
Pfarrer K. wurde wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt – im Namen des Volkes. Doch ein Teil des Volkes ist damit nicht einverstanden.
Der katholische Geistliche hat zudem sein Zölibatsversprechen gebrochen. Er ist mit der Frau, die ihm den sexuellen Missbrauch vorwirft, eine Beziehung eingegangen. Aber erst, als sie 18 Jahre alt war. Das haben er und die Zeugin vor Gericht bestätigt. Strafrechtlich spielt das keine Rolle.
Dass er die einstige Ministrantin, als sie zwölf Jahre alt war, missbraucht haben soll, hat Pfarrer K. nicht zugegeben. Es gibt kein Geständnis. Weder im ersten Prozess am 20. August 2020 am Amtsgericht Bad Kissingen noch im zweiten Prozess am 18. Februar am Landgericht Schweinfurt.
Viele in der Kirchengemeinde halten zum Pfarrer
Etliche Mitglieder der Kirchengemeinden im Raum Bad Kissingen verurteilen ihren Pfarrer K. nicht. Im Gegenteil. Die Frauen und Männer wollen ihn wiederhaben. Sie haben Angst um ihn. Machen sich Sorgen, dass er zerbricht, wenn er nicht mehr als Priester wirken kann. "Wir beten jeden Tag zu Hause für ihn und in der Kirche einen Rosenkranz", sagt eine Frau, die sich seit Monaten für K. eingesetzt. Sie ist nicht die einzige. Es hat sich ein Unterstützerkreis gebildet. Momentan besteht er aus rund 50 Personen. Die Namen sind der Redaktion bekannt; die meisten möchten momentan anonym bleiben.
Bereits nach dem ersten Prozess in Bad Kissingen wurden Briefe an Bischof Franz Jung geschrieben. Aktuell läuft eine Unterschriften-Aktion. "Wir lassen ihn nicht fallen", heißt es kämpferisch. Wieder ist der Bischof der Adressat. Einleitend steht über der Liste, die in den Gemeinden herumgereicht wird: "Wie auch Sie, so bedauern wir zutiefst, dass Kinder Opfer von Missbrauch durch Priester und Personen im kirchlichen Dienst geworden sind." Im Fall von Pfarrer K. handele es sich jedoch nicht um Missbrauch, heißt es. Er habe vor Gericht und in vielen privaten Gesprächen seine Unschuld beteuert. "Wir glauben ihm, auch wenn das Gerichtsurteil anders lautet."

Die Gemeinden von Pfarrer K. wurden vor gut einem Jahr informiert, dass die Staatsanwaltschaft Schweinfurt gegen K. ermittelt und der Bischof ihn vom priesterlichen Dienst suspendiert hat. Seither sitzt der Schock tief. "Wir waren über die kühle Art und Weise tief betroffen, wie es uns gesagt wurde. Und auch darüber, dass der Mann vom Bistum schon schuldig gesprochen wurde, bevor überhaupt der Prozess begonnen hat", heißt es aus dem Kreis der Unterstützer. "Er ist ein guter Pfarrer."
Die Zeugin kennen die Gemeindemitglieder nicht, haben aber eine Meinung: Sie soll Zuwendung gesucht haben, und der Pfarrer habe sich nicht wehren können. Überhaupt sei er viel zu gutmütig. Eine Unterstützerin mutmaßt: "Unglückliche Umstände haben ihn in diese Situation gebracht."
In diesem ungewöhnlichen Fall gibt es nicht nur Schwarz und Weiß
Die Situation ist ungewöhnlich, der Fall komplex. Meist gibt es in Missbrauchsfällen nur Schwarz und Weiß. Verachtete Täter und traumatisierte Opfer, die oft jahrelang um Anerkennung kämpfen und ein Leben lang unter den Folgen der sexualisierten Gewalt leiden. Betroffene bezeichnen sich als Überlebende, den Missbrauch als Seelenmord.
