Spannung ist angesagt: Architekt Matthias Knab (Planwerkstatt Bad Neustadt) schließt die Eingangstür mit dem rot-weißen Rautenanstrich zu dem mächtigen Schlachthof-Gebäude auf. Fast andächtig betritt man die "heiligen Hallen" der einstigen Bad Kissinger Ochsenkathedrale, die 1925 in Betrieb genommen wurde.
Nicht nur von außen sieht der Bau wie eine Kirche aus. Auch die fast 50 Meter lange und 17 Meter hohe Säulenhalle hat etwas von einer Basilika. Beim Blick nach oben staunt man über die noch recht gut erhaltene Kassettendecke.
Man muss nicht jede kleine Fehlstelle ausbessern
Natürlich ist in den vergangenen Jahren des Leerstands Etliches an dem historischen Bauwerk dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen. "Wir hatten vor kurzem noch Gespräche mit dem Landesamt für Denkmalpflege, bei denen Weiteres abgesprochen wurde", sagt Knab. Wenn das Gebäude in absehbarer Zeit zu einer modernen Location umgestaltet wird, gilt es allerhand zu beachten. Andererseits müsse, laut Knab, nicht jede kleine Fehlstelle ausgebessert werden, habe das Landesamt den Planern mit auf den Weg gegeben.
Architekt Josef Hennings schwärmte bei der Eröffnung 1923 von der "künstlerischen Freiheit", die man ihm gelassen habe. Denn der damalige Stadtrat hatte offenbar zur Auflage gemacht, dass sich das Schlachthaus optisch in seiner Wertigkeit der erst 14 Jahre zuvor (1910/11) in Bad Kissingen erbauten Wandelhalle anpassen solle. Das Ergebnis ist beeindruckend: Die Bad Kissinger Wandelhalle, die auch schon als "Basilika der Kur" bezeichnet wurde, gilt heute als die größte Europas – der Bad Kissinger Schlachthof als in Europa einmalig.
Kommt man vom Eingang her in die stilvolle Säulenhalle, erblickt man am gegenüberliegenden Ende den damals sicher noch prächtigen Treppenaufgang der hoch zu den beiden Galerien führt, auf denen Neugierige einst den Schlachtbetrieb tief unten näher beobachten konnten. Ja, tatsächlich kamen regelmäßig feine Kurgäste in den Schlachthof, um dem blutigen Geschehen höchstselbst beizuwohnen. Davon zeugt nämlich noch das Kassenhäuschen am Eingang, denn pro Besuch galt es 50 Pfennig zu entrichten.
Zahlreiche Relikte des mechanischen Hochbetriebs
Wer also dort oben stand, konnte einerseits durch kleine Fenster in die seitlichen Schlachträume blicken und andererseits in der zentralen Halle weiterverfolgen, wie sich an den Förderbändern Rinder- und Schweinehälften mit vermutlich mittelschwerem Getöse im Kreisverkehr zu den jeweiligen Arbeitsräumen weiterbewegten.
Das war und ist gerade das Faszinierende: Dass in einem fast religiös wirkenden Bauwerk Metzger ganz weltlich das blutige Tagwerk verrichteten.
Denn von der Halle weg geht es in drei Kühlräume, einen Pökelraum und ein Eislager. Zu sehen ist dort heute nicht mehr allzu viel. Ein paar technische Relikte an den Wänden zeugen vom einstigen mechanischen Hochbetrieb des Schlachthauses, in dem anno dazumal in der Hochsaison – so war es in den Planungen der Stadt seinerzeit zumindest vorgesehen - täglich 20 Stück Großvieh, 120 Stück Kleinvieh und 40 Schweine geschlachtet werden sollten.
Kühlanlage nimmt den ganzen Raum ein
Herzstück des heutigen Lost Place ist auf jeden Fall die noch sehr gut erhaltene Kühlanlage der seinerzeit renommierten Firma Linde, auf die man in einem Raum stößt, der am hinteren Ende des mit Säulen ausgestatteten Zentrums liegt. Dort ist die linke Wand von Schaltern übersät, mit denen unter anderem das "Lüften", "Abtauen", die "Luftfeuchte-Regulierung" und der "Luftdruck" reguliert wurden.
An der Wand gegenüber weist ein Schild darauf hin, dass diese Kühlvorrichtungen bereits 1923 eingebaut wurden von der "Gesellschaft für Lindes’s Eismaschinen AG in Wiesbaden". Die Kühlanlage selbst nimmt den ganzen Raum ein.
