Es war eine Folge der deutschen Novemberrevolution des Jahres 1918: Frauen erhielten im Deutschen Reich das uneingeschränkte Wahlrecht. Was in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ein großer Fortschritt war, bedeutete für eine aktive politische Beteiligung jedoch nur das absolute Minimum. Seitdem sind 100 Jahre ins Land gegangen. Frauen spielen im politischen Leben längst eine wichtige Rolle – und sind dennoch stark unterrepräsentiert. Das gilt nicht nur für die Bundespolitik, auch auf kommunaler Ebene sitzen deutlich weniger Frauen als Männer in den Gemeinderäten, werden seltener Frauen auf die Chefposten in den Rathäusern gewählt.
Warum das so ist und wie sich das ändern könnte, darüber sprach diese Redaktion zum Weltfrauentag mit den Bürgermeisterinnen Eva-Maria Linsenbreder (61, SPD, Kleinrinderfeld) und Martina Rottmann (52, CSU, Oberpleichfeld) sowie mit der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Würzburg Gabriele Rottmann-Heidenreich (61).
Frage: Frau Linsenbreder, Frau Rottmann, zucken Sie manchmal noch zusammen, wenn Sie jemand mit „Frau Bürgermeister“ anspricht statt mit „Frau Bürgermeisterin?
Eva-Maria Linsenbreder: Das war mir ehrlich gesagt schon immer egal.
Martina Rottmann: Bei mir war das vielleicht so in den ersten zwei, drei Wochen, aber inzwischen ist das kein Thema mehr.
Haben Frauen mit Widerständen zu kämpfen, wenn sie politische Ambitionen erkennen lassen?
Linsenbreder: Ich hatte da eigentlich nie Probleme. 1990 bin ich erstmals in den Gemeinderat gewählt worden. Damals hat man mir gesagt. „Du lässt dich jetzt aufstellen, du kannst das doch.“ Meine Lebensplanung war nie die Politik gewesen, das war für mich kein Karriereziel. Aber vom ersten Tage als Bürgermeisterin bin ich von der Bürgerschaft akzeptiert worden, das war in Ordnung.
Rottmann: Bei uns war das ein bisschen anders. Ich selbst bin 2014 in den Gemeinderat gewählt worden. Dann ist unser Bürgermeister verstorben, ein halbes Jahr nach der Wahl. Als ich mich dann der Wahl zur Bürgermeisterin stellte, bin ich als Frau schon ein bisschen anders angesehen worden: Eine Frau als Chefin der Gemeinde? Also da gab es bei uns schon Diskussionen. Bei uns hatten ja immer die Männer dominiert.
Frau Rottmann-Heidenreich, hat sich aus Ihrer Sicht als Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises in den vergangenen 20 Jahren deutlich etwas verändert, was die Rolle der Frauen in der Kommunalpolitik anbelangt?
Gabriele Rottmann-Heidenreich: Deutlich nicht. Beim Anteil der Gemeinderätinnen im Landkreis Würzburg haben wir zum Beispiel im Zeitraum von 2008 bis 2014 gerade mal eine Zunahme von 1,47 Prozent.
Das ist übersichtlich.
Rottmann-Heidenreich: Ich hab?s mal ausgerechnet. Wenn es in dieser Dynamik so weitergeht, haben wir eine Gleichstellung ungefähr im Jahr 2220.
Linsenbreder: Oh, das hätte ich jetzt nicht geglaubt. Ich war ja lange Jahre die einzige Bürgermeisterin und habe inzwischen doch ein paar Kolleginnen dazubekommen.
Rottmann-Heidenreich: Es gab mal einen Schub Anfang der 90er-Jahre, seitdem stagniert es weitgehend.
Was sind die Ursachen?
Rottmann-Heidenreich: Da gibt es ja genügend wissenschaftliche Untersuchen. Nach wie vor existieren Vorbehalte. Man traut Frauen politische Ämter nicht zu. Es gibt aber auch, das weiß ich von Gemeinderätinnen, ganz praktische Gründe: Da sind die langen Sitzungen. Frauen sind berufstätig, haben Kinder und kommen abends nicht weg.
