Der Tag beginnt im Morgengrauen am Fuße der Thüngersheimer Weinberge. Bevor es losgeht, präsentiert Karen Heußner noch ihren ganzen Stolz: In ihrem Wohnzimmer thront ein 2,70 großer Baum, der über und über mit Christbaumkugeln behangen ist. Die 58-Jährige sammelt historischen Baumschmuck – und kann sich noch beim Termin mit der Reporterin Ende Januar an den Kugeln ergötzen. Die kostbaren Stücke wegzupacken, dafür hat sie gerade keine Zeit. Es ist Wahlkampf und Heußner will die erste grüne Landrätin im Landkreis werden.
Von der Haustüre in Thüngersheim in den Süden nach Gelchsheim
Der Termin führt von ihrem Haus in Thüngersheim in den südlichen Landkreis nach Gelchsheim. Dort war ihr Dartpfeil auf der Landkreiskarte gelandet. Ein Wunschziel von ihr. Nun kann sie zeigen, wie schwierig ÖPNV im Landkreis sein kann. Zu Fuß geht es zum Bahnhof, ihr grüner Schal flattert im Wind.
Ihr Wahlkampf ist für die Grüne mit einem schlechten Gewissen verbunden. Ohne Auto komme sie nicht von Termin zu Termin, sagt sie: "Ich gönne mir den Individualverkehr, aber versuche, Fahrgemeinschaften zu bilden."
Es ist ein großes Ziel der Grünen: das Schienennetz im Landkreis auszubauen, zum Beispiel für eine S-Bahn. "Es ist ein Verkehrsweg, der unabhängig vom Stau funktioniert", sagt Heußner. Aber wäre solch ein Mammutprojekt finanzierbar? "Freilich ist es teuer, aber die Frage ist, ob es aufs Ganze gesehen nicht eine Investition ist, die sich lohnt."
Höchberg, Eibelstadt, Sommerhausen - alles Orte, die nach Heußner leichter mit der Schiene erreichbar sein könnten. Auch das Tarifsystem will sie vereinfachen. Die Forderung ihrer Partei: Senioren sollen günstiger fahren, alle unter 18 Jahren umsonst. "Keiner soll von der Mobilität aus Kostengründen abgeschnitten sein. Das wäre fatal“, sagt sie.
Bessere Taktung, günstigere Tickets – eine Forderung vieler Parteien kurz vor der Wahl. „Alle haben es gesagt, aber wir Grünen werden es einfordern“, sagt sie kämpferisch. „Das kennen wir schon von der Atomkraft, dass sich andere der Urforderung der Grünen anschließen.“
Der Zug um 8.46 Uhr ist gut gefüllt und elf Minuten später in Würzburg. Auf dem Bahnhofsvorplatz geht es mit der Straßenbahn quer durch die Stadt. Eine gute Viertelstunde später endet die Fahrt an der Königsberger Straße neben der S.Oliver Arena. Heußner kennt die Gegend, dank Baskets-Dauerkarte verbringt sie oft Zeit hier.
Doch wo geht es weiter in den Gau? Auf die Frage, wo der Bus nach Gelchsheim abfährt, erntet Heußner nur Kopfschütteln der WVV-Fahrer vor Ort. Von Gelchsheim haben sie noch nie gehört. „Wie ein zentraler Verbindungspunkt zwischen Stadt und Landkreis sieht das nicht aus“, sagt sie und macht mit ihrem Handy Fotos von der verwirrenden Beschilderung und dem kleinen Haltepunkt zwischen parkenden Autos, Gleisen und Hecken.
Ihren Slogan hat sie recycelt
Nach einer dreiviertel Stunde Wartezeit in der klirrenden Kälte geht es endlich im warmen Bus weiter. Zeit sich über ihre Kandidatur zu unterhalten. Ihren Wahlslogan „Gut. Für den Landkreis“ hat sie schon bei der Landratswahl vor sechs Jahren genutzt als sie mit 9,6 Prozent der Stimmen Dritte wurde. Jetzt will sie mehr erreichen: "Ich will in die Stichwahl", sagt sie - und hat den Slogan für diesen Zweck gerne recycelt: „Ich finde, dass ich gut für den Landkreis bin und ich will für die Menschen im Landkreis da sein."
