Die Szene entbehrt nicht einer gewissen Komik. Samstag Nachmittag, eine Woche vor der Kommunalwahl, eine Straße in Yorktown Village. Der von der CSU-Stadtratsfraktion gecharterte Bus, mit 40 Personen gut besetzt, fährt gemütlich durch die Siedlung, Oberbürgermeister Sebastian Remelé steht vorne neben dem Fahrer, das Mikro in der Hand. Er erzählt, was in dem neuen Wohngebiet geplant ist, was man sich für das Kessler Field vorstellt. Er schaut aus dem Fenster auf die teilweise neu gestrichenen Häuser der früheren Siedlung der US-Armeeangehörigen, parliert gut gelaunt, offenbar zufrieden mit der Entwicklung in den vergangenen Jahren.
Als der Bus kurz vor der International School of Mainfranken abbiegen will, kommt aus einem der Häuser der Grünen-OB-Kandidat Holger Laschka. Er muss lachen, als er erkennt, was für ein Bus da an ihm vorbeifährt. Schmunzelnd winkt er, schüchtern winken sogar einige Businsassen zurück. Laschka war bei dem vor allem im Wahlkampf beliebten und von allen OB-Kandidaten praktizierten Tür-zu-Tür-Format, sich dem Wähler vorstellen, das Wahlprogramm überreichen, nach den Sorgen des kleinen Mannes fragen. Standard, wichtig, keine Frage.
Sebastian Remelé hat die Szene gar nicht wahrgenommen. Holger Laschka sieht er nicht, das Programm der SPD-OB-Kandidatin Marietta Eder kennt er nicht, ihm übel Meinende würden das so interpretieren. Doch es wäre unfair, aus dieser Szene abzuleiten, der OB sei abgehoben. Klar ist: Er ist sich nicht zu unrecht sicher, einigermaßen fest im Sattel zu sitzen, zumal sich schon vor Monaten zeigte, dass seine Partei geschlossen hinter ihm steht. Eine Erkenntnis dieses ungewöhnlich langen Wahlkampfes steht jetzt schon fest: Das Grundgrummeln über manche Entscheidung der Verwaltung und des OB der vergangenen Wahlperiode hat nicht dazu geführt, dass es eine Wechselstimmung gibt.
Der Druck im OB-Wahlkampf ist unterschiedlich verteilt, aber durchaus für jeden Kandidaten vorhanden: Amtsinhaber Sebastian Remelé hat das Ziel wie 2014 wieder im ersten Wahlgang zu gewinnen. Eine Stichwahl wäre für ihn eine Niederlage. Grünen-Kandidat Holger Laschka – er war im Frühjahr 2019 der erste, der bekannt gab, als OB kandidieren zu wollen – muss sich insofern beweisen, als ein Ergebnis über den derzeitigen Beliebtheitswerten seiner Partei liegen sollte.
SPD-Kandidatin Marietta Eder setzt auf Kooperation mit den Linken
Und für SPD-Frau Marietta Eder heißt die Messlatte Stephan Kuserau. Ihr SPD-Kollege, längst nicht mehr in der Wälzlagerstadt wohnhaft, holte 2014 magere 3750 Stimmen. Eder, Gewerkschaftssekretärin von Beruf, führte unter anderem mit den Linken Gespräche, deren Mitgliederversammlung beschloss einstimmig, sie als OB-Kandidatin zu unterstützen. Ein Paradigmenwechsel, vor sechs Jahren wäre eine solche Zusammenarbeit zwischen Linken und SPD noch nicht möglich gewesen.
Für Eder und auch für die SPD-Vorsitzende Julia Stürmer-Hawlitschek ist der Druck vor der Kommunalwahl wohl am größten: Mindestens wieder zehn Mandate wie bisher sollten es sein, damit der eingeschlagene Weg der Verjüngung und Erneuerung der Schweinfurter Sozialdemokratie parteiintern weiter goutiert wird.
Interessant zu erleben das grundsätzliche Interesse vieler Menschen am Wahlkampf und den Programmen der OB-Kandidaten. So wie Marietta Eder beim Interview mit dieser Redaktion in der Chocolaterie Molina herzlich viel Glück gewünscht wurde, passierte das auch Holger Laschka mehrfach im Gespräch mit ihm bis dato unbekannten Bürgern.
Am Samstag eine Woche vor der Kommunalwahl ist auch in der Innenstadt reges Wahlkampftreiben, ein Stand reiht sich vor allem um den Georg-Wichtermann-Platz an den anderen. Die CSU fährt dabei eine Mischung aus klassischem Straßenwahlkampf und neuen Ideen.
Am Infostand werden Flyer und Bleistifte mit integrierter Blühspitze verteilt, in den vergangenen Wochen gab es aber auch drei Busfahrten für Wähler durch die Stadt, ein Format namens "Lounge in the City" in einer Bar im Hafen und ein riesiges LED-Reklameband bei einer Veranstaltung in einem Autohaus, auf dem alle 44 Kandidaten für den Stadtrat werbewirksam im Dunkeln aufleuchteten. Um die "geistige Vorherrschaft", wie es CSU-Fraktionschef Stefan Funk genannt hat, weiter in Schweinfurt zu haben, wird viel investiert.
Ein Thema im Wahlkampf war das Verhältnis der CSU zur AfD. Das ist glasklar geklärt, der OB selbst tat dies mehrfach, unter anderem bei der Jubiläumsveranstaltung des Bündnisses "Schweinfurt ist bunt." "Solange ich Oberbürgermeister bin", sagte Sebastian Remelé damals, "wird es keine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD geben." Die Alternative für Deutschland selbst nahm man im Wahlkampf kaum wahr, sie hatten keine öffentlichen Wahlveranstaltungen, aber Infostände.