Stichwort Haushalt und Kinder: Nervt es eigentlich, wenn man Sie fragt, wie Sie Politik und Familie unter einen Hut bringen? Männer müssen sich ja solche Fragen in der Regel nicht anhören.
Linsenbreder: Die Frage wird Männern nie gestellt, und natürlich nervt so was. Ganz grundsätzlich: Diese Frage dürfte es doch gar nicht geben! Wenn ich in einer Partnerschaft lebe, ist es doch egal, ob es ein Mann oder eine Frau ist, die in die Politik geht. Da muss man sich eben durch Absprachen die Zeit einteilen. Und das geht ja auch, wie man an Kolleginnen und anderen Frauen sieht, die im Ehrenamt tätig sind. Aber oft genug gibt es eben immer noch diese alte Denke: Am Abend muss die Frau daheim sein. Nur wenn die Frau abends zum Beispiel als Kassiererin oder im Schichtdienst bis 22 Uhr oder länger arbeitet, dann geht?s auf einmal.
Rottmann: Ich habe diese Frage auch gehört, besonders am Anfang. Meine Familie hat damit nie ein Problem gehabt, dafür aber gibt es dann Personen außen herum, die dir dann sagen: „Du bist ja gar nicht mehr daheim.“
Im Kreistag gibt es 70 Mitglieder, davon sind 21 Frauen. Wie sieht das die Gleichstellungsbeauftragte: 30 Prozent Frauen – immerhin oder leider nur?
Rottmann-Heidenreich: Leider nur. Weil ich ganz fest davon überzeugt bin, dass die Qualität der Entscheidungen besser wäre, wenn sie von beiden Geschlechtern gleichermaßen getragen würden.
Linsenbreder: Bei uns ist die Liste ja quotiert, so weit es geht. Aber es ist leider noch immer schwierig, Frauen für Kandidaturen in der Politik gewinnen zu können.
Hängt das immer noch mit dem überkommenen Rollenbild zusammen, wonach Politik schon eher Männersache ist?
Rottmann-Heidenreich: Natürlich, das ist schon so. Aber es müsste nicht so sein, denn es gibt Beispiele aus anderen Ländern, in denen es aber auch andere Wahlgesetze gibt. Bei uns gibt es jetzt immerhin dieses Aktionsbündnis Parité, das dafür sorgen will, dass die Parteien mehr auf die Frauen zugehen müssen, um sie für Kandidaturen zu gewinnen. In sechs europäischen Ländern ist das schon umgesetzt. Und gerade in der Kommunalpolitik zeigt sich doch, dass es besser ist, wenn Frauen und Männer zusammenwirken. Kommunalpolitik betrifft ja nun mal den Alltag, wo es um Kinder, Schule oder Pflege geht. Und da können nicht nur Männer entscheiden.
Kommen auf Sie als Gleichstellungsbeauftragte auch Frauen zu, die sich politisch engagieren wollen und als Frauen deswegen Probleme haben?
Rottmann-Heidenreich: Ja, die gibt es. Aber auf Details möchte ich hier verzichten, im Landkreis lässt sich das schnell zurück verfolgen. Allerdings habe ich mal eine Untersuchung machen lassen, in der es um die Fluktuation in der Kommunalpolitik geht, also um die Frage, aus welchen Gründen sich Frauen und Männer wieder aus der Kommunalpolitik zurückziehen. Und da gab es im Landkreis Würzburg – Gott sei Dank – keine Unterschiede. Wenn es in den Ratsversammlungen manchmal rüde zugeht, dann leiden da die Männer ganz genau so wie die Frauen.
Rottmann: Das kann ich nur bestätigen. Bei uns im Gemeinderat werden die Frauen genauso wahrgenommen wie die Männer.
Frau Rottmann, Frau Linsenbreder, hat die Tatsache, dass sie als Frau an der Spitze stehen, in Ihren Gemeinden etwas ausgelöst? Hat sich das Bewusstsein für weibliche Kommunalpolitik geändert?
