Bis zu 3000 Menschen haben sich in den vergangenen Wochen sonntags in der Schweinfurter Innenstadt zu Demonstrationen versammelt. Teils kam es dabei zu hässlichen Szenen und Gewalt gegen Polizeibeamte. Die sogenannten "Spaziergänge" und die Eskalation an einigen der Abende brachte Schweinfurt bundesweit in die Schlagzeilen. Gibt es hier mehr Menschen als anderswo, die mit den Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Corona-Pandemie nicht einverstanden sind?
Ein klares "Nein" kommt dazu von Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) und Ordnungsreferent Jan von Lackum, aber auch von Bürgern wie Ralf Hofmann. Der Schweinfurter ist SPD-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat, an der "Schweinfurter Erklärung für Demokratie und Zusammenhalt" war er aber als Privatmann maßgeblich beteiligt. Eine Erklärung, die im Internet mittlerweile 23 000 Menschen unterzeichnet haben.
Auch der Schweinfurter Stadtrat fand in einer Resolution noch vor Weihnachten deutliche Worte, als er das Recht auf Versammlungsfreiheit stärkte und Gewalt gegen Polizeibeamte und die Teilnahme an illegalen "Spaziergängen" scharf verurteilte.
Als man im Dezember die Nachrichten aus Schweinfurt las, fragte man sich bang, wie lange es so weiter gehen und wie die Lage im Januar wohl ausschauen würde. Es wirkte beängstigend, was teilweise passierte: hier der Versuch ein Polizeiauto anzuzünden, da mehrere Angriffe gegen Polizeibeamte, als Tiefpunkt dann die Eskalation am zweiten Weihnachtsfeiertag, als mehrere Menschen versuchten, eine Polizeikette zu durchbrechen. Auch ein Elternpaar war mit seinem vierjährigen Kind im Pulk. Als Pfefferspray die Menge stoppte, bekam das Kleinkind eine Nebelwolke ab.
Die Zivilgesellschaft in Schweinfurt hat eine Stimme gefunden
Proteste gibt es jetzt im Januar immer noch, auch weiterhin illegale sogenannte "Spaziergänge". Doch inzwischen kommen sonntags und montags deutlich weniger Menschen. Und Gegner der Corona-Maßnahmen der Regierung haben mittlerweile auch Demonstrationen offiziell angemeldet.
Vor allem aber: Die Zivilgesellschaft, die zunächst schweigende Mehrheit gegen die Protestzüge, hat ihre Stimme gefunden. Am 9. Januar zum Beispiel zündeten Bürgerinnen und Bürger 300 Kerzen für 300 Corona-Todesopfer in Stadt und Landkreis Schweinfurt vor dem Friedrich-Rückert-Denkmal am Marktplatz an. Mit einer Menschenkette setzte das "Bündnis für Demokratie und Zusammenhalt" damit auch ein erstes sichtbares Zeichen zu der als Online-Petition veröffentlichten "Schweinfurter Erklärung".
Hatten Proteste aus der rechten Szene in Schweinfurt vor der Corona-Pandemie eine Chance?
Dass die Zivilgesellschaft aufstand und ein klares Stopp-Zeichen aussandte, ist ein wichtiger Aspekt. Vor der Corona-Pandemie hatte sich Schweinfurt, insbesondere durch die Arbeit des Bündnisses "Schweinfurt ist bunt", dafür ausgezeichnet, sich allen Versuchen der rechtsnationalen Szene, in der Stadt Fuß zu fassen, entgegenzustellen - mit weitaus mehr Menschen, als jeweils zu Demonstrationen von AfD oder "Der III. Weg" kamen.
Besonders bemerkenswert ist der 1. Mai 2010 in Erinnerung, dem ersten Tag im Amt für den damals neu gewählten Oberbürgermeister Sebastian Remelé. 10 000 Bürgerinnen und Bürger gingen damals auf die Straße, um für Toleranz zu werben und sich gegen eine Demonstration Rechtsradikaler in der Stadt zu stellen.
