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Würzburg
Ein Jahr Corona: Wie Würzburgs OB Schuchardt die Katastrophe managt
Todesfälle im Seniorenheim, Corona-Hotspot in Deutschland, Ärger um die Alte Mainbrücke: OB Christian Schuchardt über ein außergewöhnlich herausforderndes Jahr.
Wurde 2020 auch Katastrophenfallmanager: Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt.
Foto: Thomas Obermeier | Wurde 2020 auch Katastrophenfallmanager: Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt.
Julia Back
 und  Torsten Schleicher
 |  aktualisiert: 09.02.2024 10:44 Uhr

Der Kommunalwahlkampf war auf der Zielgeraden, als sich in Würzburg ein anderes Thema in den Vordergrund schob: die Corona-Pandemie. Für Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU), der die Wahl am 15. März überraschend klar im ersten Wahlgang gewonnen hatte, blieb keine Zeit zum Feiern. Stattdessen musste er sich, wie andere Verantwortungsträger in der Region, an eine neue Rolle gewöhnen – die eines Katastrophenmanagers. Dazu kam, dass Würzburg gleich zweimal zum Corona-Hotspot in Deutschland wurde. Ein Gespräch über ein besonderes Jahr.

Frage: An den Beginn der Pandemie hat wohl jeder eigene Erinnerungen. Wann haben Sie gewusst: "Das wird kein normales Jahr"?

Christian Schuchardt: Das war ziemlich exakt vor einem Jahr, als am 16. März, einen Tag nach der Kommunalwahl in Bayern, der Katastrophenfall ausgerufen wurde. Etwa zeitgleich gab es im Seniorenheim St. Nikolaus des Bürgerspitals, dessen Stiftungsratsvorsitzender ich ja bin, diesen schweren Ausbruch der Pandemie (Hinweis der Redaktion: März/April 2020 hatte es einen Corona-Massenausbruch in dem Heim gegeben, 25 Bewohner waren im Zusammenhang mit der Infektion gestorben). Das waren eindrückliche Bilder, die ich mein Lebtag nicht vergessen werde. Eingeprägt haben sich das menschliche Leid, zugleich aber auch die Hilfsbereitschaft vieler Menschen. Ich wusste: Die Katastrophe, die die ganze Menschheit betrifft, ist auch in Würzburg angekommen.

Der erste Corona-Tote in Bayern stammte aus Würzburg, es war ein Bewohner dieses Seniorenheims. Es gab weitere Todesfälle, Würzburg wurde bundesweit zum Corona-Hotspot. Wie sehr hat Sie diese Situation belastet?

Schuchardt: Wenn es um Leben und Tod geht, wenn so viele Menschen einem Gefährdungsrisiko ausgesetzt sind, belastet einen das sehr. Es kam hinzu, dass es keinen Impfstoff gab, nicht mal genügend Tests. Die vulnerablen Gruppen sind ja unsere Elterngeneration, um deren Leben geht es. Beschäftigt hat mich natürlich auch, vor Ort das zu organisieren, was nötig und möglich war mit den sehr eingeschränkten Mitteln, die wir damals hatten.

Der Beginn der Pandemie fiel in die Endphase des Kommunalwahlkampfes. Hatten Sie überhaupt noch den Kopf frei für den Wahlkampf?

Schuchardt: Im Tagesgeschäft war ich voll mit der Einrichtung der Gremien beschäftigt, die bis heute bei der Bewältigung der Pandemie tätig sind, der Krisen-Katastrophenstab zum Beispiel oder die behördenübergreifende Abstimmung von Stadt und Landkreis und vor allem das tagesaktuelle Krisenmanagement. Das war wichtiger als einzelne Wahlkampfsituationen. Es ging und geht schließlich um Menschenleben.

Es folgten Geschäftsschließungen und strenge Kontaktbeschränkungen. Die Würzburger Innenstadt verwaiste. Haben Sie Ihre Stadt eigentlich noch wiedererkannt?

