
Nachts in die Kirche? Und dann so viele? Das gibt es sonst meist nur an Weihnachten. Doch es ist März, mitten in der Woche und in der Fastenzeit.
Einen Gottesdienst gibt es an diesem Abend in St. Oswald in Baunach im Landkreis Bamberg nicht. Setzen darf sich auch keiner. „Die Bänke sind frisch verleimt“, gibt Pfarrer Stefan Gessner seiner Gemeinde mit auf den Weg in die Kirche. Aber noch sind die Türflügel geschlossen.
Gessner hat die Baunacher eingeladen, einen ersten Blick in die umgestaltete Kirche zu werfen. Die Leute kommen aus allen Richtungen und warten gespannt vor dem Westportal. Seit 2016 war das Gotteshaus geschlossen.
Die Diözese besitzt einige Triegels
Auch Jürgen Lenssen, Domkapitular und Kunstreferent der Diözese Würzburg im Ruhestand, ist da. Der Künstler Michael Triegel ist eigens aus Leipzig zu diesem lange erwarteten Termin angereist. Erst vor wenigen Tagen hat das Bild, das nun im Mittelpunkt steht, sein Atelier verlassen.
Dort hat Lenssen Triegel 1999 erstmals besucht. Seither hat dieser etliche Bilder für die Diözese Würzburg gemalt. Die beiden verbindet mittlerweile eine Freundschaft, hatte der Maler kürzlich in seiner Laudatio berichtet, als Lenssen in Regensburg der Kulturpreis „Kunst und Ethos“ des Schnell-und-Steiner-Verlags verliehen wurde.
Die Kirche musste wieder kleiner werden
Für Jürgen Lenssen ist es das letzte Projekt für die Diözese Würzburg. Vor sechs Jahren begannen die Überlegungen, den Kirchenraum von St. Oswald um etwa ein Drittel zu verkleinern. Vor 49 Jahren war es umgekehrt gewesen. 1969 wurde er vergrößert. Doch im Laufe der Zeit wurden die Gottesdienstbesucher immer weniger.
- Ein Interview mit Michael Triegel über sein Bild für Dettelbach
- Ärger um einen Nackten: Triegels "Auferstehung" - einst im Museum am Dom
Erste Ideen wurden bei einem Mittagessen in Würzburg geboren, erinnert sich Pfarrer Gessner. Auch ein Kunstwerk spielte eine Rolle: eine gotische Pieta aus dem 14. Jahrhundert. Eigentlich sollte sich das Gespräch vor allem um diese Muttergottesfigur drehen, die den toten Jesus auf dem Schoß hält. Viele Jahre lagerte sie im Pfarrhaus. Doch dann wurde generell die Situation in Baunach besprochen, so Pfarrer Gessner.
„Die Pieta ist das wertvollste Kunstwerk in St. Oswald und älter als die Kirche“, sagt Lenssen. Nun hat auch sie dort ihren Platz vor dem raumhohen Wandbild „Tod und Auferstehung“ von Jacques Gassmann. Alt und neu – eine Gegenüberstellung, wie sie der ehemalige Kunstreferent so sehr schätzt.
Ein neues Bild im Hochaltar
Gassmanns Werk an der Nordwand war bislang das Hochaltarbild der Kirche. Nun ist es Triegels „Menschwerdung“ im Ostchor. „Es ist mein Herzenskind“, gesteht der Künstler, der, seit er zweimal Papst Benedikt XVI. porträtiert hat, gerne auch „Papst-Maler“ genannt wird.
Als Michael Triegel die Kirche betritt, hält er verblüfft inne. Der international bekannte Künstler sieht sein Werk erstmals in der neuen Umgebung – und ist begeistert. „Das wirft mich um.“
Die „Menschwerdung“ ist von üppigen vergoldeten barocken Elementen umgeben: ein Rahmen Blumen und Blattwerk, gedrehten Säulen, korinthischen Kapitellen, ornamentalem Schnitzwerk, bekrönt von Verkündigungsengeln, davor der goldene Tabernakel. Triegel: „Großartig.“
Die Gotik bildet den äußeren Rahmen
Außen herum gotische Architektur: Der alte Chor, der 1969 zur Seitenkapelle wurde, erlebt nun seine Renaissance. Die Kirche ist damit auch wieder nach Osten ausgerichtet.
Wer das Gotteshaus im Westen betritt, sieht zuerst die Figur des Kirchenpatrons. Die Sichtachse geht weiter zum Taufbecken. Von dort aus vereint das Auge das Kreuz im gotischen Spitzbogen, den steinernen Altarblock, Vortragekreuz, Lesepult und Tabernakelaltar mit Triegel-Bild zu einer Einheit.
Alles gehe in der Kirche wieder zurück in die Zeit vor 1969, erzählt Jürgen Lenssen. Manches könne wiedererkannt werden, wie die Theaterkulisse des Heiligen Grabes aus dem 18. Jahrhundert, das nun einen festen Platz hat; manches könne wiedergefunden werden wie die Heiligenfiguren, die nun von Cortenstahl-Platten hinterfangen werden; manches könne auch neu gesehen werden – oder völlig neu entdeckt werden wie die jahrhundertealte Pieta – und die eben vollendete „Menschwerdung“, die perfekt mit dem gotisch-barocken Ambiente verschmilzt.