Zwar lassen sich die Gegebenheiten damals und die Corona-Proteste im Dezember 2021 nur scher miteinander vergleichen, weil die Teilnehmenden heute viel zu heterogen sind. Augenfällig aber ist, dass deutlich vernehmbare Protest der Mehrheit der Schweinfurter durch die beiden Resolutionen von Stadtrat und Bürgerschaft auch jetzt dazu beitrug, dass weniger Menschen kommen.
Welche Wirkung hatten die Allgemeinverfügung und die beschleunigten Verfahren?
Zwei Punkte sind aus Sicht der Stadtverwaltung und des Polizeipräsidiums Unterfranken ganz wesentlich: Zum einen die schnellen und konsequenten Urteile bei Straftaten durch die beschleunigten Verfahren vor dem Amtsgericht Schweinfurt. Sieben Fälle der Körperverletzung von Polizeibeamten sind unmittelbar nach den Vorfällen verhandelt worden. Die Angeklagten erhielten Geldstrafen oder Haftstrafen auf Bewährung von bis zu einem Jahr.
Als zweites spielt den Verantwortlichen zufolge die Allgemeinverfügung der Stadt eine wichtige Rolle. Sie wurde nach den Vorfällen am 26. Dezember erlassen und gilt bis einschließlich 25. Januar. In dieser Verfügung werden Versammlungen nicht verboten, aber auf einen Ort beschränkt, Umzüge sind nicht zulässig. Wichtig dabei ist das gemeinsame Vorgehen, die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Polizei, die von beiden Seiten als "sehr eng und vertrauensvoll" beschrieben wird.
"Wir sind sicher, dass die Allgemeinverfügung zu einer Entspannung der Lage beigetragen hat, da sie klare Regelungen und Beschränkungen vorgibt", sagt Sebastian Remelé. Man zeige deutlich, "dass Verstöße gegen das Versammlungsgesetz nicht toleriert werden und hohe Bußgelder beziehungsweise auch schnelle Verfahren die Folge sein können". Schweinfurts Ordnungsreferent Jan von Lackum erwartet mehrere hundert Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten, die in Bußgeldbescheide münden. Allen, die gegen die Auflagen verstoßen haben, drohen mehrere hundert Euro Bußgeld.
Der Oberbürgermeister sieht die Beschränkungen in der Allgemeinverfügung als "verhältnismäßig, aber eben leider auch notwendig" an. Er fordert dazu auf, "diesen anonym organisierten Versammlungen fern zu bleiben und sich an die gültigen Regelungen zu halten".
Dass sich Schweinfurt so zu einem Schwerpunkt der Proteste entwickelte? Natürlich spielt die gute Verkehrsanbindung der Stadt mit drei Autobahnen eine Rolle. Gerade im Dezember konnte man mehrfach beobachten, dass ein Großteil der Teilnehmenden der nicht angemeldeten Demonstrationen aus den neuen Bundesländern angereist war. Eine Art "Versammlungstourismus" stellte auch die Polizei fest. Andy Laacke, Sprecher des Polizeipräsidiums Unterfranken, verweist darauf, dass sich "Menschen an Versammlungen in verschiedenen Orten beteiligen und sich gegenseitig unterstützen".
Dennoch sieht der OB seine Stadt nicht als "Hotspot" des Widerstandes gegen Corona-Maßnahmen. In vielen anderen Städten seien Menschen ebenfalls auf die Straße gegangen, in ähnlichen Größenordnungen und mit Verstößen wie in Schweinfurt. Das überdurchschnittliche Anwachsen der Teilnehmerzahl könnte aus Sicht des Ordnungsreferenten mit den beiden Veranstaltungen am 1. und 5. Dezember zusammenhängen, als Stadtverwaltung und Polizei von der Menge überrascht worden waren.
Danach, so lobt Jan von Lackum, "ist die Einsatztaktik der Polizei aufgegangen". Wichtig sei auch gewesen, die Höhe der Bußgelder zwischen Stadt und Staatsanwaltschaft abzustimmen und transparent zu machen. Und dass die Ermittlungsbehörden mit klaren Grenzen aufzeigten, dass Gewalt nicht toleriert wird.