Linsenbreder: Bei uns haben sich die Bürger gefreut. Die haben auch gesehen, dass da jetzt einiges anders läuft. Aber bei uns waren auch schon seit gut 50 Jahren Frauen im Gemeinderat. Da gab es eine gewisse Normalität.
Rottmann: Bei uns gab es auch immer Gemeinderätinnen. Im Ehrenamtsbereich ist es sogar so, dass oft nur noch die Frauen übrig bleiben, die bereit sind mitzuarbeiten.
Aber bei der Politik ist dann damit Schluss?
Rottmann: Vielleicht wollen sich Frauen nicht immer den Diskussionen aussetzen, die es in Gemeinderäten gibt.
Gehen Frauen mit Macht anders um?
Linsenbreder: Ich denke schon. Ich glaube nicht, dass ich als Bürgermeisterin Macht im tatsächlichen Sinne ausübe, sondern ich sehe es als meine Pflicht und Aufgabe an, Dinge durchzusetzen, die dem Wohle der Bürger nützen. Ich versuche, die Partner mitzunehmen. Das geht allerdings nicht immer, vor allem dann nicht, wenn zum Beispiel im Gemeinderat parteimäßig geblockt wird. Dann muss man schauen, wo man bleibt, sonst geht man unter. Und man muss sich ein dickeres Fell zulegen.
Rottmann: Ich sehe das ähnlich. Ich bin eigentlich jemand, der es gerne jedem recht machen will. Das geht aber nicht. Dann muss du schon mal sagen: So soll es gemacht werden.
Welche Ratschläge kann die Gleichstellungsbeauftragte Frauen in der Politik geben?
Rottmann-Heidenreich: Als wichtigsten Rat kann ich den Frauen nur empfehlen: Vernetzt euch! Frauen, die etwas erreichen wollen, sollten sich zusammentun.
Das ist jetzt aber ein Tipp aus der Männerwelt. Männern wird ja immer nachgesagt, dass sie bei ihren Karrieren auf Netzwerke und Seilschaften bauen.
Rottmann-Heidenreich: Natürlich! Wir machen ja sogar Fortbildung zum Thema „Networking für Frauen“, also für etwas, was bei Männern ganz selbstverständlich läuft. Das müssen Frauen wirklich lernen.
Rottmann: Aber das Netzwerk sollte man nicht nur unter Frauen, sondern auch mit Männern aufbauen.
Linsenbreder: Unter Bürgermeisterkollegen sehen wir das eh anders, da spielen auch Parteizugehörigkeiten keine Rolle. Wenn man da von einem Kollegen, einer Kollegin Hilfe braucht, ob Mann oder Frau, ob rot, schwarz, gelb oder grün. Und: Es gibt ein gut funktionierendes Netzwerk von unterfränkischen Bürgermeisterinnen, das ist eine tolle Sache.
Rottmann-Heidenreich: Auf Unterfrankenebene gibt es seit drei Jahren auch einen interkommunalen Aktionstag. Zu dem kommen circa 120 bis 150 Frauen, und da zeigt sich, dass Frauen wunderbar voneinander lernen und Netzwerke schaffen können. Und dann ist es uns jetzt erstmals gelungen, ein Partei übergreifendes Frauen-Mentoring-Programm zu machen, wo erfahrene Kommunalpolitikerinnen mit Neueinsteigerinnen zusammenkommen. Da ging es unter anderem um Argumentationstraining und den Umgang mit Konflikten.
Machen Frauen eigentlich anders Politik als Männer?
Linsenbreder: Das glaube ich schon. Wir haben ganz andere Ansatzpunkte, zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir denken auch teilweise anders! Mir ist Familie wichtig, die Umwelt und ganz besonders die Bildung. Mir ging es deshalb auch immer darum, dass unsere Schüler die gleichen Voraussetzungen haben wie Schüler in Würzburg, Höchberg oder anderswo. Deshalb bedauere ich noch immer, dass die Hauptschulen durch die Einführung der sechsjährigen Realschule zerschlagen wurden.
