Es ist ein kalter Mittwoch, 8.26 Uhr. Simone Barrientos steigt am Bahnhof Ochsenfurt in die Regionalbahn Richtung Würzburg. Dort fährt um neun der Bus nach Neubrunn. Eine gute Stunde dauert die Fahrt mit dem Nahverkehr, aber nur bei dieser Verbindung am Morgen. Zu anderen Zeiten ist mit anderthalb, oft zweieinhalb Stunden zu rechnen. Simone Barrientos fährt an diesem Tag nach Neubrunn, weil ihr Dartpfeil beim Wurf auf die Landkreiskarte dort stecken geblieben war. Die 56-jährige Ochsenfurterin tritt für die Linke bei der Kommunalwahl am 15. März als Landratskandidatin an.
In der wohltemperierten Bahn lässt es sich aushalten. Dennoch: Zweieinhalb Stunden - im schlimmsten Fall - für die einfache Fahrt? Der ÖPNV muss unbedingt ausgebaut werden, findet Simone Barrientos. Er muss bequemer werden, auch auf dem Land, und billiger. "Klar kann ein Dorf nicht so angefahren werden wie Würzburg", sagt sie. "Aber dafür muss es eben auch Lösungen geben." Rufbusse seien eine Variante, aber auch Carsharing, bei dem sich ein Dorf ein Auto teilt. "Aber erstmal braucht es eine ganz pragmatische Bestandsaufnahme. Und dazu muss man mit den Leuten vor Ort reden."
Simone Barrientos steuert den Chefsessel im Landratsamt ohne ein konkretes Ideenpaket für den Landkreis Würzburg an. "Mit welchem Recht?" fragt sie. Erst mal hören, wo der Schuh drückt, ist ihre Devise. Mit allen reden, Runde Tische bilden. Sie hat eine Vorstellung davon, was Menschen auf dem Land bewegt - obwohl sie selbst eine Großstadtpflanze ist. Stadt und Land, das gehört für sie zusammen.
"Ich sehe die Diskrepanz nicht. Da muss man gar keine Gräben aufmachen. Man lebt an vielen Stellen in der Stadt zwar anders, aber ganz vieles gleicht sich." Barrientos ist in einer Kleinstadt aufgewachsen, lebte aber 30 Jahre lang in Berlin. Seit sie 2017 für den Bundestag kandidierte, dem sie nun seit zwei Jahren angehört, war sie häufig im Landkreis Würzburg unterwegs und kam dort auch mit Landwirten ins Gespräch.
Wie ergeht es einer linken Politikerin eigentlich auf dem Bauernhof? "Zunächst einmal ist da natürlich Staunen, weil uns niemand mit dem Thema in Verbindung bringt" erzählt sie. Doch sobald die Leute mitbekämen, dass sie komme, um das Gespräch zu suchen, seien sie aufgeschlossen und vor allem froh, dass überhaupt mal jemand aus der Bundespolitik bei ihnen vorbei schaue.
Inzwischen ist der Zug mit einigen Minuten Verspätung am Würzburger Hauptbahnhof angekommen. Die Zeit reicht aber noch, um den Bus 472 zu erwischen. Es ist ein großer Gelenkbus, in dem um diese Zeit nur eine Handvoll Fahrgäste sitzt. In Neubrunn selbst herrscht auch nicht gerade Gedränge. Simone Barrientos stiefelt los in Richtung Rathaus und Kirche. Vorab hat sie sich informiert und findet, dass der Ort seinen Einwohnern einiges bietet. Unter anderem mehrere Ärzte, Busverbindungen nach Würzburg und Marktheidenfeld, Kindergärten, eine Postfiliale, zwei Banken und sogar ein Freibad.
"Das ist nicht trivial für so einen kleinen Ort, denn es nicht leicht zu stemmen", sagt die Bundestagsabgeordnete. Ob die Einwohner gerne hier leben? Simone Barrientos kann das an diesem Tag aus erster Hand nicht erfahren, da kaum Menschen unterwegs sind. Zumindest nicht zu Fuß. Autos fahren schon durch den Ort, und zwar nicht gerade langsam. Das fällt der Ochsenfurterin auf. Schon ist das Gespräch wieder beim Thema ÖPNV. "Das Ziel muss sein, vom Auto wegzukommen", sagt Barrientos. Der massive Autoverkehr verursache hohe Reparaturkosten bei den Straßen. Das Geld, das sich einsparen lasse, wenn so hohe Kosten nicht mehr entstünden, könne in einen kostenlosen oder zumindest deutlich günstigeren ÖPNV gesteckt werden.
Beim Streifzug durch die Ortsmitte entdeckt die Ochsenfurterin Dinge, die nicht selten sind in ländlichen Gemeinden: ein verfallendes altes Wohnhaus, eine geschlossene Bäckerei. Dörfer aber müssen einen Ortskern haben, wo man sich trifft, findet Barrientos. Die Heimatgemeinde müsse mehr bieten, als "einkaufen und ein Dach überm Kopf." Es gebe Kommunen, die bekämen das ganz gut hin, auch finanziell.
Andererseits seien da auch Gemeinden, die keine entsprechenden Einnahmen hätten. "Und die sind in der Mehrzahl. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich wünsche mir da ein Kooperationsgebot auf allen Ebenen." Wenn eine Kommune Maßnahmen zur Belebung seines Ortskerns in die Hand nehme, müsse der Kreis verpflichtet sein, da mitzugehen. Dieses Prinzip müsse sich bis in die höheren Ebenen durchziehen.
Kooperation hält die Politikerin in anderen Bereichen ebenfalls für unverzichtbar, gerade, was die Zusammenarbeit zwischen Kommunen angeht. So wie die Mitgliedschaft Neubrunns in der Allianz Waldsassengau. "Da muss man hin", sagt Barrientos. In der Allianz findet bereits statt, was die 56-Jährige gut findet: eine Fokussierung auf die Innenentwicklung, eine Strategie zur Baulandentwicklung und damit eine Verringerung des Flächenverbrauchs. "Der Ansatz ist richtig, den muss man vorantreiben."
Simone Barrientos, die bis Juni 2017 einen Verlag in Ochsenfurt leitete, hat ein Leib- und Magen-Thema: Kultur. Die muss nicht auf größere Städte beschränkt sein. Für Simone Barrientos heißt Kultur auch: Wie und wo lebt man miteinander, und wo gibt es Verknüpfungen zwischen Stadt und Land? "Kultur ist nicht nur Theater, sondern auch Begegnungsstätten. Auch eine Kneipe fällt für mich unter den Bereich Kultur, wenn sie der Mittelpunkt des Ortes ist." Wie sieht es auf dem Land mit Jugendzentren aus, mit Räumen für Kulturschaffende, etwa auch welche aus der Stadt? Hier eine Verbindung zu schaffen, wäre Simone Barrientos wichtig. Und ihr Herzenswunsch für den Landkreis? "Dass es keine Tafeln geben müsste", sagt sie spontan.
Was würde sie eigentlich als erstes tun, wenn sie Landrätin würde? "Ich möchte mit jedem, der in der Verwaltung sitzt, einmal persönlich sprechen. Die Leute wissen am besten, wo der Schuh drückt. Die haben oft auch Vorschläge, die pragmatisch umzusetzen sind."