Der Ober sticht den Unter. Das ist eine alte Schafkopfregel und in Bayern die volkstümliche Kurzfassung des Verfassungsgebots. Aktuell auf die Asylpolitik bezogen würde "Ober sticht Unter" das Aus für die bayerischen Ankerzentren bedeuten, die einst Horst Seehofer als CSU-Vorsitzender unter der Merkel-Regierung in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt hatte. Die neue Ampel-Regierung von SPD, Grüne und FDP hat nämlich in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass sie das Konzept der Ankerzentren nicht weiter verfolgt. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hat postwendend die Ansage aus Berlin gekontert: "Die Unterbringung der Asylbewerber ist Aufgabe der Länder, weshalb wir an der Weiterführung festhalten wollen." Schlägt der Unter also den Ober?
In Bayern gibt es sieben solcher Flüchtlingsgroßunterkünfte. Eines in jedem Regierungsbezirk. Das unterfränkische Ankerzentrum bei Geldersheim (Lkrs. Schweinfurt) – der Begriff steht für "Zentrum für Ankunft, Entscheidung, Rückführung – ist mit einer Belegungskapazität von 1500 Plätzen neben Bamberg das größte in Bayern, vor Fürstenfeldbruck mit 1000 Plätzen. Seit 2015 hat der Freistaat hier 16,7 Millionen Euro an Herrichtungs-, Sanierungs- und Unterhaltungskosten aufgewendet. Derzeit wird das Gebäude des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ertüchtigt. Hierfür sind weitere 3,8 Millionen Euro angesetzt. Die Investitionen summieren sich damit auf 20,5 Millionen Euro.
Hat die Ampel-Koalition mit der Festlegung in ihrem Koalitionsvertrag nun das Ende für das unterfränkische Ankerzentrum eingeläutet? Fragt man Bundestagsabgeordnete aus der Region, bekommt man je nach Couleur die entsprechende Antwort.
"Innenminister Herrmann hat klar gesagt, dass die Ankerzentren in Bayern bleiben", hegt die Schwebheimer Bundestagsabgeordnete Anja Weisgerber (CSU) Zweifel, dass die Bundesregierung per Erlass die Ankerzentren abschaffen kann. Persönlich hält sie das Konzept der Ankerzentren für richtig, weil Flüchtlinge in diesen Einrichtungen alle Formalitäten gebündelt abwickeln können. Gerade vor dem Hintergrund der aktuell steigenden Flüchtlingszahlen seien funktionierende Aufnahmeeinrichtungen wichtig. "Es ist blauäugig zu glauben, dass die dezentrale Unterbringung der bessere Weg ist."
Das sieht der Schonunger Neuling im Bundestag, Markus Hümpfer (SPD), anders: "Der Bund gibt die Rahmenbedingungen vor, da kann der bayerische Innenminister sagen, was er will." Ankerzentren seien der falsche Weg, deshalb setze die Koalition auf eine dezentrale Unterbringung. "Das hat etwas mit Menschenwürde zu tun", verweist Hümpfer auf die schon immer umstrittene Unterbringung von Geflüchteten in Einrichtungen, in denen sie weitgehend abgeschottet von der Gesellschaft leben, bis ihr Asylantrag entschieden ist. Was die Ankereinrichtung in Schweinfurt anbetrifft, erinnert Hümpfer die Staatsregierung an ihre Zusage, diese nur bis 2025 zu betreiben. "Das muss das Land Bayern einhalten, damit haben die Kommunen fest gerechnet."
Weiterbetrieb der Anker-Einrichtung steht dem Konversionsprojekt im Wege
Innenminister Herrmann hatte im vergangenen Jahr mit der Aussage für Aufregung gesorgt, dass die Auflösung der Ankereinrichtung im Jahr 2025 nicht in Stein gemeißelt sei. Darauf aber hatten sich die Gemeinden Geldersheim und Niederwerrn sowie Stadt und Landkreis Schweinfurt verlassen, auf deren Gemarkungen das Areal liegt und die schon Ende 2013 ihre Zusammenarbeit in einem kommunalen Zweckverband für die Nachnutzung der Conn Barracks besiegelt haben.
Sie wollen auf dem rund 200 Hektar Fläche umfassenden Areal einen Gewerbe- und Industriepark mit mindestens 100 Hektar Gewerbefläche schaffen. Ein Weiterbetrieb der Anker-Einrichtung stünde diesem größten Konversionsprojekt in der Region im Wege. Die gewerblich nutzbare Fläche würde sich reduzieren, die industrielle Nutzung wäre eingeschränkt, zusätzliche Lärmschutzmaßnahmen wären erforderlich und die Kosten für den Zweckverband höher. Das würde den Standort unattraktiver machen.