Wer sind die Organisatoren der Corona-Demonstrationen?
Eine offene Frage bleibt: Wer steckt dahinter? Wer sind die Organisatoren des Protests? Dazu "laufen derzeit umfangreiche Ermittlungen", sagt Polizeisprecher Andy Laacke. Eine abschließende Aussage könne bisher nicht getroffen werden.
Fakt ist, dass es in Schweinfurt seit Beginn der Corona-Pandemie zwei Gruppen gibt, die sich immer wieder für Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen einsetzten. Mehrere Umzüge in der Stadt gab es zum Beispiel im Frühjahr 2021. Am 1. und 8. Mai hatten zum einen die Gruppe "Schweinfurt auf die Straßen", zum anderen eine Privatperson aus dem Querdenker-Milieu große Versammlungen angemeldet, die dann letztlich nicht stattfanden. Die am 1. Mai wurde von den Veranstaltern abgesagt, die am 8. Mai schlussendlich doch von der Stadt verboten.
Die Schweinfurter AfD mit ihrem Bezirksvorsitzenden und Landtagsabgeordneten Richard Graupner setzte sich da bereits für die Proteste ein. Im Dezember nun verurteilte die AfD zwar ausdrücklich die Gewalt gegen die Polizei. Die Resolution des Stadtrates unterstützte sie aber nicht. Man teile, so die Begründung, die Sorgen der Protestierenden - insbesondere wegen einer möglichen Impfpflicht.
Dass sich die örtliche AfD an der Organisation der Proteste aktiv beteiligte, verneint Richard Graupner. Auch die unterfränkische Polizei habe keine Hinweise dafür, erklärt Andy Laacke. Sehr wohl aber seien bei vergangenen nicht angemeldeten Versammlungen auch die Personalien von "verschiedenen Mandatsträger der AfD" festgestellt worden. "Daneben waren auch mehrmals Mitglieder der Partei III. Weg vor Ort", sagt der Polizeisprecher.
Nach der Versammlung am 19. Dezember bestätigte die Polizei zudem, dass "eine der Personen, gegen welche ein Ordnungswidrigkeitenverfahren aufgrund der koordinierenden Einwirkung auf das Versammlungsgeschehen eingeleitet wurde, bereits bei einer Demonstration der Gruppierung SWADS polizeilich in Erscheinung trat".
Gibt es in Schweinfurt bei Anti-Corona-Demonstrationen mehr Gewalt als anderswo?
Ein erhöhtes Gewaltpotenzial sieht die Polizei in Schweinfurt indes nicht, auch wenn die Vorfälle eine andere Sprache zu sprechen scheinen. "In Schweinfurt hatten wir es fast ausschließlich mit nicht angezeigten Versammlungen zu tun. Sprich, die Organisatoren stellen sich bewusst außerhalb der Regeln des Versammlungsrechts", erklärt Laacke. Ein Versammlungsleiter hatte sich nie zu erkennen gegeben.
Die Polizei wiederum hatte bei allen Veranstaltungen immer darauf hingewiesen, dass sie die "Spaziergänge" als Versammlung einstuft und entsprechende Regeln wie Mindestabstand und Maskenpflicht zu erfüllen sind. Probleme gab es - außer am zweiten Weihnachtsfeiertag - denn auch nicht während der von der Polizei begleiteten Umzüge, sondern danach.
"Eine Affinität zu 'Gewalt' würden wir nicht direkt ableiten", sagt Laacke. Und: "Nur wenige Versammlungsteilnehmer sind als gewaltbereit einzustufen." Ein Vergleich von Schweinfurt mit anderen Orten sei kaum möglich. "Zumindest ließen sich dort bislang gewalttätige Auseinandersetzungen vermeiden."
Auch an diesem Sonntag, 23. Januar, soll es in Schweinfurt wieder Proteste geben - angemeldet. Die Stadt bestätigte, dass die Partei "Die Basis" eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen angezeigt hat.