
Es ist die Frage, die viele Missbrauchsbetroffene stellen: "Warum werde ich als Lügnerin bezeichnet?" In diesem Fall ist es nicht die katholische Kirche, die der jungen Frau nicht glaubt. Es ist auch nicht der Richter des Amtsgerichts Bad Kissingen, der den katholischen Priester K. im vergangenen Jahr wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt hat. Es sind vor allem Mitglieder der Pfarreiengemeinschaft "Heiliges Kreuz Bad Bocklet". Jetzt erzählt die junge Frau ihre Geschichte.
Die Unterstützer des Priesters erkennen das Urteil nicht an. Viele halten K. für unschuldig. Die Kirche solle an ihm festhalten. Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, starteten sie eine Unterschriftenaktion. Bald werden die Listen im Bischofshaus in Würzburg ankommen. Und dann? Kommt dann die dritte Stellungnahme aus dem Ordinariat? Eine, die noch deutlicher ausfällt?
Das ist kaum möglich. Der Würzburger Bischof Franz Jung hat sich unmissverständlich abgrenzt. Er forderte die Unterstützer auf, das Urteil anzuerkennen und Tatsachen nicht zu verdrehen. "Normalerweise ist es ja schön, wenn sich eine Gemeinde für ihren Priester einsetzt", sagte Franz Jung bei der Frühjahrsvollversammlung des Diözesanrats zum Fall Bad Bocklet. In diesem Fall aber nicht.
Die Ereignisse, die Aktionen, die Medienberichte, das Gefühl, überall erkannt zu werden: All das setzt der jungen Frau zu. Die 23-Jährige erzählt: Sie habe sich, als sie von den Aktivitäten der Unterstützer erfuhr, einige Tage gar nicht aus ihrer Wohnung getraut. Sie fühlte alle Blicke auf sich gerichtet. Ihr Leben stehe ohnehin seit vielen Monaten Kopf, sagt sie. Es gehe ihr nicht gut. Schon lange nicht mehr.
Zwar zog der Priester in diesem Februar die Berufung bei der Verhandlung am Landgericht Schweinfurt zurück und akzeptierte damit das Urteil des Schöffengerichts vom August 2020: eine Strafe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung. Doch direkt danach gingen die Unterstützer von K. in die Offensive. Die junge Frau fühlt sich nun zu Unrecht selbst angeklagt. Sie will nicht länger als unglaubwürdig angesehen werden - und stimmte deshalb einem Gespräch mit dieser Redaktion zu.
Sie wirkt zurückhaltend, abtastend. Ein freundlicher Blick zur Begrüßung, ein wenig Skepsis. Ihre Mutter, die sie begleitet, ist dagegen offen. Sie halte zu ihrer Tochter. Aber nicht immer sei die Familiensituation stabil gewesen: "Meine Tochter ist ein Scheidungskind." Sie sei erst beim Vater geblieben und später zu ihr gezogen. Die Mutter gibt zu, dass sie die Trennung von ihrer Familie aus der Bahn geworfen habe. Doch jetzt ist deutlich zu spüren: Sie ist für ihre Tochter da.

Tochter und Mutter erzählen eine vertrackte Geschichte. Eine, die unter den vielen Missbrauchsfällen, die in den vergangenen Jahren in der katholischen Kirche bekannt wurden, herausfällt. Die junge Frau sagt, sie habe über zehn Jahre eine Beziehung zu Priester K. gehabt. Und sie hege heute, mit 23, noch Gefühle für ihn. "Ich schreibe ihm täglich Nachrichten." Eine Antwort erhalte sie nicht. Dabei, sagt sie, wünsche sie sich sehnlichst eine Aussprache. Und dass er zu ihr "zurückkehrt". Und sie hoffe gleichzeitig, "dass ich eines Tages aufwache– und alles vorbei ist".
Die junge Frau berichtet von einer heimlichen Beziehung zum Priester K.
Was vorbei sein und erst gar nicht hätte beginnen sollen: die Annäherung eines erwachsenen Kaplans an eine minderjährige Ministrantin. Das Mädchen suchte Kontakt, schwärmte für ihn. Ja, sie habe sich zu ihm hingezogen gefühlt, sagt die heute erwachsene junge Frau. Dass der Priester, als sie zwölf Jahre alt war, sie umarmte, küsste, und dass es zu sexuellen Handlungen kam, das sieht das Gericht als glaubhaft an.
