Sparmaßnahmen, Strukturreformen, Museumsschließungen: Was bleibt im kirchlichen Bereich noch übrig für die Kultur? Wo finden Menschen außerhalb des liturgischen Raums Inspiration und Anstöße, sich mit existentiellen Fragen des Lebens auseinandersetzen? Und was kann die Begegnung mit Kunstwerken bewirken?
Jürgen Lenssen, ehemaliger Bau- und Kunstreferent der Diözese Würzburg, denkt viel darüber nach. Schon als er vor 50 Jahren, im November 1971, im Dom zu Osnabrück zum katholischen Priester geweiht wurde, galt er als ein Seelsorger, der auch über Kunst Menschen erreichen will. 2017 emeritiert, ist der frühere Domkapitular noch immer viel gefragt – als Gestalter von über 300 Kapellen und Kirchen und jetzt vor allem außerhalb des Bistums Würzburg.
Innerhalb der Diözese schaut der 74-Jährige verwundert auf eine Entwicklung, die er als Auflösung seines über Jahre entwickelten Kunstkonzepts empfindet. Viele Persönlichkeiten, die in ihrer Zeit prägend waren, erleben, dass von ihrem Lebenswerk wenig bleibt, sobald sie die Verantwortung an die nächste Generation abgeben. Jürgen Lenssen auch. Und er sieht eine Chance vertan – oder gar nicht erkannt: "Das Museum am Dom galt als Vorreiter kirchlicher Möglichkeiten im Bereich Kunst", sagt der Domkapitular im Ruhestand. Sein Eindruck nun: "Unter vorgeschobenen finanziellen Argumenten ist dafür jetzt kein Raum mehr."
Das Museum, 2003 eröffnet, ist nun unter Lenssens Nachfolger Jürgen Emmert auf ein Geschoss reduziert. In die große Halle im Untergeschoss zieht im Januar 2022 der Würzburger Tanzspeicher, sie wird zur "Theaterhalle am Dom". Die vielen kleineren diözesanen Museen in der Region: fast alle geschlossen. Und bereits vom Bistum zugesagte Projekte wie das Museum in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart), das als Präsentation der Renaissance gedacht war: abgesagt. "Ich stehe jedoch zu meinem Wort und stifte für Karlstadt Werke aus meiner Privatsammlung, wie in Miltenberg und Baunach", sagt Lenssen.
Lenssen ist nach wie vor überzeugt: Worte allein genügen nicht, um Menschen zu erreichen. "Es wird zwar viel davon gesprochen, auch in Bischofspredigten, dass Menschen zum Mystischen kommen oder sich davon lenken lassen sollen." Doch dies sei "letztlich auch ohne verbalisierte Wunschvorstellung" möglich: eben durch die Begegnung mit Kunst. "Kunst spricht die Seele an, berührt sie unmittelbar", sagt Lenssen. Und: "Diese Idee des Museums am Dom nicht mehr vorhanden."
Für den einstigen Kunstreferenten waren die Orte der kirchlichen Präsentation im Bistum Würzburg eine Einheit. "Sie hatten ein pastorales Konzept – wie die Gestaltung der Kirchen auch. Zumindest in den Museen wird das nun nicht mehr gesehen." Damit komme ein fundamentaler Auftrag der Kirche nicht mehr zum Ausdruck, bedauert Lenssen: "Menschen heilsam Diener zu sein."
Nachfolger Jürgen Emmert sieht in der "Verschränkung von bildender und darstellender Kunst" eine große Chance. Liturgie und Bühne seien durchaus verwandt, sagt Emmert. Und aufgrund der Sparmaßnahmen seien große Wechselausstellungen nicht mehr möglich. Im Museum am Dom werde es künftig Kabinettausstellungen in der Dauerausstellung im Obergeschoss geben.
Seit Jahrhunderten gehört die Kirche zu den großen Förderern und Auftraggebern. Die berühmtesten Künstler haben Werke für sakrale Räume geschaffen. Manche gehen nur deswegen in ein Gotteshaus, staunen und bewundern die Werke wie in einem Museum.