Schuchardt: Es ist die gleiche Stadt, so oder so. Aber es war schon eine seltsame Anmutung, die Stadt mit so wenigen Menschen zu erleben. Auch später noch, als die Mund-Nasen-Bedeckungen aufkamen oder Betretungsverbote ausgesprochen werden mussten, war das schon befremdend. Ich glaube, das nimmt jeder Mensch in dieser Stadt so wahr. Auch wenn man die eigene Lebensspanne durchgeht und an die großen gesamtgesellschaftlichen Ereignisse denkt, dann ist doch diese Pandemie das einschneidendste Ereignis.

Mit dem Sommer kam das Gefühl auf: Corona spielt keine große Rolle mehr. Die Menschen fühlten sich wieder sicherer. Sie auch?

Schuchardt: Bei mir kam dieses Gefühl nicht auf. Es gab keinen Impfstoff und nur etwas Erfahrung im Umgang mit der Krise. Auch die allgemeinen Testmöglichkeiten waren noch nicht im erforderlichen Maße gegeben. Mir war klar, dass der Herbst sehr eng werden und mit Einschränkungen verbunden sein würde.

Ein Jahr Corona: Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt (links) im Gespräch mit den Main-Post-Redakteuren Torsten Schleicher und Julia Back.
Foto: Thomas Obermeier | Ein Jahr Corona: Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt (links) im Gespräch mit den Main-Post-Redakteuren Torsten Schleicher und Julia Back.
Das heißt, Sie haben auch damals eher zu den Vorsichtigen gehört? In anderen Bundesländern hatten sich Politiker für weitreichendere Lockerungen ausgesprochen.

Schuchardt: Das war für mich kein Thema. Die gesamte Corona-Situation erfordert ein permanentes Nachjustieren. Die Entscheidungen, die wir treffen, beruhen auf Informationen, die zehn Tage alt sind. Denn die heute positiv Getesteten haben sich vor durchschnittlich zehn Tagen infiziert. Dazu kommt die Geschwindigkeit der Ansteckungen, jetzt noch verstärkt durch die Mutationen. Man muss also permanent nachsteuern. Ganz langfristige Perspektiven mit Wenn-Dann-Sätzen sind da nur schwer möglich.

Im September schnellte die Inzidenz dann ja auch nach oben. Würzburg hatte den höchsten Inzidenzwert in ganz Deutschland und wurde zum zweiten Mal Corona-Hotspot. Hatten Sie da mal das Gefühl: "Wir haben das nicht mehr im Griff"?

Schuchardt: Das Gefühl hatte ich nicht. Allerdings ging es schon um die Frage, wie wir da richtig gegensteuern. Wir haben uns dann entschieden, viel zu testen. An einigen Tagen wurde fast jeder fünfte Test in Bayern in Würzburg durchgeführt. Ich war damals ja auch an der Teststrecke vor Ort und habe die Staus der Autos gesehen. Aber das war ein gutes Zeichen: Die Bevölkerung hat mitgemacht, die Menschen haben sich testen lassen. Und der Inzidenzwert ist dann ja auch schrittweise zurückgegangen.

Vor ein paar Wochen hatte Würzburg mit 32,8 einen niedrigen Inzidenzwert, jetzt steigt er wieder. Macht die Bevölkerung nicht genug mit?

Schuchardt: Wenn ich diese gesamte Öffnungsdiskussion verfolge, die seit vier Wochen läuft, dann sehe ich, dass durch diesen Diskurs bei der Bürgerschaft auch eine Teil-Entwarnung ankommt. Das führt dann bei dem Einen oder Anderen auch zu Nachlässigkeiten, zumal die Menschen nach über drei Monaten Lockdown ermüdet sind. Einerseits geht das Gefährdungspotenzial durch die Mutationen nach oben, andererseits haben wir auch nicht mehr die ganz großen Einschläge bei den Über-80-Jährigen, da das Impfen schon greift. In diesem Korridor müssen wir uns bewegen.

"Wir werden einander viel verzeihen müssen", sagte Gesundheitsminister Jens Spahn in der Anfangsphase der Pandemie. Mit Blick auf Corona und die vergangenen zwölf Monate: Haben Sie Entscheidungen getroffen, die Sie aus heutiger Sicht so nicht mehr treffen würden, die Sie bereuen?

Schuchardt: Man trifft Entscheidungen auf Grundlage der unvollständigen Informationslage, die man hat. Und man kann auch immer nur auf die Mittel zurückgreifen, die einem zur Verfügung stehen. Mit dem Wissen, das ich heute habe, will ich nicht ausschließen, dass ich an der einen oder anderen Stelle anders entschieden hätte, also entweder stärker oder moderater.

