
Als die Vorsitzende Richterin Claudia Guba an diesem Dienstag um 16.26 Uhr die Verhandlung gegen Kai K. schloss, schloss sich für "Go&Change" gewissermaßen ein Kreis. Das Gebäude in der Schweinfurter Theresienstraße, wo die 1. Große Strafkammer wegen Bauarbeiten am Landgericht derzeit verhandelt, gehört der Kongregation der Erlöserschwestern. Jenem Orden, von dem die umstrittene Gemeinschaft 2017 das frühere Kloster in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) kaufte.
Wegen Vergewaltigung, eines sexuellen Übergriffs und Körperverletzungen hat das Landgericht den 42-Jährigen, der unter "Go&Change"-Anhängern den Status eines Gurus genießt, jetzt zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem hat die Kammer die Unterbringung von Kai K. in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Reporterinnen und Reporter dieser Redaktion haben seit Beginn im Februar 2024 alle 33 Prozesstage begleitet. Das sind ihre sechs zentralen Beobachtungen:
1. "Go&Change" ist eine toxische Gemeinschaft
Zahlreiche Zeugenaussagen bestätigten das, was diese Redaktion seit mehr als vier Jahren berichtet. Bei "Go&Change" gibt es Psychoterror, Drogenmissbrauch und sexualisierte Gewalt. "Hier stand nicht 'Go&Change' vor Gericht", stellte die Vorsitzende Richterin in ihrer Urteilsbegründung klar. Das Gericht sei aber "dazu gezwungen gewesen", sich mit der Gemeinschaft zu befassen, um die Beziehung zwischen Kai K. und der 31-jährigen Geschädigten zu verstehen.
"Es gab ganz viel Drama, aber auch ganz viel selbstgemachtes Drama", fasste Claudia Guba etwa die Beziehungen zwischen den Mitgliedern zusammen. Man müsse sagen: "Wenn es die Sexualpraktiken und den Betäubungsmittelkonsum nicht gäbe, würde sich vieles anhören wie siebte Klasse Schullandheim."
Die Einblicke nannte Guba "bizarr". Sie erwähnte ein Video, das auf Antrag der Verteidigung gezeigt wurde: Da hätten zwei Frauen während eines sogenannten "Prozesses" fast nackt dagesessen, die eine hysterisch weinend, die andere ausdruckslos vor sich hin starrend. Aus dem Off die Stimme von Kai K., der die Frauen mit Vorwürfen konfrontiert. "Das ist kein liebevoller Umgang", wie ihn "Go&Change" propagiere, so Guba, sondern "Psychoterror".
2. "Go&Change" versuchte, Einfluss auf den Prozess zu nehmen
Kaum weniger bizarr scheint bei "Go&Change" das Verständnis des Rechtsstaats zu sein. Offenbar glaubte man in der Gemeinschaft, man könne Kai K. mit Verschwörungstheorien und mit "Dreck", der auf die Nebenklägerin geworfen worden sei (Zitat Guba), zum Freispruch verhelfen.
Schon Wochen vor Prozessbeginn hatten sich "Go&Change"-Anhänger nach der Vorsitzenden Richterin und der Staatsanwältin erkundigt. Andere Verfahren der beiden Juristinnen waren laut Guba daraufhin auffallend gut besucht gewesen - als wolle man sich vorbereiten.
Während des Prozesses gelangten dann immer wieder, teils über die Verteidigung, Daten und Schriftstücke in die Akte, die die Glaubwürdigkeit der Geschädigten oder einzelner Zeugen in Zweifel ziehen sollten. Außerdem protokollierten zahlreiche "Go&Change"-Anhänger jeden Verhandlungstag. Schlussfolgerungen und Hintergründe zu einzelnen Zeuginnen und Zeugen – auch mit der Info, "wer mit wem Sex hatte", so Guba – wurde dem Gericht anonym zugeschickt.
