Michaela und Lothar Unsleber sind unzufrieden. Das Ehepaar lebt in Binsbach, einem Ortsteil von Arnstein (Lkr. Main-Spessart) und engagiert sich dort in der 330-Seelen-Pfarrgemeinde. Beide Katholiken investieren viel Zeit in Gremien. Die Frage ist: Wie lange noch? "Es mangelt gegenüber uns Ehrenamtlichen oft an Wertschätzung", sagt Lothar Unsleber. Die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre mit der Diözese Würzburg fasst der 62-Jährige so zusammen: "Ignoranz, Arroganz, Respektlosigkeit". Harte Worte.
Es geht um das Strukturprogramm "Gemeinsam Kirche sein – Pastoral der Zukunft". Die Kuratie Binsbach gehört zur Pfarreiengemeinschaft "Um Maria Sondheim" im Pastoralen Raum "Karlstadt". Binsbach liegt am östlichen Rand, direkt an der Grenze zum Raum "Bergtheim-Fährbrück" im Landkreis Würzburg und nahe an "Werneck" im Landkreis Schweinfurt. Insgesamt gibt es im Bistum 43 Pastorale Räume.
Strukturreformen bedeuten grundlegende Veränderungen. Sie lösten immer Unruhe und Unsicherheit aus, sagt Michael Wolf, der Vorsitzende des Diözesanrats, des höchsten Laiengremiums. Michaela und Lothar Unsleber sind jedoch keine verunsicherten Laien. Sie sind an der Kirchenbasis tätig. Und sie fühlen sich nun zu wenig wahrgenommen und kaum in Entscheidungen eingebunden. "Wir Ehrenamtliche halten aber das Gemeindeleben lebendig", sagen beide.
Ein Treffen mit dem Unslebers am Dorfplatz, am Prozessionsaltar, auf dem der heilige Georg gerade den Drachen tötet. Lothar Unsleber und seine Frau laufen einige Schritte bergauf, zeigen ihren persönlichen pastoralen Raum: die Jakobuskirche. Vor 275 Jahren wurde sie geweiht. Im hellen, freundlichen Kirchenraum ist der Altarbereich mit Blumen geschmückt. Auf den Bankreihen liegen Zettel mit roten Herzen als Willkommensgruß.
Am Eingang können Fürbitten in einen Korb gelegt werden. Kleine Zettel liegen aus, ermuntern dazu, Personen für das neue "Gemeindeteam" vorzuschlagen. Es löst im Zuge der Strukturreform das örtliche Pfarrgemeinderatsgremium ab und wird ohne Wahl gebildet. Künftig gibt es den "Gemeinsamen Pfarrgemeinderat" auf Ebene der Pfarreiengemeinschaft und dazu den "Rat im Pastoralen Raum".
Obwohl etwas abgelegen, trifft sich im kleinen Binsbach die weite Welt. Durch den Ort führt der Fränkischen Marienweg. Pilgerinnen und Pilger legen dort gerne eine Rast ein. Sie übernachten im aufwendig renovierten ehemaligen Pfarrhaus, tragen sich ins Gästebuch ein, das in der Kirche ausliegt. Wie jüngst Stephen aus Australien.
Den Kirchenbesuchern wird in Binsbach vermittelt: Ihr seid eingeladen. Alles ist gut organisiert und arrangiert. Das aber gelingt nur mit rührigen Ehrenamtlichen, die sich ihrer Gemeinde verpflichtet fühlen, die anpacken. Und die jedoch nicht nur machen wollen - sondern mitreden. "Das ist anscheinend in Würzburg nicht erwünscht", sagt das Ehepaar Unsleber.
Michaela Unsleber engagiert sich mit Unterbrechungen seit über 20 Jahren im Pfarrgemeinderat, zuletzt als Vorsitzende. Im neuen gemeinsamen Gremium will sich die 59-jährige Medizinisch-Technische Assistentin nicht mehr einbringen, aber in ihrer Freizeit nach wie vor um die Senioren im Ort kümmern. Auch ihr Mann - Ortssprecher, Mitglied in allen Binsbacher Vereinen, zudem seit zwei Jahren in der Kirchenverwaltung tätig und dort Hüter der Kasse - legt den Rückwärtsgang ein.
Binsbacher Kirchenpfleger legte im April sein Ehrenamt nieder
Auch andere hätten genug. Im April legte der Binsbacher Kirchenpfleger sein Ehrenamt nieder - wegen "mangelnder Kommunikation mit der Diözese und mit dem Pfarrer", wie er Lothar Unsleber zufolge sagte. Für den 62-Jährigen ist aber wichtig: Ehrenamtliche Kirchenverwaltungsmitglieder müssten eng mit den Hauptamtlichen zusammenarbeiten können.
Nach dem überraschenden Rücktritt des Kirchenpflegers hinterfragt der Maschinenbautechniker die Abläufe in der Pfarreiengemeinschaft - und die Planungen zur "Pastoral der Zukunft". Es laufe nicht alles rund, es fehlten aktuell nicht nur der Kirchenpfleger: "Wir haben zudem eine seit längerem vakante Stelle eines Diakons, einen Gemeindereferenten im Krankenstand und Ehrenamtliche wie wir, die zunehmend gefrustet sind", fasst Lothar Unsleber die Situation im Raum "Karlstadt" zusammen. "Es würde mich nicht wundern, wenn bald auch Pfarrer aufgeben und nicht mehr Teil der Seelsorgeteams sein wollen."
