
Zunächst Valeo und nun auch Preh in Bad Neustadt: Der geplante Personalabbau hat die Frage nach der Lage der Industrie in Rhön-Grabfeld aufkommen lassen. Der Ukrainekrieg, hohe Energiekosten, die daraus resultierende Energiewende, Bürokratie, sinkende Nachfrage: Die Liste an Herausforderungen, mit denen sich die regionale Wirtschaft konfrontiert sieht, ist lang. "Wir befinden uns in einem grundlegenden Strukturwandel", sagt dazu Lukas Kagerbauer, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt. Dieser werde die Region noch eine Weile beschäftigen. Er erläutert die Hintergründe des Wandels und wie er gemeistert werden kann.
Lukas Kagerbauer: Eine aktuelle Konjunkturumfrage der IHK, die die Ergebnisse aus dem Mai abbildet, bestätigt, dass die konjunkturelle Lage als durchaus sehr angespannt zu bewerten ist. Sie ist vielleicht noch etwas besser als in der Coronakrise und in der schlimmsten Phase der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2007/2008, aber wir haben im Moment eine schwierige Situation. Das schlägt sich auch in der Automobilindustrie nieder. Es beginnt bei den Herstellern und zieht sich kaskadenartig bis in die Zulieferindustrie, die sich hier im nördlichen Bereich Unterfrankens verstärkt wiederfindet.
Kagerbauer: Es kommen sehr viele Sachen zusammen. Wir haben zahlreiche Unsicherheiten und diese mögen Unternehmer gar nicht. Die Unsicherheit beginnt im Ausland. Durch den Ukraine-Krieg ist das Geschäftsmodell, das über viele Jahre in Deutschland aufgebaut wurde, in Form von günstigem Gas vorwiegend aus Russland, stark ins Wanken gekommen. Wir befinden uns momentan in einem großen Strukturwandel, in einem Transformationsprozess. Wir haben nicht nur im Energiebereich grundlegende Veränderungen, sondern auch im digitalen Bereich und in der Demografie. Hinzu kommen hohe Arbeits- und Energiekosten, die Energiewende, nachlassender Konsum infolge der Preissteigerungen und große bürokratische Hemmnisse.

Kagerbauer: Wir können natürlich nie direkt in einzelne Betriebe hineinschauen und die Ereignisse insofern auch nicht bewerten. Aber der durchschnittliche Industriebetrieb aus Mainfranken erwirtschaftet rund 43 Prozent seines Umsatzes im Ausland. Fast jeder zweite Euro wird dort verdient. Vor allem im Ausland werden die Unternehmen jedoch mit den bereits erwähnten hohen Unsicherheiten konfrontiert. Die Betriebe haben Handelspartner, mit denen sie früher sehr eng zusammengearbeitet haben, und bei denen sie heute überlegen, ob eine stärkere Diversifizierung nicht von Vorteil wäre. Diversifizierung bedeutet in dem Fall die Veränderung oder Erweiterung der Produktpalette oder Geschäftsbereiche und damit die Streuung des Risikos.
Kagerbauer: Nicht nur in Bad Neustadt, in der ganzen Region haben wir große Herausforderungen. Viele Betriebe stehen unter großem Druck. Auf den Arbeitsmarkt, der in den letzten Jahren immer eine Vollbeschäftigung ausgewiesen hat, kommt die große Aufgabe zu, alle nun freigesetzten Personen aufzunehmen. Es ist nicht garantiert, dass das an allen Ecken funktionieren wird, weil sich die Industrien und die Regionen in unmittelbarer Nähe ebenfalls im Transformationsprozess befinden.
Kagerbauer: Für Bad Neustadt wurden vor nunmehr fast 15 Jahren schon einmal Zukunftstrends erkannt und aufgegriffen. In Form der Modellstadt für Elektromobilität und des Technologietransferzentrums der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Gemeinsam mit den Industriebetrieben werden anwendungsnahe Produkte entwickelt. Das hat sich ausgezahlt. Wir haben Betriebe, die maßgeblich davon profitieren. Genau solche Impulse sind es, die man für die Zukunft braucht. Wenn die Frage lautet, was die Politik tun kann, dann sollte die Antwort lauten: Die Politik muss Strategien und zukunftsfähige Strukturen in der Region aufbauen und fördern, wovon dann natürlich auch einzelne Betriebe einen Nutzen ziehen können.
