Der Kommunalwahlkampf war auf der Zielgeraden, als sich in Würzburg ein anderes Thema in den Vordergrund schob: die Corona-Pandemie. Für Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU), der die Wahl am 15. März überraschend klar im ersten Wahlgang gewonnen hatte, blieb keine Zeit zum Feiern. Stattdessen musste er sich, wie andere Verantwortungsträger in der Region, an eine neue Rolle gewöhnen – die eines Katastrophenmanagers. Dazu kam, dass Würzburg gleich zweimal zum Corona-Hotspot in Deutschland wurde. Ein Gespräch über ein besonderes Jahr.
Christian Schuchardt: Das war ziemlich exakt vor einem Jahr, als am 16. März, einen Tag nach der Kommunalwahl in Bayern, der Katastrophenfall ausgerufen wurde. Etwa zeitgleich gab es im Seniorenheim St. Nikolaus des Bürgerspitals, dessen Stiftungsratsvorsitzender ich ja bin, diesen schweren Ausbruch der Pandemie (Hinweis der Redaktion: März/April 2020 hatte es einen Corona-Massenausbruch in dem Heim gegeben, 25 Bewohner waren im Zusammenhang mit der Infektion gestorben). Das waren eindrückliche Bilder, die ich mein Lebtag nicht vergessen werde. Eingeprägt haben sich das menschliche Leid, zugleich aber auch die Hilfsbereitschaft vieler Menschen. Ich wusste: Die Katastrophe, die die ganze Menschheit betrifft, ist auch in Würzburg angekommen.
Schuchardt: Wenn es um Leben und Tod geht, wenn so viele Menschen einem Gefährdungsrisiko ausgesetzt sind, belastet einen das sehr. Es kam hinzu, dass es keinen Impfstoff gab, nicht mal genügend Tests. Die vulnerablen Gruppen sind ja unsere Elterngeneration, um deren Leben geht es. Beschäftigt hat mich natürlich auch, vor Ort das zu organisieren, was nötig und möglich war mit den sehr eingeschränkten Mitteln, die wir damals hatten.
Schuchardt: Im Tagesgeschäft war ich voll mit der Einrichtung der Gremien beschäftigt, die bis heute bei der Bewältigung der Pandemie tätig sind, der Krisen-Katastrophenstab zum Beispiel oder die behördenübergreifende Abstimmung von Stadt und Landkreis und vor allem das tagesaktuelle Krisenmanagement. Das war wichtiger als einzelne Wahlkampfsituationen. Es ging und geht schließlich um Menschenleben.
Schuchardt: Es ist die gleiche Stadt, so oder so. Aber es war schon eine seltsame Anmutung, die Stadt mit so wenigen Menschen zu erleben. Auch später noch, als die Mund-Nasen-Bedeckungen aufkamen oder Betretungsverbote ausgesprochen werden mussten, war das schon befremdend. Ich glaube, das nimmt jeder Mensch in dieser Stadt so wahr. Auch wenn man die eigene Lebensspanne durchgeht und an die großen gesamtgesellschaftlichen Ereignisse denkt, dann ist doch diese Pandemie das einschneidendste Ereignis.
Schuchardt: Bei mir kam dieses Gefühl nicht auf. Es gab keinen Impfstoff und nur etwas Erfahrung im Umgang mit der Krise. Auch die allgemeinen Testmöglichkeiten waren noch nicht im erforderlichen Maße gegeben. Mir war klar, dass der Herbst sehr eng werden und mit Einschränkungen verbunden sein würde.
Schuchardt: Das war für mich kein Thema. Die gesamte Corona-Situation erfordert ein permanentes Nachjustieren. Die Entscheidungen, die wir treffen, beruhen auf Informationen, die zehn Tage alt sind. Denn die heute positiv Getesteten haben sich vor durchschnittlich zehn Tagen infiziert. Dazu kommt die Geschwindigkeit der Ansteckungen, jetzt noch verstärkt durch die Mutationen. Man muss also permanent nachsteuern. Ganz langfristige Perspektiven mit Wenn-Dann-Sätzen sind da nur schwer möglich.
Schuchardt: Das Gefühl hatte ich nicht. Allerdings ging es schon um die Frage, wie wir da richtig gegensteuern. Wir haben uns dann entschieden, viel zu testen. An einigen Tagen wurde fast jeder fünfte Test in Bayern in Würzburg durchgeführt. Ich war damals ja auch an der Teststrecke vor Ort und habe die Staus der Autos gesehen. Aber das war ein gutes Zeichen: Die Bevölkerung hat mitgemacht, die Menschen haben sich testen lassen. Und der Inzidenzwert ist dann ja auch schrittweise zurückgegangen.
Schuchardt: Wenn ich diese gesamte Öffnungsdiskussion verfolge, die seit vier Wochen läuft, dann sehe ich, dass durch diesen Diskurs bei der Bürgerschaft auch eine Teil-Entwarnung ankommt. Das führt dann bei dem Einen oder Anderen auch zu Nachlässigkeiten, zumal die Menschen nach über drei Monaten Lockdown ermüdet sind. Einerseits geht das Gefährdungspotenzial durch die Mutationen nach oben, andererseits haben wir auch nicht mehr die ganz großen Einschläge bei den Über-80-Jährigen, da das Impfen schon greift. In diesem Korridor müssen wir uns bewegen.
