
Der Frühdienst beginnt um 6.15 Uhr und dauert etwa sechs Stunden. In dieser Zeit besucht eine Pflegekraft beim ambulanten Pflegedienst der Caritas-Sozialstation St. Kilian in Mellrichstadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) manchmal bis zu 20 Patientinnen und Patienten daheim. Spritzen setzen, Medikamente überprüfen, Thrombosestrümpfe anziehen, waschen, Wunden verbinden - all das erledigt auch Altenpflegerin Bettina Kessler an einem Vormittag.
Sie arbeitet seit 20 Jahren für die Mellrichstadter Caritas-Sozialstation - und nimmt an diesem Tag eine Reporterin und einen Fotografen mit auf die Tour. Anders als sonst geht es nur zu sechs Patientinnen und Patienten. Die Seniorinnen und Senioren haben im Vorfeld dem Besuch der Pressevertreter zugestimmt und berichten auch. So hat Bettina Kessler für jeden und jede mehr Zeit, wenn sie einen Einblick in ihren Arbeitsalltag gibt.
Bei dem 88-jährigen Robert Reß werden die Medikamente kontrolliert
Robert Reß ist 88 Jahre alt und lebt allein. Er freut sich immer, wenn die Sozialstation kommt. "Sie ist eine große Hilfe. Wenn man Hilfe braucht, soll man sie auch annehmen", sagt er. Der Pflegedienst schaut jeden Tag nach ihm. Die Pflegekräfte füllen seine Tablettenbox und schauen, ob er seine Medikamente eingenommen hat.

Schwierig wird es für ihn, wenn die Hersteller seiner Pillen wechseln: "Mal sind sie rund, dann wieder länglich", erzählt er. "Die Patientinnen und Patienten halten sich an das Aussehen ihrer Medikamente", sagt Bettina Kessler
Zweimal in der Woche besucht Robert Reß die Tagespflege der Caritas, die sich in Mellrichstadt unter den Räumen der Sozialstation im Lohweg befindet. Er liest gerne die Zeitung oder schaut die Panorama-Bilder auf dem dritten Programm. "Da läuft schöne Musik dazu." Von seinen Kindern hat er zum 80. Geburtstag ein Tablet geschenkt bekommen. Damit kann er per Bildschirm von Angesicht zu Angesicht telefonieren.
"Ich bin froh, dass alles so funktioniert. Hoffentlich geht das noch recht lange", sagt er. Die Altenpflegerin drückt tröstend seine Schulter. "Corona hin oder her, wenn jemand Zuwendung braucht, dann kann man nicht daneben stehen."
Altenpflegerin Bettina Kessler: "Irgendwie gehört man zur Familie"
Bettina Kessler beging Anfang des Jahres ihr 20. Dienstjubiläum bei der Caritas-Sozialstation St. Kilian. Sie hat hier bereits ihr Praktikum gemacht und anschließend eine Ausbildung zur Pflegefachkraft. Aktuell ist die 42-jährige Mutter dreier Kinder bei der Sozialstation Ausbildungsanleiterin.

Die Mellrichstädterin mag ihren Beruf. "Wir ermöglichen es Frauen und Männern, zu Hause zu bleiben." Ihr gefallen die Gespräche mit ihren Patientinnen und Patienten. "Wenn man ein Lächeln in ihre Gesichter zaubern kann, hat man schon gewonnen", sagt Kessler. Sie teile Freude, Leid und Sorgen mit den Pflegebedürftigen. "Irgendwie gehört man zur Familie."
Für Irmgard Eichhorn, 95, bedeutet der Pflegedienst etwas Abwechslung am Tag
Von Robert Reß geht es weiter zu Irmgard Eichhorn. Der 95-Jährigen müssen jeden Morgen die Kompressionsstrümpfe angezogen werden. "Vorsicht, ich habe kalte Hände", sagt Bettina Kessler, bevor sie die engen Strümpfe über das erste Bein zieht und anschließend prüft, ob auch ja keine Falte da ist.
Abends zieht die Senioren die Strümpfe selbst wieder aus. "Das ist zwar schwer, aber ich möchte nicht, dass so spät noch jemand kommt", sagt Irmgard Eichhorn.

