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Mellrichstadt
Spielekonsole im Pflegeheim: Uroma Lisa kegelt jetzt digital
An der Spielekonsole zocken und dabei etwas für Körper und Geist tun? Das geht: In einem bayernweiten Pilotprojekt werden in Mellrichstadt Senioren fit gemacht.
Die 90-jährige Lisa Wand aus Mellrichstadt beim digitalen Kegeln.
Foto: Simone Stock | Die 90-jährige Lisa Wand aus Mellrichstadt beim digitalen Kegeln.
Simone Stock
 |  aktualisiert: 19.10.2020 10:34 Uhr

Heute schon eine Runde gezockt? Die Senioren in der Tagespflege St. Kilian in Mellrichstadt und die Bewohner des Pflegeübungszentrums der Caritas, kurz PÜZ, dürfen sich auf fröhliche Stunden freuen. Die neue memoreBox, eine Art Spielekonsole, soll Schwung und Abwechslung in den Alltag bringen. Beim Kegeln oder Tischtennis, beim Singen und Tanzen kommen die betreuten Frauen und Männer in Schwung, haben Spaß und tun ganz nebenbei etwas für Gesundheit und Geist. 

Es ist ein Präventionsprojekt mit Pioniercharakter, das bei der Caritas in Mellrichstadt vorgestellt wurde. Passend zum Pflegeübungszentrum, das als Modellprojekt in Bayern gilt und bundesweit Nachahmer finden soll. Der neueste Coup für alle Betreuten in Mellrichstadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) steht unter dem Schlagwort "Spielen hilft". Digitale Prävention soll Freude in den Pflegealltag bringen. Doch wie sieht das in der Realität aus? 

Körperbewegungen steuern die Spielfiguren

Die sogenannte memoreBox ist eine digitale Konsole, auf der verschiedene Spiele ausgewählt werden können – allein, mit einem Partner oder in einer Gruppe. Die Spiele werden über Körperbewegungen, die von einer Spezialkamera aufgenommen werden, gesteuert. Senioren können im Stehen oder Sitzen, so auch im Rollstuhl, die Figuren auf dem großen Display lenken. "Die memoreBox ist ein hochspezialisiertes Bewegungsspiel mit therapeutisch abgestimmten Übungen für ältere Menschen", sagt Claudia Wöhler, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Bayern bei der Vorstellung des Projekts.

In der Gepäcktasche nach einem Brief greifen und flugs zustellen: Staatsministerin Dorothee Bär, Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung und Schirmherrin des therapeutisch-computerbasierten Trainingsprogramms memoreBox, machte als Briefträgerin eine gute Figur. Im Hintergrund Jens Brandis von der Entwicklerfirma RetroBrain.
Foto: Simone Stock | In der Gepäcktasche nach einem Brief greifen und flugs zustellen: Staatsministerin Dorothee Bär, Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung und Schirmherrin des therapeutisch-computerbasierten ...

"Die Digitalisierung bietet hier eine Vielzahl an Möglichkeiten und Chancen. Wir alle möchten geistig fit sein und bleiben", sagte Staatsministerin Dorothee Bär. Das Projekt könne Senioren dabei effektiv unterstützen. Die Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung hat die Schirmherrschaft für das Projekt in Bayern übernommen und testete die Konsole in Mellrichstadt.

Senioren räumen beim digitalen Kegeln ab

Auch der stellvertretende Landrat Peter Suckfüll und Mellrichstadts dritter Bürgermeister Frank Vetter absolvierten einen Testlauf und räumten beim digitalen Kegeln ab. Die Senioren aber waren nicht zu schlagen: So etwa die 90-jährige Lisa Wand, die die Kegel lässig fallen ließ, und die 92-jährige Regina Volkheimer, die bei einer digitalen Sonntagsfahrt mit dem Motorrad nach Augsburg flott unterwegs war.

Die 92-jährige Regina Volkheimer aus Mellrichstadt wird in der Seniorentagespflege St. Kilian betreut und steuert das Motorrad bei der digitalen Sonntagsfahrt über die Gewichtsverlagerung.
Foto: Simone Stock | Die 92-jährige Regina Volkheimer aus Mellrichstadt wird in der Seniorentagespflege St. Kilian betreut und steuert das Motorrad bei der digitalen Sonntagsfahrt über die Gewichtsverlagerung.