Die 23-Jährige sagt, dass sie das nicht als Missbrauch empfunden habe. Aber laut Paragraf 176, Absatz 1 des Strafgesetzbuchs ist Missbrauch genau das: "Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft."
Das Gericht in Bad Kissingen bezog sich bei der Verhandlung im August auf Geschehnisse vor gut zehn Jahren. Die Zuhörer im Gerichtssaal erfuhren, dass bereits 2011 ein Hinweis die Würzburger Bistumsleitung erreicht hatte. Offenbar gab es darauf hin ein Gespräch mit dem Missbrauchsbeauftragten und ein Gebot des Bischofs, den Kontakt abzubrechen. K. sollte dem Mädchen einen Brief schreiben.
Hätte damals nicht intensiver nachgeforscht werden müssen? Dann wäre die Geschichte wohl früher aufgeklärt gewesen - und ganz anders verlaufen. "Wenn ich heute darüber nachdenke", sagt die Betroffene, "dann wäre es gut gewesen, wenn die Kirche früher gehandelt hätte." Doch damals, als Mädchen, da habe sie es nicht gut gefunden, als sie hörte, dass K. nach Würzburg zum Gespräch musste.

Den Brief, den das Bistum von K. gefordert hatte, den habe sie erhalten. Aber sie beide seien in Kontakt geblieben, trotz allem. Es habe höchstens ein paar Wochen keinen gegeben. Die Mutter erzählt, dass sie ihrer Tochter mit 16 Jahren erlaubte, mit dem Pfarrer in den Urlaub zu fahren. Als sie 18 Jahre alt wurde, sagt die Betroffene, sei aus den Kontakten eine "richtige" Beziehung geworden. Eine heimliche. Eine Beziehung, die sie gerne öffentlich gelebt hätte, wie andere jungen Paare auch. Das sei nicht möglich, habe K. gemeint. Weil er Priester sei. Die 23-Jährige sagt: "Wir haben uns meist im Pfarrhaus getroffen."
"Ich habe damals nichts bemerkt, er war oft bei uns zu Hause, er war immer freundlich", sagt die Mutter. "Irgendwann habe ich es ihr erzählt", sagt die Tochter - Jahre später. Was hätte die Mutter getan, wenn sie es früher erfahren hätte? "Natürlich hätte ich versucht es zu unterbinden." Hatte sie keine Zweifel? Sie nickt bestätigend: "Ja, doch." Sie sei auch oft bei den Besuchen von K. bei ihrer Tochter spontan ins Zimmer gegangen. "Die beiden saßen immer brav auf der Couch, er hat ihr das Gitarrenspiel beigebracht. Und wir hatten oft alle zusammen schöne Abende." Die Mutter zählt Geschenke von K. auf: Handy, Roller, "eigentlich alles, was sie sich wünschte".
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft werden zunächst eingestellt
Eines Tages liegt die Vorladung der Polizei im Briefkasten. Der alte Hinweis in der Personalakte von K. kommt im Zuge der im September 2018 veröffentlichten Missbrauchsstudie zum Vorschein – und wird von den weltlichen Forschern nicht ignoriert. Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt ermittelt. Der Pfarrer und die Betroffene sagen Anfang 2019 aus. Beide verneinen, dass etwas Sexuelles geschehen sei zu der Zeit, als sie minderjährig war. Die Ermittlungen werden eingestellt. Ein Tatnachweis sei nicht möglich gewesen, heißt es von der Staatsanwaltschaft. Die junge Frau sagt: "Ich habe damals nicht die Wahrheit gesagt, ich wollte ihn schützen."
War es nur zum Schutz? Sie zuckt mit den Schultern. K. hätte ihr versprochen, bei ihr zu bleiben, wenn sie das für ihn tun würde. Die Mutter erinnert sich: "Wir wurden nach der ersten Aussage von der Familie von K. zum Essen eingeladen." Dessen Eltern hätten sich genau erkundigt, was ihre Tochter als Zeugin und Befragte bei den Ermittlungen ausgesagt hätte.
