Das erlebt man im Bad Neustädter Stadtrat wirklich nicht aller Tage: Dass sachlich miteinander gerungen wird, klar! Aber diese Art emotionalster Diskussion rund um den Haushalt 2023, und dazu ein Stadtrat, der bei der Etatsitzung am Donnerstag wortlos den Sitzungssaal verließ, das gab es so noch nicht.
Die Hauptfrage, die diskutiert wurde: Darf man als Stadtrat einen Haushalt ablehnen und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen darf man das. Die Diskussion, die sich zunächst an der Haltung vor allem der Fraktion Neuschter Liste/FPD entzündete, endete damit, dass die Räte über ihre Vorstellung von Demokratie und ihr Selbstbild als Stadtrat reflektierten.
Bad Neustadts Bürgermeister Michael Werner: "Wir haben in die Zukunft geplant."
Wie kam es dazu? Wie üblich erläuterte Kämmerer Andreas Schlagmüller zunächst ausführlich die Eckdaten des zu verabschiedenden Haushalts. Im Anschluss folgte Bürgermeister Michael Werners Kurz-Einschätzung: "Wir haben in die Zukunft geplant, kommen unseren Pflichtaufgaben nach, haben uns aber auch Luft gelassen für zukünftige Projekte." Dann hatten die Fraktionssprecher Raum für ihre Stellungnahmen.
Schnell wurden unterschiedliche Positionen offenbar. Während die große Mehrheit der Stadträte ganz hinter dem Haushalt stand (CSU, Freie Wähler und Grüne), entschied sich die SPD, innerhalb der Fraktion frei abstimmen zu lassen. Rita Rösch und Jürgen Pröscholdt (SPD) stimmten gegen den Entwurf. Die Fraktionsgemeinschaft (Neuschter Liste/FDP) stellte sich mit Johannes Benkert und Christian Geis (Neuschter Liste) sowie Stefan Rath (FDP) geschlossen gegen den Haushalt. Dem Finanzplan und Investitionsprogramm der Stadt für die Jahre 2023 bis 2026 stimmte Stefan Rath später dann aber zu.
Als kleinste Fraktion hatte Fraktionssprecher Johannes Benkert (Neuschter Liste/FDP) zuletzt das Wort. Hatten die vorangegangenen Redner den Haushalt größtenteils goutiert oder nur einzelne Punkte kritisiert, stellte Benkert das Konstrukt als Ganzes infrage: "Vorweg gesagt, die Fraktionsgemeinschaft Neuschter Liste/FDP wird diesem Haushalt nicht zustimmen, weil in diesem Haushalt keine Zukunft zu finden ist."
Stadtrat Johannes Benkert (Neuschter Liste) verließ am Abend zweimal wortlos den Sitzungssaal
Eine Haltung, die Bürgermeister Werner konsterniert kommentierte: "Vielen Dank. Viele Worte, wenig Inhalt!". Woraufhin Benkert zum ersten Mal wortlos den Sitzungssaal verließ. Später sollte er noch einmal wiederkommen, bevor er bei Robert Foidls (FW) Stellungnahme ("Einzelne Themen ablehnen ja, aber der Haushalt muss größer sein als einzelne Fragen") ein zweites Mal endgültig den Saal verließ.
Nicht dem abwesenden Benkert, aber den verbliebenen Räten und Zuhörern erläuterte Bürgermeister Werner: Die Fraktionen hätten zwei Tage lang den Haushalt beraten, dann sechs Wochen Bedenkzeit gehabt, um Wünsche zu äußern und Anträge zu stellen. "Es kam nichts, weder schriftlich noch telefonisch." Entsprechend sei er von der Haltung der Neuschter Liste überrascht. Auch den Raum nach der Rede zu verlassen und nicht Stellung zu beziehen, ergebe für ihn "ein ganz komisches Bild".
"Keine Blockadehaltung": Warum Rita Rösch den Haushalt ablehnte
Rita Rösch erklärte, weshalb sie den Haushalt ablehnt: "Es ist mein demokratisches Recht, das ich mir herausnehmen möchte, um darauf aufmerksam zu machen, dass mir die Zukunftsfähigkeit im Haushalt fehlt." Sie habe sich lang und intensiv mit dem Haushalt beschäftigt. "Ich verstehe, was wir in den letzten Jahren gemacht haben, aber es hat sich so viel verändert."
