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Schweinfurt
Nach dem Schock der St.-Josef-Schließung: Kann das Leopoldina in Schweinfurt die Menschen versorgen, Herr Winter?
Am 23. Juli gaben die Erlöserschwestern bekannt, aus finanziellen Gründen das Josefs-Krankenhaus Ende 2024 zu schließen. An welchen Lösungen nun gearbeitet wird.
Jürgen Winter, Geschäftsführer des Leopoldina-Krankenhauses in Schweinfurt, spricht im Interview über die Folgen der Schließung des Krankenhauses St. Josef zum 31. Dezember. Das Bild entstand bei einer Pressekonferenz zum Thema Verbund zwischen St. Josef und Leopoldina im Jahr 2022. 
Foto: Anand Anders | Jürgen Winter, Geschäftsführer des Leopoldina-Krankenhauses in Schweinfurt, spricht im Interview über die Folgen der Schließung des Krankenhauses St. Josef zum 31. Dezember.
Marcel Dinkel
 und  Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 17.08.2024 02:34 Uhr

Die Nachricht, dass das 93 Jahre alte Krankenhaus St. Josef geschlossen werden soll, überraschte und schockierte Mitarbeitende sowie Patientinnen und Patienten in der Region. Im Exklusiv-Interview mit dieser Redaktion erklärt Jürgen Winter, Geschäftsführer des städtischen Leopoldina-Krankenhauses, wie er die Entscheidung einschätzt und was nun unternommen wird, um die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.

Herr Winter. Wie reagierten Sie, als Sie am 23. Juli hörten, dass das Krankenhaus St. Josef bis Ende des Jahres schließen wird?

Jürgen Winter: Der Zeitpunkt hat mich überrascht. Wir waren nicht darauf eingestellt, dass es diese Entscheidung von der Kongregation schon jetzt geben wird – wenngleich sie sich angedeutet hat.

Können Sie den Frust unter den Angestellten und der Bevölkerung verstehen?

Winter: Ich kann den Frust und die Wut nachvollziehen. Wenn ein wertvolles, gut geführtes und von der Bevölkerung geschätztes Krankenhaus wie das St. Josef nach 93 Jahren wegen schlechter Bedingungen im Krankenhauswesen schließt, lässt das niemanden unberührt. Die Belegschaft sieht durch diese Entwicklung sicher auch ihre Leistungen entwertet und fühlt sich in ihrem Tun weniger wertgeschätzt.

Die Mitarbeitenden im Krankenhaus St. Josef in Schweinfurt sind von der Entscheidung der Erlöserschwestern, das Haus zu schließen, schockiert. Zahlreiche Protest-Banner finden sich rund um das Krankenhaus.
Foto: Oliver Schikora | Die Mitarbeitenden im Krankenhaus St. Josef in Schweinfurt sind von der Entscheidung der Erlöserschwestern, das Haus zu schließen, schockiert. Zahlreiche Protest-Banner finden sich rund um das Krankenhaus.
Rechnen Sie mit weiteren Schließungen in unserer Region?

Winter: Dazu möchte ich Dietrich Wulf Leber, Leiter der Abteilung Krankenhaus im Spitzenverband des Bundes der Krankenkassen, aus dem Ärzteblatt vom 25. März 2024 zitieren: "Jeder Monat, in dem nicht fünf bis zehn Krankenhäuser vom Netz gehen, ist ein verlorener Monat." Nur dann könne das Geld für die anderen Kliniken reichen und es gebe entsprechende Planungssicherheit. Ich finde das schon bezeichnend für eine Industrienation wie Deutschland. Heißt, diese kalte Strukturbereinigung in der Krankenhauslandschaft geht genauso weiter. Zu Häusern in der Region kann ich mich nicht äußern.

"Wir werden in der Lage sein, die gesamte Krankenhausversorgung inklusive der Notfallversorgung für die Region auch ohne das St. Josef adäquat anzubieten."
Jürgen Winter, Geschäftsführer des Leopoldina-Krankenhauses
Halten Sie eine Reform im Krankenhauswesen nicht für notwendig?

Winter: Die Fachleute sind sich einig: Veränderungen sind nötig. Und ja, man wird eine gute Versorgung auch mit weniger Krankenhausstandorten sicherstellen können. Aber die Art und Weise, wie jetzt alte Strukturen ungeplant und ohne finanzielle Mittel für einen Transformationsprozess zerstört werden, halte ich für fatal. Die gesamte Krankenhausszene leidet unter dieser Politik.

