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Würzburg
Mehr Mathe und Deutsch, weniger kreative Fächer: Was eine Würzburger Expertin von der Grundschulreform hält
Es mangelt beim Rechnen, Lesen und Schreiben: Mit einem Umbau der Stundentafel will das Kultusministerium bayerischen Grundschülern helfen. Ist der Ansatz richtig?
Prof. Sanna Pohlmann-Rother ist seit 2017 Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik an der Würzburger Julius-Maximilians-Universität.
Foto: Christoph Weiß | Prof. Sanna Pohlmann-Rother ist seit 2017 Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik an der Würzburger Julius-Maximilians-Universität.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 18:07 Uhr

Auf die Pisa-Schlappe folgt eine "Pisa-Offensive": Bayerns Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) erhöht die Zahl der Mathe- und Deutschstunden an Grundschulen. Dafür wird bei den kreativen Fächern und Englisch gestrichen – der Religionsunterricht dagegen nicht angetastet. Was halten Schulexperten von der Reform? Fragen an Prof. Sanna Pohlmann-Rother, Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und -didaktik an der Uni Würzburg.

Die jüngste Pisa-Studie für die Schulen in Deutschland hat auch die Politik in Bayern aufgeschreckt. Zurecht?

Prof. Sanna Pohlmann-Rother: Ich verstehe die Reaktion der Politik, aus Sicht der Bildungsforschung sind diese Ergebnisse allerdings nicht überraschend. Speziell für die Grundschulen haben in den letzten Jahren bereits andere Studien – wie IGLU 2021 oder der IQB-Bildungstrend – bedenkliche Ergebnisse gezeigt. Leistungen sinken ab, Mindeststandards werden nicht erreicht. Wir beobachten hier einen klar negativen Trend.

Zieht die Politik die richtigen Schlüsse, wenn man nun – wie in Bayern geplant – Mathe und Deutsch in der Grundschule stärken will?

Pohlmann-Rother: Es ist durchaus sinnvoll, ein Augenmerk auf die Grundkompetenzen wie Lesen, Rechnen und Schreiben zu legen. Da geht es ja um wichtige Voraussetzungen für das weitere schulische Lernen.

Haben Sie eine Idee, warum Grundschüler heute so viel schlechter schreiben und rechnen als noch vor 15 Jahren?

Pohlmann-Rother: Das gibt es ein Bündel von Ursachen. Wir sollten aufpassen, hier nicht zu verkürzen und zum Beispiel ausschließlich die stärker gemischte Zusammensetzung von Klassen verantwortlich machen. Das Bildungssystem hat versäumt, Kinder regelmäßiger auf ihren individuellen Förderbedarf hin anzuschauen und entsprechende Angebote zu machen. Das müsste schon im Kindergarten verstärkt beginnen.

Klingt gut, klingt aber auch nach großem Personalaufwand. Hängen die Schwierigkeiten nicht auch am Lehrermangel?

Pohlmann-Rother: Der Lehrkräftemangel ist definitiv ein Problem. Die Attraktivität des Lehrerberufs müsste gesteigert werden, um mehr Menschen für den Beruf zu motivieren und so mehr individuelle Förderung in den Klassen leisten zu können. Bayern hat mit der Anhebung des Einstiegsgehalts für Grundschullehrkräfte da bereits einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Es sind aber noch weitere Anstrengungen nötig.

Gestrichen wird jetzt bei den "weichen" Fächern Musik, Kunst, Gestalten und Werken, sie werden in einem Verbund zusammengefasst. Wie wichtig sind diese Fächer aus schulpädagogischer Sicht für die Entwicklung der Kinder?

Pohlmann-Rother: Diese ästhetisch-kreativen Fächer sind wichtig, etwa zur Förderung kreativen Denkens. Gerade in einer zunehmend digitalisierten Welt wird es noch wichtiger, flexibel und kreativ mit Problemen umgehen zu können. Insofern haben diese Fächer absolut ihre Berechtigung. Aber natürlich sind Lesen und Schreiben entscheidend für allen weiteren schulischen Erfolg.

Und die Eltern sollen dann schauen, dass ihre Kinder außerhalb der Schule Musik und Sport machen?