Haben Sie ein Beispiel?

Schuchardt: Nehmen Sie mal die Alte Mainbrücke. Wann ist der richtige Moment, die Brücke zu schließen oder wieder zu öffnen? Den richtigen Zeitpunkt kennen Sie immer nur hinterher. Vielleicht wäre es im Herbst richtig gewesen, die Brücke früher zu schließen, weil sie eben so ein Symbol ist. Die gleiche Diskussion führen wir jetzt auch aktuell, was Betretungsverbote betrifft, zum Beispiel am Mainufer. Wir planen im Moment, dort mit neuen Schildern zu informieren und zu überzeugen. Ich persönlich möchte nicht nur mit Verboten und Bußgeldern arbeiten. Das Beste ist, wenn wir die Menschen überzeugen können, umsichtig zu sein.

Im Zusammenhang mit den Corona-Regeln immer wieder in der Diskussion: Anziehungspunkt Alte Mainbrücke.
Foto: Ernst Lauterbach | Im Zusammenhang mit den Corona-Regeln immer wieder in der Diskussion: Anziehungspunkt Alte Mainbrücke.
Die Alte Mainbrücke war und ist im Zusammenhang mit der Einhaltung der Coronaregeln in der Diskussion. Bekommt der Touristenmagnet da nicht langsam ein Imageproblem? 

Schuchardt: Wir bekommen schrittweise mehr Impfstoff. Ab April erwarten wir 2400 Impfdosen pro Tag. Ich habe schon die Hoffnung, dass der nächste Winter ein anderer wird, und die noch größere Hoffnung, dass wir im nächsten Frühjahr wieder normaler oder fast normal miteinander umgehen können. Die Alte Mainbrücke ist ein wunderbarer Ort der Begegnung, der sich zum einzigartigen Aushängeschild der Stadt entwickelt hat. Mit Überwinden der Pandemie wird das auch wieder so sein, selbst wenn die Brücke jetzt gelegentlich mal schlechte Schlagzeilen macht.

Auch in Würzburg sind viele private Existenzen durch die Pandemie beeinträchtigt und gefährdet. Wenden sich Menschen mit ihren Sorgen auch persönlich an Sie?

Schuchardt: Von der Stadt aus haben wir immer auch selber aktiv das Gespräch gesucht. Aber es sind auch viele Einzelschicksale, die einen erreichen. Es tut schon sehr weh, wenn man Menschen vor sich hat, deren Existenz zerstört oder stark bedroht ist und die nicht mehr weiter wissen. Auf der kommunalen Ebene sind wir gefordert, bei den Rahmenbedingungen so zu unterstützen, wie es nur geht. Das haben wir im vergangenen Jahr in der Kultur und im Einzelhandel auch gemacht. Fakt ist aber auch: Städte verändern sich immer. Es gibt grundlegende Entwicklungen im Handel und in der Gastronomie, die sich durch Corona wie mit einem Brandbeschleuniger verstärkt haben. Vor 25 Jahren war die Stadt auch eine andere als heute.

Das heißt, die Kommune sollte in der Corona-Situation nicht zu sehr unterstützend eingreifen?

Schuchardt: Wir müssen erst mal begreifen, wie sich die Funktionen der Innenstadt verändern und müssen den Wandel und das, was positiv ist, aktiv begleiten. Wir können aber nicht Geschäfte verstaatlichen oder dauerhaft subventionieren. Wir haben großartige Kaufleute und Wirte in der Stadt. Und ich hoffe, dass wir die Herausforderungen meistern und die unvermeidbaren Veränderungen sogar aktiv und positiv mitgestalten können.

Nach einem Jahr Corona: Wie empfinden Sie die Stimmung in der Stadt?