Wer ist schuld an dieser Unterfinanzierung? Sind es die Länder, der Bund oder die Krankenkassen?

Winter: Die Finanzierung der laufenden Kosten von Krankenhäusern obliegt dem Bundesgesundheitsministerium, während die Länder für Investitionskosten zuständig sind. Eine 2022 getroffene Entscheidung des Gesundheitsministers hat jedoch zu realen Budgetkürzungen geführt. Im Krankenhausentgeltgesetz wurde ein Mechanismus gestrichen, der Krankenhäusern trotz rückläufiger Fallzahlen höhere Erlöse pro Fall garantierte. Viele Kosten im Krankenhausbetrieb sind aber Fixkosten und damit völlig unabhängig von der Auslastung.

Wie viel Geld macht das bei Ihnen aus?

Winter: Auch bei den Schadenersatzforderungen der beiden Schweinfurter Krankenhäuser ist ein großer Anteil der Verluste auf diese Streichung zurückzuführen. Pro Fall fehlen uns beim Leopoldina hier ca. 200 Euro. Das macht ab 2023 mehr als fünf Millionen Euro jährlich aus. Dadurch erhöht sich der Druck auf Krankenhausträger, nach Kooperationspartnern zu suchen oder – im schlimmsten Fall – auch zu schließen. Man nimmt also billigend in Kauf, dass leistungsfähige und systemrelevante Krankenhäuser nachhaltig beschädigt werden.

"Die gesamte Krankenhausszene leidet unter dieser Politik."
Jürgen Winter, Geschäftsführer des Leopoldina-Krankenhauses
Bekamen Sie eine Antwort auf ihre Fünf-Millionen-Forderung?

Winter: Nein. Nicht mal eine Eingangsbestätigung. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir in 2024 keine Kompensation für unsere Kostensteigerungen bekommen. Die meinen das wirklich ernst und halten den wirtschaftlichen Druck auf die Kliniken und ihre Träger hoch.

Muss man sich Sorgen um die finanzielle Zukunft des Leopoldina-Krankenhauses machen?

Winter: Wenn die Steigerungen der Personal- und Sachkosten nicht bald vollständig gegenfinanziert werden, wird auch das Leopoldina mit der Zeit vor größeren wirtschaftlichen Herausforderungen stehen.

Zuletzt sollten beide Häuser unter einem Dach vereinigt werden. Kam die Absage der Erlöserschwestern mit der Begründung unterschiedlicher Werte überraschend?

Winter: Nachdem das Gutachten von Professor Roeder in seinen Grundzügen fertig war, haben wir darüber gesprochen, wie wir es umsetzen könnten. Ich hatte in diesen Gesprächen lange Zeit die Hoffnung, dass wir es schaffen, die Krankenhäuser unter einem Dach weiterzuführen. Dann gab es die Entscheidung im Sommer 2023, dass man diese gemeinsame Gesellschaft aufgrund unterschiedlicher Wertvorstellungen nicht gründen möchte.

Hätten die Erlöserschwestern diese Grundbedingung nicht früher kommunizieren müssen?

Winter: Das ursprüngliche Schweinfurter Modell wäre eine Zwei-Träger-Lösung gewesen. Ein abgestimmtes Leistungsportfolio in Eigenregie aufgrund der unterschiedlichen Werte. Das Gutachten hat aber ganz klar herausgearbeitet, dass es sinnvoller wäre, die Kliniken unter einer Trägerschaft zu führen.

"Ich kann die Entscheidung, so schmerzhaft sie ist, aufgrund der Rahmenentwicklungen und der fehlenden Perspektive nachvollziehen."
Jürgen Winter, Geschäftsführer des Leopoldina-Krankenhauses
Also können Sie die Entscheidung der Erlöserschwestern nachvollziehen?

Winter: Ja, ich kann die Entscheidung, so schmerzhaft sie ist, aufgrund der Rahmenentwicklungen und der fehlenden Perspektive nachvollziehen. Niemand weiß, wann und wie die Veränderungen in der Krankenhausfinanzierung greifen werden. Wenn wir auf die Republik schauen, sind es gerade die freigemeinnützigen Kliniken, die am meisten leiden. Auch auf Seiten der Kongregation hat man es sich nicht leicht gemacht. Uns wird keine Perspektive gegeben, wie wir aus dieser strukturellen Unterfinanzierung der Krankenhäuser herauskommen wollen.