Viele E-Mails habe er bereits an verschiedene verantwortliche Stellen in der Diözese gesendet - und nicht immer Antwort erhalten. Auch bei einer Informationsveranstaltung vor einem Jahr in Karlstadt zur Strukturreform habe er sich über die finanzielle Lage erkundigt und seine aktive Mitarbeit angeboten. "Das wurde völlig ignoriert." Andere Fragen, etwa über die neuen Aufgaben der Ehrenamtlichen im Pastoralen Raum, seien "vom Herrn Generalvikar teils flapsig, teils ins lächerlich Gehende beantwortet worden". Wegen der schlechten Kommunikation habe er für sich beschlossen, das vakante Ehrenamt des Kirchenpflegers nicht zu übernehmen, sondern lediglich die Kasse, "damit wenigstens die laufenden Kosten gebucht werden", sagt Unsleber.
Lothar Unsleber zählt viele weitere Kritikpunkte auf, die sich ins Fundament des christlichen Miteinanders bohren und die Kirchenbasis zum Bröseln bringen könnten: "gezieltes Heraushalten von uns Ehrenamtlichen aus der Organisation der Diözese, aus den Entscheidungen, insbesondere bei den Finanzthemen", "Überladung der Ehrenamtlichen mit Aufgaben", "Verfremdung der Kirche vor Ort mit den Hauptamtlichen". Und: "Wenig bis keine Information zur Organisation der Kirchenverwaltungen im Pastoralen Raum".
Vieles werde von oben herab entschieden, kritisiert Michaela Unsleber: "Wir da unten sollen aber alles erledigen", sagt die Noch-Pfarrgemeinderatsvorsitzende. Aus vielen Gesprächen wissen die Unslebers: "Ältere wollen, dass es bleibt wie es ist, eigentlich wie es früher war. Sie reden nicht offen über ihre Ängste und Sorgen." Andere würde eher nach vorn blicken und sagen: "Wenn ich mich unter den neuen Bedingungen weiter engagieren will, möchte ich meine Meinung sagen und mitentscheiden können."
Michaela Unsleber sieht als Verstärker der Probleme in den Gemeinden auch die Corona-Pandemie. "Vorher waren wir eine sehr lebendige Gemeinde." Der Seniorenkreis habe sich regelmäßig getroffen, Kuchen wurde dafür gebacken, ein kleines Abendessen vorbereitet. "Das findet so nicht mehr statt."
Die Einnahmen der Gemeinde reichen nicht mehr
Die Pandemie habe zusammen mit der Strukturreform noch eine andere gravierende Auswirkung: Aufgrund des Priestermangels wurden Gemeinden zu Pfarreiengemeinschaften zusammengelegt. "Seither finden in Binsbach am Wochenende nur etwa alle zwei, drei Wochen Gottesdienste statt", sagt Lothar Unsleber, "und wegen Corona können aufgrund der Maßnahmen nicht viele teilnehmen." Im Klingelbeutel klingelt nach den Kollekten deshalb wenig.
Geblieben seien jedoch die Pflichten der Kirchenverwaltung. Ein Teil der vorgegebenen "Zwangskollekten", wie sie Unsleber nennt, müsse an die Diözese abgeführt werden. Vom anderen Teil - "etwa zehn bis zwölf Kollekten à rund 30 Euro "- sowie von den pauschalen, "seit 2013 nicht erhöhten" 1810 Euro Zuwendung aus der Diözese müssten die laufenden Kosten gedeckt werden. Es gebe zwar noch Spenden. "Diese Einnahmen reichen jedoch für laufenden Kosten nicht mehr aus", prophezeit Unsleber und verweist auf die von allen bayerischen Diözesen festgelegten Ordnung für kirchliche Stiftungen. "Wir sind laut dieser Rechtsvorschrift als Kirchenverwaltung verantwortlich dafür, dass sich das Vermögen der Gemeinde nicht verringert, andernfalls können wir haftbar gemacht werden."
Vorwurf gegenüber den Binsbachern: Sie seien selbst schuld an den wenigen Gottesdiensten
Als er im jährlichen Finanzausschusstreffen der Pfarreiengemeinschaft in Arnstein angedeutet habe, dass aus Binsbach kein Geld mehr fließt, sei die Antwort gewesen: "Wir seien doch selbst dran schuld, dass es so wenige Gottesdienste in Binsbach gibt, denn keiner aus unserer Gemeinde wolle Pfarrer werden." Und: "Wenn wir uns nicht mehr an den Kosten der Pfarreiengemeinschaft beteiligen, können wir auch keine Leistungen mehr erwarten."
Wie sieht also die groß angelegte "Pastoral der Zukunft" künftig im kleinen Binsbach aus? Was kommt dort noch an? Werden die wenigen Gottesdienste in Binsbach ganz wegfallen? Welchen Einfluss wird die Kirchenverwaltung überhaupt noch haben?
Seine detaillierte Anfragen zur Finanzierung, unter anderen an den Finanzdirektor der Diözese Sven Kunkel, sowie seine Beschwerden und die Forderung nach mehr Zuwendungen etwa aus Kirchensteuermitteln seien ohne Reaktion geblieben, sagt Unsleber. "Deshalb überlege ich, die Verantwortung abzugeben." Eine Antwort allerdings habe er vor wenigen Tagen erhalten - vom Sekretariat des Generalvikars Jürgen Vorndran: Unslebers Ankündigung, aufgrund des Umgangs der hauptamtlichen Kirchenvertreter mit der Basis bald der Kirche ganz den Rücken zu kehren, sei zur Kenntnis genommen worden.
Mehr nicht. Lothar und Michaela Unsleber zucken mit den Schultern. Schauen ratlos. Sind resigniert. Wie weiter?