Auch Lenssen war ein großer Förderer: "In meiner Zeit als Kunstreferent habe ich vieles angekauft und über 65 Künstler beauftragt, Werke für Kirchenräume zu schaffen – figurative Kunst oder abstrakte Farbkompositionen." Ein fester Etat für Kunstkäufe habe ihm jedoch nicht zur Verfügung gestanden. Wenn Projekte anstanden, habe er das mit Bischof und Finanzdirektor besprochen.
Die heutige finanzielle Situation des Museums am Dom lässt sich nur schwer mit der unter Lenssen vergleichen. Kunstreferent Jürgen Emmert will sich erst im kommenden Jahr dazu äußern. Er sagt, das Museum besitze zwar einen eigenen Etat. Aufgrund des "laufenden Change-Prozesses wie auch der aktuellen Corona-Situation halte ich die Weitergabe einer bloßen Zahl für nicht aussagekräftig".
Lenssen betont, es sei ihm um weit mehr gegangen als darum, Kunst in Kirchenräumen zu zeigen oder Sammlungen für Museen aufzubauen: "Menschen sollten ein Angebot erhalten, ohne dass sie bedrängt, eingeengt oder gefragt werden: Wie hältst Du es eigentlich mit der Religion?" Kunst könne "den Blick weiten auf das, was nicht eingebunden ist in Zeit und Raum, also auf transzendentale Bezüge." Künstler hätten schon immer diesem Mysterium nachgespürt, dieser Ahnung, dass da mehr ist.
Kunst und Kultur also im Dienst der Kirche. Durch die Gegenüberstellung von alter und neuer Kunst habe er veranschaulichen wollen: "Jede Kunst war zu ihrer Zeit die Moderne." Und jedes Bild sei von den jeweiligen Situationen und Erfahrbarkeiten geprägt gewesen, sagt der 74-Jährige. "Dieses Alleinstellungsmerkmal des Museums am Dom ist aufgegeben."
Er selbst konfrontierte auch in Kirchenräumen alt und neu, schuf Spannungen und Schwingungen, rief Zustimmung und Unverständnis hervor. "Zeitgenössische Kunst wurde auch aus pastoralen Gründen seit Jahrhunderten in den Kirchenraum eingebracht", sagt Lenssen. "Nicht als Abbild, sondern als Bild, das Anstöße gibt. Anstöße, über das Bild hinauszuschauen."
"Kunst und Kultur" gehörten zu den Aufgaben der katholischen Kirche, betont die Deutsche Bischofskonferenz auf ihrer Homepage - als 16. und letzter Punkt hinter dem Themenblock Seelsorge. "Kunst ist Seelsorge", sagt indes Jürgen Lenssen. "Beides kann eine Botschaft erkennbar machen – oder ein Angebot Gottes ins Bewusstsein rufen." Es gehe immer um die drei existentiellen Fragen: Wer bin ich? Woraus lebe ich? Und worauf zu?
50 Jahre lang habe er versucht mit Kunst anzustoßen, über diese Fragen zu reflektieren, sagt der Priester. "Und heute begegne ich einer Kirche, die dieser offenen Kirchenerfahrung völlig konträr gegenübersteht."
Die Öffnungszeiten des Museums am Dom sind aufgrund der Corona-Lage eingeschränkt: Freitag bis Sonntag, 12 bis 17 Uhr. Info im Internet: www.museum-am-dom.de
Zitat: "Kunst ist Seelsorge." – Dem kirchlichen Kunstreferenten sei ins Stammbuch geschrieben: Einer „Seelsorge“, die in absurden und lebensfremden Dogmen und Konzepten und in Scheinheiligkeit steckengeblieben ist, kann auch eine instrumentalisierte „Kunst“ nicht weiterhelfen.
Kardinal Müllers Verschwörungsmythen zeigen aktuell sehr deutlich welcher Ungeist durch kirchliche Hallen und Gehirnwindungen weht – was soll Auftragskunst da noch bewirken?