Die junge Frau plagen bald Gewissensbisse. "Ich bin ja auch religiös, bin Christ." Sie müsse sich irgendwann dafür vor Gott rechtfertigen, dass sie gelogen habe. Sie habe K. von ihren Zweifeln erzählt. Er sei nicht darauf eingegangen, habe sie damit alleine gelassen. Wenige Wochen nach der ersten Aussage habe sie sich in Würzburg gemeldet, im bischöflichen Ordinariat. Sie wolle ihre Aussage revidieren, sie sei falsch gewesen. Das Bistum informierte die Staatsanwaltschaft.

"Als dann wieder eine Vorladung der Polizei kam, hat er den Kontakt abgebrochen." Seither habe er kein Wort mehr mit ihr geredet, auf keinen Anruf, auf keine Nachricht von ihr reagiert. Sie wünsche sich jedoch nichts sehnlicher als ein Treffen mit ihm.
Warum? "Man kann doch einen Weg finden sich gegenseitig zu helfen", sagt die junge Frau. Ihr Zwiespalt ist deutlich bemerkbar. Sie will ihn – und sie will loslassen. "Wenn er wieder kommen würde, würde ich wahrscheinlich nicht Nein sagen."
Die Mutter erzählt, dass ihre Tochter nach dem Kontaktabbruch zusammengebrochen sei. Sie habe versucht, K. zu erreichen. Er sei nicht ans Telefon gegangen. Die Tochter sagt, dass es ihr öfter schlecht gegangen sei, "weil ich versucht habe es zu verdrängen, um damit klarzukommen".
Die betroffenen junge Frau lehnt bislang die Hilfe des Bistums ab
Unterstützung von Kirchenseite lehnt sie bislang ab. Sie sei zwar mit einer Bistumsmitarbeiterin in Kontakt gewesen. "Ich habe ihr geschrieben, dass ich keine Hilfe möchte. Das einzige, was ich bräuchte, wäre ein Gespräch mit ihm." Sie habe vom Bistum keine Antwort erhalten.
Nun erwartet Priester K. nach dem weltlichen das nächste Urteil. Das kirchliche Verfahren entscheidet über seine berufliche Zukunft. Er könnte aus dem Klerikerstand entlassen werden.
Die junge Frau hat Kontakt zu anderen Frauen mit Beziehungen zu Priestern
Ihrem Arbeitgeber habe sie alles erzählt, berichtet die 23-Jährige. Bevor er von außen erfahren konnte, dass sie im Fokus der Ereignisse steht. Dass sie diejenige sei, der die Unterstützer von Pfarrer K. nicht glauben. Dass sie diejenige sei, von der gesagt wird, sie würde den Pfarrer stalken und seine Zukunft ruinieren. Ihr Arbeitgeber habe ihr "Unterstützung zugesagt". Sie bräuchte keine Angst haben. Eine der wenigen Erleichterungen für sie.
Auch von anderen Frauen, die ebenfalls Beziehungen zu katholischen Priestern haben, habe sie Unterstützung erhalten. Sie wisse, dass sie nicht die einzige ist, die unter der Heimlichkeit leidet. Sie findet den Zölibat nicht gut. Mit dieser Meinung steht sie nicht alleine da.
Als sie Kind war, wurde sie jedoch alleingelassen. Weil der Pfarrer, der als Erwachsener die Verantwortung gehabt hätte, laut Richter die Situation eskalieren ließ.
Wenn ein Priester die bestehenden Regeln seines Arbeitgebers nicht befolgen will oder kann, obwohl er sie kennt, dann betrügt er sich, die Kirche, wie sie jetzt ist und jeden, der ihm glaubt, dass er ein integrer Mann ist. Das ist geistiger, seelischer und sexueller Missbrauch. Nicht das Mädchen mit 12 Jahren muss auf sich aufpassen, soindern ER hat seine Finger von ihr zu lassen.
Die Manipulation über Jahre wird an dem Punkt sichtbar, wo er sich plötzlich zurückzieht, als sie sich entschließt die Wahrheit zu sagen!!
2. Es ist gut, dass endlich auch die Vertuschungen von Bischof Hofmann und seinem Stab sichtbar werden.
Das werden nicht die einzigen sein und bleiben.
