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Bad Kissingen
Zwischen Chancen und Vorurteilen: Wie sieht der Alltag an der Mittelschule in Bad Kissingen wirklich aus, Herr Hanna?
Mittelschulen haben oft nicht den besten Ruf. Schulleiter Hans-Jürgen Hanna sieht aber viele Perspektiven und verrät, warum kulturelle Vielfalt fast schon Unterrichtsfach ist.
Hans-Jürgen Hanna, Leiter der Anton-Kliegl-Mittelschule Bad Kissingen.
Foto: Simon Snaschel | Hans-Jürgen Hanna, Leiter der Anton-Kliegl-Mittelschule Bad Kissingen.
Simon Snaschel
 |  aktualisiert: 16.03.2024 02:43 Uhr

Für die Viertklässlerinnen und Viertklässler in Bayern gab es im Januar die Zwischeninformation zum Leistungsstand. Das Übertrittszeugnis im Mai entscheidet zwar darüber, wie es für die Kinder nach der Grundschule weitergeht. Doch mit der Zwischeninformation zeichnet sich in den meisten Fällen schon eine deutliche Tendenz ab. Für viele Eltern, auch im Landkreis Bad Kissingen, ist damit recht klar, ob ihre Kinder künftig Gymnasium, Realschule oder Mittelschule besuchen werden.

Die Mittelschule genießt dabei nicht den besten Ruf. Die Vorurteile: verhaltensauffällige Kinder, viele Schülerinnen und Schüler aus sozial schwachen Familien, niedriges Unterrichtsniveau, hoher Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund, Gewalt in der Schule. Im Gespräch mit dieser Redaktion verrät Hans-Jürgen Hanna (64), Leiter der Anton-Kliegl-Mittelschule in Bad Kissingen, wie viel Wahrheit in diesem Bild steckt, welche Probleme es wirklich gibt und welche Chancen die Mittelschule bietet.

Frage: Herr Hanna, überspitzt gefragt: Ist es wirklich so schlimm bei Ihnen?

Hans-Jürgen Hanna: Nein, finde ich nicht. Vor der Ausstellung der Übertrittszeugnisse Anfang Mai kreisen die Gedanken in vielen Familien ja um die Frage, ob das Kind den Übertritt schafft. Wird dieses Ziel verpasst, erleben wir oft Fünftklässler, die erschöpft und demotiviert aufgrund der Selektion und des Drucks aus den vergangenen Monaten sind. An der Mittelschule versuchen wir, jedes Kind durch gezieltes pädagogisches Einwirken, Differenzierung und individuelle Förderung da abzuholen, wo es steht. Auch vom schulischen Werdegang her bietet die Mittelschule alle Chancen.

Wie sieht das konkret aus?

Hanna: Unsere Mittelschule bietet mit dem Schwerpunkt auf der Berufsorientierung eine sehr gute Basisausbildung, um den gewünschten Ausbildungsberuf mit Mittelschulabschluss beziehungsweise Quali zu bekommen. Andererseits können unsere Schüler im M-Zug die Mittlere Reife, gleichwertig mit dem Abschluss an Real- oder Wirtschaftsschulen, erlangen, um im Anschluss mit der entsprechenden Eignung sogar in die gymnasiale Oberstufe oder Fachoberschule überzutreten. Man muss aber auch sagen, dass trotzdem in weiten Teilen der Gesellschaft weiterhin der Wunsch prägnant ist, dass das eigene Kind die Realschule oder das Gymnasium besuchen soll.

Geht es dabei um das Schulsystem oder um andere Dinge?

Hanna: Natürlich möchten Eltern, dass ihr Kind mit den bestmöglichen Chancen ins Berufsleben startet, was oft mit einer akademischen Laufbahn assoziiert wird. Doch diese Vorstellung wird nicht allen Kindern mit ihren individuellen Anlagen und Fähigkeiten gerecht. Ein weiterer Beweggrund ist sicherlich auch die Außenwirkung im sozialen Umfeld, die mit dem Besuch des Gymnasiums oder der Realschule einhergeht.

Und da geht es auch um den Ruf der Mittelschulen. Der ist ja nicht besonders gut, oder?

Hanna: Häufig lastet der Mittelschule ein Negativimage an, bestehend aus einer Gewalt-, Mobbing- und Drogenproblematik. Tatsächlich lassen sich derartige Vorfälle aber in allen Schularten finden. Wenn bei uns solche Vorfälle bekannt werden, greift sofort ein engmaschiges, soziales Netzwerk. Oft assoziiert man mit der Mittelschule auch einen überproportional hohen Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund. Das ist bei uns tatsächlich der Fall: Wir unterrichten über 500 Schüler in 24 Klassen aus 38 Nationen.