Rottmann-Heidenreich: Sozialisationsbedingt sind Männer und Frauen unterschiedlich, deshalb ist es doch so wichtig, dass der Blick von Beiden in die Entscheidungen hineindringt. In der Wirtschaft hat es sich gezeigt, dass gemischte Teams effektiver arbeiten.
Rottmann: Bei uns im nördlichen Landkreis gibt es die Allianz mit zehn Gemeinden– vier davon mit Bürgermeisterinnen. Wenn es zum Beispiel um das Thema Mittelschule geht, merkt man, dass Frauen wie Männer ganz klar sagen: Unsere Kinder sollen auch in Zukunft vernünftig beschult werden!
Trotzdem ist der Frauenanteil in der Kommunalpolitik ja immer noch recht gering. Sind Quotierungen das Mittel der Wahl, um das zu ändern?
Linsenbreder: Also ich wollte nie eine Quotenfrau sein und war es auch nie. Aber wir brauchen in den Gremien beide Geschlechter. Da ist die Quotierung eine Hilfe, obwohl ich mir selbst damit anfangs schwer getan habe.
Rottmann-Heidenreich: Die Quote kann nur eine Übergangslösung sein, aber sie gibt Frauen möglicherweise erst einmal die Chance zu beweisen, dass sie es können. Und man sieht ja, dass es ohne Quote nicht läuft. Auf freiwilliger Basis geht da nichts.
Wenn man mal zehn Jahre voraus denkt: Wie hoch ist 2028 der Frauenanteil im Kreistag?
Linsenbreder: Ich befürchte, nicht mehr als 40 Prozent. Ich weiß nicht, ob die Gesellschaft bis dahin so weit ist, dass die Frau wirklich zu 100 Prozent gleichgestellt ist. Noch haben wir ein gehöriges Defizit; alleine wenn ich an die Entlohnung von Mann und Frau bei gleicher Arbeit denke. 21 Prozent sind hier der Fehlbetrag.
Rottmann: Ich sehe das auch so.
Rottmann-Heidenreich: Gleichstellung hat viele Stellschrauben; die Idee des Aktionsbündnisses Parité ist eine davon. Wenn die wirklich greift und zudem Teilhabe von Frauen in allen Bereichen selbstverständlich wird, sehe ich gute Chancen für 50 Prozent.
Welchen Tipp geben Sie Frauen, die sich politisch engagieren wollen?
Linsenbreder: Nur wer sich einmischt, kann etwas bewegen und verändern. Und deshalb rate ich allen Frauen, sich in die Politik einzumischen.
Rottmann-Heidenreich: Ganz kurz: Mitmachen lohnt sich! Und wer Unterstützung braucht, für den gibt es in der Gleichstellungsstelle Angebote.
Rottmann: Man soll sich einfach trauen, ein Amt zu übernehmen!
Zur Person
Eva-Maria Linsenbreder (61, SPD) ist seit März 1991 hauptberufliche Bürgermeisterin von Kleinrinderfeld. Seit 1996 gehört sie dem Kreistag und seit 2003 dem Bezirkstag an, dessen Vizepräsidentin sie seit 2008 ist.
Martina Rottmann (52, CSU) wurde 2014 in den Oberpleichfelder Gemeinderat gewählt, seit 2015 ist sie ehrenamtliche Bürgermeisterin.
Gabriele Rottmann-Heidenreich (61) ist seit 1997 die kommunale Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Würzburg.
Frauen in der Politik des Landkreises Würzburg
Von den 70 Kreistagsmitgliedern, die im Jahr 2014 gewählt wurden, sind nur 21 Frauen – exakt 30 Prozent.
Der Frauenanteil bei den Gemeinderatsmandaten beträgt 22,93 Prozent: Von den 750 Sitzen werden 172 von Frauen eingenommen. Gegenüber der Kommunalwahl 2008 stieg der Frauenanteil nur um 1,47 Prozent.
Von den 52 Landkreisgemeinden haben lediglich neun eine Bürgermeisterin.