Pohlmann-Rother: Auch schwierig mit Blick auf soziale Gerechtigkeit. Da gibt es natürlich bildungsnahe Elternhäuser, die das sowieso fördern. Aber aus pädagogischer Sicht wären Ganztagsangebote an den Schulen hilfreich, die den Kindern auch unabhängig vom sozialen oder finanziellen Status der Eltern kreative Angebote und individuelle Förderung bereitstellen. Elternhäuser sollten nicht auffangen müssen, was in der Schule nicht passiert. Die Grundschule hat einen klaren Bildungs- und Erziehungsauftrag. Wichtig dabei sind eine gute Partnerschaft und ein regelmäßiger Austausch zwischen Eltern und Lehrkräften.

Im Umfang unangetastet bleibt der Religionsunterricht. Wie finden Sie das?

Pohlmann-Rother: Wenn man den Fokus stärker auf die Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen legt, muss man ja irgendwo sparen bzw. man muss abwägen. Das ist schwierig. Wenn der Religionsunterricht teilweise so viele Stunden hat wie der Heimat- und Sachunterricht, dann finde ich das schon diskussionswürdig. Aber hier gab es keinerlei Beweglichkeit.

Bayerische Grundschüler haben im Bundesvergleich bereits eine relativ üppige Stundentafel. Wie sinnvoll wäre es da, noch etwas draufzupacken? Der Lehrer- und Lehrerinnenverband ist dafür offen...

Pohlmann-Rother: Grundsätzlich ist es sinnvoll, die Zeit an der Schule zu erhöhen. Damit haben Lehrkräfte mehr Flexibilität und Möglichkeiten, den Unterricht pädagogisch sinnvoll zu gestalten. Pädagogisch sinnvoll wäre auch, über den Ausbau von Ganztagsangeboten mit einer gezielteren Förderung der Kinder nachzudenken. Zugleich sollte nicht nur über die Zeit an den Schulen, sondern über die richtige Nutzung dieser Zeit gesprochen werden. Die Qualität des Unterrichts ist von großer Bedeutung. Und dafür braucht es Lehrkräfte, die an der Universität sehr gut ausgebildet werden.

Bayern will nun Sprachtests vor der Einschulung verbindlich machen, heißt: Wer nicht gut genug Deutsch kann, muss warten. Finden Sie solches Aussieben richtig?

Pohlmann-Rother: Um zu diagnostizieren, wo Kinder stehen, sind Testverfahren sinnvoll. Die Frage ist nur: Was kommt danach? Werden die Kinder dann aufbauend auf ihrem Lernstand individuell gefördert? Oder wird vor allem mit dem Ziel der Selektion getestet? Verpflichtende Sprachtests, deren Ergebnisse über die Einschulung oder Nicht-Einschulung eines Kindes entscheiden, bringen diese Gefahr mit sich. Das wäre jedoch ein klarer Rückschritt für das inklusive Schulsystem.

Englisch soll in der dritten und vierten Klasse von zwei auf eine Stunde reduziert werden. Braucht es überhaupt Fremdsprachenunterricht in der Grundschule?

Pohlmann-Rother: Es gibt durchaus Studien, die zeigen, dass ein früher Englischunterricht seine Berechtigung hat und Kinder, die mit Englisch in der Grundschule starten, später Vorteile haben, zum Beispiel im Lese- und Hörverständnis. Ich halte hier das Kürzen für eher problematisch. Es geht in der Grundschule um das Vertraut werden mit der Sprache, intuitives Lernen, grundlegendes Sprechen und Hörverstehen. Kinder können da wichtige Vorläufer-Kompetenzen für die anschließenden Schulen ab der fünften Klasse entwickeln.

