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Klinikpersonal in Main-Spessart nach zwei Jahren Corona: "Erst wenn sich alles normalisiert, merkt man, wie ausgelaugt man ist"
Seit März 2020 bestimmt Corona den Alltag am Klinikum Main-Spessart. Sechs Mitarbeitende erzählen, wie sie die Pandemie geprägt hat und welche Momente sie nie vergessen werden.
Was bleibt nach zwei Jahren Pandemie, welche schönen, welche schrecklichen Momente? Darüber haben wir mit sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Klinikums Main-Spessart gesprochen. Im Bild (oben, von links) : Christine Hausotter, Sabine Weißschädel, Dr. Jörn Maroske, (unten, von links) Beate Orth, Dr. Susann Walz udn Tanja Tillenburg.
Foto: Katrin Amling | Was bleibt nach zwei Jahren Pandemie, welche schönen, welche schrecklichen Momente? Darüber haben wir mit sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Klinikums Main-Spessart gesprochen.
Katrin Amling
 |  aktualisiert: 08.02.2024 14:27 Uhr

Die Corona-Pandemie hat die Welt vor gut zwei Jahren komplett verändert. Mittendrin im Geschehen waren besonders die Mediziner und Pflegenden in den Krankenhäusern, die sich um die Covid-Patienten gekümmert und teilweise um das Leben der Erkrankten gerungen haben. Welche Spuren haben diese zwei Jahre hinterlassen? Rollt im Herbst die nächste Welle heran? Und haben wir aus der Pandemie etwas gelernt? Sechs Mitarbeitende aus dem Klinikum Main-Spessart geben einen persönlichen Einblick in ihre Arbeit, die von Corona auf den Kopf gestellt wurde.

Dr. Susann Walz, Ärztliche Leitung der Notaufnahme und Pandemiebeauftragte

Dr. Susann Walz hat die Ärztliche Leitung der Notaufnahme und ist Pandemiebeauftragte am Klinikum Main-Spessart.
Foto: Katrin Amling | Dr. Susann Walz hat die Ärztliche Leitung der Notaufnahme und ist Pandemiebeauftragte am Klinikum Main-Spessart.

"Die Pandemie hat uns kalt erwischt, denn in Deutschland hat sich niemand mit dem Thema Pandemievorbereitung auseinandergesetzt. 2013 hat man zwar eine Studie dazu in Auftrag gegeben, aber keine Konsequenzen aus den Ergebnissen gezogen. Wir sind in meinen Augen als kleines und familiäres Haus insgesamt gut durch die erste Welle gekommen. Deutschland verschlief jedoch den ersten Sommer und die zweite Welle traf uns im Herbst sehr heftig.

Ein einschneidender Punkt war für mich die Impfung, denn da hatte ich Hoffnung, dass ein Ende in Sichtweite ist. Gleichzeitig ist die Kommunikation in der Politik hinsichtlich der Impfstoffe sehr durcheinander gelaufen. Das hat viel Kraft und viel Aufklärungsarbeit auf unserer Seite gekostet und war für alle Verschwörungsanhänger ein gern genommener Aufhänger.

"Mein Wunsch wäre, dass es eine vernünftige Aufarbeitung gibt."
Dr. Susann Walz, Pandemiebeauftragte

In der dritten Welle haben wir dann als Team viele Federn gelassen. Viele jüngere Patient:innen waren betroffen. Das sind Schicksale, die einem nahegehen und an die man noch häufig denkt. Es war schade, dass der Sommer 2021 wieder verschlafen wurde und wir mit diesen Folgen zu kämpfen hatten. Alle wollten wieder Urlaub machen und hatten keine Lust mehr auf die Maske. Dazu eine sinkende Impfbereitschaft. Das Ergebnis haben wir auf der Intensivstation gesehen. Mit Omikron kam zuletzt auch Frust ins Spiel, da man immer nur las, dass die Belegung der Intensivstation abnimmt. Aber die Menschen haben einfach nicht verstanden, dass das Personal auch krank wurde. Wir hatten zwar deutlich weniger Corona-Patient:innen, aber auch deutlich weniger Personal, da viele in Quarantäne waren. Dieser Spagat war zuletzt am schwierigsten.

