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Mellrichstadt
Zwischen zu viel Bürokratie und Liebe zum Pflegeberuf: 45 Jahre Caritas-Sozialstationen in Rhön-Grabfeld
Vor 45 Jahren rief die Caritas Rhön-Grabfeld ihren ambulanten Pflegedienst ins Leben. Wie sich seitdem die Pflege verändert hat und welche Sorgen herrschen.
Die drei Caritas-Sozialstationen im Landkreis Rhön-Grabfeld bestehen seit 45 Jahren. In dieser Zeit ist die Anzahl der Patienten und Mitarbeiter enorm gestiegen. Das Bild zeigt die Pflegefachkraft Susanne Omert von der Sozialstation in Mellrichstadt zusammen mit der Klientin Paula Seidenzahl.
Foto: Samuel Becker | Die drei Caritas-Sozialstationen im Landkreis Rhön-Grabfeld bestehen seit 45 Jahren. In dieser Zeit ist die Anzahl der Patienten und Mitarbeiter enorm gestiegen.
Sigrid Brunner
 |  aktualisiert: 26.08.2023 03:07 Uhr

Ambulante Pflegedienste sind für viele Menschen ein elementarer Bestandteil des Alltags. Mit ihrer Hilfe können Pflegebedürftige zu Hause versorgt werden und so lange wie möglich im gewohnten Umfeld bleiben. 45 Jahre ist es her, dass unter dem Dach des Caritasverbandes Rhön-Grabfeld drei Sozialstationen gegründet wurden: St. Laurentius in Bad Neustadt, St. Peter in Bad Königshofen und St. Kilian zunächst in Reyersbach und seit 1994 in Mellrichstadt.

Nach der Gründung ging die Entwicklung steil nach oben. Wurde zum Beispiel in Bad Neustadt mit vier Mitarbeiterinnen, drei Fahrzeugen und knapp 15 Patientinnen und Patienten angefangen, so sind es heute 80 Mitarbeiter, 15 Autos und rund 350 Patienten. 

Ohne die große Gruppe der Angehörigen sei Pflege nicht zu schaffen. Das sagen übereinstimmend (von links) Johanna Dietz (Leiterin des Fachbereichs ambulante Altenpflege bei der Caritas), die drei Pflegedienstleiter Ulli Feder (Mellrichstadt), Gudrun Rathgeber (Bad Königshofen) und Bruno Kleinhenz (Bad Neustadt) sowie die Geschäftsführerin des Caritasverbandes Rhön-Grabfeld, Angelika Ochs.
Foto: Sigrid Brunner | Ohne die große Gruppe der Angehörigen sei Pflege nicht zu schaffen. Das sagen übereinstimmend (von links) Johanna Dietz (Leiterin des Fachbereichs ambulante Altenpflege bei der Caritas), die drei Pflegedienstleiter ...

Ihren Ursprung hat die Gründung der Sozialstationen, wie bei vielen anderen ambulanten Pflegediensten ebenfalls, in dem Abzug der Gemeindeschwestern, die bis dahin alte und kranke Menschen versorgt hatten, in ihre Ordenshäuser. Dadurch entstand eine Lücke, die die katholischen Kirchenstiftungen mit den Sozialstationen geschlossen haben.

"Es musste eine Struktur hergestellt werden, die die Versorgung flächendeckend sicherstellte", erläuterte Angelika Ochs, Geschäftsführerin des Caritasverbandes Rhön-Grabfeld, gegenüber dieser Redaktion. Damals habe es auch Gespräche mit der evangelischen Kirche in Richtung einer ökumenischen Sozialstation gegeben. Das habe sich jedoch zerschlagen. 

Die Einführung der Pflegeversicherung brachte Veränderungen mit sich

Was hat sich in all den Jahren verändert? 1995 wurde die Pflegeversicherung eingeführt. Damit hätten sich die Aufgaben der Sozialstationen deutlich erweitert, blickt Johanna Dietz zurück. Sie ist eine der dienstältesten Mitarbeiter der Caritas. 1979 fing sie als Praktikantin bei der Sozialstation St. Kilian an. Zehn Jahre später übernahm sie dort die Pflegedienstleitung. Derzeit leitet sie bei der Caritas den Fachbereich "Ambulante Altenhilfe". Mit der Pflegeversicherung sei zu der Kranken- und Altenpflege die Unterstützung im Haushalt und der "Mobile Soziale Hilfsdienst" hinzugekommen.

Ausgebaut worden seien im Laufe der Zeit auch die Angebote für pflegende Angehörige. Neben Pflegekursen werden Infoveranstaltungen oder Pflegeentlastungstage abgehalten. Die Pflegeformen hätten ebenfalls zugenommen, ergänzt Angelika Ochs. Die Tagespflege sei in allen drei Sozialstationen ins Leben gerufen worden, auch werden heute Senioren-WGs betreut. 