Das Leopoldina-Krankenhaus im Stadtteil Hochfeld ist das größte Krankenhaus in Schweinfurt, mit 711 Betten und rund 2300 Mitarbeitenden.
Foto: René Ruprecht | Das Leopoldina-Krankenhaus im Stadtteil Hochfeld ist das größte Krankenhaus in Schweinfurt, mit 711 Betten und rund 2300 Mitarbeitenden.
Gibt es eine Möglichkeit, das Schweinfurter Modell doch noch zu verwirklichen?

Winter: Es gibt zwei klare Entscheidungen der Kongregation, die feststehen und so zu akzeptieren sind. Zum einen: Es wird keine gemeinsame Gesellschaft beider Häuser geben. Die Stadt und das Leopoldina haben sich nach intensiven Beratungen dazu entschieden, dass wir die Trägerschaft finanziell nicht allein stemmen können. In einer gemeinsamen Trägerschaft hätte man sich die Finanzierung geteilt. Der größere Anteil wäre bei der Stadt gelegen, der kleinere bei der Kongregation. Zum anderen: Die Kongregation zieht sich aufgrund der wirtschaftlich-finanziellen Zwänge definitiv zum 31. Dezember 2024 aus dem Krankenhauswesen zurück. Diese Entscheidungen stehen fest. Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass sich im Krankenhauswesen etwas zum Besseren wendet. Von daher sehe ich keine Option, hier nochmal einen Versuch zu unternehmen, das Gutachten umzusetzen.

Es gibt Stimmen, die sagen, dass die Kongregation das Krankenhaus der Stadt auf einem Silbertablett serviert hätte.

Winter: Zu den genauen Zahlen dürfen wir aus rechtlichen Gründen keine Auskunft oder Bewertung abgeben – auch, weil die Kongregation derzeit noch nach einem Käufer sucht. Ich kann aber bestätigen, dass  – nachdem wir die Verhandlungen einseitig ausgesetzt hatten – die Kongregation ihr ursprüngliches Angebot nochmal nachgebessert hat und einen großen Schritt auf uns zugegangen ist. Leider hat das am Ende nicht gereicht.

"Ich sehe keine Option, hier nochmal einen Versuch zu unternehmen, das Gutachten umzusetzen."
Jürgen Winter, Geschäftsführer des Leopoldina-Krankenhauses
Wurden die betriebswirtschaftlichen Aspekte im Roeder-Gutachten ausreichend miteinbezogen?

Winter: Der Schwerpunkt im Gutachten war die Frage nach dem medizinischen Konzept. Eine detaillierte wirtschaftliche Betrachtung war darin nicht beinhaltet. Bis heute steht noch nicht fest, wie die Finanzierung der Krankenhäuser künftig aussehen wird. Das konnte auch zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens nicht miteinfließen.

Die Notaufnahme am Leopoldina-Krankenhaus wurde für eine Kapazität von bis zu 50.000 Patienten pro Jahr gebaut und kann die Versorgung der Personen, die bisher im Josefs-Krankenhaus behandelt wurden, übernehmen.
Foto: Veit-Maria Oertel | Die Notaufnahme am Leopoldina-Krankenhaus wurde für eine Kapazität von bis zu 50.000 Patienten pro Jahr gebaut und kann die Versorgung der Personen, die bisher im Josefs-Krankenhaus behandelt wurden, übernehmen.
Was passiert jetzt konkret, um die Versorgung aufrechtzuerhalten?

Winter: Wir stimmen uns gerade mit dem Landkreis und der Geomed-Kreisklinik ab, um in den dringendsten Bereichen Lösungen anzubieten. Und ja, wir werden in der Lage sein, die gesamte Krankenhausversorgung inklusive der Notfallversorgung für die Region auch ohne das St. Josef adäquat anzubieten. Voraussetzung dafür ist, dass es uns gelingt, die Kolleginnen und Kollegen von dort für das Leopoldina zu gewinnen.

Von wie viel Personen reden wir da?