Mein Wunsch wäre, dass es eine vernünftige Aufarbeitung gibt: Welche Lehren können wir aus dieser Pandemie ziehen und was können wir beim nächsten Mal besser machen?"

Tanja Tillenburg, Leitung der Intensivstation

Tanja Tillenburg leitet die Intensivstation am Klinikum Main-Spessart.
Foto: Katrin Amling | Tanja Tillenburg leitet die Intensivstation am Klinikum Main-Spessart.

"Vor Corona hätte ich nicht gedacht, dass uns jemals eine so belastende Situation treffen könnte. Unser größter Vorteil war, dass es Deutschland nicht gleich getroffen hat, sonst hätten wir Zustände wie in Italien bekommen. Den plötzlichen Materialmangel fand ich sehr erschreckend, weil ich immer dachte, in Deutschland sind wir gut aufgestellt. Wir waren zwar nie ohne Schutzkleidung, wussten aber manchmal nicht, ob wir am nächsten Tag welche haben werden.

Die schwierigste Situation war, als wir vier Covid-Patienten gleichzeitig auf der Intensivstation versorgt haben, die wir täglich vom Bauch auf den Rücken umlagern mussten. Das war die Grenze, ansonsten wäre es gefährlich geworden. In dieser Zeit gab es nur arbeiten, heimfahren, essen und schlafen. Gott sei Dank habe ich ein sehr stabiles Team, in dem wir uns gegenseitig auffangen und wenig Fluktuation haben. Aber dass die Pandemie so lange dauert, haben wir unterschätzt. Erst wenn sich alles etwas normalisiert, merkt man, dass die Reserven weg sind und wie ausgelaugt man ist.

"Wer keinen Termin für die Magenspiegelung bekommen hat, bei dem wird der Krebs später entdeckt. Das wird noch viele Leben kosten, die eigentlich in die Corona-Statistik gehören."
Tanja Tillenburg, Leitung der Intensivstation am Klinikum Main-Spessart

Die vielen ungeimpften Patienten wären für uns vermeidbar gewesen. Das macht wütend, denn in diesem Zeitraum konnten wir ganz wenige andere Patienten behandeln. Wer keinen Termin für die Magenspiegelung bekommen hat, bei dem wird der Krebs später entdeckt. Das wird noch viele Leben kosten, die eigentlich in die Corona-Statistik gehören.

Aktuell ist bei uns die Coronalage entspannt und die Patienten sind nicht mehr so schwer daran erkrankt. Als Pflegekräfte haben wir gelernt, mit dieser neuen Krankheit umzugehen. Mit der Aussicht auf erhöhte Infektionszahlen ab Herbst hoffe ich auf weitere positive Entwicklungen in der medizinischen Forschung und Prophylaxe. Trotzdem mache ich mir Sorgen."

Beate Orth, Stationsleitung Innere Medizin und Covid-Normalstation

Beate Orth leitet die Station Innere Medizin und hat die Covid-Normalstation am Klinikum Main-Spessart geleitet.
Foto: Katrin Amling | Beate Orth leitet die Station Innere Medizin und hat die Covid-Normalstation am Klinikum Main-Spessart geleitet.

"Am Anfang der Pandemie herrschte auch bei uns eine große Unsicherheit, weil es so etwas in diesem Ausmaß noch nie gab. Nach und nach hat man gelernt, damit umzugehen, wurde geschult in den Schutzmaßnahmen. Aber eine große Herausforderung waren die sich ständig ändernden Hygienevorschriften.

