Auf die Pisa-Schlappe folgt eine "Pisa-Offensive": Bayerns Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) erhöht die Zahl der Mathe- und Deutschstunden an Grundschulen. Dafür wird bei den kreativen Fächern und Englisch gestrichen – der Religionsunterricht dagegen nicht angetastet. Was halten Schulexperten von der Reform? Fragen an Prof. Sanna Pohlmann-Rother, Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und -didaktik an der Uni Würzburg.
Prof. Sanna Pohlmann-Rother: Ich verstehe die Reaktion der Politik, aus Sicht der Bildungsforschung sind diese Ergebnisse allerdings nicht überraschend. Speziell für die Grundschulen haben in den letzten Jahren bereits andere Studien – wie IGLU 2021 oder der IQB-Bildungstrend – bedenkliche Ergebnisse gezeigt. Leistungen sinken ab, Mindeststandards werden nicht erreicht. Wir beobachten hier einen klar negativen Trend.
Pohlmann-Rother: Es ist durchaus sinnvoll, ein Augenmerk auf die Grundkompetenzen wie Lesen, Rechnen und Schreiben zu legen. Da geht es ja um wichtige Voraussetzungen für das weitere schulische Lernen.
Pohlmann-Rother: Das gibt es ein Bündel von Ursachen. Wir sollten aufpassen, hier nicht zu verkürzen und zum Beispiel ausschließlich die stärker gemischte Zusammensetzung von Klassen verantwortlich machen. Das Bildungssystem hat versäumt, Kinder regelmäßiger auf ihren individuellen Förderbedarf hin anzuschauen und entsprechende Angebote zu machen. Das müsste schon im Kindergarten verstärkt beginnen.
Pohlmann-Rother: Der Lehrkräftemangel ist definitiv ein Problem. Die Attraktivität des Lehrerberufs müsste gesteigert werden, um mehr Menschen für den Beruf zu motivieren und so mehr individuelle Förderung in den Klassen leisten zu können. Bayern hat mit der Anhebung des Einstiegsgehalts für Grundschullehrkräfte da bereits einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Es sind aber noch weitere Anstrengungen nötig.
Pohlmann-Rother: Diese ästhetisch-kreativen Fächer sind wichtig, etwa zur Förderung kreativen Denkens. Gerade in einer zunehmend digitalisierten Welt wird es noch wichtiger, flexibel und kreativ mit Problemen umgehen zu können. Insofern haben diese Fächer absolut ihre Berechtigung. Aber natürlich sind Lesen und Schreiben entscheidend für allen weiteren schulischen Erfolg.
Pohlmann-Rother: Auch schwierig mit Blick auf soziale Gerechtigkeit. Da gibt es natürlich bildungsnahe Elternhäuser, die das sowieso fördern. Aber aus pädagogischer Sicht wären Ganztagsangebote an den Schulen hilfreich, die den Kindern auch unabhängig vom sozialen oder finanziellen Status der Eltern kreative Angebote und individuelle Förderung bereitstellen. Elternhäuser sollten nicht auffangen müssen, was in der Schule nicht passiert. Die Grundschule hat einen klaren Bildungs- und Erziehungsauftrag. Wichtig dabei sind eine gute Partnerschaft und ein regelmäßiger Austausch zwischen Eltern und Lehrkräften.
Pohlmann-Rother: Wenn man den Fokus stärker auf die Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen legt, muss man ja irgendwo sparen bzw. man muss abwägen. Das ist schwierig. Wenn der Religionsunterricht teilweise so viele Stunden hat wie der Heimat- und Sachunterricht, dann finde ich das schon diskussionswürdig. Aber hier gab es keinerlei Beweglichkeit.