Pfarrer K. wird nicht verachtet, sondern als tiefreligiöser Mensch verehrt, als Geistlicher in den Himmel gehoben. "Viele Menschen sind wegen ihm gerne in die Kirche gegangen", sagen seine Gemeindemitglieder. Zustimmung kommt auch von evangelischer Seite. "Seine ökumenischen Gottesdienste waren immer sehr gut", sagt ein Mann. "Alle mögen ihn", ist sich eine Frau sicher, "auch die Kinder in der Gemeinde; sie fragen nach ihm, sie vermissen ihn."
Liebesbotschaften für den Angeklagten
Auch die Zeugin mag Pfarrer K. offenbar sehr. Sie belastet ihn, fühlt sich aber – wie sie in den beiden Prozessen bestätigte - nicht von ihm missbraucht. Wenige Tage vor der Verhandlung in Bad Kissingen schickte sie ihm Liebesbotschaften. Der Angeklagte gab dem Richter sein Handy, der die Nachrichten laut vorlas. K. und die junge Frau sind jedoch kein Paar mehr. Er habe die Beziehung beendet, sagt er.
Viele Zeugen waren im ersten Prozess geladen. Etwa die Gemeindereferentin, die das Bistum im Jahr 2011 über die angebliche Nähe des Priesters zu dem Mädchen informiert hatte. Die Mutter, die sich wenig wunderte über den Kontakt ihrer Tochter zu dem erwachsenen Mann. Die Lehrerin, die von psychischen Problemen ihrer ehemaligen Schülerin aufgrund schwieriger Familienverhältnisse erzählte. Die Religionslehrerin, die sich vehement für K. aussprach.
Das Gericht glaubt der Zeugin
Das Gericht hat der Zeugin geglaubt und K. zu einer Strafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt – auf Bewährung. Die Wahrheitsfindung sei jedoch nicht ganz einfach gewesen, räumte der Bad Kissinger Richter bei seiner Urteilsbegründung ein. Denn die junge Frau habe K. bei ihrer ersten polizeilichen Vernehmung entlastet, dann ihre Aussage revidiert. So kam es zur Anklage. Für den Priester spricht laut dem Richter, dass er sich seit zehn Jahren nichts weiter zuschulden kommen ließ. Mit der Situation damals, dass ein junges Mädchen seine Nähe suchte, sei er überfordert gewesen. Er sei kein Kinderschänder. "Er hätte die Situation bereinigen müssen, das hat er nicht getan, sondern er hat sie eskalieren lassen", sagte der Richter. Er hätte die Verantwortung gehabt. "Es hört sich nach Drama an."
Die Verteidigung plädierte auf Freispruch. Die Zeugin sei aufgrund ihrer verschiedenen Aussagen unglaubwürdig. Zudem soll sie K. nur deswegen des sexuellen Missbrauchs bezichtigt haben, weil er dann kein Priester mehr sein kann, sondern frei wäre – für sie. Die Anklage forderte eine Haftstrafe – ohne Bewährung. Dafür hätte die Voraussetzung gefehlt: ein Geständnis und Reue. Beide Seiten legten Berufung ein.
Eine leise Hoffnung, dass K. in seine Gemeinde zurückkehrt, keimte kurz nach diesem ersten Prozess in Bad Kissingen auf. Ein weiterer Prozess wird es schon richten – in ihrem Sinne, dachten die Gemeindemitglieder. Dann würde die Unschuld des Priesters schon bewiesen werden. Es kam anders.
Der Richter in der Berufungsverhandlung am Landgericht Schweinfurt stellte der Zeugin viele Fragen. Wann ist es passiert, was, wo, wie oft? Die junge Frau blieb bei ihrem Vorwurf, schilderte Details, bejahte Zungenkuss, Berührungen, sexuelle Handlungen. Pfarrer K. schaute immer wieder verwundert in Richtung der Frau, als könne er nicht glauben, was sie sagt, einige Male schüttelte er leicht den Kopf. Danach ging es schnell. Verteidigung und Anklage zogen die Berufung zurück. Das Urteil von Bad Kissingen wurde somit rechtskräftig. Eine mögliche Haftstrafe wurde damit abgewendet. Der Schweinfurter Richter meinte abschließend: "Das ist die bessere Lösung."
