf große Häuser reduzierte Kliniklandschaft würde für Unterfranken bedeuten, dass sich noch mehr auf Würzburg und Schweinfurt konzentriert.

Von Oertzen: Ja, es wird sich künftig auf weniger Zentren konzentrieren. Ich glaube aber, dass sich gerade für die ländliche Region viel durch die Digitalisierung ändern wird. Patientenströme werden dann grundsätzlich anders gelenkt.

Wird die Norderweiterung des Uniklinikums – allein der erste Bauabschnitt ist auf über eine Milliarde Euro veranschlagt – Ihr zentrales Thema in den nächsten Jahren?

Von Oertzen: Um weiterhin Spitzenmedizin machen zu können, müssen wir uns baulich verändern. Von daher ist die Norderweiterung eine große Chance und die zentrale Zukunftsaufgabe. Immerhin bauen wir 40 Prozent der Betten in beiden Bauabschnitten neu.

Finanziell ist das eine gewaltige Kraftanstrengung. Glauben Sie angesichts der aktuellen Finanzdebatten daran?

Von Oertzen: Ja, ich glaube dran. Was ich positiv wahrnehme: Der Freistaat bekennt sich zur Investition in Ausbildung und Forschung. Wir werden alles dafür tun, dass die Erweiterung Nord so kommt, wie sie geplant ist – und dass sie zügig kommt, sofern man im Krankenhausbau von zügig sprechen kann. Baubeginn soll 2025 sein, da sind wir noch im Plan.

Daneben soll noch das Gebäude für das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen für 90 Millionen Euro entstehen. Sind Sie in den nächsten Jahren mehr Bauleiter oder Ärztlicher Direktor?

Von Oertzen: Zum Glück stehe ich bei all dem nicht allein. Wir haben ein tolles Kollegium, das mitwirkt und exzellent arbeitet.

Herausforderung Personal: Ein Schild wirbt im Zentrum für Operative Medizin (ZOM) am Uniklinikum in Würzburg für das neue Flex-Modell. 
Foto: Daniel Peter | Herausforderung Personal: Ein Schild wirbt im Zentrum für Operative Medizin (ZOM) am Uniklinikum in Würzburg für das neue Flex-Modell. 
Gute Mitarbeiter zu finden, ist schon heute nicht einfach. Nicht nur bei den Pflegekräften herrscht Notstand, sondern in fast allen Bereichen. Wie stellen Sie sich das in Zukunft vor?

Von Oertzen: Wir müssen als Arbeitgeber attraktiv sein. Die medizinische Versorgung auf höchster Qualität ist unsere DNA, das gibt unserer Arbeit den Sinn. Daneben müssen wir gute Arbeitsbedingungen bieten und den Ansprüchen unterschiedlicher Generationen gerecht werden. "Flex4UKW" ist ein hervorragendes Beispiel für neue Arbeitszeitmodelle, die wir brauchen. Ähnliches wird in anderen Berufsgruppen folgen. Der Kern aber ist aus meiner Sicht, dass die Kultur im Haus stimmt. Dass man gerne zur Arbeit geht und die Zusammenarbeit auf Augenhöhe stattfindet.

Reicht das?

Von Oertzen: Wir werden in Zukunft einige Prozesse anders gestalten müssen, weil wir weniger Leute zur Verfügung haben. KI sehe ich da als große Chance, um einfache Routinearbeiten abzuwickeln, etwa in der Abrechnung.

Der Neurologe Tim von Oertzen war zuletzt als stellvertretender Ärztlicher Direktor am Kepler Uniklinikum in Linz, dem zweitgrößten Krankenhaus Österreichs, tätig.
Foto: Daniel Peter | Der Neurologe Tim von Oertzen war zuletzt als stellvertretender Ärztlicher Direktor am Kepler Uniklinikum in Linz, dem zweitgrößten Krankenhaus Österreichs, tätig.
Aber die Demografie einer alternden Gesellschaft wird man nicht überlisten können. Welche Medizin können wir uns absehbar finanziell und personell noch leisten?

Von Oertzen: Es ist wichtig, dass wir sorgsam mit den finanziellen Ressourcen umgehen. Wir haben im europäischen Vergleich ein hervorragend funktionierendes Gesundheitssystem. Wir müssen es schaffen, dass wir Dinge anders machen, aber nicht an Qualität verlieren.

Was heißt anders?

Von Oertzen: Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Ich könnte mir vorstellen, dass der Hausarztbesuch bei einer Erkältung in Zukunft digital abgefangen wird. Smartwatches können heute schon den Herzschlag und die Temperatur messen und könnten Patienten über KI Behandlungsvorschläge machen. Chat-GPT beispielsweise ist nicht medizinisch trainiert und hat in Versuchen das amerikanische Medizinexamen bestanden. Deshalb halte ich so etwas für denkbar.

Bleibt die Frage, ob trotz KI in einer alternden Gesellschaft auf Dauer alles, was möglich ist, auch machbar und medizinisch sinnvoll ist?

Von Oertzen: Es kann sein, dass wir irgendwann überlegen müssen, wie wir mit den finanziellen Ressourcen umgehen. Dabei geht es aber nicht nur um Patienten im hohen Alter. Schon heute gibt es zum Beispiel gentechnische Behandlungsmöglichkeiten für Babys mit spinaler Muskelatrophie, die die Lebenserwartung der Kinder deutlich erhöhen. Diese Medikation kostet Millionen. Auch da geht es um die Frage: Wie viel Geld ist ein Leben wert? Wir als Behandler und gerade auch ich als Neurologe sehen: Wow, das ist eine Möglichkeit, diese Kinder zu retten – und das ist eine unglaubliche Chance. Im Moment können wir das im Gesundheitssystem leisten. Was wir uns in Zukunft leisten können und wollen, das ist eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, das können wir nicht am Uniklinikum Würzburg klären.

Dr. Tim von Oertzen

Der Neurologe und Manager ist seit 1. Oktober 2023 Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Würzburg. Zuvor war der 55-Jährige seit 2021 stellvertretender Leiter der Uniklinik in Linz, des zweitgrößten Krankenhauses in Österreich. Aufgewachsen in Bonn, studierte Tim von Oertzen in Freiburg, Bonn und London Humanmedizin.
Seine Facharztausbildung absolvierte er am Uniklinikum Bonn. Von 2004 bis 2012 war der Neurologe am St. George's Hospital und der Uni in London tätig und baute dort ein Epilepsiezentrum auf. 2012 wechselte er als Vorstand der Klinik für Neurologie an die Landesnervenklinik nach Linz. Für die Zusammenführung mit zwei weiteren Krankenhäusern zum Kepler Uniklinikum war von Oertzen mitverantwortlich.
Seit 2022 absolviert der Mediziner ein Führungskräfte-Studium an der Uni St. Gallen. Tim von Oertzen ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. 
Quelle: UKW/aj/sp
 
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  • Walter Seubert
    "Gerade hier im ländlichen Raum bedeutet das, dass wir eng mit den umliegenden Kliniken kooperieren müssen" man darf gespannt sein.
    Mal sehen ob der neue ärztliche Direktor die Fertigstellung des ersten "Nord-Neubaus" erlebt, entweder ist er dann schon in Rente oder vom Sprungbrett Würzburg abgesprungen.
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