Schuchardt: Gemischt. Viele Menschen sind wegen des Impfbeginns zuversichtlich und erwarten, dass es im Sommer leichter wird. Es gibt aber auch Menschen, die zum Beispiel im Umgang mit Behörden sehr rüde geworden sind. Auch was ich so an Korrespondenz erhalte, zeigt eine große Spannbreite und Anspannung. Die einen wollen, dass jeder sofort ein Knöllchen erhält, wenn er sich nicht regelkonform verhält, die anderen schreiben mir, sie gehen wirtschaftlich vor die Hunde. Aber man muss feststellen: Trotz der beiden Phasen, in denen Würzburg nachgerade Hotspot war, steht unsere Stadt im nationalen und internationalen Corona-Vergleich nicht schlecht da. Am Ende wird bilanziert.

Was Würzburg auszeichnet, ist ein reges gesellschaftliches Leben und viele Veranstaltungen. Die konnten letztes Jahr nicht oder nur sehr eingeschränkt stattfinden. Wie es in diesem Jahr wird, weiß noch niemand. Hat sich die Stadtgesellschaft mit Corona verändert? 

Schuchardt: Wir sind ja noch mitten in der Krise, da kann ich noch keine Komplett-Rückschau geben. Was ich aber vor allem im Fokus habe, sind im Moment diejenigen, die die Schwächsten in dieser Gesellschaft sind. Und da gibt es ein großartiges Hilfsengagement, das über viele einzelne Initiativen gelaufen ist. Menschen wurde beim Einkaufen geholfen, es gab Spendenaktionen oder die Initiative für die Obdachlosen im Winter in der Posthalle. Und ja, natürlich macht Corona etwas mit den Menschen. Damit müssen wir umgehen.

Wenn der Lockdown mal vorüber ist: Worauf freuen Sie sich am meisten?

Schuchardt: Darauf, mit Freunden einfach mal wieder gesellig, ganz ungezwungen und am liebsten ohne Maske zusammen sein zu können. Ich freue mich auf Normalität. 

Zur Person

Christian Schuchardt (CDU) ist seit 2014 Oberbürgermeister von Würzburg. Im vergangenen Jahr wurde der gebürtige Hesse bei der Kommunalwahl in seinem Amt bestätigt. Der 52-Jährige hat zusammen mit seiner Lebensgefährtin Eva-Maria Bast einen Sohn. 
Quelle:
 
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Kommentare
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  • K. F.
    tja - sehe da viele paralelen zwischen ob schuchard und mp söder ... beide große klappe ... beide meinen immer nur das beste für die leute zu wollen. aber, was ist letztlich das beste für die leute? immer nur kuschen, still halten?? muß immer wieder sagen: wahltag ist zahltag. die cdu rutscht ja auch schon immer tiefer. gerade mal noch 32 % bei der sonntagsumfrage vom 1.3.2021! vielleicht gehts ja noch eh bisserle tiefer damit man endlich in der politischen landschaft der cdu/csu aufwacht? man muß sich halt weren und das kann man bei der wahl nur machen wenn man mal evtl. anders denkt als in den vergangenen wahljahren!
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  • J. K.
    Erst mal besser machen!
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  • K. S.
    Es sollten sich möglichst viele testen lassen, hatte aber einen kleinen entscheidenden Nachteil. Da ohne Zulassung vom Gesundheitsamt niemand getestet wurde. Der Aufruf zum Test war also nur Theorie. Auch bin ich enttäuscht wie die Stadt Würzburg mit den von ihnen verfassten Anordnungen umgegangen ist. Nur Apelle haben ja schon im Sommer keinen Erfolg gehabt. Kaum jemand hat diese befolgt. Dann werden "Verstösse" nicht einheitlich verfolgt. Einige dürfen etwas was andere wieder nicht dürfen ! Na ja, man hat ja auch nicht so die Zeit so etwas zu bewerten denn erst müssen die Autos aus Würzburg raus !
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  • M. D.
    Allgemeinplätze und Wischi-Waschi.

    Doch mal konkret, Herr Schuchardt: ich habe mich persönlich an Sie gewandt mit Anliegen und Nöten, die ausdrücklich in Ihre Zuständigkeit fallen. Bis heute habe ich keine Antwort erhalten!

    Gehen Sie mit allen Anliegen, Sorgen und Nöten so um?

    M. Deeg
    Polizeibeamter a.D.
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  • R. R.
    Herr Deeg in Würzburg wird alles ausgesessen ohne antworten auf fragen und das schlimmste ist das es funktioniert und nach außen zum Vorteil gut verkauft wird.
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