
Am 1. Mai 2010 kamen 10 000 Bürger aus der Region und stellten sich gegen eine Demonstration Rechtsradikaler in der Stadt. Es war die Geburtsstunde des Bündnisses "Schweinfurt ist bunt". Im Interview erinnern sich Vorsitzender Frank Firsching und seine Stellvertreterin Marietta Eder an die Anfänge, erklären was sie von der AfD halten und was Sie sich von Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) in den vergangenen Jahren gewünscht hätten.
Frank Firsching: Kann man so sagen.
Firsching: Der beste Befund wäre, wenn es uns nicht mehr bräuchte, das ist aber leider anders. Wir hatten das Bündnis nicht auf Dauer geplant, es war nicht mehr und nicht weniger als ein Aktionsbündnis für den 1. Mai 2010. In diesem Jahr gab es noch mehrere weitere Aufmärsche von Nazis in Schweinfurt und so ergab sich, dass wir am Ball geblieben sind. Am Schuttberg haben wir mal blockiert, dass die nicht ins Musikerviertel konnten, haben gut mit der Polizei zusammengearbeitet und Grenzen gesetzt. Es war die richtige Entscheidung weiter zu machen.
Firsching: Ich glaube, es gibt wenige Bündnisse, die so breit aufgestellt sind. Wir haben alle relevanten gesellschaftlichen Akteure bei uns im Boot, als Mitgestalter oder als Unterstützer und stille Mitglieder, vielen Dank dafür. Wir treffen uns im Steuerkreis mit 15 bis 20 Aktiven mindestens monatlich. Die Breite in der zivilgesellschaftlichen Verankerung macht unsere Stärke aus.
Marietta Eder: Natürlich war für uns alle damals der Hammer, wie viele Menschen mit uns am 1. Mai 2010 unterwegs waren. Doch es war auch klar, angesichts der Kameradschaftsszene und wie sie sich verändert, dass wir präventiv tätig werden mussten, Workshops in Schulen zum Beispiel. Unsere präventive Arbeit ist vielfältig. Zuletzt haben wir wiederholt eine Lesung angeboten. Christian Fuchs las im Stattbahnhof aus seinem Buch „Das Netzwerk der neuen Rechten“, dazu kamen 250 Zuhörern. Außerdem haben wir Podiumsdiskussionen und Solidaritätsaktionen zum Beispiel in Stammheim oder Poppenhausen organisiert.

Firsching: Wir hatten in zehn Jahren 28 Veranstaltungen, mehr als 100 Sitzungen im Bündnis und zwölf Aktionen. Wenn die Nazi-Kleinstpartei der Dritte Weg eine Kasperei am Roßmarkt veranstaltet hat, waren wir präsent, um gegenzuhalten und die Passanten zu informieren. Wir veranstalteten neun Kundgebungen, allerdings war es nach 2010 einige Jahre auch ruhig. Es gab neben den Schul- und Präventionsprojekten zwei Ausstellungen, zehn Mal waren wir unterwegs in Stammheim, Augsburg oder Würzburg und haben unsere Freunde mit dem gleichen Anliegen unterstützt. Durch die Nachdenk-Kampagne im Jahr 2018 haben wir uns auch als Bündnis verändert, wir entwickelten uns zu offensiven Verteidigern unserer gesellschaftlichen Werte wie Freiheit, Toleranz und Offenheit weiter.
"Wir wollen, dass wir in Schweinfurt friedlich mit allen Menschen zusammenleben und dabei unsere Werte beachten und den Respekt voreinander nicht verlieren."
Firsching: Ganz enorm, er hat uns Auftrieb gegeben. Wir ernteten gesellschaftliche Anerkennung über das bisherige Spektrum hinaus, zum Beispiel war bis dahin die CSU nicht Mitglied im Bündnis. Der Preis hat zum Umdenken geführt, weswegen ich unseren Würzburger Freunden für die Auszeichnung sehr dankbar bin.

Eder: Ich bin auch froh, dass wir den Verein „Freunde von Schweinfurt ist bunt“ e.V. gegründet haben. Man vergisst oft, wie viel Arbeit dahintersteckt. Hier einen herzlichen Dank an alle, die sich daran beteiligen und mitarbeiten.
Firsching: Rassismus gibt es in vielen Gesellschaften, die Frage ist, wie wird er praktiziert? Insbesondere in den letzten fünf Jahren gab es eine Verschiebung. Es hat auch mit dem Syrienkrieg, der Afghanistan-Krise und den Fluchtursachen in Afrika, bedingt durch den Klimawandel, zu tun. Man sieht jetzt wieder mehr Menschen mit anderer Hautfarbe. Das nutzen bestimmte Demagogen auch in Schweinfurt zur Hetze, und es wirkt in die Gesellschaft. Die, die bisher vielleicht still rassistisch unterwegs waren, werden jetzt lauter und wahrnehmbarer. Beides ist gefährlich, der laute Rassismus jedoch ist eine Eskalationsstufe weiter. Vor etwa 90 Jahren führte dieser Rassismus in den Holocaust und letztlich zur Zerstörung weiter Teile Europas und Deutschlands.
Eder: Bei der Nachdenk-Kampagne hatten wir auch Extremismus-Forschung dabei, die zeigte, dass die Gesellschaft antisemitischer, ausländerfeindlicher und homophober geworden ist. Als ich anfing in Niederbayern gegen Rechts zu kämpfen, war der Nazi der mit der Bomberjacke, Springerstiefel und weißen Schnürsenkeln. Wir merken, dass verschiedene Parteien wie der Dritte Weg, die Neue Rechte, etc. sich im Kern unter dem Dach der AfD gesammelt haben.
Firsching: In Unterfranken ist es eine AfD, die dem rechtsextremen und faschistoiden Björn Höcke nahe steht. Das kann man an den Auftritten sehen, die Höcke in Unterfranken hat, aber auch im Landtag, wie sich die Abgeordneten verhalten. Die unterfränkische AfD ist dem Flügel nahe, und nicht umsonst ist der Verfassungsschutz alarmiert und beobachtet sie. Das ist in unserem Sinne.

