Kühle fünf Grad, grauer bedeckter Himmel. Fast fünf Autostunden entfernt von der unterfränkischen Gemeinde Schonungen (Lkr. Schweinfurt) könnte der Blick über die Berliner Spree hin zum Reichstagsgebäude ein durchaus freundlicheres Bild abgeben, als an diesem bewölkten Vormittag. Bei den aktuellen Koalitionsverhandlungen dürfte es trotz der Außentemperaturen heiß hergehen. Einer, der der neuen designierten Bundesregierung angehört, ist der Unterfranke Markus Hümpfer. Wie ist das eigentlich, plötzlich Bundestagsabgeordneter zu sein? Und wie bekommt der 29-Jährige Gemeinderat und Bundestag unter einen Hut? Bei einem Besuch in Berlin hat diese Redaktion den SPD-Politiker in seinem neuen Alltag begleitet.
Denn Hümpfers steiler Karriere-Aufstieg macht den bisherigen Gemeinderat aus Schonungen plötzlich zum Kollegen von Vizekanzler Olaf Scholz, Saskia Esken oder Karl Lauterbach. "Bei der SPD sind wir ja ohnehin alle beim Du", sagt Hümpfer. Im Bundestag stünden die Türen der Parteikolleginnen und -kollegen offen, er müsse keineswegs vor Ehrfurcht erstarren - auch nicht bei den großen Namen, sagt er und läuft am Büro des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Kevin Kühnert vorbei.
Ansprechpartner für Anliegen aus der unterfränkischen Heimat
Mitten im Regierungsviertel – nur 500 Meter entfernt vom Brandenburger Tor – hat Markus Hümpfer sein Bundestags-Büro. Konzentriert sitzt der 29-Jährige in hellblauem Hemd und dunkler Anzughose an seinem Schreibtisch und blickt auf den Bildschirm. "Du kannst ja nochmal kurz drüber schauen", sagt Mitarbeiter Elmar Stracke und legt ihm ein Papier auf den Tisch. Dann klingelt das Telefon.
Hümpfers Arbeitstag hat um 8.30 Uhr begonnen. Was nach Alltag aussieht, ist für den gelernten Ingenieur und Industriemechaniker absolutes Neuland. Noch vor ein paar Wochen galt sein politischer Sprung nach Berlin als unrealistisch. Erst am Morgen nach der Bundestagswahl erfuhr der 29-Jährige, dass er neben der CSU-Direktkandidatin Anja Weisgerber und Linken-Urgestein Klaus Ernst überraschend ebenfalls für den Wahlkreis Schweinfurt/Kitzingen in den Bundestag einziehen wird. Gut acht Wochen später ist er mittendrin in der tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umfassenden Maschinerie namens Bundestag.
"Wie kann ich denn helfen?", fragt Hümpfer durch den Telefonhörer und schnell wird klar, dass Bundes- und Kommunalpolitik eng beieinander liegen. Am anderen Ende der Leitung sitzt ein Bürgermeister aus dem Landkreis Schweinfurt. Es geht um die Frage, inwiefern der Bund finanzielle Mittel für die Sanierung einer Veranstaltungshalle beisteuern kann. Markus Hümpfer versichert, ihm die bekannten Optionen über sein Büro zukommen zu lassen. Mitarbeiter Stracke, der das Telefonat inhaltlich vorbereitet hat, sitzt daneben und nickt seinem Chef bestätigend zu.
Wöchentlicher Wechsel zwischen Berlin und Schonungen
Wenig später telefoniert Hümpfer erneut mit der unterfränkischen Heimat. Dieses Mal geht es um Informationsfahrten, bei denen Abgeordnete politisch interessierte Bürgerinnen und Bürger aus ihren Wahlkreisen nach Berlin einladen können. Anliegen wie diese aus seinem Wahlkreis gehören zum Tagesgeschäft. "Prinzipiell bin ich Ansprechpartner für alles", erklärt der Sozialdemokrat, der für Verbände, Unternehmen und Politiker aus dem Wahlkreis Schweinfurt der Draht nach Berlin sei.
Die Sitzungswochen für Abgeordnete finden in regelmäßigem Turnus statt. "Im Normalfall bin ich abwechselnd eine Woche in Berlin und eine Woche im Wahlkreis", erklärt Hümpfer. Seinen Ingenieurs-Job hat er aufgegeben, will sich nun voll und ganz den politischen Aufgaben widmen. "Das Arbeitspensum als Abgeordneter ist sehr hoch", sagt er. Seine Tätigkeit im Gemeinde- und im Kreisrat sowie als stellvertretender Chef der Unterfranken-SPD will er dennoch weiter ausüben.
Doch wie ist das eigentlich, plötzlich Bundestagsabgeordneter zu sein? "Sehr anstrengend, man wird von heute auf morgen ins kalte Wasser geworfen und muss versuchen, schwimmen zu lernen", sagt der 29-Jährige. Doch es mache großen Spaß. Als es losging, sei er völlig alleine dagestanden. Dann habe er Bewerbungsgespräche geführt und sich ein Team aufgebaut. Neben dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Elmar Stracke sitzen nun noch Sevgi Ates und Maria Jordan in seinem Büro. Keiner von ihnen ist älter als 30 Jahre, Hümpfer selbst ist der jüngste. Es herrscht ein freundlicher Umgangston, die Hierarchien sind "flach", betont der Abgeordnete.