Besonders die Zuverlässigkeit des Sozialdienstes hebt die ehemalige Kinderkrankenschwester heraus. "Ich habe noch nie erlebt, dass er mich im Stich gelassen hat", betont sie. "Sogar bei Glatteis kommen wir angeschlittert", wirft Bettina Kessler ein.
Irmgard Eichhorn genießt die Gespräche mit den Pflegerinnen und Pflegern. Das bedeute etwas Abwechslung am Tag. "Ich bin froh, dass ich mit Unterstützung zu Hause leben kann", sagt sie.
Nach jedem Besuch dokumentiert Bettina Kessler alles genau auf ihrem Handy. Die Uhrzeit, was sie gemacht hat und besondere Vorkommnisse. Auch, damit die Kolleginnen und Kollegen, die die Patienten übernehmen, auf dem Laufenden sind. In der Geschäftsstelle der Sozialstation müssen die Angaben dann noch vom Handy heruntergeladen und ausgedruckt werden.
Die Dokumentation nehme viel Zeit in Anspruch und werde immer mehr, sagt die Altenpflegerin. Alles, auch jede Kleinigkeit, müsse schriftlich festgehalten werden.
Ralf Schellenberger, 69, hilft der Pflegedienst jeden Morgen beim Duschen
Ralf Schellenberger hat acht Wirbelsäulen-Operationen hinter sich. Außerdem leidet er an einer seltenen Autoimmunkrankheit, die eine Muskelschwäche hervorruft. Dennoch hat der Mellrichstädter seinen Humor nicht verloren. Die Sozialstation St. Kilian kommt jeden Morgen zu ihm und hilft ihm beim Duschen.

Seine Frau öffnet die Haustür und der 69-Jährige empfängt Bettina Kessler schon im Badezimmer. Um sich zunächst "einweichen" zu lassen, wie er selbst sagt. Nach dem Duschen zieht die 42-Jährige ihrem Patienten die Kompressionsstrümpfe an.
"Was wäre unsere Gesellschaft, wenn es die Pflegekräfte nicht geben würde", sagt Ralf Schellenberger. Er kennt sich aus. Viele Jahre war er haupt- und ehrenamtlich im Rettungsdienst aktiv. "Ich bin froh und dankbar, dass es Menschen gibt, die sich um das Wohlergehen derer kümmern, die es selbst nicht mehr können."
Einmal sei er nach einer schweren Erkrankung ziemlich am Ende gewesen. "Da hat mich eine Pflegerin in den Arm genommen. Menschliche Güte ist sehr wichtig."
Rosa Dietz, 87: "Ich freue mich doch sehr, wenn der Pflegedienst kommt"
Rosa Dietz bewegt sich mit einem Rollator durch ihre Wohnung in Mellrichstadt. Sie bekommt jeden Morgen und Abend Augentropfen vom Pflegedienst. Außerdem werden noch die Medikamente kontrolliert. Dazu gibt es eine besondere Serviceleistung. "Der Rollo ist so schwer. Ich bringe ihn nicht mehr hoch", erklärt die 87-Jährige. Das übernimmt jeden Vormittag jemand von der Sozialstation.