 
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  • Bernhard Mott
    Wie haben wir geburtenstarken Jahrgänge das mit zum Teil 40 Kinder in der Grundschule nur geschafft, Lesen Schreiben und Rechnen zu lernen. Über Religion, Musik, Sport sowie Heimat und Sachkunde will ich gar nicht reden.
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  • Johannes Metzger
    "Prof. Sanna Pohlmann-Rother: Ich verstehe die Reaktion der Politik, aus Sicht der Bildungsforschung sind diese Ergebnisse allerdings nicht überraschend. Speziell für die Grundschulen haben in den letzten Jahren bereits andere Studien – wie IGLU 2021 oder der IQB-Bildungstrend – bedenkliche Ergebnisse gezeigt. Leistungen sinken ab, Mindeststandards werden nicht erreicht. Wir beobachten hier einen klar negativen Trend."
    Neu sind die Erkenntnisse also nicht. Die bayr. Staatsregierung regiert wie immer. Zu spät und dann mit wenig durchdachten Maßnahmen. Ideologisch verbohrt, wird der Religionsunterricht nicht angetastet.
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  • Brigitte Schneider
    Es dauert halt immer einen ganzen Schülerdurchlauf (1.-12./13. Klasse), um zu sehen, was Änderungen an der Basis zur Folge haben. Und jetzt sieht man - verstärkt und nur verstärkt und nicht verschuldet von Corona - was für Folgen die Hohlmeier'schen Änderungen haben. Zur Erklärung: der von ihr verantwortete Lehrplan, der inzwischen weitergeführt wurde, führte die Anlauttabelle und das freie Schreiben, sowie das Herleiten statt Auswendiglernen des 1x1 ein. Konkret: statt zu lautieren (M, Ma, Mam, Mama) arbeitet man seither mit einer Quasi-Ganzwortmethode (Mama=z. B. Maus Apfel Maus Apfel). Rechtschreiben ist heute kein eigenständiger Lernbereich mehr (es gibt keine Nachschriften und Diktate mehr). 7x5 leitet sich aus 2x5 plus 5x5 her. Genies schaffen es trotzdem, der normale Durchschnitt scheitert oder braucht einfach sehr lange - auch ohne Migrationshintergrund.
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  • Hiltrud Erhard
    Ein sehr informatives Interview, das wunderbar beleuchtet, wie schon in der Grundschule
    die Weichen für die Kinder gestellt werden müssen.

    Eltern sollten aber schon im Kinderagartenalter ihre Kinder nicht einfach abschieben und den Erziehungsauftrag delegieren. Sie sollten Sich mehr mit einbringen wie es auch ihre Aufgabe ist.

    Dass Sie ihr Staatsregierungs/ CSU-bashing immer weiter betreiben ist ja schon klar - wird auch bei Ihnen erwartet, aber die Frau Prof. Sanna Pohlmann-Rother hat sehr gut werteneutral geantwortet!
    Es geht auch nicht unbedingt um Kürzung oder Religion sondern auch um Erweiterung. Denn die Ursache ist eben mit PISA ein vergleichbares Leistungsprinzip (kein starres) und keine Spaßgesellschahft ohne dass die Freude am Lernen zu kurz kommt.

    Lesen, Schreiben und Rechnen sind die Basis für alles und fordern eine Fokussierung als Grundlage, die nicht nur in der Schule sondern auch im Elternhaus stattfinden sollte.
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  • Wieland Gsell
    Es ist kein "Staatsregierungs/ CSU-bashing", wenn diesen jahrzehntelanges Versagen oder Fehlentscheidungen oder Grundhaltungen, direktives Verhalten vorgeworfen werden. Es ist der vorhehaltene Spiegel, der die richtigen Entwicklungen im partnerschaftlichen Einvernehmen zwischen Wissenschaft, Lehrern und Eltern auslösen könnte.
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  • Roland Rösch
    Die Schüler verdummen doch nicht in der Schule wo der Lehrplan steht. Wenn die Schüler nix mitbringen an Grundwissen weil die Eltern ihre Kinder vernachlässigen .nicht in der Lage sind, falsch oder gar nichts anerzogen wurden muss die Schule doch nicht andere Fächer streichen die auch sehr wichtig sind für mehr wissen auch im späteren Beruf.
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  • Michael Schäfenacker
    Gerade der Deutschunterricht ist sehr wichtig .
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  • Georg Wohlfart-Mitznegg
    Ein sehr informatives Interview,
    das wunderbar beleuchtet,
    wie schon in der Grundschule
    die Ideologie der bayerischen Staatsregierung starr und unbeweglich im Mittelpunkt zu stehen hat.

    Bei Religion gab es "keinerlei Beweglichkeit",
    das Vermitteln von Kreativität und Talentförderung sind ins Private zu verlagern,
    -für Eltern, die sich das leisten können-.
    Bei einer Wochenstunde Englisch wird nicht allzuviel Wissen hängenbleiben,
    der Sprachgebrauch hat sich aber deutlich geändert;
    ohne Grundkenntnisse Englisch sind heute auch einfachste Texte kaum vollumfänglich zu begreifen.

    Und besonders schade dabei ist,
    daß hier Kinder in ein starres Leistungsprinzip gepresst werden,
    weil beim Vermitteln von Wissen die Freude am Lernen zu kurz kommt.

    Klar sind Lesen und Rechnen auch wichtig, aber eine Fokussierung darauf fördert nicht unbedingt die umfassende Wissensvermittlung,
    die in der Schule stattfinden sollte.

    Übrigens ist von der
    Mitverantwortung der Eltern
    hier kaum etwas zu lesen.
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