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Bad Neustadt
"Wir können leider keine Ärzte backen": Das will Sabine Dittmar mit der SPD gegen den Ärztemangel auf dem Land tun
In vielen ländlichen Regionen fehlen Mediziner. Woran das nach Meinung von Bundestagsabgeordneter Sabine Dittmar liegt und warum sie die Landarztquote kritisch sieht.
Gesundheitspolitikerin Sabine Dittmar (SPD) arbeitete selbst mehrere Jahre als Hausärztin und beobachtet den Ärztemangel auf dem Land mit Sorge. Sie sieht dafür auch strukturelle Gründe.
Foto: René Ruprecht | Gesundheitspolitikerin Sabine Dittmar (SPD) arbeitete selbst mehrere Jahre als Hausärztin und beobachtet den Ärztemangel auf dem Land mit Sorge. Sie sieht dafür auch strukturelle Gründe.
Andreas Jungbauer
 und  Kristina Kunzmann
 |  aktualisiert: 23.11.2024 02:30 Uhr

Ärztemangel, Bürokratieabbau, langes Warten auf einen Haus- oder Facharzttermin: Als Staatssekretärin im Gesundheitsministerium von Karl Lauterbach beschäftigte sich Sabine Dittmar (60) praktisch täglich mit gesundheitspolitischen Themen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis Bad Kissingen, zu dem die Landkreise Bad Kissingen, Haßberge und Rhön-Grabfeld gehören, kennt den Ärzteberuf: Von 1995 bis 2010 arbeitete sie als Hausärztin in einer Gemeinschaftspraxis in Maßbach. Im Interview spricht sie über die Gründe für den Ärztemangel, die Landarztquote und fehlende Gesundheitskompetenz bei vielen Menschen.

Was entgegnen Sie Patientinnen und Patienten, die verzweifelt sind, weil sie nur schwer einen neuen Hausarzt oder zeitnahen Termin beim Facharzt bekommen?

Sabine Dittmar: Ich verstehe natürlich den Frust der Menschen. Es besteht aber immer die Möglichkeit, sich einen Termin über die Terminservicestellen vermitteln zu lassen. Wir haben dabei auch Anreize für die Ärzte geschaffen, die solche Termine extra-budgetär und mit Zuschlägen vergütet bekommen. Darüber hinaus haben wir auch schon in den Vorgängerkoalitionen eine Menge auf den Weg gebracht, um die Ausbildung zu fördern und Strukturmaßnahmen zu unterstützen. Wir können leider keine Ärzte backen. Aber wir unternehmen Anstrengungen, um die Situation zu verbessern.

Welche Anstrengungen sind das?

Dittmar: 2013 ist es gelungen, überhaupt erst Lehrstühle für Allgemeinmedizin an den Unis zu schaffen. Bis dahin hatten Medizinstudierende noch kaum Kontakt mit dem hausärztlichen Bereich. Wir unterstützen Medizinstudierende mit Stipendien und fördern auch die Weiterbildung. Außerdem haben wir ermöglicht, dass die Kassenärztliche Vereinigung in Gebieten mit drohender Unterversorgung – wie derzeit im Raum Bad Neustadt – eine Praxisneueröffnung oder -übernahme mit bis zu 60.000 Euro fördert. Der Freistaat Bayern gibt noch einmal 20.000 Euro dazu. Kommt es tatsächlich zu einer Unterversorgung, ist die Kassenärztliche Vereinigung übrigens verpflichtet, eine Praxis vor Ort zu betreiben, damit die Patienten weiter eine Anlaufstelle haben. Wichtig ist aber auch, dass die Praxisinhaber selbst an die Zukunft und die Nachfolge denken, zum Beispiel, indem sie Weiterbildungsassistenten in ihrer Praxis beschäftigen, um auch damit junge Mediziner an die Region zu binden.

Die Finanzspritzen für eine Praxiseröffnung oder -übernahme helfen nur Ärzten, die sich tatsächlich selbstständig machen möchten...

Dittmar: Das ist richtig. Viele Inhaber von Einzelpraxen finden keinen Nachfolger, weil die Kolleginnen und Kollegen lieber im Team arbeiten möchten, außerdem meist im Angestelltenverhältnis und oft nicht in Vollzeit. Sie wollen kein unternehmerisches Risiko tragen. Wir haben deshalb die Möglichkeit geschaffen, dass Kommunen Medizinische Versorgungszentren (MVZ) betreiben und Ärzte dort anstellen können. Der Landkreis Rhön-Grabfeld betreibt ein solches in Bad Königshofen.

Ein Arzt trägt ein Stethoskop um den Hals. Um mehr Menschen für den Arztberuf zu begeistern, setzt Sabine Dittmar unter anderem auf den Abbau von Bürokratie.
Foto: Rolf Vennenbernd (Symbolbild), dpa | Ein Arzt trägt ein Stethoskop um den Hals. Um mehr Menschen für den Arztberuf zu begeistern, setzt Sabine Dittmar unter anderem auf den Abbau von Bürokratie.
Bad Neustadt ist nicht Starnberg. Sehen Sie bei der Versorgung mit Ärztinnen und Ärzten ein Gefälle zwischen Stadt und Land?