Firsching: Man muss den Kontakt zur Bevölkerung suchen und klar machen, dass der Weg, der dort vorgeschlagen wird, in den Abgrund führt. Es gibt einen Unterschied zwischen denjenigen, die eine Funktion in der Partei haben und ihre nationale Ideologie vertreten, und Wählern, die ihr Kreuz, vielleicht auch unbedacht, bei einer Partei machen, um zu provozieren. Es gibt sicher einen Teil der Menschen, die nicht mit den Thesen der AfD übereinstimmen, aber ihren Unmut äußern und sich über das Wahlkreuz beschweren wollen. Dieser Teil der Wähler ist sicher nicht Nazi zu nennen, aber man muss ihnen schon sagen, wen sie da wählen und was die Gefahr dabei ist. Das ist auch unsere Aufgabe.
Eder: Gerade bei größeren Kundgebungen hört man oft Dank, dass wir das organisiert haben. Der Hashtag „Wir sind mehr“ drückt ja deutschlandweit aus, worum es uns geht. Viele wollen zeigen, mit denen wollen wir nichts zu tun haben, sondern ein demokratisches Schweinfurt.
Firsching: Die deutliche Mehrheit der Bevölkerung steht zu den grundgesetzlichen Werten von der Religionsfreiheit bis zur Pressefreiheit, die wollen wir verteidigen. Auf der anderen Seite gibt es die Polarisierung, die Verächtlichmachung des „Systems“. Dazu gehört, dass nur die eigene Wahrheit als Wahrheit vernommen wird und Reaktionen gegen uns stattfinden, die die Beleidigung weit überschreiten.
Firsching: Ich habe einen Stoß Schriftstücke gesammelt, alle möglichen Briefe, Beleidigungen, Bedrohungen. Manchmal sind es sehr wirre Sachen, Zeitungsausschnitte von Unfällen, Attentaten, die Rechtsextreme verüben. Die werden einem zugeschickt, um zu zeigen, wir haben dich im Auge.
Eder: Ich schmeiße das meist sofort in den Papierkorb. Ich weiß jedoch auch, dass wir uns in unserem Rechtsstaat wehren können. Das heißt, bei Konkretem würde ich es zur Anzeige bringen.
Firsching: Ich mache kein Fass auf, außer es gibt unmissverständliche persönliche Drohungen, die man ernster nehmen muss als ein Geschnipsel. Angst ist aber ein schlechter Ratgeber, deswegen lassen wir uns nicht einschüchtern.
Eder: Es hilft auch nur eine Methode: Solidarität. 2010 haben wir klar gesagt, wir sind eins, ihr greift uns alle an. Es ist dann auch ruhiger geworden.
Firsching: Es gibt sicher Städte, die unterstützen solche Bündnisse stärker. In Würzburg gibt es eine ganz andere Struktur, dort gibt es im Stadtrat jährliche Berichte zur Entwicklung von Antisemitismus und Rassismus. Das gibt es hier nicht. Wir haben als Stadträte beantragt, sich an dem Programm des Bundes „Demokratie leben“ zu beteiligen. Das wurde abgelehnt, weil der bürokratische Aufwand, den Antrag zu stellen, zu groß sei. Man hätte als städtische Stelle Mittel bekommen, um strukturelle Präventionsprojekte aufzulegen. Damit würde unsere Arbeit natürlich gestärkt. Es gibt aber keine Probleme, wenn es um Genehmigungen für Veranstaltungen oder Räume geht, da gibt es eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit und Unterstützung.