Sie wäre die erste Frau an der Spitze des Landkreises. „Es ist Zeit für eine Landrätin“, sagt sie und hofft auf die Unterstützung der Wählerinnen. „Von 70 Kreisräten sind nur 21 Frauen. Das ist ausbaufähig.“
Sollte sie es schaffen, auf dem Chefsessel im Landratsamt Platz zu nehmen, hat sie klare Vorstellungen: „Das Landratsamt besteht aus vielen Menschen, die mehr Zeit am Tag mit ihren Kollegen als mit der Familie verbringen. Das muss funktionieren und das kann man gestalten, von der Spitze her.“
Der Bus schlängelt sich durch die Straßen des südlichen Landkreises. Die Natur ist von Landwirtschaft geprägt. Verstehen sich Politiker und Landwirte in Zeiten von Bauernprotesten eigentlich noch? "Ich schätze bei vielen Bauern ihr hohes Verantwortungsbewusstsein. Ich kenne keinen, dem es egal ist, was er als Dünger aufs Feld trägt."
57 Minuten ging die Fahrt. Bis auf eine ältere Dame, die von Giebelstadt nach Wolkshausen mitgefahren ist, ist es im Bus leer geblieben. Und genau darüber streitet die Politik: Ist ein Bus, der ohne Fahrgäste durch den Landkreis fährt, wirklich besser für die Umwelt?
"Gerade auf dem Land greift jeder gleich nach dem Autoschlüssel, ohne darüber nachzudenken. Umstellungen brauchen viel Zeit, bis sie Akzeptanz finden", sagt sie. „Wenn man Individualverkehr abfangen will, muss man Park&Ride-Plätze an der Peripherie anbieten." Diese könne sie sich bei Gemeinden nahe der Autobahn vorstellen. Und mit einem Parkplatz ist es für sie nicht getan, sie will gleich Bike&Ride mitplanen.
In Gelchsheim sind am Donnerstagmittag weder Rad- noch Autofahrer zu sehen. Nur der Verkaufswagen einer Bäckerei steht einsam in der Ortsmitte. Die Landratskandidatin nutzt die Chance und kauft frische Vollkornbrote. "Ich liebe Direktvermarktung", schwärmt sie und kommt sofort mit der Verkäuferin ins Plaudern.
Sonst trifft sie niemanden im Ort. Dorfzentren müssen nicht aussterben, ist sie überzeugt: "In Gelchsheim ist mit dem Projektchor oder dem Schwimmbad schon viel passiert." Doch könnte eine Landrätin bei dem Problem überhaupt helfen? "Von Seiten des Landratsamts könnte man mehr anregen. Es geht darum, Ideen zu verteilen und den Austausch zwischen den Orten zu ermöglichen."
Die Mutter eines erwachsenen Sohnes setzt auf ein "gutes, soziales Miteinander" und sie will die zukünftigen Generationen im Blick behalten: „Es wird anders, aber man muss deswegen nicht schlechter leben."
Demonstrationen in Thüngersheim ohne Grüne Kandidatin
Viele junge Menschen haben im vergangenen Jahr auch in Thüngersheim demonstriert - gegen die Rodung von Wald für den Abbau von Muschelkalk. Karen Heußner war nicht dabei. "Das ist eine zwiespältige Angelegenheit, weil die Firma auf dem Boden des Rechts steht", erklärt sie. "Aber das ist nicht mehr zeitgemäß." Der Fall betrifft eines ihrer Lieblingsthemen: Bauschuttrecycling. "Unsere Ressourcen sind endlich. Warum baut man Muschelkalk in großem Stil ab, wenn man hochwertige Baustoffe aus Bauschutt recyceln kann?"
Der Spaziergang in Gelchsheim ist zu Ende. Hofft Karen Heußner das nächste Mal als Landrätin wieder zu kommen? Die Antwort fällt diplomatisch aus: "Der Wähler muss entscheiden, wem er zutraut Dinge umzusetzen." Und dennoch weiß die Grünen-Kandidatin eines mit Blick auf den Wahltag: "Die Chancen waren noch nie so gut."
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