Ein "besonderes Gefühl" als Parlamentarier
Sein Team arbeitet Hümpfer zu, bereitet Themen vor, erstellt seinen Terminkalender. Jetzt gerade ist es Zeit zum Mittagessen. Geschlossen marschieren die vier durch die Gänge des Bundestages, vorbei an etlichen Büros, Sitzungssälen hin zur Kantine. Ständig werden die Dienst-Ausweise gezückt, ständig werden Sicherheitsschleusen passiert. "Das ist etwas Besonderes, was mich schon überrascht hat", verrät Hümpfer. Man habe überall Zugang, das erfordere Demut.
Erst vergangene Woche, erinnert sich Hümpfer, habe er an einem feierlichen Gelöbnis der Bundeswehr teilgenommen. "Da saß ich dann plötzlich in der ersten Reihe, weil dort für mich reserviert war, das ist schon surreal." Plötzlich Parlamentarier zu sein, sei ein "besonderes Gefühl". Dass dies so schnell gelang, hatte Hümpfer nicht erwartet. Doch ausgeschlossen habe er den Sprung nach Berlin nie - im Gegenteil. "Mit 18 habe ich mich erstmals mit Politik beschäftigt, mit 20 habe ich den Bundestag für ein Planspiel besucht. Seit acht Jahren besteht nun das Ziel, hier politisch mitzugestalten."
Schonunger Abgeordneter lebt noch im Hotel
Nach dem Mittagessen – Hümpfer hat sich für Paella und gegen Käsespätzle entschieden – stellt der Politiker seine neue Wirkungsstätte vor. Der Weg führt durch den Reichstag, vorbei am Plenarsaal der SPD bis hin zur Reichstagskuppel. "Das ist schon beeindruckend, auch wenn man im Alltag hier oben eigentlich nicht unterwegs ist", sagt Hümpfer. Während er über Berlin blickt – "im Vergleich zu Schweinfurt eine andere Welt" –, erzählt er, dass er derzeit noch im Hotel lebt. Ab Dezember beziehe er dann seine Wohnung im Berliner Stadtteil Moabit.
Wenig später geht der Alltag als Bundestagsabgeordneter weiter. Die Arbeitsgruppe "Energie und Wirtschaft", der Hümpfer angehört, tagt zum Thema Corona-Wirtschaftshilfen. Pandemiebedingt tauscht er sich per Videoschalte mit Kolleginnen und Kollegen sowie mit Vertreterinnen und Vertretern des Bundesfinanzministeriums über Überbrückungshilfen aus. Die Presse muss draußen bleiben.
Hümpfer: "Man muss schon auch auf sich selbst achten"
Am späten Nachmittag der nächste Termin: Sondersitzung der Fraktion zum Infektionsschutzgesetz. Viele Maßnahmen und Regelungen während der Pandemie, so Hümpfer, verstehe man nun wesentlich besser, da man unmittelbar bei der Entstehung dabei ist. Zwei Tage später werden SPD, Grüne und FDP ihre gemeinsamen Änderungsvorschläge im Bundestag einbringen. Das Gesetz soll den Ländern nach Ende der epidemischen Lage die notwendigen Instrumente zur Corona-Bekämpfung geben. Am Freitag hat der Bundesrat grünes Licht für die Corona-Pläne der Ampel gegeben.
Am Abend ist Hümpfer dann noch mit einigen Mitgliedern der bayerischen SPD-Landesgruppe verabredet. "Es geht um Themen für Bayern und vor allem um Vernetzung", verrät der Franke. Sein Arbeitstag endet gegen 22 Uhr, oftmals noch später, da Plenarsitzungen häufig bis tief in die Nacht andauerten. "Man muss schon auch auf sich selbst achten", sagt Hümpfer. Acht-Stunden-Tage gehörten der Vergangenheit an. Und das gelte auch für die Wochen, in denen er nicht in Berlin sei. Gespräche, Versammlungen, Veranstaltungen aller Art - "Es gibt eigentlich immer etwas zu tun."
Und was, wenn die Koalitionsverhandlungen doch noch scheitern?
An solche Szenarien will Markus Hümpfer nicht denken. "Das wäre schon ein Schlag ins Gesicht", sagt er. Ohnehin bewertet er die Ampel-Gespräche positiv, gerade weil nichts Vertrauliches an die Öffentlichkeit gelange. Sein Parteigenosse Olaf Scholz werde in der Nikolauswoche "zu 99 Prozent sicher" zum Kanzler gewählt.
Neben Sabine Dittmar (Bad Kissingen) und Bernd Rützel (Main-Spessart) vertritt der Schonunger die SPD aus Unterfranken in Berlin. Dabei will sich Markus Hümpfer in Zukunft für Themen wie den gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro, eine Bürgerversicherung oder erneuerbare Energien einsetzen. Für seine Heimatregion hat er sich auf die Fahne geschrieben, vor allem die Transformation der Automobilzulieferer-Industrie sowie die Maßnahmen gegen den Klimawandel voranzubringen. Und wenn es im Berliner Büro mal etwas zu feiern gibt, "dann bringe ich natürlich Bier und Sekt aus Unterfranken mit", sagt Hümpfer und lacht.