Man wäre jetzt gern Maschinist, um die Bedeutung all dieser technischen Leitungen mit ihren rostigen Verästelungen, all der mächtigen Rohre, Kolben und Zylinder zu erfassen. Am spektakulärsten an dem technischen Bauwerk sind freilich die beiden riesigen Schwungräder, die die Kühlung antrieben.
Hat da jemand etwas liegengelassen? Ein verrosteter Schlüsselbund unter einem Schwungrad führt einen gedanklich automatisch zurück in die Vergangenheit, als hier noch alles regelmäßig betreut und sorgfältig abgeschlossen werden musste. Denn schließlich war es wichtig, dass der Schlachtbetrieb tagtäglich reibungslos funktionierte.
Den Menschen, die dort arbeiteten, auf der Spur
Hie und da spürt man also noch die Menschen in ihren blauen Arbeitskitteln, die tagtäglich hierher kamen und auch ein Stück weit ihr persönliches Leben mitbrachten. So finden sich zum Beispiel an den Innentüren eines Werkzeug-Schranks mehrere aus Zeitungen ausgeschnittene Star-Porträts, die schätzungsweise aus den 1960er Jahren stammen. Vielleicht war der Betreuer der Linde-Anlage damals ja recht jung und hatte eine besondere Schwäche für Hansi Kraus, Tony Curtis und Elvis Presley?
Im Büro einer Schlachthalle gegenüber liegt, zwischen Werkzeug, Eisenteilen und allerhand Papierkram ein Bastei-Lübbe-Bergroman aus der Serie "Alpenrose" rum- gedruckt in den 1970ern? Möglicherweise war der Liebesroman um "Leid und Glück des begehrten Dirndls Heidi" für den Mann, der jeden Tag zahlreiche tote Rinder und Schweine in Hälften zerteilen musste, ein seelischer Pausen-Ausgleich zu seiner doch eher rohen Tätigkeit?
Für Lost-Places-Gänger ist der Schlachthof ein Highlight
In einem kleinen Nebenraum, offensichtlich auch ein Büro, liegt in den Schränken und auf dem Schreibtisch alles kreuz und quer. Da haben Lost-Places-Gänger schwer gewütet, sagt Architekt Knab und zieht die Stirn kraus.
Auch in anderen Räumlichkeiten hätten solche Abenteurer alles herausgewühlt und vieles achtlos zu Seite oder auf den Boden geschmissen, erzählt er und macht klar, dass er von derlei widerrechtlichen Besuchen gar nichts hält.
Für diese Lost-Placer sei das gewaltige Bauwerk nämlich ein absolutes Highlight, sagt Knab. Es habe früher bereits etliche Einbrüche in das Gebäude gegeben. Es sei auch schon vorgekommen, dass die Polizei am Tor stand und solche Eindringlinge abfing, erzählt der Architekt. Man habe sogar zeitweise einen Sicherheitsdienst beauftragt.
Inzwischen wurde eine Alarmanlage eingebaut. Die funktioniere sehr gut, es passiere nun viel weniger, sagt Knab. Wohl auch deshalb, weil die Architekten regelmäßig selbst Führungen, unter anderem eben auch für Lost-Placer, anbieten. Am Eingang zum Schlachthof hängt eine Telefonnummer, unter der man sich für Besichtigungen anmelden kann.
Schlachthof soll auch als Mobilitäts- und Erlebniszentrum zugänglich sein
Es ist sowieso erklärtes Ziel, dass das Gebäude auch künftig für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Knab: "Wir wollen die Geschichte des Schlachthofs in einem Raum unter dem Dach dokumentieren." Das Dachgebälk ist übrigens hervorragend erhalten, hebt Knab beim Rundgang unter dem Ziegelgewölbe hervor und meint damit auch die exquisite Arbeit der Zimmerer vor gut 100 Jahren.
Die Pläne für die neue Nutzung des Schlachthofs unter dem Motto "Mobilitäts- und Erlebniszentrum" sind spannend. Nach Knabs Angaben ist zum Beispiel im Südbereich (Richtung Oskar-von-Miller-Straße) ein gastronomisches Angebot geplant (Innen- und Außenbereich). Dabei seien unterschiedliche Nutzungen vorgesehen, von der Kneipe bis zu einem gepflegten Restaurantbetrieb.
Zudem soll es Räume zum Feiern geben, eine Kochschule und ein Café mit einer Rösterei. In der Halle ist zunächst eine Automobil-Ausstellung angedacht, die allerdings nicht auf Dauer angelegt sein wird. Der Architekt macht aber auch gleich klar: "Der Schlachthof ist kein Objekt, das man rein aus wirtschaftlichen Gründen betreiben kann."