Wie kommen Werke von Künstlern, die sonst in Venedig, Sydney, Toronto oder bei der documenta ausstellen, nach Karlstadt? Dafür sorgt der frühere Würzburger Domkapitular Dr. Jürgen Lenssen. Doch wie kam es eigentlich zur Zusammenarbeit der Stadt mit dem nicht immer unumstrittenen Kunstkenner? Der 73-Jährige lud in seine Wohnung in unmittelbarer Nähe des Würzburger Kiliansdoms ein, um diese Fragen zu beantworten.
Kunst begrüßt den Besucher bereits im Treppenhaus. Farbenfrohe, bunte Bilder und Skulpturen, religiöse Malereien wie auch ein Bild von Street-Art-Künstler Banksy. Auch in Lenssens Wohnung stehen religiöse Ikonographie und zeitgenössische Kunst nebeneinander, die Regale sind bis unter die Decke voll mit Büchern über Kunst. Lenssens Ruf als Kenner und Experte reicht weit. "Ich werde ab und zu von Galeristen auf Werke hingewiesen, die mich interessieren könnten", sagt er. Von Galeristen aus ganz Deutschland, klar, aber auch aus Italien, Frankreich oder Schweden.
Lenssen riet schon Karl-Heinz Keller zum Kauf des Gebäudes
Lenssen war für die Innengestaltung von rund 380 Kirchen verantwortlich, darunter Gotteshäuser in Pakistan, Bolivien, Schleswig-Holstein oder Pullach. Er hat das Bundesverdienstkreuz erhalten ebenso wie Kulturpreise aus Würzburg, Miltenberg, Unterfranken. Nach Karlstadt kam er Anfang der 90er Jahre, als er frisch im Amt des Würzburger Domkapitulars war, auf Einladung des damaligen Bürgermeisters Karl-Heinz Keller. "Das Haus in der Hauptstraße 9 stand zum Verkauf und Keller fragte mich nach meiner Meinung. Ich riet ihm zum Erwerb."
Tatsächlich erstand die Stadt das Gebäude erst im Jahr 2007, kurz vor dem Ende von Kellers Amtszeit. "So ein Bauwerk braucht eine Nutzung, sonst gibt es keine Fördergelder für die Sanierung", erklärt Lenssen. "Bei einer musealen Nutzung wird der Bausubstanz am wenigsten Schaden zugefügt." Also sollte dort ein Museum entstehen mit Kunst aus der Diözese, "Werke von 1531 bis zur Echterzeit, zwischen Gotik und Barock", so Lenssen.
Wie Lenssens Privatsammlung ins Spiel kam
Als dann 2017 der Spatenstich zur Sanierung erfolgen sollte, war Lenssen gerade in den Ruhestand getreten und das Interesse der Kirche an einer Art "Außenstelle des Diözesanmuseums" war erloschen. "Ich konnte die Stadt doch nicht hängen lassen", erinnert sich Lenssen. Also versprach er Keller-Nachfolger Paul Kruck, das Museum mit Stücken aus seiner Privatsammlung zu bestücken.
Schließlich war 2016 gerade die Mildenburg in Miltenberg sehr erfolgreich als Museum von Lenssen eingerichtet worden; schon dort hatte die Zusammenarbeit mit dem für die Sanierung zuständigen Architekturbüro Wiener aus Karlstadt gut funktioniert. So entstand das Konzept für die Ausstellung "Zeitbrüche" im künftigen Museum der Stadt Karlstadt.
Ungefähr ein Jahr vor der Eröffnung ist nun schon alles bereit für die "Zeitbrüche". 171 Bilder und Plastiken von 69 allesamt im 20. Jahrhundert geborenen Künstlern wurden der Stadt übereignet. Ihre Anordnung in den Räumen im Erdgeschoss und ersten Stock ist komplett geplant. "Jeder Raum erhält eine eigene Thematik", erklärt Lenssen, beispielsweise "Umbruch als Erfahrung", "Umbruch als Notwendigkeit", "Leiderfahrung bedingt Umbruch" und mehr. Die Texte, die das Gesamtkonzept sowie die einzelnen Raummottos erläutern, hat Lenssen bereits verfasst. Im zweiten Obergeschoss stehen die Baugeschichte des Komplexes sowie die Wandmalereien im Vordergrund, dort werden nur wenige Kunstwerke platziert.
Konzept und Anordnung der Kunstwerke schon geplant
"Bestimmt wird sich bei der Anordnung im Raum noch die ein oder andere Änderung ergeben. Aber das Konzept steht", sagt Jürgen Lenssen. Er stiftet gerne an Karlstadt. "Die Werke sollen sich doch nicht bei mir stapeln." Er habe auch viel der Diözese geschenkt, "aber ich glaube, dass man Städten wie Miltenberg oder Karlstadt damit einen größeren Gefallen tut". Die Bürgermeister hätten ihm viel Vertrauen entgegengebracht und er habe auch keine Geschwister oder Kinder, denen er etwas vermachen könnte.
Die Frage, ob solche Werke vielleicht nicht doch besser nach Venedig, Sydney oder Toronto passen, ficht ihn nicht an. "Ich habe nichts gegen Provinz. Es darf nur nicht provinziell sein", sagt Lenssen mit einem Lächeln. Die von ihm gestifteten Werke und das Museum der Stadt werden dafür sorgen, dass Karlstadt gänzlich unprovenzielles Flair entfaltet.