Nur auf den ersten Blick ein alter Meister
Michael Triegel weiß um die Wirkung seiner leuchtenden, in mehreren Schichten aufgetragenen gegenständlichen Malweise: „Wer das Bild in dieser Umgebung sieht, denkt erst mal: Das kenne ich doch, ein alter Meister eben.“ Doch bei näherer Betrachtung sei man irritiert. Die Darstellung folge keineswegs der altbekannten Ikonografie. Da gebe es Umdeutungen, Umbesetzungen, andere Symbole.
Zu sehen ist auf den ersten Blick Vertrautes: Josef und Maria neben dem Jesukind im Stall, links verbeugt sich einer der heiligen drei Könige. Doch dann hört die altbekannte Bethlehem-Szenerie auf. Denn nur friedlich ist es bei Triegel nicht. Er könne nur einen Auftrag annehmen, wenn er das Gefühl habe, dass das Thema etwas mit ihm, mit seinem Leben, seinem Glauben zu tun hat, sagt er. „Ich habe bewusst auf Ochs und Esel verzichtet.“ Sie würden zwar einen Bezug zum Alten Testament herstellen, für den 49-Jährigen sind sie aber „meist Folklore“.
Lamm Gottes, wurmstichiger Apfel und Katze
Das Agnus Dei, das Lamm Gottes, kauert in der rechten Bildecke. Es verweise auf Christi Opfertod. Daneben ein wurmstichiger Apfel. Da kommt sofort der Sündenfall in den Sinn. Und die Katze? „Die spielt in allen meinen Bildern eine Rolle“, erzählt der Künstler. Sie sei ein „hochsymbolisches Tier“, stehe für das Böse. Der Rabe im Bild ist zwar ebenso ungewöhnlich, aber leichter zuzuordnen. Er verweist auf den heiligen Oswald.
Der Maler hat ein großes Thema: Er will die Ambivalenz von Geburt, Tod und Auferstehung zeigen. Mehrfach gibt es im Bild symbolische Verweise, nichts ist zufällig: das Jesukind, das nicht schläft, sondern hellwach vor einem Tuch scheinbar im Raum schwebt, der Fötus in der Fruchtblase, der von einem Kranz aus Menschen- und Tierschädeln umringt wird, das durch Holztreppe und Balken angedeutete Kreuz, die vier Schnüre, die das Oben und Unten verknüpfen, die Birne, die für die Liebe zwischen Maria und Jesus steht.
Triegel verweist beim Jesukind auf das Schweißtuch der Veronika, das Vera Icon. Er bezieht sich zudem auf den von Luther übersetzten Psalm „Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen“. Seine Darstellung von Fötus und Schädelkranz nehme dies wörtlich. „Das keimende Leben ist schon vom Tod umfangen.“
Jesus als wahrer Mensch und wahrer Gott
Man könne es aber auch umdrehen, „das ist mir wichtig“, denn man könne auch sagen: „Das Leben sprengt den Tod, trotz des Todes entsteht Leben.“ Und die Leiter sei nicht nur Teil des Kreuzes und stehe damit nicht nur für die Passion Christi, vielmehr gehe es auf ihr nach oben, dort öffne sich der Raum im Bild gen Auferstehung. Segensgestus und „erwachsener Blick“ des Jesukindes zeigen beides: „wahrer Mensch und wahrer Gott“.
Den lebendigen Erklärungen des Malers, kann man sich kaum entziehen. Und neben kunsthistorischen, philosophischen und theologischen Gedankengängen hat er auch ganz irdische Dinge parat. Zum Malen braucht er Modelle, „Dinge, die ich sehen kann.“ Das Jesukind ist der neugeborene Sohn seines Friseurs und Maria seine bald 18 Jahre alte Tochter. „Nicht, weil ich sie zu Ehren der Altäre erheben möchte, sondern weil ich eine junge Frau zeigen wollte, der ich im Leben begegnen könnte.“ Und die verwinkelte Architektur hat als Vorbild die Scheune eines Bauernhauses im Erzgebirge. „Ich habe alles nur zugespitzt.“
Altarweihe und Ausflug
Am Sonntag, 11. März, wird die Kirche Sankt Oswald in Baunach offiziell wiedereröffnet. Der Ort liegt zwar im Landkreis Bamberg, gehört aber zur Diözese Würzburg und zur Pfarreiengemeinschaft St. Christophorus. Der Pontifikalgottesdienst beginnt um 15 Uhr; die Altarweihe nimmt der Diözesanadministrator Weihbischof Ulrich Boom vor. Zuvor, um 14.45 Uhr, gibt es eine Kurzinformation des Architekten Benedikt Gerber sowie eine Einführung in die Liturgie der Altarweihe.
Die Freunde des Museums am Dom laden am 24. März zu einem Ausflug nach Baunach ein. Die Abfahrt ist um 10 Uhr am Bahnhof. In der Kirche St. Oswald wird Jürgen Lenssen durch die umgestaltete Pfarrkirche führen. Information und Anmeldung im Museum am Dom.