Der bürokratische Aufwand nimmt immer mehr zu

Stark angestiegen sei in all den Jahren der bürokratische Aufwand. "Die Bürokratisierung hat den Beruf extrem verändert und viele zusätzliche Arbeiten mit sich gebracht", führt Ulli Feder kritisch ins Feld. Sie leitet seit 2016 die Sozialstation St. Kilian in Mellrichstadt. Dem stimmt Bruno Kleinhenz, seit 1992 Pflegedienstleiter von St. Laurentius in Bad Neustadt, zu: "Die Rahmenbedingungen sind schwieriger geworden." Obwohl das Problem erkannt worden sei, bringe jede Neuerung noch mehr Bürokratie mit sich. "Es wird immer schlimmer, statt besser", schüttelt er den Kopf.

Dabei sei Pflege ein schöner Beruf. Sehr viele Menschen würden sogar sagen, dass es "der tollste Beruf der Welt" sei, stimmt dem Angelika Ochs zu. Dennoch mangelt es an Nachwuchskräften. Pflege müsse positiver dargestellt werden, macht die Geschäftsführerin als einen Grund dafür aus. 

Es mangelt an Nachwuchs in der Pflege und die Zahl der Pflegebedürftigen steigt

"Wir versuchen, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gute Arbeitsbedingungen zu schaffen", führt sie aus. Dazu gehöre, die Dienstpläne an Wünsche anzupassen, gute Patiententouren zu erstellen und den geteilten Dienst weiter abzubauen. Auch die Bezahlung sei gut, merkt Ochs an. "1150 Euro im ersten Lehrjahr kann sich sehen lassen", ist auch Ulli Feder dieser Meinung. 

Die Arbeit in der ambulanten Pflege habe etliche Vorteile, sagt Johanna Dietz. Man könne sich mehr selbst verwirklichen. Dennoch sei man bei Fragen oder Problemen nicht allein und könne immer in der Station oder bei Kollegen Unterstützung holen. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien gut digitalisiert und vernetzt, fügt Gudrun Rathgeber, die seit 2017 die Sozialstation St. Peter in Bad Königshofen leitet, an. "Sie wissen, wo der nächste Kollege ist, und rufen sich gegenseitig an." 

Bislang habe die neue generalistische Pflegeausbildung nicht den gewünschten Erfolg bei der Nachwuchsgewinnung gebracht. Die Ausbildungszahlen seien rückläufig, schildert Kleinhenz. Das belegen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Sieben Prozent weniger Frauen und Männer haben 2022 eine Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann begonnen als im Jahr zuvor. Das sind keine guten Nachrichten, angesichts dessen, dass die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. 

"Wir müssen uns keine Gedanken machen, dass wir genug Klienten bekommen, sondern eher, dass alle versorgt werden können", so Bruno Kleinhenz weiter. "Wenn wir die Riesengruppe der Angehörigen nicht hätten oder auch die anderen Pflegedienste, würden wir es nicht schaffen", pflichtet Ochs bei. "Es wird schon irgendwann so sein, dass wir nicht mehr alle vorsorgen können", blickt Kleinhenz sorgenvoll in die Zukunft. 

Die große Gruppe der Angehörigen ist für die Pflege wichtig

Wann kann dieses Szenario eintreten? "Wir sind schon am Anfang", meint der Bad Neustädter Pflegedienstleiter. "Wenn die Babyboomer in Pension gehen, wird es heftig." Der Babyboom hatte Mitte der 60er Jahre seinen Höhepunkt. Diese Notsituation werde auch vor dem flachen Land nicht Halt machen. "Früher oder später. Wir hoffen, dass es so spät wie möglich ist", meint Angelika Ochs. Noch sei es jedoch nicht so weit. 

Umso wichtiger sei es, Angehörige zu ermutigen und zu befähigen, zu pflegen, erklärt Johanna Dietz. "Wenn die Angehörigen ausfallen, kann das keiner auffangen", betont auch Ochs. 

Was wünschen sich die vier Pflegefachleute für die Zukunft? "Dass möglichst viele Menschen sich für diesen wunderschönen Beruf entscheiden", antwortet darauf Bruno Kleinhenz. "Wir lieben Pflege und wir können Pflege, aber die Rahmenbedingungen mit all der Bürokratie müssen sich bessern", ergänzt Angelika Ochs. Und Ulli Feder sagt: "Dass ich niemals den Satz sagen muss: Wir können Sie nicht versorgen."

 
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