Die Mitglieder des Zweckverbandes begrüßen folglich die Vereinbarung des Koalitionsvertrages der neuen Ampel-Regierung zu den Ankerzentren. Sie sei gerade für die unterfränkische Flüchtlingsunterkunft eine "wichtige und gute Richtungsentscheidung", um nun endlich Planungssicherheit für die Konversion zum Industrie- und Gewerbepark zu erhalten.
"Dadurch wächst nochmals der Druck auf die bayerische Staatsregierung, die Anker-Einrichtung in den Conn Barracks, wie im Jahr 2016 mit dem Freistaat vereinbart, spätestens zum Jahresende 2025 aufzugeben", meint Landrat Florian Töpper, der nach dem satzungsgemäßen Wechsel seit Jahresbeginn wieder Verbandsvorsitzender ist.
Zweckverband hat klare Erwartungshaltung an den Freistaat
Der Zweckverband hat deshalb die klare Erwartungshaltung, dass die bundespolitische Weichenstellung "zu einer baldigen einvernehmlichen Übereinkunft" mit dem Freistaat Bayern führt. "Das Ziel ist nach wie vor eine rechtsverbindliche Neufassung der gemeinsamen Erklärung von Freistaat und Kommunen aus dem Jahr 2016, um diese Festlegung aus dem Koalitionsvertrag auch langfristig festzumachen."
Für Innenstaatssekretär Gerhard Eck (CSU) indes steht fest: "Die Behördenbündelung – der eigentliche Kern des Anker-Konzepts – hat sich aus bayerischer Sicht bewährt. Wir werden daher an der Weiterführung festhalten wollen." Angesichts der zunehmenden Flüchtlingszahlen in den letzten Monaten seien ausreichend Plätze für die Aufnahme und Asylunterbringung nötig. "Dies gilt auch für den Anker Unterfranken und insbesondere dann, wenn die neue Bundesregierung noch mehr Flüchtlinge aufnehmen will", betont Eck auf Nachfrage.
In den bisherigen Gesprächen seien bereits Lösungen erarbeitet worden, wie ein Gewerbepark und eine "räumlich abgegrenzte, untergeordnete Asylnutzung" realisiert werden können. Denn die Region brauche neue Gewerbeansiedlungen, weiß Eck, und das große Areal der Conn Barracks biete hierfür eine gute Chance, "die wir so schnell wie möglich und so weit wie jetzt schon möglich auch ergreifen sollten". Eck will sich persönlich dafür einsetzen, "dass wir eine Lösung finden, die allen berechtigten Interessen gerecht wird".
Nach Aussage des Zweckverbands "liegt bis heute aber kein akzeptables Angebot des Freistaats vor". Deshalb fordern die Mitgliedsgemeinden, dass "die Sonderlast des Sozialraums Schweinfurt durch das Ankerzentrum vereinbarungsgemäß beendet wird". Im Übrigen verweist der Zweckverband darauf, dass die zeitliche Befristung wesentlicher Bestandteil der gemeinsamen Erklärung mit dem Freistaat von 2016 sei.
Aktuell überlasse die Bundesregierung den Bundesländern mietzinsfrei Bundesliegenschaften zur Unterbringung von Asylbewerbern und erstatte die Herrichtungskosten. Grundlage hierfür sei ein Haushaltsvermerk im Bundeshaushalt. Eine Umsetzung der Koalitionsvereinbarung, dass das Konzept der Ankerzentren nicht weiterverfolgt werden soll, könne die Bundesregierung daher gut über Laufzeit und Umfang der Liegenschaftsbereitstellung steuern, meint der Zweckverband. Oder den Haushaltsvermerk einfach streichen.
Die Regierung von Unterfranken muss in diesem Fall dann alternative Unterkunftsmöglichkeiten für ankommende Geflüchtete in den Landkreisen und Städten schaffen. Das geht nicht von heute auf morgen. Der Zweckverband hält dies aber bis zum Auslaufen des Mietvertrags Ende 2024, spätestens zum Ablauf der vereinbarten Nutzungsdauer 2025, "für gut umsetzbar".
Die Koalitionsvereinbarung könnte also der entscheidende Trumpf sein. Denn wenn die Bundesrepublik als Eigentümerin der Conn Barracks das Konzept der Ankerzentren nicht weiterverfolgt, "schließt dies unseres Erachtens eine weitere Überlassung an den Freistaat Bayern für solche Zwecke aus". Diese klare Erwartung will der Zweckverband an die Bundesregierung über die zuständigen Ministerien und die Bundestagsabgeordneten der Region adressieren.