Pohlmann-Rother: Grundsätzlich ist es sinnvoll, die Zeit an der Schule zu erhöhen. Damit haben Lehrkräfte mehr Flexibilität und Möglichkeiten, den Unterricht pädagogisch sinnvoll zu gestalten. Pädagogisch sinnvoll wäre auch, über den Ausbau von Ganztagsangeboten mit einer gezielteren Förderung der Kinder nachzudenken. Zugleich sollte nicht nur über die Zeit an den Schulen, sondern über die richtige Nutzung dieser Zeit gesprochen werden. Die Qualität des Unterrichts ist von großer Bedeutung. Und dafür braucht es Lehrkräfte, die an der Universität sehr gut ausgebildet werden.
Pohlmann-Rother: Um zu diagnostizieren, wo Kinder stehen, sind Testverfahren sinnvoll. Die Frage ist nur: Was kommt danach? Werden die Kinder dann aufbauend auf ihrem Lernstand individuell gefördert? Oder wird vor allem mit dem Ziel der Selektion getestet? Verpflichtende Sprachtests, deren Ergebnisse über die Einschulung oder Nicht-Einschulung eines Kindes entscheiden, bringen diese Gefahr mit sich. Das wäre jedoch ein klarer Rückschritt für das inklusive Schulsystem.
Pohlmann-Rother: Es gibt durchaus Studien, die zeigen, dass ein früher Englischunterricht seine Berechtigung hat und Kinder, die mit Englisch in der Grundschule starten, später Vorteile haben, zum Beispiel im Lese- und Hörverständnis. Ich halte hier das Kürzen für eher problematisch. Es geht in der Grundschule um das Vertraut werden mit der Sprache, intuitives Lernen, grundlegendes Sprechen und Hörverstehen. Kinder können da wichtige Vorläufer-Kompetenzen für die anschließenden Schulen ab der fünften Klasse entwickeln.
Neu sind die Erkenntnisse also nicht. Die bayr. Staatsregierung regiert wie immer. Zu spät und dann mit wenig durchdachten Maßnahmen. Ideologisch verbohrt, wird der Religionsunterricht nicht angetastet.
die Weichen für die Kinder gestellt werden müssen.
Eltern sollten aber schon im Kinderagartenalter ihre Kinder nicht einfach abschieben und den Erziehungsauftrag delegieren. Sie sollten Sich mehr mit einbringen wie es auch ihre Aufgabe ist.
Dass Sie ihr Staatsregierungs/ CSU-bashing immer weiter betreiben ist ja schon klar - wird auch bei Ihnen erwartet, aber die Frau Prof. Sanna Pohlmann-Rother hat sehr gut werteneutral geantwortet!
Es geht auch nicht unbedingt um Kürzung oder Religion sondern auch um Erweiterung. Denn die Ursache ist eben mit PISA ein vergleichbares Leistungsprinzip (kein starres) und keine Spaßgesellschahft ohne dass die Freude am Lernen zu kurz kommt.
Lesen, Schreiben und Rechnen sind die Basis für alles und fordern eine Fokussierung als Grundlage, die nicht nur in der Schule sondern auch im Elternhaus stattfinden sollte.
das wunderbar beleuchtet,
wie schon in der Grundschule
die Ideologie der bayerischen Staatsregierung starr und unbeweglich im Mittelpunkt zu stehen hat.
Bei Religion gab es "keinerlei Beweglichkeit",
das Vermitteln von Kreativität und Talentförderung sind ins Private zu verlagern,
-für Eltern, die sich das leisten können-.
Bei einer Wochenstunde Englisch wird nicht allzuviel Wissen hängenbleiben,
der Sprachgebrauch hat sich aber deutlich geändert;
ohne Grundkenntnisse Englisch sind heute auch einfachste Texte kaum vollumfänglich zu begreifen.
Und besonders schade dabei ist,
daß hier Kinder in ein starres Leistungsprinzip gepresst werden,
weil beim Vermitteln von Wissen die Freude am Lernen zu kurz kommt.
Klar sind Lesen und Rechnen auch wichtig, aber eine Fokussierung darauf fördert nicht unbedingt die umfassende Wissensvermittlung,
die in der Schule stattfinden sollte.
Übrigens ist von der
Mitverantwortung der Eltern
hier kaum etwas zu lesen.