Ein Phänomen gab es, das bei den zahllosen Podiumsdiskussionen nur bedingt durchschien: Im Stadtrat wurde der Ton deutlich schärfer. Das ist zwar schon seit den Bürgerentscheiden, ob ein Bürgerpark mit Landesgartenschau oder ein Stadtwald in den Ledward-Kasernen entstehen soll, so.
Dennoch war auch Sebastian Remelé nicht immer in der Rolle des Vermittlers, sondern Teil des Streits, der sich nicht nur an umweltpolitischen Fragen zwischen Ulrike Schneider (Freie Wähler/Schweinfurter Liste) und der CSU entzündete, sondern auch zwischen dem OB und den Linken bzw. der SPD, als es um das Bürgerbegehren "Bezahlbar wohnen in Schweinfurt" ging. Von "Humbug" war mal die Rede, auch von "Heuchelei". Es bleibt zu hoffen, dass die Debattenkultur sich im neuen Stadtrat ab 2. Mai wieder verbessert.
Was gab es in Sachen Stadtratswahl zu erleben? Rege Aktivitäten, parteiübergreifend. Ulrike Schneider zitterte im Januar mit ihrer neuen Liste "Zukunft./ödp" erst um die Zulassung zur Wahl, holte dann aber doch deutlich mehr als 400 Unterstützerunterschriften. Auf Anhieb eine volle Liste mit 44 Kandidatinnen und Kandidaten zu haben, ist zumindest respektabel und spricht für die Zusammenarbeit des Mehrparteien-Bündnisses. Außerdem bekam Schneiders Liste durch die Entscheidung, nicht zu plakatieren, Aufmerksamkeit. Stattdessen waren mehrfach Zukunfts-Fahnen oder ein E-Mobil mit Wahl-Werbung in der Stadt zu sehen.
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Ruhig dagegen der Wahlkampf der Wählergruppierung proschweinfurt. Nachdem Adi Schön Spitzenkandidat der Freien Wähler wurde, setzt die Gruppe voll auf die Beliebtheit von Stadträtin Christiane Michal-Zaiser. "Wir hören zu", den Slogan setzte proschweinfurt in die Tat um, auf der Internetseite wurde ein Ideen-Wettbewerb für die Bürger ins Leben gerufen, die besten Anregungen prämiert und ins Wahlprogramm übernommen.
Die Freien Wähler dagegen zeigen sich selbstbewusst nach der Trennung von Ulrike Schneider: "Wir wollen zweitstärkste Fraktion werden", betonte Fraktionschef Stefan Labus mehrfach. Das würde bedeuten, die Freien Wähler bekämen nicht drei Mandate wie bisher, sondern mehr als zehn. Außerdem sorgte diese vollmundige Ankündigung prompt für Reaktionen der im Moment zweitstärksten Fraktion, der SPD.
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Deren Fraktionsvorsitzender Ralf Hofmann konnte sich einen bissigen Facebook-Post nicht verkneifen, in dem er auf den einzigen Antrag von Stefan Labus bei den Haushaltsberatungen 2019 einging, den für einen Hundespielplatz. Die Verwaltung lehnte das damals rundweg ab, hernach sei laut Hofmann nicht mehr viel von Seiten Labus' im Stadtrat gesagt worden. Inwiefern es am Sonntagabend zu einer CSU-FW-Koalition in Schweinfurt wie seit zwei Jahren in der bayerischen Staatskanzlei in München kommt, entscheidet der Wähler an der Wahlurne.
Als Sturm im Wasserglas entpuppte sich im übrigen die Behauptung, die Aufstellungsversammlung der Freien Wähler im Dezember sei nicht korrekt gewesen, da Manfred Neder im nachhinein erklärte, er habe gar keine Einverständniserklärung unterschrieben. Der städtische Wahlausschuss stellte Anfang Februar unmissverständlich klar, dass Freie-Wähler-Vorsitzender Harald Schmitt als Wahlleiter völlig korrekt gehandelt habe.
Die Linken hatten im Wahlkampf nicht nur inhaltlich mit dem Thema Wohnen und dem Bürgerbegehren einen Treffer, sondern sicher die mutigste Kampagne: Superheldinnen und Helden fliegen im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger auf den bunten Plakaten durch die Stadt, um das Leben "besser für alle" zu machen.
Die FDP zeigt vor allem in der Innenstadt gelbe Präsenz: Einzelhändler Axel Schöll ist ebenso sichtbar wie FDP-Urgestein Georg Wiederer, der mit 78 Jahren noch lange nicht amtsmüde ist: "Immer wieder Wiederer", heißt es auf den Plakaten des Metzgermeisters, der seit 24 Jahren im Stadtrat ist. Am Georg-Wichtermann-Platz gibt es sogar eine Litfaßsäule komplett mit Wiederer-Werbung plakatiert. Eine Frage treibt die Freien Demokraten aber um: Hat das Thema Thüringen-Wahl kommunalpolitisch Auswirkungen?
- Alle Informationen rund um die Kommunalwahl finden Sie unter www.mainpost.de/wahlen
- Eine Grafik mit Links zu den Bürgermeister-Kandidaten-Porträts finden Sie hier.
Yorktown Village hat keinen Stadtbusanschluss, was die Bewohner monierten (siehe MP.de). Die Stadt strich die ursprünglich geplante Busspur in der Carus Allee, wodurch die Linie "Mozartstraße" nicht zu Kessler Field & Y. V. verlängert werden kann.
Ein Fehler von vielen, in der langen Mängel- und Versäumnisliste der Stadtplanung unter OB Remelé.