3. Stimmung im Prozess war unnatürlich aufgeheizt
Bei anderen Gerichtsverfahren ist es keine Seltenheit, dass Verfahrensbeteiligte, die fünf Minuten vorher noch konträre Interessen vertreten hatten, in den Pausen gegenseitig Späße machen. Anders im Verfahren gegen Kai K.: Es dauerte nicht lange, da kippte die Stimmung – besonders zwischen den Wahlverteidigern und Staatsanwältin Melanie Roth. Sie musste sich nicht nur Äußerungen, sie sei "mental gehindert", gefallen lassen. Immer wieder unterbrachen die Anwälte die Anklägerin auch in ihren Ausführungen und behaupteten, sie würde "labern".

4. Eine souveräne Richterin, die sich nicht provozieren ließ
"Mir wäre schon jetzt der Kragen geplatzt", sagte ein Prozessteilnehmer nach wenigen Verhandlungstagen mit Blick auf Richterin Claudia Guba. Doch die Vizepräsidentin des Schweinfurter Landgerichts hatte sich die meiste Zeit über im Griff. Angesichts des Verfahrensverlaufs mit teils "wortgleicher, inhaltsleeren Phrasen" einiger Zeugen der Verteidigung nicht selbstverständlich.

Das Verfahren sei "ohne Not und ohne Gewinn für die Wahrheitsfindung verzögert" worden, sagte Guba am Dienstag. Dabei ließ sie die "unerträglichen Zahnschmerzen" des Angeklagten oder die Rippenprellung eines Verteidigers außen vor. Die Wahlverteidiger von Kai K. betonten nach dem Urteil gegenüber der Redaktion, sie hätten sich nicht bereichern wollen, indem sie im Verfahren etwa immer neue Anträge gestellt hätten.
Dennoch stellte man sich zwischenzeitlich die Frage, warum das Gericht dem Treiben der Verteidigung kein Einhalt gebot und immer noch einen Beweisantrag zuließ und noch einen weiteren Prozesstag ansetzte. Doch Guba führte souverän durch diese Mammut-Prozess, Provokationen ließ sie an sich abperlen. Am Ende stutze sie in ihrer Urteilsbegründung das Verfahren wohltuend auf Normalmaß zurück.
5. Die angeklagte Tat war nichts Besonderes - und leider alltäglich
Lässt man die Begleitumstände – Dämonen, Satanismus, fragwürdige Sexualpraktiken – weg, so bleibt die Tat eine leider alltägliche. Auch die Vorsitzende Richterin sprach in der Urteilsbegründung von "unser täglich Brot": Eine Frau soll von ihrem Ex-Freund vergewaltigt, geschlagen und gewürgt worden sein. Sie will sich in einem toxischen Konstrukt gesehen haben, aus dem sie nicht herausgekommen war.
Darüber musste die Kammer urteilen – unabhängig davon, wer Kai K. hinter den Mauern von "Go&Change" gewesen sein soll. Das stellte Guba klar, als sie ihn als das bezeichnete, was er in der Welt fernab der Gemeinschaft ist: "ganz normaler Angeklagter".
6. Das Signal an Betroffene ist zweischneidig
Eine Vergewaltigung nachzuweisen, ist nicht einfach. Viele Betroffene zeigen Taten aus Scham oder Angst erst gar nicht an. Dieser Prozess in Schweinfurt dürfte Betroffene auf den ersten Blick noch mehr abschrecken: Die Verteidigung verbreitete das Narrativ, die 31-Jährige habe es doch immer hart gewollt. Warum nicht auch dieses Mal? Im Versuch, die Glaubwürdigkeit der Frau in Zweifel zu ziehen, breiteten die Wahlverteidiger ihr Sexleben in öffentlicher Hauptverhandlung aus.
Tröstlich – und das sollte Betroffenen Hoffnung und Mut machen – war, dass das Gericht der 31-Jährigen letztlich geglaubt hat - und Kai K. verurteilte.
Ich frage mich nur: warum werden immer !! bei den Verbrechern/Tätern die Gesichter nur verzerrt gezeigt, aber bei "ehrlichen" Leuten wie Richter oder Staatsanwälte udgl. das ganze Gesicht. Finde ich nicht richtig.