Zehn Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals am Berliner Canisius-Kolleg und gut zwei Jahre nach Veröffentlichung der von den deutschen Bischöfen in Auftrag gegebenen Missbrauchsstudie im September 2018 sorgt das Thema sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche nach wie vor für Schlagzeilen. Besonders in der Kritik steht seit Wochen das Erzbistum Köln beziehungsweise Erzbischof Karl Maria Woelki. Er sagte Ende Oktober die Veröffentlichung des lange angekündigten Gutachtens ab. Zudem wird ihm Vertuschung vorgeworfen. Auch die Missbrauchsvorwürfe gegen einen ehemaligen Generalvikar und Offizial im Bistum Speyer sorgten jüngst für Fassungslosigkeit. Dort wurde bekannt, dass ein Betroffener als Kind in einem von den Niederbronner Schwestern geführten Kinderheim schwer missbraucht worden ist.
Dennoch wird das Jahr 2020 nicht nur wegen dieser Missbrauchsskandale in Erinnerung bleiben. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat sich auf zwei Regelwerke geeinigt: eine "Rahmenordnung zum Ausschreibungs- und Besetzungsverfahren sowie zur Aufwandsentschädigung für die strukturelle Beteiligung von Betroffenen"; ebenso eine Verfahrensordnung beziehungsweise Weiterentwicklung des Verfahrens zur Anerkennung des Leids, die am 1. Januar 2021 in Kraft tritt. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu:
Anträge stellen können alle Betroffene, also auch Personen, die bereits Anträge gestellt und Leistungen erhalten haben. Zudem ist laut DBK eine Gleichbehandlung von Betroffenen vorgesehen, die in Ordensgemeinschaften missbraucht worden sind. Fonds sollen sicherstellen, dass Orden – falls nötig – bei der Finanzierung der Leistungen unterstützt werden. Laut DBK erhalten Betroffene auch dann Leistungen, wenn sie nach staatlichem Recht ihre Ansprüche gegenüber dem Beschuldigten wegen Verjährung oder Tod nicht mehr geltend machen können.
Betroffene führen ein Gespräch mit den Ansprechpartnern für Opfer sexuellen Missbrauchs in den Diözesen; diese können beim Ausfüllen der Anträge unterstützen. Der Antrag wird an die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) weitergeleitet. Die UKA legt die Leistungshöhe fest.
Ausgewählt wurden die sieben Fachleute – vier Frauen und drei Männer – aus den Bereichen Medizin, Recht, Psychologie und Kriminologie unter anderen von Bischof Stefan Ackermann, Missbrauchsbeauftrager der DBK, sowie Manuela Stölzel, Leiterin des Arbeitsstabs des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig. Wie die DBK am Dienstag bekannt gab, gehören zur Kommission auch Brigitte Bosse, Ärztliche Psychotherapeutin und Leiterin des Trauma Instituts Mainz, sowie Professor Ernst Hauck, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht.
Die deutschen Bischöfe einigten sich auf einen Betrag von bis zu 50 000 Euro (bislang waren es bis zu 5000 Euro, in Einzelfällen auch mehr). Das entspricht der Höchstgrenze bei Schmerzensgeldzahlungen. In Härtefällen sind höhere Leistungen möglich. Zusätzlich können nach wie vor Therapien und Paarberatungen übernommen werden.
In erster Linie zahlen, laut DBK, die Täter. Wenn dies nicht möglich sei, übernehmen die Bistümer die finanziellen Leistungen. Laut Bischof Jung wird das Bistum Würzburg die materiellen Leistungen zur Anerkennung des Leids aus dem Bischöflichen Stuhl und nicht aus dem Diözesan-Haushalt begleichen.
Die Rahmenordnung regelt das Ausschreibungs- und Besetzungsverfahren für Betroffenenbeiräte. Sie werden in den Bistümern neu errichtet. Denn Betroffene sollen, laut DBK, als "wichtige Akteurinnen und Akteure" die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche sowie den Austausch der Kommissionen begleiten.
Wie in einigen Bistümern bereits geschehen, erfolgt ein öffentlicher Aufruf. So hat zum Beispiel vor wenigen Wochen der Passauer Bischof Stefan Oster auf der Bistumshomepage Betroffene zur Teilnahme ermutigt. Am Dienstag rief das Erzbistum München und Freising zur Mitwirkung im Betroffenenbeirat auf. Bewerben können sich auch Angehörige beziehungsweise gesetzliche Vertreter. Ein Betroffenenbeirat soll mindestens fünf Mitglieder haben.
Betroffenenbeiräte können sich über schriftliche Stellungnahmen, Hinweise oder Änderungsvorschläge beteiligen. Der Austausch zwischen Betroffenenbeiräten, Aufarbeitungskommissionen und Bistumsverantwortlichen soll regelmäßig erfolgen.
Betroffenenbeiräte geben Vorschläge ab, wer von den (Erz-)Bischöfen als Mitglied aus ihren Kreisen in die Aufarbeitungskommissionen berufen wird; sie legen dabei auch die Personen genau fest, damit Bischöfe keine Auswahlentscheidungen aus den Vorschlägen treffen müssen. Künftige Mitglieder der Komissionen können Betroffene sein, zudem Fachleute aus Wissenschaft, Justiz oder Verwaltung. Betroffene erhalten eine Aufwandsentschädigung. Auch in Würzburg wird demnächst eine Aufarbeitungskommission ihre Arbeit aufnehmen, sagt Bistumssprecher Bernhard Schweßinger.