Sie habe die Pflegerin schon gekannt, als sie noch ganz klein war, erzählt Rosa Dietz. "Das Erste, was Bettina immer bei mir macht, ist zu schauen, ob ich auch ja meine Tabletten genommen habe", sagt die 87-Jährige.
Nur am Sonntag kommt der Pflegedienst nicht. "Um 9 Uhr schaue ich mir den Gottesdienst im Fernsehen an. Da kann ich Euch nicht gebrauchen", sagt Rosa Dietz. An den anderen Tagen ist der Besuch der Sozialstation St. Kilian aber eine willkommene Abwechslung für sie: "Wenn auch meine Kinder mich regelmäßig besuchen, so freue ich mich doch sehr, wenn der Pflegedienst kommt."
Als Altenpfleger muss man auch mit dem Sterben umgehen. "Einen Patienten habe ich am Morgen noch gewaschen, mittags ist er gestorben. Da musste ich schon schlucken", erzählt Bettina Kessler im Auto, unterwegs zum nächsten Patienten. Auch wenn sie gewusst habe, dass der Tod für den Mann eine Erlösung gewesen sei, so habe es sie sehr getroffen. "Aber das muss man können, das gehört zu unserem Beruf dazu."
Pfarrer Bernhard Strohmenger, 85: "Ich hoffe, dass ich weiter so versorgt werde"
Der letzte Besuch der Tour von Bettina Kessler gilt Pfarrer Bernhard Strohmenger. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialstation St. Kilian schauen zweimal am Tag nach ihm. Die Thrombosestrümpfe werden an- und ausgezogen und es wird beim Duschen geholfen. Der Geistliche stammt aus Mellrichstadt, im Ruhestand kehrte er in seine Heimat zurück. 36 Jahre lang war er dazwischen als Seelsorger in Sand am Main (Lkr. Haßberge) aktiv.

Für längere Strecken benötigt Pfarrer Strohmenger mittlerweile einen Rollator. "Mit einem gewissen Alter bist du nicht mehr der, der du mal warst." Kopfmäßig gehe es noch, "aber das andere Gestell gehört auch dazu". Der 85-Jährige ist froh, dass er in den eigenen vier Wänden leben kann. "Ich hoffe, dass es noch gut weitergeht und dass ich weiter so versorgt werde."
Pflegedienstleiterin Ulli Feder: "Die individuelle Versorgung hat Vorrang"
Zurück in der Sozialstation. Dort sitzt Pflegedienstleiterin Ulli Feder über den Dienst- und Tourenplänen. Aktuell gibt es 13 Früh-, drei Mittags- und vier Spättouren. Der Pflegedienst ist durchgehend von 6.15 bis 22.30 Uhr unterwegs. Die erste und die letzte Tour dauert etwa sechs Stunden. Früh und abends werden die meisten Patientinnen und Patienten betreut. Die mittlere Tour dauert rund drei Stunden. Das seien jedoch nur Durchschnittswerte, erklärt Feder. Es gebe große Abweichungen nach oben oder unten.

Das gelte auch für die Anzahl der zu versorgenden Personen. Bei einer Frühtour kann es vorkommen, dass bis zu 20 Patienten aufgesucht werden. Manchmal seien es aber auch nur zehn. Bei einer Spättour kümmert sich die Pflegekraft um bis zu 30 Patientinnen und Patienten. Abends müssten aber meist eher Arbeiten gemacht werden, für die man nicht so lange braucht - wie Kompressionsstrümpfe ausziehen.
Für die einzelnen Dienste sind bestimmte Aufwandszeiten hinterlegt. Diese bestimmt der Pflegedienst selbst, sagt die Pflegedienstleiterin. Die Zeiten würden sich aber an den mit den Kranken- und Pflegekassen ausgehandelten Gebühren orientieren. Für die "kleine Pflege" am Abend werden 15 bis 20 Minuten geplant, für die normale Pflege am Morgen mit Waschen, Anziehen, Eincremen oder Rasieren 25 bis 45 Minuten. Kompressionsstrümpfe an- oder ausziehen: fünf Minuten. Injektionen setzen: fünf Minuten.
Die individuelle Versorgung solle jedoch immer Vorrang haben, sagt Ulli Feder. "Wenn es mal länger dauert, dann ist das kein Problem."
Das bestätigt auch Altenpflegerin Bettina Kessler. "Es kann schon stressig werden, vor allem wenn ein Kollege ausfällt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir nicht das Gefühl vermitteln, keine Zeit zu haben."
Ulli Feder wendet sich vehement dagegen, den Pflegeberuf schlechtzureden. "Der Beruf ist attraktiv, er ist abwechslungsreich, man kann helfen, Wunden heilen und sieht Ergebnisse, wenn es den Patienten besser geht." Man habe mit vielen Menschen zu tun, in einer wechselnden Umgebung. Da komme keine Langeweile auf. Darüber hinaus gebe und erfahre man Wertschätzung. "Man gibt viel und bekommt auch viel zurück."