Der Pfarrer schweigt
Für die "christlichen Freunde" von Pfarrer K. ist es nicht die Lösung. Um den erhofften Freispruch doch noch erreichen zu können, müsste erneut verhandelt werden. "Ein Wiederaufnahmeverfahren ist nur möglich, wenn neue Beweise vorliegen, die dem Gericht zum Zeitpunkt des Urteils nicht vorgelegen oder nicht bekannt waren – oder wenn die Zeugin ihre Aussage revidiert", erläutert der Rechtsanwalt des Pfarrers. Warum sein Mandant in beiden Prozessen keine Aussage machte, vielmehr auf seine Angaben im Zuge der Ermittlungen verwies, darüber will der Anwalt keine Angaben machen.
Doch dieses Schweigen ihres Pfarrers beschäftigt den Unterstützerkreis sehr. Er hätte sich verteidigen, vor Gericht aufstehen und sagen sollen "Ich bin unschuldig!" Er blieb stumm. Das ist der einzige Vorwurf, den sie K. machen. Eine Frau sagt, K. habe sich wohl als gläubiger Christ an Jesus orientiert, sein Schicksal in die Hände Gottes gelegt. Und dass er den Zölibat gebrochen habe, "das wird er seinem Herrgott schon gebeichtet haben". Damit sei ihm vergeben.
Bistumssprecher: Kirchliche Voruntersuchung wird fortgesetzt
Vergebung erhoffen sich die Unterstützer auch vom Bischof von Würzburg. K. erwartet nach dem zivilen Strafprozess nun das kirchenrechtliche Verfahren. Die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen. Ein kirchliches Urteil erfolgt nicht im Namen des Volkes, sondern nach eigenen Normen und Regeln. "Die Akten des staatlichen Verfahrens wurden nach Abschluss dieses Verfahrens beantragt. Wenn diese Akten vorliegen, wird die kirchliche Voruntersuchung fortgesetzt", sagt Bistumssprecher Bernhard Schweßinger auf Nachfrage.
Bereits jetzt sollen Fakten geschaffen worden sein. Der Pfarrer habe gesagt, dass er bereits kurz nach dem Prozess in Schweinfurt von Bistumsseite aufgefordert wurde, auf seine Pfarrei zu verzichten – schriftlich, teilte eine seiner Unterstützerinnen mit. Direkt mit dieser Redaktion hat der Geistliche nicht gesprochen.
Ob ein Bischof einen wegen sexuellen Missbrauchs verurteilten Priester überhaupt wieder in seine Gemeinde zurücksenden kann, ist kaum vorstellbar. 2010 wurde der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche bundesweit bekannt. Die 2018 veröffentlichte Missbrauchsstudie belegte das Ausmaß erstmals mit Zahlen. Seit dem nicht veröffentlichten Missbrauchsgutachten von Kölnweht den Bischöfen seit Monaten ein kühler Wind entgegen. Viele Menschen treten in Köln aus der Kirche aus. "Wenn wir unseren Pfarrer nicht zurückbekommen, werden auch bei uns viele der Kirche den Rücken kehren", prophezeien die Unterstützer.
Die Männer und Frauen sind sich sicher: "K. ist ein Bauernopfer." Die anderen, die wirklich missbrauchen, die Gewalt anwenden, immer wieder, die ihre Opfer bedrohen, das seien die Schlimmen. Und dann sollten erst die Kirchenmänner, deren Taten vertuscht worden seien, verurteilt werden – nicht K.!
Frau bittet Papst Franziskus in einem Brief um Gnade
Die Gespräche dieser Redaktion mit den Fürsprechern gleichen sich. "Der Richter im Berufungsprozess sei gegen ihn gewesen. Er hatte keine Chance." "Es steht doch Aussage gegen Aussage – er hätte nicht verurteilt werden dürfen!" Und: "Die Kirche ist jetzt verpflichtet ihm zu verzeihen." Eine Frau sagt, dass sie dem Papst einen Brief geschrieben hat. Darin bittet sie Franziskus um Gnade.