Dittmar: Ja, in den städtischen Regionen ist die Versorgung besser. Deswegen glaube ich, dass es in der Bedarfsplanung noch mehr Instrumente braucht und dass auch die Kommunen selbst hier mehr Mitspracherecht erhalten sollten. Wenn eine Überversorgung vorliegt, sollte ein frei werdender Kassensitz nicht mehr vergeben werden. In der Praxis kommt das aber nicht zur Anwendung, weil man den Sitz trotz Sperre zum Beispiel an einen angestellten Arzt, der schon in der Praxis gearbeitet hat, vergeben darf. Um wirklich von der Stadt aufs Land lenken zu können, müssten die Regelungen stringenter umgesetzt werden. 

Woran liegt es dann, dass sich auf dem Land zu wenige Haus- und Fachärzte niederlassen möchten?

Dittmar: Das Finanzielle ist das eine, da tun wir, was wir tun können. Aber natürlich spielt auch die Struktur eine Rolle. Viele Ärztinnen und Ärzte haben einen Ehepartner, der meistens auch akademisch gebildet ist und eine Anstellung braucht, und Kinder. Dann sind Faktoren wie Tagesbetreuung, Schulangebot, adäquates Freizeitangebot auch wichtig. Die sehen manche in ländlichen Regionen nicht so gut erfüllt wie in der Stadt. Das sind Strukturfragen, die wir im Bundesgesundheitsministerium nicht klären können.

Auch überbordende Bürokratie hält Ärzte vom Schritt in die Selbständigkeit ab. Was tut die Politik, um diese abzubauen?

Dittmar: Wir bereiten gerade ein Bürokratieentlastungsgesetz vor, in dem zahlreiche Einzelmaßnahmen vorgesehen sind. Aber auch in der laufenden Gesetzgebung versuchen wir, die Bürokratie einzudämmen. Ein Beispiel ist die Bagatellgrenze bei Regressen (Anmerkung der Redaktion: Honorarkürzungen für Fehler bei der Rezeptausstellung oder Arzneimittelverordnung) im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz. Wenn der Regress unter 300 Euro liegt, wird er nicht wirksam. Dennoch: Dokumentation hilft dem Patienten, wenn er gegen den Arzt vorgehen muss, weil er eine berechtigte Klage hat. Aber sie dient auch der Absicherung der Mediziner.

Was bringt die Landarztquote, die es Studierenden ermöglicht, auch ohne sehr gutes Abitur Medizin zu studieren, wenn sie sich verpflichten, danach eine Zeit lang auf dem Land zu arbeiten?

Dittmar: Ich war zu Anfang sehr kritisch. Schließlich entscheidet sich ja oft erst im Studium, in welchen Fachbereich jemand möchte. Die Landarztquote hat auch etwas den Beigeschmack, die Landarzttätigkeit als Wald- und Wiesenmedizin abzuwerten nach dem Motto "Das kannst du auch ohne die passenden Noten machen." Es besteht aber auch die Gefahr, dass jemand den begehrten Studienplatz über die Quote erhält und sagt "Ja, ich werde Landarzt", um sich dann hinterher davon freizukaufen: So sollte es nicht laufen. Man muss abwarten, ob sich diese Mediziner tatsächlich in ländlichen Regionen niederlassen. Da bin ich offen und würde mich freuen, wenn es funktioniert. Fakt ist aber auch, dass die Medizin-Studienplätze noch immer sehr begehrt sind. Viele junge Menschen wollen Ärzte oder Ärztinnen werden. Um den Bedarf zu decken, wäre es nötig, dass die Länder künftig noch mehr Medizin-Studienplätze anbieten.

Könnte es Entlastung schaffen, bei Leistungen für gesetzlich Versicherte zu sparen?

Dittmar: Es wird keine Leistungskürzung geben. Welche Leistung ist überflüssig? Mir fällt da keine ein. Die Leistungen, die die gesetzliche Krankenversicherung bezahlt, legt ja auch nicht die Politik fest, sondern der gemeinsame Bundesausschuss aus Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen nach intensiven Beratungen. Im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz, das momentan im parlamentarischen Verfahren ist, sind zahlreiche Maßnahmen vorgesehen. Hausärzte erhalten dann zum Beispiel eine Vorhaltepauschale, wenn sie bestimmte Leistungen, etwa Impfungen oder Besuche in Heimen, anbieten. Der Arzt erhält ein Jahresbudget für die Behandlung. Auch bei der Patientensteuerung müssen wir ansetzen und die Patienten besser durch ein komplexes System leiten. Wir als SPD würden es befürworten, wenn der Hausarzt erste Anlaufstelle ist und man dort die Überweisung für einen Facharzt seiner Wahl bekommt.

Kommt nicht aber mancher Patient einfach nur zum Reden in die Hausarztpraxis oder wegen kleiner Wehwehchen, die er früher selbst zu Hause behandelt hätte?