Wie lächerlich, den 30jährigen Priester einen Brief schreiben zu lassen, anstatt ihn zur Verantwortung zu ziehen.
Danke an Bischof Jung, daß er durchgreift.
verheiratet gewesen wäre, wie es die Masse der gleichaltrigen Männer ist, dann hätte sich sicherlich auch das 12 jährige Mädchen nicht diesen Mann als "An-himmel-Idol" ausgeguckt.
Und dieser Mann wäre nicht anfällig gewesen für die Schwärmerei eines Kindes an der Schwelle zum Teenager.
Die römisch - katholische Kirche sollte doch mal zugeben, dass dieser Zwangszölibat einfach nur Unfug ist und jeglicher Natur und Erfahrung in zwischenmenschlichen Zusammenleben widerspricht.
Aber bis die in Rom mitkriegen, dass diese Regel ihren Untergang, zumindest in großen Teilen der Welt, bedeutet ist es wahrscheinlich zu spät.
Das Mädchen war nicht nur U18/U16 sondern gerade erstmal 12 Jahre alt.
Es ist absolut unverständlich, dass diese Bad Bockleter "Glaubensgemeinschaft" diese Tatsache scheinbar einfach ignoriert.
Schämt euch!
wüsste nicht, dass ich ihnen das "du" angeboten habe; so aber weiß ich wenigstens wie es um ihre Kinderstube bestellt gewesen sein muss.
Ich habe nirgendwo eine sexuelle Beziehung zu einer Minderjährigen schön geredet. Mir scheint allerdings, dass es hier einige gibt die am liebsten das Urteil "lebenslänglich" verhängt hätten; Ich wollte nur klarstellen, dass Missbrauch ein breites Feld darstellt und es unterschiedliche Schubladen gibt (man denke zum Vergleich nur an die Taten des Würzburger Logopäden).
Jetzt will ich doch relativieren und zum Nachdenken anregen. Wenn sie jeden Ü21-jährigen der im Sommer im Bierzelt oder in der Disko den Einfluss von Alkohol ausnutzt um kurzzeitig bei einer U18/U16-jährigen zu landen des Missbrauchs anzeigen würden sich einige wundern wer sich plötzlich auf der Anklagebank befindet.
Bei so etwas werden meist die Augen zugedrückt und drüber gelächelt, dabei ist es auch ein Missbrauch der von vielen gesellschaftlich geduldet wird.
Das Mädchen ist das Opfer und ER ist der Täter. Und das Tragische dabei ist, dass sich das Mädchen zu Unrecht "schuldig" fühlt.
Die Gemeinschaft der Hörigen und deren Vollstrecker ist doch allgegenwärtig und versucht jedesmal, irgendein Unrecht wieder gerade zu biegen. Genau das geschieht in Bad Bocklet. Und viel zu viele rennen blauäugig und kirchenblind hinterher. Der Pfarrer ist ein Täter, nichts anderes ist er nach dem Strafrecht. Da kann man es drehen und wenden wie man will. Auch die geregelte Heranführung der Jugend ist immer wieder zu hinterfragen. Ich zu meiner Zeit wurde von meiner Oma genötigt, diese Institution anzuerkennen. Die Diskussionen darüber kennen viele, ich habe nicht nachgegeben und wurde dafür verachtet. Sie ist tot, mein Leben findet ohne die Amtskirchen statt, diese Lügen, hab ich satt.
"Ich habe damals nichts bemerkt, er war oft bei uns zu Hause, er war immer freundlich", sagt die Mutter.
und lässt die 16-jährige mit dem Pfarrer in Urlaub fahren
Ja, gehts noch - zum Maiglöckchen pflücken ?
Je früher, je besser.
Eine kleine Ermahnung kann man ja jetzt nicht als Aufarbeitung bezeichnen.
Stimmt, da muss ich ihnen zustimmen 2011 wurde wohl sehr oberflächlich gehandelt bzw. die Sache gleich ad acta gelegt und nicht mehr groß nachgefragt. Nur kann der heutige oberste Kirchenverantwortliche in Würzburg Bischof Jung dafür nicht verantwortlich gemacht werden. Mit dem Wissen von heute hätte man damals sicher auch anders gehandelt. So gibt es heute eigentlich allerorten nur Verlierer.