Die vielen Todesfälle haben uns emotional sehr belastet. Es gab allerdings auch schöne Momente. Zum Beispiel waren drei Schwestern bei uns, die sich der Reihe nach angesteckt haben, eine der drei war sogar schon über 100 Jahre alt. Wir haben es dann tatsächlich geschafft, dass sie nach vielen Wochen genesen wieder nach Hause durften. Das waren die Momente, in denen man dachte: 'Wir können das schaffen.'

Ende letzten Jahres haben wir dann einfach gespürt, wie lange das schon ging. Wir mussten immer wieder das Team motivieren. Nach fast zwei Jahren spüren wir die Belastung durch das dauerhafte Tragen der Schutzausrüstung. Besonders belastend ist die Arbeit mit der FFP3-Maske.

Positiv ist auf jeden Fall, dass wir mehr zusammengerückt sind. Die Krankheitswellen haben ja auch unser Personal nicht verschont. Da sind wir sehr eng zusammengewachsen und haben nacheinander geschaut. Ich hoffe, dass wir jetzt ein paar Monate Ruhe haben und ein normales Stationsleben führen können."

Dr. Jörn Maroske, Chefarzt und Ärztlicher Direktor

Dr. Jörn Maroske ist Chefarzt und Ärztlicher Direktor des Klinikums Main-Spessart.
Foto: Katrin Amling | Dr. Jörn Maroske ist Chefarzt und Ärztlicher Direktor des Klinikums Main-Spessart.

"Gravierende Einschnitte hatten wir gerade im operativen Bereich, da wir gezwungen waren, sämtliche geplanten Eingriffe auszusetzen, weil wir nicht genau wussten, was auf uns zukommt. Das ist ein ganz massiver Einschnitt in die Aus- und Weiterbildung, aber auch in die tägliche Expertise. Aufgrund der Materialknappheit konnten wir teilweise keine Studenten im OP mehr ausbilden, weil wir nicht genug Schutzkittel hatten.

Viele schlimme Ereignisse verdrängen wir. Es ist jedoch sehr eindrücklich, wenn Menschen auf der Intensivstation nach Luft ringen. Wenn man genau weiß, diese Patienten haben eine Nebenerkrankung und der Verlauf wird nicht gut werden. Schöne Momente sind hingegen, wenn man Patienten wieder trifft, die schwer krank waren und sich erholt haben und dann auch dankbar sind.

Ich glaube, dass wir als Gesellschaft wahnsinnig viel gelernt haben, aber die meisten Menschen vergessen auch wieder sehr schnell. Das muss man gelegentlich in Erinnerung rufen. Zum Beispiel, dass die Jugendlichen und viele Ältere die Maßnahmen mit hoher Disziplin ertragen und geschluckt haben, Rücksicht genommen haben. Denen muss man auch mal Lob aussprechen.

Jeder muss für sich selbst reflektieren, was man tun kann und was man vom Gesundheitssystem erwarten kann, wenn man sich nicht schützt. Es gibt Situationen unter Extrembelastung, in denen man vielleicht denkt: Mensch, du hast die Chance nicht ergriffen und jetzt müssen zehn andere um die Heilung ringen. Aber das sind kurze Momente. Wenn man dann Erfolg hat, dann zieht einen das auch wieder hoch."

Christine Hausotter, stellvertretende Pflegedirektorin

Christine Hausotter ist stellvertretende Pflegedirektorin am Klinikum Main-Spessart.
Foto: Katrin Amling | Christine Hausotter ist stellvertretende Pflegedirektorin am Klinikum Main-Spessart.

"Wir haben uns in der Pflege schon immer mit Infektionsschutz und Isolierung beschäftigt, aber noch nie in einem solchen Ausmaß. Der erste Eindruck in den Gängen der Corona-Station war oft befremdlich, die Isolationsständer mit Kitteln und Schutzausrüstung, Mundschutz und Haube standen vor jedem Zimmer, in dem ein Corona-Patient lag. Wer acht Stunden in so einer Schutzmontur arbeitet, kommt physisch und psychisch an seine Grenzen. Einige Pflegekräfte waren nach der Versorgung eines Corona-Patienten so durchgeschwitzt, dass sie sich danach komplett umziehen mussten.