Kagerbauer: Kurzfristig werden Betriebe, eventuell Handwerksbetriebe oder mittelständische Unternehmen, Arbeitskräfte aufnehmen. Das sind Betriebe, die seit langem Leute händeringend suchen und brauchen, weil sie in Branchen arbeiten, die gut laufen. Aber wird das reichen? Es könnte schwierig werden, um es mal vorsichtig auszudrücken. Deshalb ist es auch wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, wie wir Leute in kurzer Zeit qualifizieren und fit für die Arbeit der Zukunft machen können. In der mittelfristigen Perspektive müssen dann Strukturen aufgebaut werden, analog zum Technologietransferzentrum. Die wichtige Frage ist dabei, welche Zukunftsfelder man in der Region identifiziert. Damit hat man eine Strategie, die die nächsten Jahre abbildet. Das wird natürlich nicht einfach, Menschen mögen Veränderungen oftmals nicht. Aber das ist der Zukunftsweg.
Kagerbauer: Wir haben in der Automobilindustrie starke Akteure, die international unterwegs sind. Ohne einzelne Unternehmen bewerten zu wollen, muss man jedoch sehen, dass in der Elektromobilität Länder wie China, die früher im Automobilbereich keine große Rolle gespielt haben, mittlerweile Automobilmarken und technologische Zukunftsstrategien aufgebaut haben. Das zeigt sich auch auf den Märkten in China. Das sind Massenmärkte, die gerade für Automobilhersteller von höchster Relevanz sind. Wenn man schaut, wer in China im Moment Elektromobile verkauft, dann sind das die Hersteller aus dem eigenen Land. Große deutsche Player haben da extrem stark dran zu knabbern. Und damit auch die kleineren Unternehmen.
Kagerbauer: Früher haben wir in der Automobilindustrie die Weltmeistertitel geholt. Wir müssen aufpassen, dass wir bei den Zukunftsthemen im Land weiterhin auf diesem höchsten Niveau mitspielen können. Die bürokratische Belastung in Deutschland und in Europa ist wirklich massiv spürbar und schränkt vor allem auch die Betriebe ein. Wir müssen sehr stark aufpassen, dass nicht mit Regulierungen – vor allem im Technologiebereich – Innovationen abgewürgt werden. Ein ganz wichtiges Thema für die Zukunft wird die Künstliche Intelligenz sein. Da dürfen wir keinesfalls ins Hintertreffen geraten.
Kagerbauer: Tatsächlich müssen wir wieder Leistungsanreize setzen. Die Motivation für Arbeit muss viel stärker in den Vordergrund rücken. Wir hatten die letzten Jahre einen enormen Arbeitnehmermarkt. Vor allem die neuen Fachkräfte wussten, dass sie viele Wahlmöglichkeiten hatten. Auch das könnte sich wieder ändern. Wir brauchen den Spirit, diesen "Drive", Leistung geben zu wollen, um uns nach vorne zu bringen. Wenn man im Ausland unterwegs ist, in Ländern, die ökonomisch gesehen ärmer sind, und mit den Menschen dort spricht, dann spürt man eine Kraft und einen Willen, etwas zu erreichen. Das brauchen wir und das wird auch wieder stärker kommen.
Kagerbauer: Dieser Transformationsprozess, der strukturelle Wandel, ist in vollem Gange, und den wird man nicht aufhalten können. Er ist mit Anpassungen verbunden. Wenn man das aber schafft und sich zukunftsfähig aufstellt, dann hat man große Chancen, auch weiterhin eine gute Wirtschaftsstruktur mit stabilen und zukunftsfähigen Arbeitgebern vor Ort zu haben, die die Region prägen. Das Gesicht der Region wird sich jedoch etwas verändern.
Podiumsdiskussion: Zum Thema Stellenabbau in Rhön-Grabfeld veranstaltet die Main-Post am Donnerstag, 27. Juni, ab 19 Uhr, eine Podiumsdiskussion in der Stadthalle Bad Neustadt. Es diskutieren unter anderem Landrat Thomas Habermann, Bürgermeister Michael Werner, als Vertreter der Unternehmen der Chief Financial Officer (CFO) von Preh, Guntram Nöth, und der Geschäftsführer von Jopp, Martin Büchs sowie IHK-Präsidentin Caroline Trips. Auch die Arbeitnehmerseite wird vertreten sein. Moderiert wird der Abend von Julia Back, Leiterin der Main-Post-Lokalredaktionen Rhön-Grabfeld und Bad Kissingen. Einlass ist ab 18 Uhr.