
Damit das klar ist, sagt Strafverteidiger Hubertus Werner: Sie seien keine wildgewordenen Verteidiger, denen es gefalle, auf einer Frau herumzutrampeln. "Ich bin für größtmögliche Rücksicht." Doch auch die stoße irgendwann an ihre Grenzen. Die Zeugin verstricke sich in Widersprüchen, bleibe Antworten schuldig, verlasse ohne Erlaubnis den Gerichtssaal. Und das Gericht lasse sie gewähren. Hätte sich die Zeugin nicht fortlaufend der Befragung entzogen - "wir hätten das schon längst beenden können", sagt Co-Verteidiger Helmut Mörtl. Unterdessen nähert sich der Vergewaltigungsprozess dem 60. Verhandlungstag.
Werner und Mörtl sind die Anwälte von Kai K., dem Kopf der Gemeinschaft "Go&Change". Ihre hier zitierten Stellungnahmen haben nichts mit dem Prozess gegen den 42-Jährigen zu tun. Sie stammen aus einem Bericht der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2012 über einen Prozess vor dem Landgericht Regensburg. Der Artikel liest sich - wie andere über die beiden Verteidiger - wie eine Blaupause für das, was seit nunmehr 28 Verhandlungstagen in Schweinfurt passiert.
Kai K. wird seit Februar vor dem Landgericht Schweinfurt der Prozess gemacht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, im Mai 2023 eine heute 31-Jährige mehrfach vergewaltigt, geschlagen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt zu haben. Zweimal wurde die Frau inzwischen als Zeugin vernommen, zweimal sagte sie - anders als Kai K. - öffentlich aus. Sie wurde dabei von der Verteidigung alles andere als geschont. Den Antrag, die Frau ein drittes Mal zu vernehmen, lehnte das Gericht an diesem Montag ab.
Wahlverteidiger sorgen in Justizkreisen für Kopfschütteln
Harsche Kritik an der Arbeit der Polizei oder an Sachverständigen, Befangenheitsanträge gegen das Gericht und Wortgefechte mit Richtern oder Staatsanwälten - es scheint geübte Strategie und Geschäftsmodell zu sein. Schon 2002 berichtete etwa die taz über einen Vergewaltigungsprozess vor dem Landgericht München, bei dem Anwalt Werner "mit immer neuen Befangenheitsanträgen" ein Urteil hinausgezögert habe.
Natürlich sollen Anwälte ihre Mandanten vor Gericht bestmöglich vertreten. Das ist ihr Job. Egal, ob auf der Anklagebank ein mutmaßlicher Mörder, Betrüger oder Kleinkrimineller sitzt. Oder eben ein "Guru", der - laut psychiatrischem Gutachten teilweise im Zustand der Schuldunfähigkeit - eine Frau misshandelt haben soll. Zumal dann, wenn die Hintergründe der angeklagten Taten verworren, die Glaubwürdigkeit der meisten Zeugen zumindest fragwürdig ist. Doch die Vorstellung, die die Wahlverteidiger von Kai K. in Schweinfurt abliefert, sorgt bei Prozessbeobachtern und in Justizkreisen für Kopfschütteln.
Die beiden Pflichtverteidiger bleiben im Hintergrund
Kai K. wird von insgesamt vier Anwälten vertreten: Neben Helmut Mörtl aus Regensburg und Hubertus Werner aus Landshut sind das die beiden Würzburger Pflichtverteidiger Klaus Spiegel und Timo Fuchs. Während die Pflichtverteidiger, die Angeklagten vom Gericht beigeordnet werden, um eine Verteidigung in jedem Fall zu garantieren, auffällig im Hintergrund bleiben, agieren Mörtl und Werner vom ersten Verhandlungstag an extrem angriffslustig, gerissen - und teils respektlos.
So fluten die beiden Anwälte mit einer Vielzahl von Anträgen die Verhandlung. Von zig Beweisanträgen über Anträgen zu weiteren Ermittlungen und Gutachten bis zum Antrag, die Kammer um die Vorsitzende Richterin Claudia Guba für befangen zu erklären.

Die Flut von Anträgen zwingt das Gericht zu zahlreichen Entscheidungen, die nach einem Urteil Grund für eine Revision sein könnten. Unterdessen tritt ein weiterer Effekt der vielen Anträge immer stärker zutage: Sie ziehen den Prozess in eine geradezu groteske Länge. Und an jedem Verhandlungstag klingelt die Kasse der Anwälte. Dabei hätte das Verfahren, jedenfalls sagen das mehrere Juristen im Gespräch mit der Redaktion, schon nach einer Handvoll Verhandlungstagen beendet sein können.
Gemeinschaft "Go&Change" wurde durchleuchtet
Stattdessen musste die Verhandlung dutzende Male unterbrochen werden, um über Anträge der Verteidigung zu beraten. Man hörte mehr als 30 Zeuginnen und Zeugen, von denen kaum jemand etwas zu den mutmaßlichen Taten sagen konnte. Über vier Verhandlungstage zog sich in nicht öffentlicher Sitzung allein eine Einlassung von Kai K., die dem Vernehmen nach auch keinen Erkenntnisgewinn gebracht haben soll.
So wurde dabei zwar die umstrittene Gemeinschaft aus Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) öffentlich durchleuchtet. Die angeklagten Taten traten dabei in den Hintergrund.
Irritierender Ton der Wahlverteidiger in der Verhandlung
Die Ereignisse im Gericht werden vom irritierenden Sound der Wahlverteidiger begleitet. Dass sie den psychiatrischen Gutachter Prof. Hans-Peter Volz als "schlicht ungeeignet" bezeichneten und dessen Gutachten die Erfüllung von "Mindestanforderungen eines Schuldunfähigkeitsgutachtens" absprachen, war noch harmlos.

So bezeichnete Werner die Schweinfurter Staatsanwältin Melanie Roth als "mental gehindert", in Erwägung zu ziehen, dass der Angeklagte nicht der Täter sein müsse. Auf einen Einwand Roths herrschte der Verteidiger die Staatsanwältin an: "Sie labern vor sich hin." Erst an diesem Montag forderte er sie auf, "nicht so hysterisch" zu sein. Selbst gegenüber Richterin Guba wurde mehrfach ein schnippischer und respektloser Ton angeschlagen.
Das maximale Ausschöpfen aller juristischen Möglichkeiten bei maximaler Konfrontation des Gerichts: Konfliktverteidigung nennen Experten dieses Vorgehen, das unter Juristen stark umstritten ist.
Vorsitzende Richterin scheint mit ihrer Geduld am Ende
Die Vorsitzende Guba gab sich alle Mühe, für Deeskalation zu sorgen und die Verteidigung in die Schranken zu weisen, ohne weiteres Öl ins Feuer zu gießen. Bislang gelang es ihr, selbst die Beherrschung zu wahren. Doch die Richterin scheint mit ihrer Geduld am Ende.
"Bei so einem Verteidigungsverhalten", so Guba am Montag, ziehe sie nun in Erwägung, den Anwälten Fristen für neue Anträge zu setzen, um das Verfahren nicht weiter in die Länge zu ziehen. Bereits seit einem Vierteljahr sei die Beweisaufnahme grundsätzlich abgeschlossen.
Dennoch haben Werner und Mörtl für den nächsten Prozesstag am Donnerstag weitere Anträge angekündigt.