Schuchardt: Man trifft Entscheidungen auf Grundlage der unvollständigen Informationslage, die man hat. Und man kann auch immer nur auf die Mittel zurückgreifen, die einem zur Verfügung stehen. Mit dem Wissen, das ich heute habe, will ich nicht ausschließen, dass ich an der einen oder anderen Stelle anders entschieden hätte, also entweder stärker oder moderater.
Schuchardt: Nehmen Sie mal die Alte Mainbrücke. Wann ist der richtige Moment, die Brücke zu schließen oder wieder zu öffnen? Den richtigen Zeitpunkt kennen Sie immer nur hinterher. Vielleicht wäre es im Herbst richtig gewesen, die Brücke früher zu schließen, weil sie eben so ein Symbol ist. Die gleiche Diskussion führen wir jetzt auch aktuell, was Betretungsverbote betrifft, zum Beispiel am Mainufer. Wir planen im Moment, dort mit neuen Schildern zu informieren und zu überzeugen. Ich persönlich möchte nicht nur mit Verboten und Bußgeldern arbeiten. Das Beste ist, wenn wir die Menschen überzeugen können, umsichtig zu sein.
Schuchardt: Wir bekommen schrittweise mehr Impfstoff. Ab April erwarten wir 2400 Impfdosen pro Tag. Ich habe schon die Hoffnung, dass der nächste Winter ein anderer wird, und die noch größere Hoffnung, dass wir im nächsten Frühjahr wieder normaler oder fast normal miteinander umgehen können. Die Alte Mainbrücke ist ein wunderbarer Ort der Begegnung, der sich zum einzigartigen Aushängeschild der Stadt entwickelt hat. Mit Überwinden der Pandemie wird das auch wieder so sein, selbst wenn die Brücke jetzt gelegentlich mal schlechte Schlagzeilen macht.
Schuchardt: Von der Stadt aus haben wir immer auch selber aktiv das Gespräch gesucht. Aber es sind auch viele Einzelschicksale, die einen erreichen. Es tut schon sehr weh, wenn man Menschen vor sich hat, deren Existenz zerstört oder stark bedroht ist und die nicht mehr weiter wissen. Auf der kommunalen Ebene sind wir gefordert, bei den Rahmenbedingungen so zu unterstützen, wie es nur geht. Das haben wir im vergangenen Jahr in der Kultur und im Einzelhandel auch gemacht. Fakt ist aber auch: Städte verändern sich immer. Es gibt grundlegende Entwicklungen im Handel und in der Gastronomie, die sich durch Corona wie mit einem Brandbeschleuniger verstärkt haben. Vor 25 Jahren war die Stadt auch eine andere als heute.
Schuchardt: Wir müssen erst mal begreifen, wie sich die Funktionen der Innenstadt verändern und müssen den Wandel und das, was positiv ist, aktiv begleiten. Wir können aber nicht Geschäfte verstaatlichen oder dauerhaft subventionieren. Wir haben großartige Kaufleute und Wirte in der Stadt. Und ich hoffe, dass wir die Herausforderungen meistern und die unvermeidbaren Veränderungen sogar aktiv und positiv mitgestalten können.
Schuchardt: Gemischt. Viele Menschen sind wegen des Impfbeginns zuversichtlich und erwarten, dass es im Sommer leichter wird. Es gibt aber auch Menschen, die zum Beispiel im Umgang mit Behörden sehr rüde geworden sind. Auch was ich so an Korrespondenz erhalte, zeigt eine große Spannbreite und Anspannung. Die einen wollen, dass jeder sofort ein Knöllchen erhält, wenn er sich nicht regelkonform verhält, die anderen schreiben mir, sie gehen wirtschaftlich vor die Hunde. Aber man muss feststellen: Trotz der beiden Phasen, in denen Würzburg nachgerade Hotspot war, steht unsere Stadt im nationalen und internationalen Corona-Vergleich nicht schlecht da. Am Ende wird bilanziert.
Schuchardt: Wir sind ja noch mitten in der Krise, da kann ich noch keine Komplett-Rückschau geben. Was ich aber vor allem im Fokus habe, sind im Moment diejenigen, die die Schwächsten in dieser Gesellschaft sind. Und da gibt es ein großartiges Hilfsengagement, das über viele einzelne Initiativen gelaufen ist. Menschen wurde beim Einkaufen geholfen, es gab Spendenaktionen oder die Initiative für die Obdachlosen im Winter in der Posthalle. Und ja, natürlich macht Corona etwas mit den Menschen. Damit müssen wir umgehen.
Schuchardt: Darauf, mit Freunden einfach mal wieder gesellig, ganz ungezwungen und am liebsten ohne Maske zusammen sein zu können. Ich freue mich auf Normalität.
Doch mal konkret, Herr Schuchardt: ich habe mich persönlich an Sie gewandt mit Anliegen und Nöten, die ausdrücklich in Ihre Zuständigkeit fallen. Bis heute habe ich keine Antwort erhalten!
Gehen Sie mit allen Anliegen, Sorgen und Nöten so um?
M. Deeg
Polizeibeamter a.D.