Die weder pädagogisch noch sozial leicht zu vereinen sein dürften.

Hanna: Sicherlich ist die tägliche Arbeit dadurch mit vielen Herausforderungen verbunden. Um den Zusammenhalt zu stärken und Kinder zu integrieren, werden vielfältige gemeinschaftsbildende Maßnahmen durchgeführt, zum Beispiel Schullandheimfahrten oder das Installieren eines Klassenrats. Ein elementarer Baustein des Miteinanders ist die deutsche Sprache. Deshalb wurden an unserer Schule zwei Brückenklassen für ukrainische Flüchtlinge sowie zwei Deutschlernklassen für Flüchtlinge aus anderen Krisengebieten gebildet.

Die Anton-Kliegl-Mittelschule in Bad Kissingen. Hier werden Schülerinnen und Schüler aus 38 Nationen unterrichtet.
Foto: Simon Snaschel | Die Anton-Kliegl-Mittelschule in Bad Kissingen. Hier werden Schülerinnen und Schüler aus 38 Nationen unterrichtet.
Wie lässt sich da das Unterrichtsniveau aufrecht erhalten?

Hanna: Das ist die Herausforderung unserer täglichen Arbeit. Teilweise haben wir die Möglichkeit, durch Förderlehrer in Kleingruppen zu unterrichten und damit gezielt Defizite auszugleichen. Auch in der Klasse findet eine unterrichtliche Differenzierung mit unterschiedlichen Leistungsanforderungen statt, was eine zeitintensive Unterrichtsvorbereitung voraussetzt.

Auch aus sozialer Sicht prallen mit vielen Nationen ja auch Kulturen, teilweise Welten aufeinander. Problem oder Chance?

Hanna: Das ist auf jeden Fall die Chance, den Schüler zu zeigen, dass man sich gegenseitig akzeptieren und respektieren muss, sowohl andere Kulturen als auch Religionen. Das beinhaltet, dass unsere Schüler die Merkmale und Besonderheiten des jeweils anderen kennenlernen und damit auch ihren eigenen Horizont erweitern können. Das ist ganz wichtig. Ein großes Problem haben wir seit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine.

Inwiefern?

Hanna: Manche Schüler und Eltern versuchten immer wieder, ihre politischen Ansichten deutlich sichtbar, zum Beispiel als T-Shirt-Aufdruck, zur Schau zu stellen. Das hat natürlich Konfliktpotential mit sich gebracht und wir haben das sofort unterbunden, da wir durch politische Statements keine Provokationen aufkommen lassen wollen. Ein anderer Aspekt ist, dass die Bereitschaft von ukrainischen Kindern, sich schulisch zu integrieren, zweigeteilt ist. Ein Teil möchte motiviert Deutsch lernen und hierbleiben. Der andere Teil unterliegt zwar hier der Schulpflicht, wird aber online aus der Ukraine beschult und kann dort auch einen Abschluss machen. Diese Schülerinnen und Schüler können nicht nachvollziehen, warum sie sich hier bei uns im Unterricht engagieren sollen.

Was würde - neben Lehrkräften - auf Ihrem Wunschzettel stehen?

Hanna: Personal in dem Sinne, dass ich zum Beispiel mehr Möglichkeiten hätte, mit Dolmetschern zusammenzuarbeiten. Wie gesagt: Wir unterrichten Kinder aus 38 Nationen. Wenn ich mit Eltern ein Gespräch führen will, weil es mit ihrem Kind einen Vorfall gab, wäre ein Dolmetscher sehr hilfreich, damit die Eltern auch wirklich verstehen können, worum es geht.

Nun haben wir viel über Probleme und Herausforderungen gesprochen. Aber gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel im Handwerk: Ist die Mittelschule nicht viel mehr auch Chance?

Hanna: Das ist eine große Chance. Wir haben handwerklich begabte Schülerinnen und Schüler, die bereits in der achten Klasse im Rahmen ihres Praktikums so überzeugen können, dass sie einen Vorvertrag angeboten bekommen. Weiterhin ist die Berufsorientierung ab der siebten Klasse ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Durch zahlreiche Praktika, Berufsinformationstage, Tage der Offenen Tür, Vorträge und Workshops von Betrieben vor Ort erleben Schülerinnen und Schüler schon frühzeitig die Vielfalt der Berufswelt und damit auch die Vielfalt, die sich ihnen in Bezug auf ihre eigene Ausbildung eröffnet.

 
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