Ich habe eine große Solidarität und Kollegialität in der Pflege erlebt. Wie sich die Leute aufgefangen und unterstützt haben, das war beeindruckend. Dabei haben sie nie den Fokus auf den Patienten verloren. Das Bewusstsein, so nah an einem Corona-Patienten zu sein und das Ansteckungsrisiko waren eine enorme Belastung.

"Der erste Eindruck in den Gängen der Corona-Station war oft befremdlich."
Christine Hausotter, stellvertretende Pflegedirektorin

Beeindruckt hat mich auch die Unterstützung durch die Bundeswehr-Soldaten, von Dezember bis Februar 2021. Die haben uns sehr gutgetan und haben auch eine positive Stimmung im Haus verbreitet. Das hat für mich aber auch gezeigt, wie dramatisch die Situation war.

Ich habe gemerkt, dass die Pflege Kraft hat, gerade in der Pandemie. Auch wenn die Mitarbeiter manchmal gesagt haben, ich kann nicht mehr – es ging weiter. Und das finde ich phänomenal."

Sabine Weißschädel, Leitung der Stabsstelle Krankenhaushygiene

Sabine Weißschädel leitet die Stabsstelle Krankenhaushygiene am Klinikum Main-Spessart.
Foto: Katrin Amling | Sabine Weißschädel leitet die Stabsstelle Krankenhaushygiene am Klinikum Main-Spessart.

"Zu Beginn der Pandemie gab es eigentlich so gut wie keine Krankenhaushygieniker, die hauptberuflich Experten für Infektionsprävention und auch Ausbruchsmanagement sind und einbezogen wurden. Diese hätten aber von Anfang an zu Wort kommen müssen. In der Presse gab es aber nur die Virologen zur Pandemie. Obwohl es Pandemiepläne gibt, gab es in Deutschland bisher kein System, das genutzt werden konnte. Alles war hektisch.

Unser Aufgabengebiet hat durch die Pandemie die Rolle bekommen, die es tatsächlich auch verdient. Wir verfolgen Krankheitsübertragungen national und international, erfassen und überwachen Erreger. Wir spielen ein bisschen Sherlock Holmes und schauen, woher kommt die Infektion und wie vernetzt sie sich. Ich denke, durch die Pandemie wird die Krankenhaushygiene langfristig eine bessere Stellung bekommen.

Wir hatten natürlich auch hier am Anfang Probleme, zum Beispiel mit dem Material. Es gab wenig und die Frage war, wer es beschafft, welche Qualität die Sachen haben, ob sie zertifiziert sind, wo es herkommt. Da geht es ja darum, ob die Mitarbeiter gut geschützt sind. Dann waren die Tests am Anfang nicht valide und zu Beginn gab es noch keine PCR-Tests für das Virus, nicht in normalen Laboren – das wurde erst entwickelt.

"Die gute Botschaft ist: Die Impfung schützt vor einem schweren Verlauf und das tut sie auch bei Omikron."
Sabine Weißschädel, Leiterin Stabsstelle Krankenhaushygiene

Wir haben dann auch Isolierstationen aufgebaut, wie in einem Ausbruch üblich. Inzwischen versorgen wir die Covid-Patienten wieder dezentral, eine Zeit lang hatten wir sie zentral auf einer Covid-Station. Durch unsere Lage in einer ländlichen Region sind wir ein bisschen gesegnet, weil wir nicht so viel Durchzug haben und das sieht man auch an den Zahlen: Das Ausbruchsgeschehen kommt hier sehr verzögert an – im Vergleich zu großen Städten.

Am Anfang des dritten Jahres läuft eine Pandemie oft aus. Das war Gott sei Dank bei allen Pandemien so, die wir erlebt haben. Wir haben zwar keine Wunderwaffe. Aber die gute Botschaft ist: Die Impfung schützt vor einem schweren Verlauf und das tut sie auch bei Omikron."

 
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