Die beiden Mellrichstädterinnen waren begeistert und freuen sich schon auf weitere Spiele-Stunden. "Das macht richtig Spaß", waren sie sich einig, auch wenn sie ein wenig aufgeregt waren. "Ich bin früher Traktor gefahren, das habe ich noch im Gefühl", sagte Regina Volkheimer nach ihrer virtuellen Mopedfahrt. Und wenn ein Fahrmanöver nicht gleich auf Anhieb klappte, schaffte es die 92-Jährige eben beim zweiten Versuch. "Ich freue mich schon aufs Üben", sagte sie strahlend.

Spaß haben und nicht aufs Ergebnis schielen

Lisa Wand hat das Gefühl fürs Kegeln augenscheinlich im Blut – "obwohl früher nur mein Mann gekegelt hat". Mit ihren zehn Enkeln und 19 Urenkeln spielt sie zwar auch gerne, doch solch eine Konsole ist Neuland für die 90-Jährige. Das soll aber nicht so bleiben: "Ich kann das jedem nur empfehlen. Es macht sehr viel Spaß, und was das Ergebnis betrifft, das darf man einfach nicht so ernst nehmen", sagte sie verschmitzt.

Das System ist so ausgelegt, dass Enttäuschungen außen vor bleiben sollen. Wer bei einem Teamspiel Platz zehn belegt, ist nicht etwa Letzter, sondern hat das zehntbeste Ergebnis eingefahren. Da bleibt man gern am Ball.

Frank Vetter, dritter Bürgermeister der Stadt Mellrichstadt, beim digitalen Kegeln am der memoreBox: Räumt er alle Neune ab? Im Hintergrund Jens Brandis von der Entwicklerfirma RetroBrain.
Foto: Simone Stock | Frank Vetter, dritter Bürgermeister der Stadt Mellrichstadt, beim digitalen Kegeln am der memoreBox: Räumt er alle Neune ab? Im Hintergrund Jens Brandis von der Entwicklerfirma RetroBrain.

Die Tagespflege St. Kilian in Mellrichstadt ist Bayerns erste Pflegeeinrichtung, die die memoreBox wissenschaftlich begleitet testet. "Wir möchten gemeinsam mit unseren Gästen der Seniorentagespflege das digitale Zeitalter erobern", sagte Angelika Ochs vom Kreiscaritasverband. Die Kombination aus spielerischer Unterhaltung und erwartbaren positiven Effekten für Mobilität, Sturzprävention und geistige Fitness hat die Verantwortlichen der Caritas neugierig gemacht. Jetzt geht es an die Praxis.

Wie entwickeln sich Spieler und Nichtspieler?

102 Einrichtungen bundesweit testen derzeit die memoreBox, St. Kilian in Mellrichstadt ist die bislang einzige in Bayern, so Jens Brandis von der Entwicklerfirma RetroBrain R&D GmbH. Zehn Senioren nehmen an der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts teil. Die aktive Gruppe mit fünf Testpersonen trainiert dreimal pro Woche je eine Stunde spielerisch an der Konsole, die fünf Mitglieder der passiven Gruppe sind außen vor. Sie spielen nicht und schauen auch nicht zu. Nach zwölf Monaten gilt es für alle, einen Fragebogen auszufüllen, der dann Aufschluss geben soll, wie sich die motorischen und kognitiven Fähigkeiten, die Gesundheit und das Kommunikationsverhalten der Spieler im Vergleich zu den Nichtspielern entwickelt haben.

Die Krankenkasse Barmer finanziert die begleitende Forschung zu dem Projekt und übernimmt die Mietkosten für die memoreBox, die von allen Versicherten genutzt werden kann. 

memoreBox: Wissenschaftliche Begleitung
Die memoreBox wurde vom Hamburger Digital Health Start-Up RetroBrain R&D entwickelt. Die Humboldt-Universität, die Charité und die Alice Salomon Hochschule Berlin, die seit 2016 die präventiven und gesundheitlichen Aspekte des Videospielens mit der Spielekonsole memoreBox für Seniorinnen und Senioren in Berlin und Hamburg auswerten, werden auch das bundesweite Präventionsangebot der zweiten Phase wissenschaftlich begleiten.
Das Team der Caritas mit memoreBox-Erfinder Manouchehr Shamsrizi (Zweiter von links), Staatsministerin Dorothee Bär (Fünfte von links), Claudia Wöhler, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Bayern (Fünfte von rechts), Vertretern von Stadt und Landkreis sowie Jens Brandis von RetroBrain (rechts).
Foto: Simone Stock | Das Team der Caritas mit memoreBox-Erfinder Manouchehr Shamsrizi (Zweiter von links), Staatsministerin Dorothee Bär (Fünfte von links), Claudia Wöhler, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Bayern (Fünfte von ...
 
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