Dittmar: Das passiert. Vielen fehlt es heute an Gesundheitskompetenz. Es gibt nicht mehr diese Familienstrukturen wie früher, wo die Oma bei 39 Grad Fieber gesagt hat:  'Jetzt machst du dem Kind erst mal ein Abkühlungsbad oder einen Wadenwickel und gibst ein Zäpfchen.' Heute ist bei Vielen Verunsicherung da. Die googeln 'Kind, 39 Grad Fieber', erhalten als mögliche Diagnose Hirnhautentzündung und gehen in die Notaufnahme. Aber ich will das den Patienten gar nicht zum Vorwurf machen, weil viele die Symptome wirklich nicht richtig einschätzen können und daher verunsichert sind. Der Patient kann doch etwa bei einem plötzlichen Hörverlust gar nicht einschätzen, ob zu viel Ohrenschmalz der Grund ist oder ein Hörsturz.

 
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  • Hubert Endres
    Leere Phrasen und nichts wird sich ändern. Hauptsache in Berlin jeden Monat ein ordentlich Diäten einkassieren. Frau Dittmar ist eine Fehlbesetzung.
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  • Andreas Majer
    Wie wäre es denn wenn man wie in der Schweiz den Numerus clausus im Medizinstudium abschafft, denn dieser sagt überhaupt nichts aus ob jemand ein guter oder schlechter Arzt wird.
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  • Hiltrud Erhard
    Viel Gebabbel und nichts konkretes
    Die Menschen wollen keineTerminservicestellen Und auch keine Zuweisung über die kassenärztliche Vereinigung. Die Menschen wollen einfach einen regional erreichbaren Hausarzt.
    Das ganze rumgedocktore am Gesundheitssystem durch Lauterbach und seine Genossen hat letztendlich nur zu noch mehr Verunsicherung, und Praxisschließungen geführt.
    Es würde doch interessieren, wie viel Praxen geschlossen haben und wie viel in Unterfranken dagegen geöffnet oder übernommen wurden.
    Es würde interessieren, inwieweit Gemeinden in der Lage waren oder sind, eine drohende Hausarzt Schließung zu verhindern.
    In meinem Alter möchte man einen Arzt, der einen kennt, der vor allem meine Krankheitsgeschichte kennt und mir dadurch zum einen ein gutes Gefühl und zum andern auch Sicherheit gibt.
    kein Arzt kann einen neuen Patienten vollumfänglich betreuen, wenn er ihn nicht kennt. Daher muss dringend daran gearbeitet werden, dass Landarztpraxen weitergeführt werden
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  • Dietmar Eberth
    Ende 2023 gab es laut Bundesarztregister 51.389 und damit 75 mehr als Ende 2022. Zehn Jahre zuvor waren es aber noch 52.262 gewesen.
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  • Dietmar Eberth
    Sie Glückliche, wenn Sie "ihren" Hausarzt gefunden haben. Das Glück kann aber nicht jeder haben. Und bei einer Lebenserwartung von etwa 85 Jahren wird jeder mindestens 2-3x im Leben einen neuen Hausarzt bekommen.
    In Bayern gibt es etwa 5900 Allgemeinmediziner. Das macht bei einer Bevölkerung von 13 Millionen Einwohnern etwa 2300 Patienten pro Allgemeinmediziner. Empfohlen sind 750 Patienten.

    https://www.aerztezeitung.de/Politik/750-Patienten-im-Quartal-sind-ideal-286089.html
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  • Michael Albert
    @Erhard,

    In den 21 Jahren von Jan. 1991 – Dez. 2021 war das Bundesgesundheitsministerium 14 Jahre lang von CDU Ministern / einer Ministerin geführt, 3 Jahre von der FDP.

    Gerade in den letzten ACHT JAHREN der Merkel Regierung – von Dez. 2013 bis Dez. 2021 – waren dies ohne Unterbrechung CDU Minister, Herrmann Gröhe und Jans Spahn.
    Beide hätten bei Zeiten sehen können und müssen, dass es auch bei den Hausärzten viele „Babyboomer“ gibt, die eben jetzt in Rente gehen werden. Ebenso hätten diese Herren rechtzeitig dafür sorgen müssen, dass der Beruf des Hauarztes attraktiv bleibt.
    Getan haben sie aber das, was die Union halt am besten kann – NICHTS.

    Dass Sie den seit DREI JAHREN verantwortlichen Bundesgesundheitsminister Lauterbach für die zurückgehende Zahl von Hausarztpraxen auf dem Land verantwortlich machen, ist genauso falsch wie aber auch gar nicht anders von Ihnen zu erwarten.
    Parteibrille halt.
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  • Silke Müller
    Viel Gebabbel ohne Substanz, wie immer von Ihnen.
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  • Klaus B. Fiederling
    das Problem ist, die meisten Ärzte auch in unserer Gegend sind zu überlastet. Gott sei Dank hab en wir im Umkreis von den größeren Gemeinden Helmstadt-Neubrunn-Uettingen-Waldbrunn-Wabü.. noch überall einen Hausarzt. Es wäre aber gut daran getan, wenn es auch in späteren Jahren noch für Nachwuchs an Hausärzten gesorgt wird.
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  • Dietmar Eberth
    Verbesserungen für Hausärzte:

    https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/hausarztpraxen-versorgung-gesetz-100.html
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