Firsching: Nach 2010 war Herr Remelé bei den acht weiteren Kundgebungen nicht da. Landrat Florian Töpper zum Beispiel hat bei anderen Kundgebungen gesprochen und war, wenn er konnte, vor Ort. Wir haben ja auch einen Verein, bei dem man Mitglied werden kann, wo viele Kommunalpolitiker dabei sind und andere nicht. Man kann auch wie Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt ganz offensiv zum Wirken des Bündnisses stehen, das vermissen wir hier etwas.
Firsching: Man kann immer mehr machen. Das ist keine Kritik an der Stabsstelle „gerne daheim“, die mit ihren begrenzten Mitteln das Mögliche tut. Man kann aber versuchen, die Kontaktaufnahme zwischen Zugewanderten und hier Lebenden zu stärken, da passiert glaube ich zu wenig.
Eder: Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass er vollumfänglich angenommen wird. Ich bin sehr demütig, dass ich in Frieden aufwachsen durfte. Ich fand schade, dass wir eine Light-Version verabschiedet haben, weil wir uns einbringen müssen bei diesem Thema. In der Debatte hätte ich mir gewünscht, dass nach dem Statement des AfD-Stadtrates Richard Graupner sich nicht nur Kathi Petersen oder Ulrike Schneider äußern, sondern der Oberbürgermeister als oberster Repräsentant des Stadtrates sich einmischt, das hätte ein anderes Gewicht gehabt.
Firsching: Es wird auch insofern schizophren, wenn eine Partei, die den Klimawandel leugnet und deshalb nichts verändern will, Menschen ablehnt deren Lebensgrundlagen durch unsere Lebensweise zerstört werden. In südlichen Gefilden treibt der Klimawandel die Menschen zur Flucht. Wenn man sagt, dann sollen die Menschen halt im Mittelmeer ersaufen, ist das verantwortungslos. Mit dem Adjektiv „verantwortungslos“ ist die AfD gut beschrieben.

Eder: Ich hätte gerne einen Beleg für linksextreme Gewalt in Schweinfurt. Bei uns steht immer fest: wir protestieren gewaltfreier. 2010 war die Antifa auch mit dabei. Für unseren Kampf gegen Rechts müssen wir wissen, mit welchen Personen wir es zu tun haben und wie diese vernetzt sind. Hier leistet auch die Antifa wichtige Aufklärungsarbeit und beobachtet die rechte Szene.
Firsching: Es ist doch klar, dass „Schweinfurt ist bunt“ durch die Breite des Bündnisses Gewalt ablehnt, egal wer die verübt. Wir schützen das Grundgesetz gegen alle Angriffe, egal woher sie kommen. Klar ist aber auch: Seit der Wiedervereinigung gibt es mindestens 169 Menschen, die durch rechtsextreme Gewalt getötet wurden. Ich bin sehr froh, dass es seit dem Ende der RAF von der anderen Seite nicht mehr passiert. Da gibt es keine Morde und ich will niemanden in Schutz nehmen, der randaliert. Auf der anderen Seite stehen die NSU-Morde, der Mord an Walter Lübcke und der Anschlag auf die Synagoge in Halle. Die Drohbriefe an Kommunalpolitiker werden von denen geschrieben, die rassistisch und nationalistisch unterwegs sind, die Zuwanderung ablehnen. Es gibt auf der einen Seite eine Bedrohung gegen Menschen, die gelebt und umgesetzt wird. Daneben gibt es Gewalt, die wir ablehnen, die ich aber nicht gleichsetzen kann mit Morden, Bedrohungen und Einschüchterung. Wir haben für Nichts aus diesem Spektrum Sympathie, das steht im Übrigen auch so in der Satzung. Natürlich lehnen wir auch Terrorismus des Islamischen Staates ab. Die gehören verfolgt und ins Gefängnis gesteckt. Ob islamistischer Terrorist oder der Rechtsextremist, der, von Höcke aufgehetzt, unterwegs ist, beide sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. Das sind Menschen, die aus rassistischen Gründen gegen unseren freiheitliche Gesellschaftsentwurf vorgehen.

Eder: Wir tun alles dafür, dass Rechtsextreme nicht einziehen. Wer ein demokratisches Schweinfurt will, darf keine Stimme an die AfD geben.
Firsching: Schweinfurt ist eine Stadt, die seit 70 Jahren Menschen erfolgreich integriert, ob Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg, Gastarbeiter, Deutsche aus Russland oder Geflüchtete. Heute ist die wirtschaftliche Lage zum Glück wesentlich besser, die Integrationsbemühungen stärker und das stimmt hoffnungsfroh, auch wenn im Austausch Bevölkerung und Zugewanderte mehr getan werden muss. Diese Aufgaben werden nicht bewältigt, wenn eine Gruppe im Stadtrat sitzt, die an diesen Themen kein Interesse hat, sondern die Leute einfach rausschmeißen will, als ob damit ein Problem gelöst wäre.
Firsching: Wir wollen, dass wir in Schweinfurt friedlich mit allen Menschen zusammenleben und dabei unsere Werte beachten und den Respekt voreinander nicht verlieren.
Was in diesen Tagen in Thüringen passiert zeigt auch, dass man sich nicht auf sogenannte "bürgerliche Politiker" verlassen kann. Wenn man sich einen kleinen Vorteil verspricht wird auch mit den übelsten Faschisten paktiert!
Wir sollten Euch alle unterstützen. Macht weiter so!