Es kann jedoch sein, dass der Papst den Geistlichen aus dem Klerikerstand entlässt. Zuletzt war das im Bistum Würzburg im Januar 2020 der Fall. Damals wurde ein suspendierter Priester laisiert – allerdings erst viele Jahre nach seiner Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines elfjährigen Jungen – und erst, als weitere Vergehen von ihm durch intensive Recherchen ans Licht kamen. In diesem Fall gab es keine Unterstützer, die ihn für unschuldig hielten.
Ich wundere mich eigentlich nur, wie lange die Kirche ihren Stand noch halten kann.
Wenn ein Täter verurteilt ist, hat man das zu akzeptieren. Diejenigen, die an dem Pfarrer festhalten wollen sollten wirklich darüber nachdenken, was da genau passiert ist.
Wenn - wie im vorliegenden Fall - ein sehr zweifelhaftes, grenzverletzendes Verhalten (das aber wohl auf Gegenseitigkeit beruhte, auch von der Seite der jungen Frau, vollkommen freiwillig und bewusst) auf die selbe Stufe gestellt wird wie der schwere Missbrauch, den die gegen ihren Willen erleiden mussten, ohne sich wehren zu können, zu Dingen gezwungen wurden, die sie sicher nicht wollten!
Das ist ein offener Schlag ins Gesicht, wenn eine freiwillige, gewollte - aber wegen des jungen Alters der Frau verbotene Liebesbeziehung kommentiert wird, als wäre das schon ne Vergewaltigung - das ist für mich eine Relativierung von erlittenem Leib von Menschen, die gegen ihren Willen gezwungen und missbraucht wurden!
Aber es muss niemand sich einem solchen Diktat unterwerfen und seine berufliche Existenz auf Selbstverleugnung aufbauen.
Zu behaupten, der bemitleidenswerte Mann sei von der listigen Minderjährigen verführt worden und konnte nichts dagegen tun ist jedoch schon ziemlich dreist.
Genau solche Aussagen sind tatsächlich eine Verhöhnung der Opfer.
Aber wenn Sie die Berichterstattung über den Fall von Anfang an verfolgt hätten, hätten Sie mitbekommen, dass die Initiative am Anfang eindeutig von dem Mädel ausgegangen ist (war ja auch ihre eigene Aussage, bis zum Schluss, sie hat nie etwas Anderes behauptet!).
Dass er falsch gehandelt hat, steht außer Frage, daher hat er ja auch ein entsprechendes Urteil bekommen - denn ich muss als damals 30-jähriger Mann wissen, was ich tue - und vor allem, was ich nicht tun darf! (egal, ob mit oder ohne Zölibatsversprechen).
Aber - und das war der Punkt, auf den ich abheben wollte:
Es macht einen Unteschied, ob das Ganze einvernehmlich war - ob sich daraus dann SPÄTER (ab der Volljährigkeit der Frau) eine echte Beziehung entwickelt hat, weil sie (und zeitweise wohl auch er) echte Gefühle entwickelt hatte - und sie ihn ja wohl immer noch liebt
Oder ob hierein Abhägigkeitsverhältnis ausgenutzt wird (Onkel - Neffe/Nichte, Betreuer/-in und Grüppling in einer Jugendgruppe)
Sie werfen sexuelle Vergehen alle gleichwertig in einen Topf, ob ein unfreiwilliger oder gar einvernehmlicher Kuss mit jemandem unterhalb des Mindestalters- oder die Vergewaltigung mit anschließender Unterdrucksetzung zum Schweigen - und alles gleichwertig schlimm bezeichnet, macht sich - ausgehend vom vorliegenden Fall mitschuldig am Leid der Opfer
Das ist schwer verdaulich.
Es wäre ein Fortschritt, wenn diese Mitglieder der katholischen Glaubensrichtung bei ihren eigenen Leuten die gleichen Maßstäbe anlegen würden, die sie bei Mitgliedern anderer religiöser Gruppierungen bzw. von Atheisten an den Tag legen.