Schwerpunktmäßig verweist sie auf die Themen Heilquellen ("Wir sagen nicht, was wollen wir daraus machen?") und Energie ("Wie sieht es mit der Erweiterung von Nahwärmenetzen aus?"). Ihr Nein zum Haushalt wolle sie nicht als Blockadehaltung verstanden wissen, sie werde auch in Zukunft konstruktiv mitarbeiten.
Bastian Steinbach: "Es beschäftigt mich, mit welcher Leichtfertigkeit Haushalte abgelehnt werden."
Zum Thema Energie erklärte Werner, dass Bad Neustadt mit der Biomasse-Wärmeversorgung GmbH gut aufgestellt sei, es gebe viele konkrete Ideen. "Aber ich brauche hier nicht immer Zwischenstandsmeldungen geben, wenn etwas nicht spruchreif ist." Mit Fragen könne man sich jederzeit an ihn wenden. "Man muss auch die Ehrlichkeit haben und dem Bürger sagen, was eine Kommune leisten kann und was nicht", erklärte an späterer Stelle Robert Foidl. Man könne nicht für alle globalen Themen sofort Lösungen finden.
Zum Abstimmungsverhalten seiner Ratskollegen äußerte sich Bastian Steinbach und bekam dafür großen Beifall im Gremium: Auch wenn es ihm nicht zustehe, zu kommentieren, wie jemand abstimmt. "Es beschäftigt mich doch, mit welcher Leichtfertigkeit Haushalte abgelehnt werden." Lehne jemand einen Haushalt ab, sollte derjenige bis kurz vor der Abstimmung versucht haben, seine Themen zu platzieren.
Robert Foidl: "Zum Schluss geht es um die Demokratie."
"Ich würde mir sehr wünschen, dass wir im Vorfeld der nächsten Haushaltsberatung mehr streiten, mehr Impulse reinbringen", so Steinbach weiter. Nichts tun und ablehnen empfinde er als "populistisch". "Ich weiß nicht, ob wir so unseren Gestaltungswillen nach außen tragen." "Zum Schluss geht es um die Demokratie", appellierte auch Robert Foidl, nicht zu polemisch zu werden. "Es kann nur gemeinsam gelingen."
"Weil es so hingestellt wird, dass wir gegen alles sind: Dem ist nicht so", entgegnete Christian Geis (Neuschter Liste). "Aber wenn ich 8,5 Millionen Euro für den Fronhof lese: Damit kann ich in dieser Zeit nicht leben." Was diese Investition angeht, müsse die Stadt Prioritäten setzen und fragen: "Ist das heute noch tragbar?" Realistischer sei in seinen Augen, visioniert Geis, ein kleines Kulturzentrum oder Museum im ehemaligen Papier Schmitt.
Christian Geis: "Wenn ich 8,5 Millionen Euro für den Fronhof lese, damit kann ich nicht leben."
Von Diskussionen dieser Art lebe die Demokratie, so Werner. Als Eigentümer des historischen Gebäudes habe die Stadt aber eine gewisse Verpflichtung, sich des Fronhofs anzunehmen. Sehe man das anders, wäre der richtige Weg in den Augen des Bürgermeisters gewesen, das Thema Fronhof nach Antrag in den Haushalts-Vorberatungen aufzugreifen. Dort hätten sich aber im Gegenteil alle bewusst dafür ausgesprochen, den Fronhof im Finanzplan zu lassen und erst konkret zu entscheiden, wenn im Herbst die Kosteneinschätzung vorliege.
Wie die Neuschter Liste die Fronhof-Debatte führe, habe Methode, erklärte Bastian Steinbach und spricht von "miesem politischem Stil". Spreche sie über den Fronhof als "verstaubtes Museum", wie von ihm in einem Flyer gelesen, verbreite sie damit Fake News, also bewusst falsche Informationen. "Eine Unterstellung", antwortete Geis auf den Fake-News-Vorwurf. "Das Kulturzentrum ist in seiner Größenordnung sehr kritisch", versuchte Stefan Rath (FDP) abzuwiegeln.
Zum Ende der Sitzung versuchte Bürgermeister Werner noch einmal den Unmut vieler Stadträte zu erklären: "Vorgespräche nicht zu nutzen, ist schade und nicht kollegial allen gegenüber, die sich massiv beteiligt haben."
Ein Stadtrat, der derart die Sitzung verlässt, gibt ein trauriges Bild seines Wesens von sich.
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