Winter: An der Stelle kann ich noch keine genauen Zahlen nennen. Ziel ist es, die Krankenhausversorgung in der Region sicherzustellen. Dort wird es keine finanziellen Limitierungen geben. Sicher ist auch, dass wir in der Pflege und im ärztlichen Dienst mehr Köpfe brauchen. Hier gilt es, die qualifizierten Kolleginnen und Kollegen vom St. Josef zu gewinnen. Außerdem ist es unser erklärter Wille, die Palliativstation mit zehn Betten aus dem St. Josef voll zu übernehmen. Das Gleiche gilt für die Akutgeriatrie mit 20 Betten. Hier werden wir zwischenzeitlich Betten an das Geomed auslagern. Perspektivisch wollen wir die Altersmedizin aber am Leopoldina ansiedeln. Beide Leistungsangebote sind wichtig für unsere Stadt.

"Wir tun alles, damit es zu keinen spürbaren Versorgungslücken für die Bevölkerung in Schweinfurt und dem Umland kommt."
Jürgen Winter, Geschäftsführer des Leopoldina-Krankenhauses
Und weiter?

Winter: Der dritte Bereich ist die Intensivmedizin. Hier wollen wir unsere Station um acht Betten erweitern. Dabei versuchen wir die Versorgung am St. Josef so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. In der normalen Pflege schaffen wir zum Jahreswechsel 80 zusätzliche Betten, indem wir eine Station reaktivieren, die derzeit nicht genutzt wird. Wir tun alles, damit es zu keinen spürbaren Versorgungslücken für die Bevölkerung in Schweinfurt und dem Umland kommt.

Was passiert mit den Belegärzten im St. Josef?

Winter: Wir befinden uns mit den meisten Kooperationspartnern des St.-Josef-Krankenhauses im Gespräch, um Lösungen zu erarbeiten. Was die Belegärzte anbelangt, wollen wir, dass es weiterhin stationäre Behandlungen wie bei den Hals-Nasen-Ohrenärzten in Schweinfurt gibt. Aktuell können wir noch keine Zusicherungen geben. Der Wille ist da, die Bereitschaft ist da und ich denke auch das Potenzial, um möglichst vieles abzufedern.

Und mit der Kassenärztlichen Bereitschaftspraxis?

Winter: Ein aktueller Gesetzentwurf sieht vor, dass es in Schweinfurt künftig nur noch einen Standort mit umfassendem Leistungsspektrum am Leopoldina Krankenhaus geben wird. Dort wird dann auch die KVB-Praxis sein. Wir stehen bereits in Verbindung mit der kassenärztlichen Vereinigung.

Was schätzen Sie, wann die Krankenhausreform kommen wird?

Winter: Das lässt sich derzeit schwer abschätzen. Auf der einen Seite haben wir Karl Lauterbach mit seinen Vorstellungen und auf der anderen Seite 16 Bundesländer, die sich bisher klar dagegenstellen. Meine größte Angst ist, dass es nicht gelingen wird, einen Kompromiss zu finden. Es macht mich fassungslos, dass man diesen Schwebezustand, wie wir ihn gerade erleben, zulasten der Kliniken billigend in Kauf nimmt. Wir brauchen jetzt endlich mehr Geld. Es kann nicht sein, dass die Träger oder Städte dafür geradestehen müssen, wenn die Bundespolitik es nicht auf die Reihe bekommt.

 
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  • Hiltrud Erhard
    Der Bericht bzw das Interview beinhaltet alles was in vielen so eifrig kommentierten Berichten immer wieder mit politischem Halbwissen aus der rot-grünen Sichtweise fleißig dem OB oder der Landesregierung angedichtet wurde.
    Hintergründe, Zuständigkeiten und Finanzierungen wurden klar angesprochen. Ebenso ein Rettungskonzept, welches noch einen winzigen Raum für Hoffnung lassen könnte, wenn sich auch die Schwestern einen weltlichen Ruck geben könnten.
    Danke Herr Winter für die klaren Worte, für die Fakten und der Einschätzung.
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  • Klaus - Peter Eschenbach
    Schon jetzt sind die Wartezeiten für Untersuchungen und planbare Operationen so lange, dass man sich fragt, ob der Patient wirklich als solcher gesehen wird oder nach der Gewinnmarge gehandelt wird. Eine adäquate Versorgung ist nicht mehr gegeben zumal große Konzerne wie Campus Bad Neustadt oder ähnliche nur noch nach Gewinn der Aktionäre hecheln. Gesundheit gehört nicht in die Hände gewinnorientierter gierigen Gesellschaften. Die Stadt Schweinfurt verpasst gerade die Möglichkeit sich mit dem Zusammenschluss zweier guter angesehener Krankenhäuser vor der Übernahme solcher Konzerne zu schützen.
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